Leitsatz (amtlich)
Werden bei der Versorgung eines Beamten die ruhegehaltsfähige Dienstzeit und der Mindestsatz der ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge gemäß BeamtVG § 78 Abs 1 nach früheren landesrechtlichen Vorschriften festgestellt, dann sind nur die nach diesen Vorschriften ruhegehaltsfähigen Zeiten - nicht dagegen (auch) die nach dem BeamtVG ruhegehaltsfähigen Zeiten - iS von RVO § 1260c Abs 1 (= AVG § 37c Abs 1) bei der beamtenrechtlichen Versorgung zugrunde gelegt; dabei können Zeiten vor dem Dienstbeginn, die die Landesvorschriften nicht als ruhegehaltsfähig bezeichnen, bei der Versorgung auch nicht deshalb als zugrundegelegt gelten, weil der Landesgesetzgeber insoweit eine "pauschale Abgeltung" gewollt habe (Anschluß an und Weiterentwicklung von BSG 1.12.1983 4 RJ 97/82 = SozR 2200 § 1260c Nr 10; BSG 12.4.1984 1 RA 81/83 = SozR 2200 § 1260c Nr 14).
Normenkette
AVG § 37c Fassung: 1977-06-27; RVO § 1260c Fassung: 1977-06-27; BeamtVG § 78 Abs 1; BG BY 1946 Art 100 Abs 1 S 2 Nr 3; BG BY 1946 Art 105 Abs 1 S 1
Verfahrensgang
SG Würzburg (Entscheidung vom 06.09.1983; Aktenzeichen S 5 An 108/82) |
Tatbestand
Streitig ist nur noch, ob aufgrund von § 37c des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) Ersatzzeiten bei der Rentenberechnung unberücksichtigt zu bleiben haben.
Der 1921 geborene Kläger erhält seit Februar 1981 Ruhegehalt als Beamter von 75 vH der ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge aufgrund einer Vergleichsberechnung gemäß § 78 Abs 1 des Beamtenversorgungsgesetzes (BeamtVG) iVm Art 208 Abs 5 des Bayerischen Beamtengesetzes (BayBG) 1960 und Art 105 BayBG 1946. Die Beklagte gewährt ihm ab demselben Zeitpunkt Rente wegen Erwerbsunfähigkeit; bei deren Berechnung hat sie nicht die Ersatzzeiten des militärischen Dienstes von Oktober 1940 bis Mai 1945 berücksichtigt, weil diese Zeiten der Versorgung zugrunde gelegt seien (Bescheid vom 24. Februar 1982, Widerspruchsbescheid vom 5. August 1982).
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte im Urteil vom 6. September 1983 verpflichtet, die Ersatzzeiten zusätzlich der Rentenberechnung zugrunde zu legen und dem Kläger eine entsprechend höhere Rente zu gewähren. Nach seiner Ansicht haben sich die Ersatzzeiten auf die Höhe des Ruhegehalts nicht ausgewirkt. Während sich nach dem BeamtVG unter Einbeziehung dieser Zeiten ein Ruhegehaltssatz von nur 74 vH errechne, ergebe die Vergleichsberechnung nach dem BayBG allein aus der Dienstzeit von Juli 1954 bis Januar 1981 einen Satz von 75 vH. Sonach lägen die Ersatzzeiten der gewährten Versorgung nicht zugrunde und müßten bei der Berechnung der Erwerbsunfähigkeitsrente berücksichtigt werden (Hinweis auf BSGE 55, 57 = SozR 2200 § 1260c Nr 7).
Mit der vom SG zugelassenen Revision beantragt die Beklagte (sinngemäß), das Urteil des SG abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen, hilfsweise, das Urteil abzuändern und den Rechtsstreit zurückzuverweisen.
Zur Begründung rügt sie eine Verletzung von § 37c AVG. Das SG sei zu Unrecht der Entscheidung in SozR 2200 § 1260c Nr 4 nicht gefolgt, nach der es auf die Höhe der Versorgung und damit auf den Ruhegehaltssatz für § 37c AVG nicht ankomme und habe sich der Entscheidung Nr 7 aaO angeschlossen. Der 1. und der 4. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hätten zwar mittlerweile entschieden, daß eine Ersatzzeit der beamtenrechtlichen Versorgung dann nicht zugrunde gelegt sei, wenn das Ruhegehalt - wie vorliegend - nach früheren landesrechtlichen Vorschriften berechnet und dabei die Ersatzzeit nicht als ruhegehaltsfähig berücksichtigt worden sei (SozR 2200 § 1260c Nr 10; Urteil vom 12. April 1984 - 1 RA 81/83 -). Hierbei hätten die Senate jedoch aufgrund der feststehenden Sachverhalte davon ausgehen müssen, daß die betreffenden Ersatzzeiten nur in die Berechnung nach dem BeamtVG und nicht in die günstigere Vergleichsberechnung eingeflossen seien; dies dürfte indes nicht zutreffen. Auch im vorliegenden Fall liege nämlich die Ersatzzeit der Vergleichsberechnung mit zugrunde, obgleich als ruhegehaltsfähige Dienstzeit nur die Zeit vom 1. Juli 1954 bis 31. Januar 1981 berücksichtigt sei. Das gehe aus Art 105 Abs 1 Satz 1 BayBG hervor, der zwecks Honorierung der vor dem 30. Lebensjahr liegenden nicht ruhegehaltsfähigen Ausbildungs- und Kriegsdienstzeiten ein Sockelruhegehalt von 35 vH zubillige. Diese pauschale Abgeltung sei zumeist günstiger als die konkrete Anrechnung nach neuem Bundesrecht. Wollte man sie für § 37c AVG nicht genügen lassen, würde neben die günstigere beamtenrechtliche Abgeltung eine zusätzliche Honorierung in der Rentenversicherung treten.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
Entscheidungsgründe
Die Sprungrevision ist zulässig. Der Zulässigkeit steht nicht entgegen, daß sie im Tenor des Urteils "vorbehaltlich der schriftlichen Zustimmung des Gegners" zugelassen worden ist. Da es für eine Zulassung im Urteil des SG einer solchen Zustimmung nicht bedarf, ist der "Vorbehalt" unbeachtlich. Soweit die aufgrund der Zulassung eingelegte Revision die Zustimmung des Gegners erforderte, hat die Beklagte die ordnungsgemäße Zustimmungserklärung ihrer Revisionsschrift beigefügt. Die Revision ist jedoch unbegründet; im Ergebnis zu Recht hat das SG die Beklagte verpflichtet, die betreffenden Zeiten bei der Erwerbsunfähigkeitsrente des Klägers rentensteigernd zu berücksichtigen.
Davon, daß es sich bei den Zeiten um Ersatzzeiten - des militärischen Dienstes nach § 28 Abs 1 Nr 1 AVG - handelt, die als solche nach § 28 Abs 2 AVG an sich anrechenbar sind, kann der Senat, obgleich das SG dies nicht erkennbar festgestellt hat, nach dem Gesamtinhalt des angefochtenen Urteils und dem Vorbringen der Beteiligten ausgehen. Der Streit geht allein um die Frage, ob die Ersatzzeiten gemäß § 37c (seit 1. Januar 1983 aufgrund des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 § 37c Abs 1) AVG idF des 20. Rentenanpassungsgesetzes (RAG) bei der Berechnung der Erwerbsunfähigkeitsrente unberücksichtigt zu bleiben haben; sie bleiben unberücksichtigt, soweit sie bei einer Versorgung aus einem vor dem 1. Januar 1966 begründeten öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis mit Anspruch auf Versorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften zugrunde gelegt sind. Das ist nicht der Fall; die Ersatzzeiten des militärischen Dienstes sind bei der Versorgung des Klägers aus seinem vor dem 1. Januar 1966 begründeten Beamtenverhältnis nicht "zugrunde gelegt" worden, weil der Hundertsatz seiner ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge von 75 nicht auf der Grundlage dieser Zeiten beruht.
