Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosigkeit bzw Erwerbslosigkeit im Ausland als Anschlußersatzzeit. innerstaatlich-territoriale Gebundenheit des Begriffs "Arbeitslosigkeit"
Orientierungssatz
1. Die Zeit einer Erwerbslosigkeit bzw Arbeitslosigkeit im Ausland (hier: Rumänien) im Anschluß an eine Kriegsgefangenschaft ist keine als Ersatzzeit anrechenbare Arbeitslosigkeit iS von AVG § 28 Abs 1 Nr 1 (= RVO § 1251 Abs 1 Nr 1) (vgl BSG 1982-09-07 1 RA 41/81 = SozR 2200 § 1251 Nr 97).
2. Bei der innerstaatlich-territorialen Gebundenheit des Begriffs der Arbeitslosigkeit kann die Zeit einer Erwerbslosigkeit im Ausland nicht nach AVG § 28 Abs 1 Nr 1 (= RVO § 1251 Abs 1 Nr 1) als Ersatzzeit anrechenbar sein.
Normenkette
AVG § 28 Abs 1 Nr 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1251 Abs 1 Nr 1 Fassung: 1957-02-23
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 26.10.1983; Aktenzeichen L 13 An 159/82) |
SG München (Entscheidung vom 26.07.1982; Aktenzeichen S 14 An 379/81) |
Tatbestand
Streitig ist die Höhe eines Altersruhegeldes.
Der 1909 in Rumänien geborene Kläger, Inhaber des Vertriebenenausweises A, leistete als Volksdeutscher ab November 1942 Kriegsdienst bei der deutschen Wehrmacht. Im August 1944 geriet er in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Es gelang ihm zu flüchten und sich bei seiner in Bukarest wohnenden Schwester zu verstecken. Im Mai 1955 wurde er von der rumänischen Miliz entdeckt und vorübergehend festgenommen. Er arbeitete anschließend in Rumänien. Im Juli 1979 übersiedelte er schließlich in die Bundesrepublik.
Mit den streitigen Bescheiden vom 28. April 1980 und - nach Widerspruch - vom 6. November 1980 bewilligte die beklagte Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) dem Kläger antragsgemäß Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres ab Juli 1979 im Betrag von zuletzt monatlich 660,90 DM. Der Berechnung legte sie dabei ua als Ersatzzeiten den deutschen Wehrdienst bis August 1944, eine pauschale Vertreibungszeit vom 1. Januar 1945 bis 31. Dezember 1946 sowie nach dem Fremdrentengesetz (FRG) die rumänischen Beitragszeiten von Mai 1955 bis April 1971 zugrunde.
Hiergegen hat der Kläger, nachdem die Beklagte seinen Widerspruch hiergegen zurückgewiesen hatte (Widerspruchsbescheid vom 14. April 1981), erfolglos geklagt. In der angefochtenen Entscheidung vom 26. Oktober 1983 hat das Landessozialgericht (LSG) die Berufung des Klägers gegen die klageabweisende Entscheidung des Sozialgerichts (SG) vom 26. Juli 1982 zurückgewiesen und ausgeführt: Die als Ersatzzeit nach § 28 Abs 1 Nr 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) anrechenbare Kriegsgefangenschaft des Klägers habe mit seiner geglückten Flucht und Heimkehr nach Bukarest geendet. Die streitige Zeit des illegalen Aufenthalts in Bukarest könne nicht als an die Kriegsgefangenschaft anschließende Arbeitslosigkeit Ersatzzeit nach der genannten Vorschrift sein; eine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt habe der Kläger bewußt vermieden. Da sich der Begriff der Arbeitslosigkeit in § 28 Abs 1 Nr 1 AVG mit dem des § 103 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) decke, dürfe der Versicherte an der Aufnahme einer Tätigkeit auf dem Arbeitsmarkt nicht - wie der Kläger - verhindert gewesen sein. Im übrigen sei eine Erwerbslosigkeit im Ausland unbeachtlich (Hinweis auf BSG in SozR 2200 § 1251 Nr 97). Die streitige Zeitspanne falle aber auch nicht unter § 28 Abs 1 Nr 3 oder 6 AVG. Bis 1969 habe ein in Rumänien "allgemein angewandtes" Verbot für rumänische Staatsangehörige deutscher Volkszugehörigkeit bestanden, in die Bundesrepublik auszureisen. Der Kläger sei also nicht durch eine gegen den ehemaligen Kriegsgegner Deutschland gerichtete feindliche Maßnahme an der "Rückkehr" in die Bundesrepublik gehindert gewesen. Im übrigen habe der Kläger in der streitigen Zeit seinen Heimatort nicht verlassen, so daß Flucht, Vertreibung, Umsiedlung oder Aussiedlung ausscheide. Nr 6 aaO sei auch nicht lückenhaft, wie Nr 4 und 5 aaO zu entnehmen sei.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision tritt der Kläger diesem Urteil entgegen und führt aus: Der streitige Zeitraum müsse nach § 28 Abs 1 Nr 1 AVG - an die Kriegsgefangenschaft anschließende unverschuldete Arbeitslosigkeit - als Ersatzzeit anerkannt werden. Der Begriff der Arbeitslosigkeit dürfe für die Rentenversicherung nicht dem § 103 AFG entnommen werden; Arbeitslosigkeit liege vor, wenn der Versicherte "keine Arbeit hat". Die Hinderung, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig zu werden, habe sich für ihn aus dem vorangegangenen Militärdienst, seiner Kriegsgefangenschaft und der geglückten Flucht ergeben. Die militärdienstbedingten Nachteile müsse die Beklagte nach § 28 Abs 1 Nr 1 AVG aber ausgleichen. Auch nach Nr 3 aaO sei sein Anspruch begründet. Sehr wohl bestehe eine kausale Verbindung zwischen feindlicher Maßnahme und Verhinderung der Rückkehr. Daß er zur Festnahme ausgeschrieben worden sei und daß man versucht habe, ihn zu ergreifen, sei eine feindliche Maßnahme. In seinem Fall sei die Ausreise trotz eines allgemeinen Ausreiseverbots daher besonders schwierig gewesen.
Der Kläger beantragt, 1. das Urteil des Sozialgerichts München vom 26. Juli 1982 und das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 26. Oktober 1983 aufzuheben; 2. die Bescheide der Beklagten vom 28. April 1980 und 6. November 1980 und den Wider- spruchsbescheid vom 14. April 1981 abzuändern dergestalt, daß die Zeiten von September 1944 bis 31. Dezember 1944 und vom 1. Januar 1947 bis September 1955 als Ersatzzeiten gemäß § 28 Abs 1 Nr 1 oder Nr 3 AVG zusätzlich anerkannt werden, 3. die Beklagte zu verpflichten, ihm seine not- wendigen Auslagen in allen drei Rechtszügen zu erstatten, hilfsweise, den Rechtsstreit unter Aufhebung des Urteils des Bayerischen Landessozialgerichts vom 26. Oktober 1983 an dieses Gericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt, die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, eine sog. anschließende Arbeitslosigkeit iS des § 28 Abs 1 Nr 1 AVG könne beim Kläger nicht vorliegen, da diese Arbeitslosigkeit im Ausland, nämlich in Rumänien zurückgelegt worden sei (Hinweis auf BSG in SozR 2200 § 1251 Nr 97). Der Tatbestand des § 28 Abs 1 Nr 3 AVG sei schon deswegen nicht gegeben, weil es an einer "feindlichen Maßnahme" im Sinne dieser Vorschrift mangele. Zeiten der Rückkehrverhinderung, die ihre Ursache in einem allgemeinen Ausreiseverbot gehabt haben, seien keine Ersatzzeit. Schließlich sei die vom LSG aufgeworfene Rechtsfrage zu verneinen, die auf eine Parallele zu § 47 des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) und damit zu § 28 Abs 1 Nr 4 AVG hinauslaufe. Diese Regelung, die auf die Verfolgten des nationalsozialistischen Unrechtsregimes zugeschnitten sei, lasse eine erweiternde Anwendung auf den Personenkreis der §§ 1 bis 4 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) nicht zu.
Entscheidungsgründe
Die zugelassene Revision ist statthaft, in der Sache aber nicht begründet.
Der Kläger kann eine rentenerhöhende Anrechnung von Ersatzzeiten gem §§ 35 Abs 1, 28 AVG nicht verlangen, weil die Zeit zwischen geglückter Flucht aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft und Festnahme in Bukarest im Mai 1955 keinen der in § 28 Abs 1 aaO erschöpfend aufgeführten Ersatzzeittatbestände erfüllt.
Die streitige Zeit des illegalen Aufenthalts des Klägers in Bukarest ist keine an den Kriegsdienst oder die Kriegsgefangenschaft "anschließende unverschuldete Arbeitslosigkeit" iS der Nr 1 aaO. Der Begriff der Arbeitslosigkeit aaO deckt sich dabei in allen wesentlichen Punkten mit dem des Rechts der Arbeitsförderung (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl zB BSGE 15, 131; 18, 287; 20, 190, 192; der erkennende Senat zuletzt in SozR 2200 § 1251 Nr 97). Hieran ist festzuhalten. Insbesondere wäre es mit Sinn und Zweck der in § 28 Abs 1 Nr 1 AVG (= § 1251 Abs 1 Nr 1 der Reichsversicherungsordnung -RVO) getroffenen Regelung nicht zu vereinbaren, mit dem Kläger Arbeitslosigkeit immer schon dann anzunehmen, wenn der Versicherte im Anschluß an Kriegsdienst oder Kriegsgefangenschaft unverschuldet "ohne Arbeit war". Wie der Senat wiederholt herausgestellt hat, billigt der Gesetzgeber dem Versicherten aaO durch Anerkennung einer Ersatzzeit einen rentenrechtlichen Ausgleich dafür zu, daß er von hoher Hand zum Kriegsdienst herangezogen worden war und daher - auch durch die mit dem Kriegsdienst zusammenhängenden "Anschlußtatbestände" - aus von der Volksgesamtheit zu vertretenden Gründen gehindert war, versicherungspflichtig zu arbeiten und so rentenstützend Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zu leisten (vgl den erkennenden Senat zB in SozR 2200 § 1251 Nr 100; vgl ferner BVerfG in SozR aaO Nr 87). Es kann daher für § 28 Abs 1 Nr 1 AVG nicht genügen, daß der Versicherte anschließend an Kriegsdienst oder Kriegsgefangenschaft "ohne Arbeit war". Hinzukommen muß, daß der Versicherte zumutbar alles getan hat, um die Zeit der Erwerbslosigkeit ehestmöglich durch Aufnahme einer rentenversicherungspflichtigen, wieder Rentenanwartschaften begründenden Beschäftigung oder Tätigkeit zu beseitigen und so den Tatbestand wieder entfallen zu lassen, für den die Versichertengemeinschaft durch Zubilligung einer - beitragsfreien - Ersatzzeit einzutreten genötigt wäre. Das bedeutet, daß der erwerbslose Versicherte iS von § 28 Abs 1 Nr 1 AVG unverschuldet arbeitslos nur dann und nur so lange ist, als er objektiv in der Lage und subjektiv ernstlich bereit ist, jede ihm zumutbare Erwerbstätigkeit zum nächstmöglichen Termin aufzunehmen (sog. objektive und subjektive Verfügbarkeit des Versicherten für eine Vermittlung in Arbeit). Ob der Versicherte objektiv und subjektiv zu einer frühestmöglichen Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit verfügbar war, kann letztlich nur die für die Arbeitsvermittlung zuständige Dienststelle zuverlässig beurteilen: Nur wer prinzipiell bereit und in der Lage ist, ein Vermittlungsangebot des zuständigen Arbeitsamts anzunehmen, dh grundsätzlich iS von § 103 Abs 1 Nr 3 AFG "das Arbeitsamt täglich aufsuchen kann und für das Arbeitsamt erreichbar ist", ist arbeitslos im Sinne auch des § 28 Abs 1 Nr 1 AVG. Ist aber die Möglichkeit der jederzeitigen Arbeitsvermittlung und - damit verbunden - der wirksamen Kontrolle der objektiven und subjektiven Verfügbarkeit des Versicherten durch das zuständige Arbeitsamt Voraussetzung für die Annahme einer Arbeitslosigkeit, so muß eine Erwerbslosigkeit des Versicherten im Ausland im Rahmen des § 28 Abs 1 Nr 1 aaO außer Betracht bleiben: Die deutschen Arbeitsämter haben - wie nicht näher ausgeführt zu werden braucht - keine Möglichkeit, die Verfügbarkeit des im Ausland lebenden Versicherten zuverlässig festzustellen, ihm einen Arbeitsplatz anzubieten oder ihn gar in Arbeit zu vermitteln. Dies nämlich scheitert an der Gebietshoheit - Möglichkeit der Behörden und Gerichte, innerstaatliche Gesetze hoheitlich durchzusetzen - der Bundesrepublik Deutschland, die an deren Grenzen endet (vgl zu alledem mit zahlreichen Nachweisen den erkennenden Senat in SozR 2200 § 1251 Nr 97). Bei der innerstaatlich-territorialen Gebundenheit des Begriffs der Arbeitslosigkeit kann die Zeit einer Erwerbslosigkeit im Ausland nicht nach § 28 Abs 1 Nr 1 AVG als Ersatzzeit anrechenbar sein.
§ 28 Abs 1 Nr 3 AVG stützt den Anspruch des Klägers ebenfalls nicht. Der Ersatzzeit-Tatbestand der Rückkehrverhinderung aus dem Ausland durch feindliche Maßnahmen ua nach Beendigung eines Krieges ist in persönlicher Hinsicht auf Zivilpersonen - "Nichtkriegsteilnehmer" - beschränkt. Der Kläger hat indessen am Zweiten Weltkrieg als Soldat der deutschen Wehrmacht teilgenommen. Es kann daher dahinstehen, ob das in Rumänien bestehende Verbot einer Ausreise in die Bundesrepublik eine "feindliche Maßnahme" im Sinne der genannten Vorschrift war.
Zutreffend hat die Beklagte dargetan, daß der Kläger auch § 28 Abs 1 Nr 4 AVG nicht zu seinen Gunsten in Anspruch nehmen kann. Diese Vorschrift begünstigt ausschließlich "Verfolgte iS des § 1 BEG", also Personen, die durch nationalsozialistische Verfolgung Schaden erlitten haben.
Nach allem trifft die vom Kläger angefochtene Entscheidung des LSG zu. Die Revision des Klägers hiergegen war als unbegründet zurückzuweisen.
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Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen