Leitsatz (amtlich)
1. Wird eine vorläufige Rente unter gleichzeitiger Feststellung der ersten - negativen - Dauerrente entzogen, so wird der Bescheid nicht mit der Zustellung, sondern mit dem Ablauf des auf die Zustellung folgenden Monats wirksam (RVO § 623 Abs 2). Ein solcher Bescheid wird also nicht wirksam, wenn zwischen der Zustellung und dem Ablauf des auf sie folgenden Monats die Umwandlung der vorläufigen Rente in die Dauerrente kraft Gesetzes eintritt (RVO § 622 Abs 2 S 1).
2. Die Umwandlung einer vorläufigen Rente in die Dauerrente kraft Gesetzes tritt bei Unfällen, die vor dem Inkrafttreten des UVNG sich ereignet haben, frühestens am 1963-07-01 ein.
Normenkette
RVO § 622 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1963-04-30, § 623 Abs. 2 Fassung: 1963-04-30; UVNG Art. 4 §§ 1-2
Tenor
Das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 25. November 1964 wird aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (M) vom 22. Januar 1964 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Beklagte die Dauerrente bis einschließlich 30. Juni 1964 zu gewähren hat.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des gesamten Verfahrens zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin ist die Rechtsnachfolgerin des am 4. Juni 1965 gestorbenen Schlossers Fritz L. Dieser wurde am 8. April 1961 von einem Arbeitsunfall betroffen; er stürzte von einer Leiter und zog sich dabei einen Schädelbasisbruch und einen Schlüsselbeinbruch zu. Die Beklagte gewährte ihm für die Folgen dieses Unfalls durch Bescheid vom 17. Mai 1962 zunächst eine vorläufige Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 30 v. H. Diese Rente setzte sie durch Bescheid vom 27. November 1962 mit Wirkung vom 1. Januar 1963 an auf 20 v. H. herab. Da nach fachärztlicher Begutachtung als Unfallfolge schließlich nur noch eine geringgradige Innenohrschwerhörigkeit anzunehmen war, entzog die Beklagte die vorläufige Rente durch Bescheid vom 27. Juni 1963 mit Wirkung vom 1. August 1963 an. Der Bescheid wurde am 27. Juni 1963 mit Einschreiben bei der Post in Mainz zur Übersendung an den Verletzten aufgegeben.
Mit der rechtzeitig gegen diesen Bescheid erhobenen Klage hat der Verletzte geltend gemacht, nach § 622 der Reichsversicherungsordnung (RVO) idF des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes (UVNG) vom 30. April 1963 (RVO nF) sei die vorläufige Rente am 1. Juli 1963, dem Tage des Inkrafttretens dieses Gesetzes, Dauerrente geworden, so daß von diesem Zeitpunkt an die Schutzfrist von einem Jahr, innerhalb deren die Rente nicht geändert werden dürfe, zu laufen begonnen habe.
Das Sozialgericht (SG) Fulda hat durch Urteil vom 22. Januar 1964 die Beklagte verurteilt, an den Kläger eine Dauerrente nach einer MdE von 20 v. H. vom 1. Juli 1963 an zu gewähren. Es ist der Ansicht, nach § 622 Abs. 2 RVO nF i. V. m. Art. 4 § 2 Abs. 1 UVNG sei die vorläufige Rente am 1. Juli 1963 Dauerrente geworden und dürfe daher frühestens ein Jahr darauf, also nicht schon vom 1. August 1963 an, wegfallen. Der Meinung der Beklagten, daß diese Wirkung nicht eintreten könne, weil der Entziehungsbescheid bereits vor dem 1. Juli 1963 zugestellt worden sei, hält das SG entgegen, die Zustellung des Bescheides vor dem Inkrafttreten des UVNG habe nicht verhindern können, daß der Bescheid erst mit Ablauf des Monats Juli 1963, also während des Schutzjahres, rechtlich hätte wirksam werden können (§ 623 Abs. 2 RVO nF).
Die Beklagte hat hiergegen Berufung eingelegt. Sie vertritt den Standpunkt, die Schutzfrist des § 622 Abs. 2 Satz 2 RVO nF beginne nach Satz 3 dieser Vorschrift bereits mit der Zustellung des Änderungsbescheides, wenn der Dauerrentenbescheid vor Ablauf der zwei Jahre nach dem Unfall, also vor dem Eintritt der Dauerrente kraft Gesetzes, zugestellt worden sei. Im Anschluß an das erstinstanzliche Urteil hat sie durch Bescheid vom 20. April 1964 verfügt, daß die Dauerrente dem Kläger erst mit Wirkung vom Ablauf des Monats Juni 1964 nicht mehr gewährt werde.
Im Termin zur Berufungsverhandlung hat der Verletzte den Klagantrag eingeschränkt; er hat die Rente nur noch bis zum 30. Juni 1964 verlangt.
Das Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 25. November 1964 das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen; den Bescheid der Beklagten vom 20. April 1964 hat es aufgehoben.
Zur Begründung des Urteils ist u. a. ausgeführt: Dem Verletzten stehe vom 1. August 1963 an keine Rente mehr zu. Die unfallbedingte MdE betrage seit diesem Zeitpunkt nicht mehr mindestens 20 v. H. Die Auffassung des Verletzten, die vorläufige Rente von 20 v. H. sei am 1. Juli 1963 Dauerrente geworden und habe daher wegen der Schutzfrist des § 622 Abs. 2 Satz 2 RVO nF erst mit Wirkung vom 1. Juli 1964 an entzogen werden dürfen, sei unrichtig. Die entscheidende Frage, ob die dem Vorletzten gewährte Rente am 1. Juli 1963 mit dem Inkrafttreten des UVNG auf Grund des § 622 Abs. 2 Satz 1 RVO nF kraft Gesetzes Dauerrente geworden sei, so daß der Klage stattgegeben und der Bescheid vom 27. Juni 1963 aufgehoben werden müßte, hänge davon ab, wann dieser Bescheid, mit dem die vorläufige Rente vom 1. August 1963 an entzogen werden sollte, rechtswirksam geworden sei. Wenn die Ansicht des SG zuträfe, die vor dem 1. Juli 1963 erfolgte Zustellung des Bescheides hätte nicht verhindern können, daß der Bescheid erst am 31. Juli 1963 wirksam geworden wäre, weil nach § 623 Abs. 2 RVO nF eine Herabsetzung oder Entziehung der Rente erst mit Ablauf des auf die Zustellung des Bescheides folgenden Monats wirksam werde, müßte sich ergeben, daß im Falle der Herabsetzung der MdE die vorläufige Rente erst in diesem Zeitpunkt geändert, die Schutzfrist für die Dauerrente aber bereits am 1. Juli 1963, also während des Bezugs der vorläufigen Rente, zu laufen begonnen hätte. Dieses Ergebnis, das auf eine Verkürzung der Schutzfrist hinauslaufe, müsse als untragbar und unlogisch bezeichnet werden (vgl. Gerken in "Die Sozialversicherung" 1964, 91 ff); es stünde auch mit der Regelung über den Beginn der Schutzfrist in § 622 Abs. 2 Satz 3 RVO nF nicht im Einklang. Die Schutzfrist beginne mit dem Zeitpunkt, an dem die Rente kraft Gesetzes Dauerrente geworden oder der letzte Dauerrentenbescheid zugestellt worden sei. Wenn die Schutzfrist mit der Zustellung des Bescheides beginne, müsse damit auch der Bescheid wirksam werden. Denn wenn der automatische Beginn der Dauerrente der Zustellung des ersten Dauerrentenbescheids entspreche und der Eintritt der Dauerrente kraft Gesetzes ohne Ablauf einer besonderen weiteren Frist beginne, dürfe es eine solche besondere Frist ebensowenig bei der ersten bescheidmäßigen Feststellung der Dauerrente geben. Der am 30. Juni 1963 als zugestellt geltende, die negative Feststellung der Dauerrente beinhaltende Bescheid der Beklagten vom 27. Juni 1963 sei somit auch an diesem Tage rechtswirksam geworden, so daß die Rente nicht erst am 1. Juli 1963 Dauerrente geworden sei.
Dem stehe § 610 RVO aF nicht entgegen. Zwar sei diese Vorschrift in Rechtsprechung und Schrifttum dahin ausgelegt worden, daß auch der Feststellungsbescheid, mit dem die Dauerrente erstmals niedriger festgesetzt worden sei als die zuletzt gewährte vorläufige Rente, mit Ablauf des auf die Zustellung folgenden Monats Rechtswirksamkeit erlangt habe (vgl. RVA in AN 1916, 712; Lauterbach, Unfallversicherung, 2. Aufl., Anm. 1 zu § 610 RVO aF). § 610 RVO aF sei aber durch das UVNG aufgehoben worden und habe daher vom 1. Juli 1963 an keine Rechtswirkungen mehr erzeugen können. Der an seine Stelle getretene § 623 Abs. 2 RVO nF sei nicht auf die erste Feststellung der Dauerrente anzuwenden; er erstrecke sich nur auf die in § 622 RVO nF bezeichneten Fälle, in denen auf Grund einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse eine Neufeststellung erfolgt sei; hierzu gehöre jedoch die erste Feststellung einer Dauerrente nicht, denn sie habe nach wie vor auf Grund des § 1585 Abs. 2 RVO zu erfolgen und setze keine Änderung der Verhältnisse voraus.
Da nach alledem die Rechtswirkung des § 622 Abs. 2 Satz 1 RVO nF am 1. Juli 1963 nicht mehr habe eintreten können, müsse die Klage abgewiesen werden.
Der Bescheid der Beklagten vom 20. April 1964 sei nur wegen des erstinstanzlichen Urteils ergangen. Mit der Aufhebung dieses Urteils entfalle auch der Bestand dieses Bescheides.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Das Urteil ist zur Übersendung an die Prozeßbevollmächtigten des Verletzten am 14. Januar 1965 durch Einschreiben bei der Post aufgegeben worden. Am 2. Februar 1965 ist ein Berichtigungsbeschluß des LSG zum Urteil vom 25. November 1964 ergangen. Dieser ist zur Übersendung an die Prozeßbevollmächtigten des Verletzten bei der Post am 4. Februar 1965 aufgegeben worden.
Der Verletzte hat durch seine Prozeßbevollmächtigten am 2. Februar 1965 gegen das Urteil Revision eingelegt und diese am 13. Februar 1965 wie folgt begründet: Der am 27. Juni 1963, also vor dem Inkrafttreten des UVNG, erlassene Bescheid der Beklagten über die erste Feststellung der Dauerrente sei für den Verletzten nicht bindend geworden, habe infolgedessen auch keine endgültige Wirkung erlangt. Er habe sich rechtlich in einem Schwebezustand befunden, der bis zur Erledigung des Rechtsstreits dauere. Es sei daher schon deshalb nicht anzunehmen, daß der Entziehungsbescheid am 30. Juni 1963 mit der Zustellung wirksam geworden sei. Allein aus diesem Grunde sei die Rechtsauffassung des SG zutreffend. Die mit Rückwirkung ausgestatteten Vorschriften des § 622 Abs. 2 und § 623 RVO nF müßten wegen ihrer sozialpolitischen Tendenz in einem dem Versicherten günstigen Sinne ausgelegt werden.
Der Verletzte hat beantragt,
die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Fulda vom 22. Januar 1964 mit der Maßgabe zurückzuweisen, daß die Beklagte die Dauerrente bis einschließlich 30. Juni 1964 zu gewähren hat.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie trägt vor: Die Auffassung des Verletzten, der umstrittene Bescheid befinde sich in einem Schwebezustand, treffe nicht zu; der Bescheid habe keine aufschiebende Wirkung. § 623 Abs. 2 RVO nF sei nicht auf die erste Dauerrentenfeststellung anwendbar. Diese Feststellung sei spätestens vom Zeitpunkt der Zustellung des Bescheides an wirksam geworden. Weder § 610 RVO aF noch § 623 RVO nF könnte sich auf Renten beziehen, die noch gar nicht gewährt worden seien; eine Dauerrente könne nur dann herabgesetzt oder entzogen werden, wenn sie als solche festgesetzt worden sei; dem stehe auch die frühere Rechtsprechung des Reichsversicherungsamtes (AN 1916, 712) nicht entgegen; denn man gäbe § 623 RVO nF einen anderen Inhalt (vgl. Gerken in "Die Sozialversicherung" 1964, 91). Die Folge sei, daß die vorläufige Rente gemäß § 631 RVO nF mit dem Ablauf des Bescheidsmonats fortgefallen sei, d. h. mit dem 30. Juni 1963. Mindestens sei davon auszugehen, daß § 623 Abs. 2 RVO nF nur die wirtschaftliche Auswirkung der Dauerrentenfeststellung regele. Der Lauf der Schutzfrist des § 622 Abs. 2 Satz 2 RVO nF sei unerheblich. Somit sei am 1. Juli 1963 nach neuem Recht die Dauerrente als solche bereits wirksam abgelehnt gewesen, so daß die Rente nicht noch zur Dauerrente kraft Gesetzes habe werden können.
Am 23. Juli 1965 haben die Prozeßbevollmächtigten des Verletzten angezeigt, daß dieser am 4. Juni 1965 gestorben ist.
Unter Überreichung einer amtlichen Bescheinigung des Magistrats der Stadt Bad Hersfeld vom 13. Juli 1965 macht die Witwe geltend, daß sie mit ihrem Ehemann bis zu dessen Tod einen gemeinsamen Haushalt geführt habe. Die Witwe erklärt durch ihre Prozeßbevollmächtigten, daß sie das durch den Tod ihres Ehemannes unterbrochene Streitverfahren aufnehme.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
II
Der während des Revisionsverfahrens gestorbene Ehemann der Klägerin hatte die vom LSG zugelassene und daher statthafte Revision ordnungsgemäß eingelegt und begründet. Die Klägerin ist als Rechtsnachfolgerin des Verstorbenen berechtigt, das gemäß § 68 SGG i. V. m. § 239 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung unterbrochene Verfahren aufzunehmen. Sie hat nach amtlicher Bestätigung mit ihrem Ehemann bis zu dessen Tod in häuslicher Gemeinschaft gelebt. Infolgedessen ist sie nach § 630 RVO nF für Entschädigungsleistungen aus der Unfallversicherung, soweit diese ihrem Ehemann zustehen würden, allein bezugsberechtigt und als Sonderrechtsnachfolgerin ihres Ehemannes befugt, in dessen Rechtsstellung als bisheriger Prozeßpartei einzutreten (vgl. SozR Nr. 1 und 2 zu § 68 SGG). Der Senat konnte daher über die anhängige Revision entscheiden.
Die Revision ist zulässig. Sie hatte auch Erfolg.
Die Beschränkung des geltend gemachten Rentenanspruchs während des Berufungsverfahrens auf eine bereits abgelaufene Zeit hat die Statthaftigkeit der Berufung nicht berührt. Die Berufung betraf im Zeitpunkt ihrer Einlegung eine zeitlich unbegrenzte Rente und konnte daher nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG - (SozR Nr. 6, 8 und 9 zu dem der Regelung des § 145 Nr. 2 SGG entsprechenden § 146 SGG) nicht dadurch unzulässig werden, daß die Klägerin die Gewährung der Rente, welche ihr die Beklagte mit Wirkung vom 1. August 1963 an entziehen will, nur noch bis zum Ablauf des Monats Juni 1964 verlangt.
Diesen Anspruch erachtet das LSG zu Unrecht für unbegründet. Zwar liegt dem Bescheid der Beklagten vom 27. Juni 1963 über die Entziehung der vorläufigen Rente von 20 v. H. der Vollrente die auch von der Klägerin nicht angegriffene Feststellung zugrunde, daß sich die Unfallfolgen ihres Ehemannes wesentlich gebessert hatten und daher nicht mehr den Bezug einer Rente rechtfertigten. Die Klägerin hat aber gleichwohl Anspruch auf die Weiterzahlung dieser Rente; denn der Wirksamkeit des Entziehungsbescheides, in dem gleichzeitig die erste - negative - Feststellung der Dauerrente (§ 1585 Abs. 2 RVO) enthalten ist, steht das Schutzjahr des § 622 Abs. 1 Satz 2 RVO nF entgegen. Nach dem vor dem Inkrafttreten des UVNG geltenden Recht (§ 610 RVO aF) wäre, wie von keiner Seite in Zweifel gezogen wird, der umstrittene Entziehungsbescheid der Beklagten mit dem Ablauf des Monats Juli 1963 wirksam geworden und die vorläufige Rente vom 1. August 1963 an weggefallen. Die Rechtslage hat sich aber auf Grund des am 1. Juli 1963 in Kraft getretenen UVNG geändert. Die in §§ 622 und 623 RVO nF getroffene Regelung berechtigt die Klägerin zum Bezug der bisher gewährten Rente als Dauerrente vom 1. Juli 1963 an für die Dauer eines weiteren Jahres. Diese Neuregelung findet nach den Übergangsvorschriften in Art. 4 § 1 und § 2 Abs. 1 UVNG auf den vorliegenden Streitfall Anwendung, obwohl sich der Arbeitsunfall, für dessen Folgen die vorläufige Rente gewährt worden ist, schon vor dem Inkrafttreten des UVNG, nämlich am 8. April 1961, ereignet hatte. Hiervon ist zwar auch das LSG ausgegangen; es hat jedoch nach Auffassung des erkennenden Senats das neue Recht nicht zutreffend angewandt.
Die Entscheidung über den Rentenanspruch der Klägerin hängt von dem Zeitpunkt ab, in dem der Entziehungsbescheid vom 27. Juni 1963 rechtswirksam geworden ist. Träfe es zu, daß, wie das LSG angenommen hat, die Rechtswirksamkeit des Bescheides mit seiner Zustellung am 30. Juni 1963 eingetreten wäre, hätte die vorläufige Rente beim Inkrafttreten des § 622 Abs. 2 Satz 1 RVO nF schon nicht mehr bestanden und daher auch nicht in eine Dauerrente mit dem Schutz des Änderungsverbotes im Sinne des § 622 Abs. 2 Satz 2 RVO nF übergehen können. Würde hingegen der Bescheid mit allen seinen Rechtswirkungen erst mit Ablauf des auf die Zustellung folgenden Monats an wirksam, stünde dem Wegfall der vorläufigen Rente entgegen; daß sie am 1. Juli 1963 kraft Gesetzes Dauerrente geworden wäre. Der erkennende Senat hält die letztere, auch dem erstinstanzlichen Urteil zugrundeliegende Auffassung von der Bescheidwirkung für zutreffend. Hierzu vermag allerdings nicht der von der Revision bezeichnete Weg zu führen. Es trifft nicht zu, daß, wie die Revision meint, ein ordnungsmäßig angefochtener Bescheid sich hinsichtlich seiner Wirksamkeit bis zur Beendigung des Rechtsstreits in einem Schwebezustand mit der Folge befinde, daß die Zustellung des Bescheides auch dann nicht die von der Beklagten behauptete Wirkung haben könne, wenn er durch das Gericht als rechtmäßig angesehen wird und damit auch rechtswirksam ergangen ist. Das LSG hat daher mit Recht darüber entschieden, an welchen der beiden im Streit befindlichen Zeitpunkte - entweder mit der Zustellung selbst oder dem Ablauf des auf sie folgenden Monats - der Bescheid rechtswirksam geworden ist. Diese Entscheidung hält jedoch der rechtlichen Nachprüfung im Revisionsverfahren nicht stand.
Die Auffassung des LSG, der Entziehungsbescheid der Beklagten sei mit seiner Zustellung wirksam geworden, beruht auf einer Verkennung der Bedeutung des § 623 Abs. 2 RVO nF. Das LSG verneint zu Unrecht die Anwendbarkeit dieser Vorschrift auf Entziehungsbescheide, welche wie hier die erste Feststellung der Dauerrente zum Gegenstand haben. Es hat sich hierbei weitgehend von der Meinung Gerkens in "Die Sozialversicherung" 1964, 91 und Krügers in "Die Berufsgenossenschaft" 1964, 366 zu dem streitigen Fragenkomplex leiten lassen, die beide - wenn auch mit verschiedener Begründung - die §§ 622 Abs. 2 und 623 Abs. 2 RVO nF dahin auslegen, daß ein solcher Bescheid mit seiner Zustellung wirksam werde. Soweit das LSG seine Ansicht deshalb für gerechtfertigt erachtet, weil sich der an die Stelle des § 610 RVO aF getretene § 623 RVO nF schon wegen seiner Bezugnahme auf § 622 nicht auf den Fall der ersten Feststellung der Dauerrente erstrecke, läßt es außer acht, daß der dem § 610 RVO aF im besonderen entsprechende Abs. 2 des § 623 RVO nF ebenso im Verhältnis zu jener bisher geltenden Vorschrift wie zu seinem eigenen Abs. 1, der den Hinweis auf § 622 enthält, betrachtet werden muß. Nach § 610 RVO aF wurde, wie auch das LSG ausgeführt hat, mit dem Ablauf des auf seine Zustellung folgenden Monats nicht nur der die Leistung im Sinne des § 608 RVO aF neu feststellende Bescheid wirksam, sondern auch der auf die erste Feststellung der Dauerrente gerichtete Bescheid, der nach § 1585 Abs. 2 RVO keine Änderung der bisher maßgebend gewesenen Verhältnisse erfordert (vgl. RVA GE Nr. 2906 in AN 1916, 712; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1.-6. Aufl., Band II S. 584; Lauterbach aaO, 2. Aufl., Anm. 1 zu § 610 RVO aF). § 623 Abs. 2 RVO nF enthält gegenüber § 610 RVO aF keine im Grundsätzlichen abweichende Regelung. Der gegenteiligen Meinung Gerkens aaO schließt sich der erkennende Senat nicht an. Der unterschiedlichen Textfassung ist kein sinnändernder Wert beizumessen, jedenfalls nicht eine so weittragende Bedeutung, daß in § 623 Abs. 2 RVO nF nur noch der auf wirtschaftliche Belange des Rentenbeziehers ausgerichtete Schutzgedanke Platz habe. Mit Recht bezweifelt Krüger in "Die Berufsgenossenschaft" 1964, 366, daß die Rechtsnatur eines auf Grund des § 623 Abs. 2 RVO nF ergehenden Bescheides über die Herabsetzung oder Entziehung einer Rente es erlaube, zwischen der rechtlichen Wirkung und der wirtschaftlichen Auswirkung zu unterscheiden und diese Wirkungen zu verschiedenen Zeitpunkten eintreten zu lassen (a. A. Gerken in "Die Sozialversicherung" 1965, 280, der hier seine abweichende Meinung aufrechterhält). Da die Herabsetzung oder Entziehung einer Rente nach § 623 Abs. 2 RVO nF nicht anders als nach § 610 RVO aF nur durch Bescheid erfolgen kann und diese dem Rentenberechtigten nachteilige Änderung der Zweck des Bescheides ist, verbietet sich schon von seinem als Einheit zu betrachtenden Inhalt her die Aufspaltung seiner Wirkung in die rechtliche Wirksamkeit und die wirtschaftliche Auswirkung. Ein solcher Bescheid kann nur einheitlich zu einem bestimmten Zeitpunkt wirksam werden. Für die Richtigkeit dieser Auffassung spricht, daß Fälle denkbar sind, in denen erst mit dem tatsächlichen Eintritt der Rentenänderung eine von dieser Änderung abhängige rechtliche Folge unmittelbar verbunden ist. Somit erhält bei der Gegenüberstellung des umstrittenen § 623 Abs. 2 RVO nF mit § 610 RVO aF nicht der angeführte Unterschied im Wortlaut, sondern die übereinstimmende Zweckrichtung beider Vorschriften das ausschlaggebende Gewicht. Wird hiernach aber die rechtliche Bedeutung eines Herabsetzungs- oder Entziehungsbescheides nach altem wie nach neuem Recht gleichermaßen von seinem Inhalt bestimmt, so kann es nach Auffassung des erkennenden Senats nicht zweifelhaft sein, daß ein Herabsetzungs- oder Entziehungsbescheid wie nach § 610 RVO aF auch unter den Voraussetzungen des § 623 Abs. 2 RVO nF die erstmalige Feststellung der Dauerrente (§ 1585 Abs. 2 RVO) zum Inhalt haben kann und sämtliche ihm innewohnenden Rechtswirkungen nicht schon mit der Zustellung, sondern erst mit dem Ablauf des auf diese folgenden Monats eintreten (vgl. Lauterbach aaO, 3. Aufl., Anm. 4 c zu § 623 RVO nF).
Dies hat zwar zur Folge, daß die Schutzfrist des § 622 Abs. 2 Satz 2 RVO nF schon vor dem Eintritt der Rentenänderung beginnt; denn gemäß § 622 Abs. 2 Satz 3, 2. Alternative, RVO nF läuft das Jahr, innerhalb dessen die Dauerrente nicht geändert werden darf, von dem Zeitpunkt an, in dem der letzte Dauerrentenbescheid zugestellt worden ist. In Fällen dieser Art, zu denen auch der Fall der ersten Feststellung der Dauerrente bei Entziehung der vorläufigen Rente gehört, verkürzt sich also die Schutzfrist um die Zeit, die zwischen der Zustellung und dem Eintritt der Rentenänderung liegt, wobei es sich um einen Zeitraum von reichlich einem bis knapp zwei Monaten handeln kann. Hierin vermag der erkennende Senat keinen die Auslegung des § 623 Abs. 2 RVO nF im Sinne der Auffassung Gerkens aaO, nämlich des zeitlichen Auseinanderfallens der rechtlichen Wirksamkeit und wirtschaftlichen Auswirkung eines Herabsetzungs- oder Entziehungsbescheides, bestimmenden Umstand zu erblicken.
Soweit sich das LSG die Erwägungen Krügers zur Auslegung des § 623 Abs. 2 RVO nF für den hier zu entscheidenden Fall der ersten Feststellung der Dauerrente zu eigen macht und mit ihm zu der Auffassung gelangt, ein solcher Bescheid müsse schon mit der Zustellung in vollem Umfang wirksam werden, ist der erkennende Senat auch hierin dem angefochtenen Urteil nicht gefolgt. § 622 Abs. 2 Satz 3 RVO nF bietet keine rechtliche Handhabe dafür, § 623 Abs. 2 RVO nF in Fällen der ersten Feststellung der Dauerrente für nicht anwendbar zu erachten. Jene Vorschrift regelt lediglich den Beginn der Schutzfrist für eine Dauerrente und nicht auch den Zeitpunkt für das Wirksamwerden eines Bescheides, mit dem eine vorläufige Rente unter gleichzeitiger erster Feststellung der Dauerrente herabgesetzt oder entzogen wird. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob die Umwandlung einer vorläufigen Rente in die Dauerrente kraft Gesetzes (§ 622 Abs. 2 Satz 1 RVO nF) und die bescheidmäßige Feststellung der ersten Dauerrente nach vorangegangener vorläufiger Rente (§ 1585 Abs. 2 RVO) als rechtlich gleichwertiges Geschehen zu behandeln sind. Denn jedenfalls vermag eine solche Gleichbehandlung nicht die Schlußfolgerung zu rechtfertigen, die Wirksamkeit der Rentenänderung dürfe ebensowenig wie bei der kraft Gesetzes eintretenden ersten Dauerrente auch bei der durch Bescheid begründeten ersten Dauerrente an eine Überleitungsfrist im Sinne des § 623 Abs. 2 RVO nF geknüpft sein. Die erste Alternative des § 622 Abs. 2 Satz 3 RVO nF ist schon deshalb ungeeignet, die gegenteilige Auffassung zu begründen, weil die kraft Gesetzes eintretende Dauerrente von anderen rechtlichen Voraussetzungen abhängig ist als der "letzte" Dauerrentenbescheid, der normalerweise den Fall der Neufeststellung einer bereits vorhandenen Dauerrente betrifft, und daher insoweit eine einheitliche rechtliche Ausgangsbasis für das Vorhandensein gemeinsamer Rechtsfolgen fehlt. Der erkennende Senat hält Wortlaut und Sinn der angeführten Vorschriften für eindeutig genug, um die Auffassung des LSG, der Entziehungsbescheid der Beklagten vom 27. Juni 1963 sei bereits mit seiner Zustellung am 30. Juni 1963 wirksam geworden, für entkräftet zu erachten. Im übrigen hat sich, wie dem Rundschreiben VB 98/63 des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften vom 20. Juli 1963, betreffend die Durchführung des UVNG, S. 18/19 zu § 622 Abs. 2 RVO, zu entnehmen ist, auch die Praxis den Standpunkt zu eigen gemacht, daß ein im Juni 1963 zugestellter Änderungsbescheid erst vom 1. August 1963 an wirksam werden könne und daher vor Ablauf des am 1. Juli 1963 beginnenden Schutzjahres keine Wirkung habe.
Hiernach hatte im vorliegenden Streitfall der Bescheid über die Entziehung der vorläufigen Rente vom 27. Juni 1963 erst mit Ablauf des Monats Juli 1963 und nicht schon am 30. Juni 1963 wirksam werden können. Da am 1. Juli 1963 das UVNG in Kraft getreten ist und an diesem Tag die vorläufigen Renten, die aus länger als zwei Jahre zurückliegenden Arbeitsunfällen gewährt wurden, in Dauerrenten umwandelte (§ 622 Abs. 2 Satz 1 RVO nF), trat diese Rechtswirkung auch für die hier umstrittene Rente ein. Die Zweijahresfrist war bereits am 8. April 1963 abgelaufen und ein rechtswirksamer Entziehungsbescheid bis zum Beginn der zeitlichen Geltung des UVNG nicht ergangen, so daß die vorläufige Rente des Ehemannes der Klägerin am 1. Juli 1963 Dauerrente geworden war und ihm von diesem Zeitpunkt an nach § 622 Abs. 2 Satz 2 RVO nF für ein weiteres Jahr zustand. Die Beklagte ist daher verpflichtet, der Klägerin als der Rechtsnachfolgerin ihres Ehemannes die Rente nach einer MdE von 20 v. H. als Dauerrente entsprechend dem in der Berufungsinstanz gestellten Klagantrag bis zum Ablauf des Monats Juni 1964 zu gewähren. Da dieses Erkenntnis dem Inhalt des während des Berufungsverfahrens auf Grund des § 96 SGG ergangenen Bescheides der Beklagten vom 20. April 1964 entspricht, ist dieser Bescheid nunmehr gegenstandslos geworden.
Das angefochtene Urteil mußte somit aufgehoben und die Berufung der Beklagten gegen das erstinstanzliche Urteil, das die Leistungsverpflichtung der Beklagten für eine unbegrenzte Zeit ausgesprochen hatte, entsprechend dem Antrag der Klägerin mit der Maßgabe zurückgewiesen werden, daß die Beklagte die Dauerrente bis einschließlich 30. Juni 1964 zu gewähren hat.
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG.
Fundstellen