Nach § 9 Abs 1 BeamtVG gilt die Zeit, während der ein Beamter nach Vollendung des 17. Lebensjahres vor der Berufung in das Beamtenverhältnis nicht berufsmäßigen Wehrdienst geleistet hat, zwar als ruhegehaltsfähig. Das Ruhegehalt des Klägers ist jedoch im maßgebenden Hundertsatz der ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge nicht aufgrund des BeamtVG, sondern aufgrund des früheren BayBG berechnet worden, weil die gemäß § 78 Abs 1 BeamtVG vor der Festsetzung der Versorgung anzustellende Vergleichsberechnung zu einem günstigeren Ruhegehaltssatz geführt hat; diese Vergleichsberechnung stützte sich allein auf die Zeiten, die nach dem BayBG 1946 ruhegehaltsfähig waren. Nach Art 100 Abs 1 Satz 2 Nr 3 dieses Gesetzes bleibt die Zeit vor Vollendung des 30. Lebensjahres für die Ruhegehaltsfähigkeit indes unberücksichtigt, was nur bedeuten kann, daß sie der Vergleichsberechnung und insoweit dem Ruhegehalt des Klägers auch nicht zugrunde gelegt worden ist. Dies entspricht dem Grundsatz des § 4 Abs 3 BeamtVG (ebenso des Art 98 BayBG 1946), das Ruhegehalt "auf der Grundlage" der ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge und der ruhegehaltsfähigen Dienstzeit zu berechnen (so der erkennende Senat bereits in SozR 2200 § 1260c Nr 4 S 7 unten). Fehlt es aber an einer Zugrundelegung der betreffenden Ersatzzeiten, dann ist der Tatbestand des § 37c nicht gegeben; sonach dürfen die Ersatzzeiten bei der Berechnung der Erwerbsunfähigkeitsrente nicht unberücksichtigt bleiben.
Mit dieser Rechtsauffassung folgt der erkennende Senat der Beurteilung des 4. und 1. Senats des BSG in zwei vergleichbaren Fällen (SozR 2200 § 1260c Nr 10 und Urteil vom 12. April 1984 - 1 RA 81/83 -, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen), ohne daß er veranlaßt wäre, sich in diesem Zusammenhang noch auf die - weiteren - Erwägungen zur Verwendung des Wortes "soweit" in § 37c AVG zu stützen, das Bedeutung erlangt, wenn beitragslose Zeiten nur teilweise der Versorgung zugrundeliegen. Sind sie in vollem Umfange nicht bei der Versorgung zugrunde gelegt, dann ist, wie der 4. Senat zutreffend hervorgehoben hat, kein Fall einer "Doppelanrechnung" mit möglicher Überversorgung gegeben, was zu vermeiden Sinn und Zweck des § 37c AVG ist.
Der auf das Tatbestandsmerkmal "zugrundeliegen" abhebenden Begründung des Senats steht nicht die Gedankenführung seiner Entscheidung SozR 2200 § 1260c Nr 4 entgegen; zu Unrecht meint die Beklagte wie vor ihr das SG, letzteres sei von dieser Entscheidung abgewichen. Denn anders als dort ist hier nicht darüber zu entscheiden, ob eine ruhegehaltsfähige Zeit auch dann iS des § 37c AVG bei der Versorgung zugrunde gelegt ist, wenn sie nicht zu einer Erhöhung der Versorgungsbezüge geführt hat. Bei der Errechnung des Hundertsatzes der ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge des Klägers gab es zwei mögliche Grundlagen für die dabei zu berücksichtigenden ruhegehaltsfähigen Zeiten: Die Zeiten, die nach dem BeamtVG ruhegehaltsfähig waren oder die Zeiten, die es nach dem BayBG 1946 waren. Nur auf den letzteren beruhte hier der Hundertsatz von 75; er hat also allein in den ruhegehaltsfähigen Zeiten des BayBG seine Grundlage gefunden. Darum braucht der erkennende Senat auch nicht auf das vom SG für seine Entscheidung herangezogene Urteil in BSGE 55, 57 = SozR 2200 § 1260c Nr 7 einzugehen, in dem sich der 1. Senat "kritisch" zur Rechtsansicht des 11. Senats in SozR 2200 § 1260c Nr 4 geäußert hat; mit dem 1. Senat besteht Übereinstimmung darin, daß die Zugrundelegung einer beitragslosen Zeit bei der Beamtenversorgung jedenfalls voraussetzt, daß diese Zeit zu den ruhegehaltsfähigen Zeiten des für den festgestellten Hundertsatz maßgebenden Gesetzes gehörte.
Die Beklagte meint insoweit zwar noch, daß die betreffenden Ersatzzeiten "in anderer Form", nämlich pauschal, auch der nach dem BayBG errechneten Versorgung zugrunde lägen; der Senat kann dem jedoch nicht folgen. Zwar mag es zutreffen, daß die mit Art 105 Abs 1 Satz 1 BayBG ab der Vollendung des 30. Lebensjahres gewährte Mindestversorgung von 35 vH der ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge mit auf dem Gedanken beruht, alle vorher innerhalb oder außerhalb des Beamtenverhältnisses durchlaufenen Ausbildungszeiten oder überhaupt alle irgendwie erheblichen vorherigen Zeiten wie Kriegsdienstzeiten usw pauschal abzugelten. Gerade ein solcher Grundgedanke läßt es indes nicht zu, doch wieder auf individuelle Zeiten zurückzugreifen und sie als der Versorgung zugrunde gelegt anzusehen. Eine derartige Betrachtungsweise liefe der Regelung in Art 100 Abs 1 BayBG zuwider, daß die Zeit vor Vollendung des 30. Lebensjahres unberücksichtigt zu bleiben hat. Des weiteren setzt Art 105 Abs 1 Satz 1 BayBG nicht voraus, daß im konkreten Fall Ausbildungs- oder Wehrdienstzeiten bis zu einer bestimmten Höchstzeit (nach der Meinung der Beklagten zehn Jahre) tatsächlich angefallen sind; der Kläger, der vor dem Eingangsalter von 30 Jahren eine Ausbildung zum Beamten nicht durchlaufen hat, hätte gleichermaßen Anspruch auf die Vergleichsberechnung mit dem gleichen Ergebnis gehabt, wenn er keine Kriegsdienstzeiten vorzuweisen gehabt hätte; ebensowenig hätte es ihm umgekehrt genützt, wenn die von der Beklagten nicht näher bezeichneten "Anrechnungszeiten" zehn Jahre überstiegen hätten. Das Wesen einer Pauschalregelung besteht darin, daß keine Individualprüfung erfolgt, gleichviel, ob im Einzelfall ein Vor- oder ein Nachteil eintritt; auch die Beachtung dieses Gesichtspunktes schließt es aus, im Hinblick auf § 37c AVG für den Rahmen des BayBG das Zugrundeliegen versorgungsfähiger Zeiten letztlich zu fingieren.
Entgegen der Beklagten tritt keine "zusätzliche Honorierung in der Rentenversicherung" ein, wenn die "pauschale Abgeltung" durch Art 105 Abs 1 BayBG dazu führt, die Kriegsdienstzeiten nicht als der Versorgung zugrundeliegend anzusehen. Dabei kann der rechtliche Gehalt dieser Argumentation unerörtert bleiben. Denn zum einen dient die Vergleichsberechnung der Wahrung des Besitzstandes und bringt den Betroffenen kein "günstigeres Ergebnis" bei der Beamtenversorgung, als es ihnen nach altem Recht zustand, zum anderen kann man den fehlenden Tatbestand einer anspruchsbeschränkenden Vorschrift nicht als "Honorierung" kennzeichnen. Soweit die Beklagte noch meint, ein Ruhegehaltsempfänger mit Vergleichsberechnung müsse sich für § 37c AVG so stellen lassen, als ob ihm Versorgung nach dem BeamtVG gezahlt würde (Verbandskomm zum 4. und 5. Buch der RVO, Stand 1. August 1982, § 1260c Anm 8; Kaltenbach/Maier in Koch/Hartmann, AVG, Stand Juli 1982, § 37c D 3.5), hat der 1. Senat im Urteil vom 12. April 1984 aaO bereits widerlegt, daß anderenfalls eine "Vergünstigung" vorliege; dem braucht der erkennende Senat nichts hinzuzufügen.
Nach alledem stellt sich der angegriffene Rentenbescheid in der Rentenberechnung als rechtswidrig dar. Das führte zur Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils und zur Zurückweisung der Revision.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen