Leitsatz (amtlich)
Die militärische Dienstzeit eines aufgrund des Gesetzes über die Überführung von Angehörigen der Landespolizei in die Wehrmacht vom 1935-07-03 als Berufssoldat übernommenen Versicherten ist auch dann keine Ersatzzeit iS des RVO § 1251 Abs 1 Nr 1, wenn der Betroffene mit der Überführung nicht einverstanden war.
Normenkette
RVO § 1251 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1957-02-23; BVG § 2 Abs. 1 Fassung: 1950-12-20, § 3 Fassung: 1950-12-20
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Berlin vom 21. August 1975 und des Sozialgerichts Berlin vom 19. Juni 1973 insoweit aufgehoben, als die Beklagte verurteilt worden ist, die Zeit vom 10. Oktober 1935 bis 30. September 1936 als Ersatzzeit rentensteigernd zu berücksichtigen. Insoweit wird die Klage abgewiesen.
Die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits haben sich die Beteiligten nicht zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist, ob bei der dem Kläger gewährten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit die Zeit vom 10. Oktober 1935 bis zum 30. September 1936 als Ersatzzeit zu berücksichtigen ist. Der im Jahre 1909 geborene Kläger trat am 1. April 1930 freiwillig in den Polizeidienst ein und gehörte vom 1. April 1933 bis zum 9. Oktober 1935 der Landespolizei an. Am 10. Oktober 1935 wurde er aufgrund des Gesetzes über die Überführung der Angehörigen der Landespolizei in die Wehrmacht vom 3. Juli 1935 (RGBl I 1935/351) in die Wehrmacht überführt und dort rückwirkend zum 1. Oktober 1935 zum Unteroffizier befördert. Am 1. Oktober 1936 wurde er wieder in die Schutzpolizei zurückversetzt.
Die Klage richtete sich zunächst gegen einen Bescheid der Landesversicherungsanstalt (LVA) Berlin vom 18. März 1970, durch den dem Kläger ab 1. Juli 1969 eine Rente wegen Berufsunfähigkeit zugesprochen worden war. Mit Bescheid vom 29. März 1973 hatte die Beklagte die Rentenzahlung übernommen, weil der Kläger den letzten Beitrag an die Pensionskasse der Deutschen Reichsbahn entrichtet hatte. Die Beklagte hat ab 1. Juli 1969 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit statt der Rente wegen Berufsunfähigkeit bewilligt. Der Kläger hatte sich darauf im Verfahren vor dem Sozialgericht (SG) nur noch gegen den Bescheid der damals beigeladenen Bundesbahnversicherungsanstalt gewandt.
Das SG Berlin hat mit Urteil vom 19. Juni 1973 die LVA Berlin aus dem Rechtsstreit entlassen und den Bescheid der beigeladenen Bundesbahnversicherungsanstalt vom 29. März 1973 geändert und diese verurteilt, die Zeit vom 10. Oktober 1935 bis zum 30. September 1936 und die Zeit vom 9. September bis zum 26. Oktober 1939 als Ersatzzeiten rentensteigernd zu berücksichtigen. Mit der dagegen von der Bundesbahnversicherungsanstalt eingelegten Berufung hat sich diese nur noch gegen die Anrechnung der Zeit vom 10. Oktober 1935 bis zum 30. September 1936 als Ersatzzeit gewandt. Das Landessozialgericht (LSG) Berlin hat die Berufung mit Urteil vom 21. August 1975 zurückgewiesen. Es ist der Ansicht, daß der Kläger während der streitigen Zeit militärischen Dienst aufgrund gesetzlicher Dienst- oder Wehrpflicht geleistet hat. Er sei in dieser Zeit gem. § 1 des Gesetzes über die Überführung von Angehörigen der Landespolizei in die Wehrmacht überführt worden. Bei diesem Gesetz habe es sich um Wehrrecht gehandelt. Der Kläger habe zwar während dieser Zeit die zuvor bezogenen Dienstbezüge eines Polizeibeamten in voller Höhe weitererhalten und sei damit ähnlich wie ein Berufssoldat behandelt worden, auch treffe der Zweck einer Ersatzzeit, einen Ausgleich für solche Zeiten zu schaffen, in denen Versicherte aufgrund von Wehrdienstverpflichtungen an einer Beitragsleistung gehindert gewesen seien, nicht zu, denn der Kläger habe trotz seiner Überführung in das Soldatenverhältnis seine bisherigen Dienstbezüge weitererhalten und hätte auch ohne die ... Überführung in die Wehrmacht als Polizeibeamter keine Rentenversicherungsbeiträge entrichtet. Der entscheidende Unterschied zwischen ihm und einem Berufssoldaten liege jedoch darin, daß sich der Berufssoldat freiwillig zur Übernahme von Wehrdienst verpflichte, während der Polizeibeamte einen im Einzelfall vielleicht ähnlich ausgestatteten, grundsätzlich jedoch anderen Dienst anstrebe. Der Polizeibeamte sei Beamter, die dem Soldatenrechtsverhältnis innewohnende, über das Beamtenverhältnis hinausgehende, besondere Unterordnungspflicht und die Bereitschaft, notfalls Kriegsdienst zu leisten, sei dem Polizeibeamtenverhältnis nicht eigentümlich. Daher könne ein gegen seinen Willen in das Soldatenrechtsverhältnis überführter Polizeibeamter nicht wie ein Berufssoldat behandelt werden. Nach den Durchführungsbestimmungen zum Gesetz über die Überführung von Angehörigen der Landespolizei in die Wehrmacht vom 15. Juli 1935 seien Wachtmeister und Oberwachtmeister mit einer Dienstzeit bis zu 6 Jahren ohne Ausnahme in die Wehrmacht überführt worden, nur für die übrigen Angehörigen der Landespolizei sei Voraussetzung für die Überführung in die Wehrmacht gewesen, daß sie sich unter Verzicht auf ihre bisherigen Rechte zum Übertritt in die Wehrmacht bereiterklärt hatten. Der Kläger habe aber noch keine Dienstzeit von 6 Jahren gehabt, für ihn habe es daher keine Möglichkeit gegeben, sich gegen die Überführung in das Soldatenrechtsverhältnis zu wehren. Ob er durch die Anerkennung der erstrebten Ersatzzeit für diese Zeit eine echte Doppelversorgung erhalte, könne dahingestellt bleiben, denn selbst wenn das der Fall sein würde, böten die Rentenversicherungsgesetze keine Möglichkeit, dies zu verhindern.
Gegen das Urteil hat das LSG die Revision zugelassen. Die Bundesbahnversicherungsanstalt hat in dem von ihr eingeleiteten Revisionsverfahren erklärt, ihre Revision richte sich nicht gegen die Entlassung der LVA B aus dem Rechtsstreit. Sie ist aber der Ansicht, daß die Zeit vom 10. Oktober 1935 bis zum 30. September 1936 nicht als Ersatzzeit anerkannt werden kann. Der Dienst in der Landespolizei sei vom Kläger zum Zwecke des Erwerbs des Lebensunterhalts, also berufsmäßig ausgeübt worden. Die Überführung in die Wehrmacht aufgrund des Gesetzes über die Überführung von Angehörigen der Landespolizei in die Wehrmacht vom 3. Juli 1935 habe an der berufsmäßigen Ausübung nichts geändert, denn die Dienstbezüge seien mindestens in der gleichen Höhe weitergezahlt worden. Im Unterschied zu den Wehrpflichtigen, die in Friedenszeiten für einen begrenzten Zeitraum ihre zivilen Berufstätigkeiten unterbrechen müßten, um als Soldaten zu dienen, habe der Dienst in die Wehrmacht für die aus der Landespolizei überführten Personen ebenso wie für diejenigen, die den Soldatenberuf von vornherein ergriffen hätten, die berufliche Existenzgrundlage dargestellt. Für diesen Personenkreis sei aber die Dienstzeit als Berufssoldat außerhalb des Krieges nicht als Ersatzzeit zu berücksichtigen. Das gelte selbst dann, wenn die Dienstzeit als Berufssoldat außerhalb des Krieges der Erfüllung der gesetzlichen Wehrpflicht gedient habe, um so mehr müsse es für den Kläger gelten, der als Angehöriger des Jahrgangs 1909 nicht zu den unter die aktive Dienstpflicht fallenden Geburtsjahrgängen gehöre.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG Berlin vom 21. August 1975 und das Urteil des SG Berlin vom 19. Juni 1973 insoweit aufzuheben und die Klage insoweit abzuweisen, als der Kläger beantragt hat, auch die Zeit vom 10. Oktober 1935 bis 30. September 1936 als Ersatzzeit rentensteigernd zu berücksichtigen.
Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Es ist nicht Sache eines Gerichts, einen Beklagten von sich aus durch Urteil aus einem Rechtsstreit zu entlassen und dafür einen anderen Beklagten einzusetzen, denn allein der Kläger hat darüber zu bestimmen, gegen wen sich die von ihm erhobene Klage als Beklagter richtet. Ein Wechsel des Beklagten während eines anhängigen Verfahrens ist grundsätzlich als Klageänderung im Sinne des § 99 Sozialgerichtsgesetz (SGG) anzusehen. Im vorliegenden Fall hatte jedoch der Kläger durch den im Termin zur mündlichen Verhandlung am 19. Juni 1973 gestellten Antrag (Aufhebung eines Bescheids der Bundesbahnversicherungsanstalt und Verurteilung der Bundesbahnversicherungsanstalt zur Neuberechnung seiner Rente) zu erkennen gegeben, daß sich seine Klage nicht mehr gegen die Landesversicherungsanstalt Berlin, sondern gegen die Bundesbahnversicherungsanstalt richtete. Die Einwilligung der übrigen Beteiligten in die Änderung der Klage ergab sich aus ihrer Einlassung auf die abgeänderte Klage (§ 99 Abs. 2 SGG). Außerdem hat das Sozialgericht zu erkennen gegeben, daß es die Klageänderung für sachdienlich hielt.
Nach § 1251 Abs. 1 Nr. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) werden ua als Ersatzzeiten Zeiten des militärischen oder militärähnlichen Dienstes iS der §§ 2 und 3 Bundesversorgungsgesetz (BVG), der aufgrund gesetzlicher Dienst- oder Wehrpflicht oder während eines Krieges geleistet worden ist, angerechnet. Bei der streitigen Dienstzeit vom 10. Oktober 1935 bis zum 30. September 1936 handelte es sich um militärischen Dienst iS des § 2 Abs. 1 BVG, denn er wurde nach deutschem Wehrrecht als Soldat geleistet. Da er nicht während eines Krieges geleistet worden ist, kann eine Anrechnung als Ersatzzeit nur erfolgen, wenn er aufgrund gesetzlicher Dienst- oder Wehrpflicht geleistet worden ist. Das ist jedoch nicht der Fall.
Der Kläger ist am 10. Oktober 1935 aufgrund des Gesetzes über die Überführung von Angehörigen der Landespolizei in die Wehrmacht vom 3. Juli 1935 (RGBl I 1935/851) Soldat geworden. Nach § 1 dieses Gesetzes wurden die Angehörigen der dem Reichskriegsminister unterstellten Einheiten, Verbände und Einrichtungen der Landespolizei in das Rechtsverhältnis von Soldaten überführt. Nach § 2 des Gesetzes erhielten die überführten Angehörigen der Landespolizei mindestens das Grundgehalt weiter, das sie bis zum Tage der Überführung bezogen hatten, und den entsprechenden Wohnungsgeldzuschuß. Nach § 2 der Durchführungsbestimmungen zu dem Überführungsgesetz (Heeres-VOBl. 1935, 129) wurden sämtliche Wachtmeister und Oberwachtmeister der betroffenen Einheiten der Landespolizei mit einer Dienstzeit bis zu sechs Dienstjahren (Stichtag 31. Oktober 1935) in die Wehrmacht überführt. Zu diesem Personenkreis gehörte der Kläger. Dennoch ist der von ihm nach der Überführung in die Wehrmacht geleistete Wehrdienst nicht aufgrund einer gesetzlichen Dienst- oder Wehrpflicht iS des § 1251 Abs. 1 Nr. 1 RVO geleistet worden. Diese Vorschrift soll nach dem Sinn und Zweck der Ersatzzeitregelung in erster Linie Dienstpflichtige begünstigen, die aufgrund der Wehrgesetze, insbesondere des Wehrgesetzes vom 21. Mai 1935 (RGBl I, 609) und der zu diesem Gesetz ergangenen Verordnung vom 29. Mai 1935 (RGBl I, 697) zur Erfüllung der aktiven Dienstpflicht herangezogen wurden, also die Angehörigen der Jahrgänge 1914 und jünger (vgl. § 1 Abs. 2 der Verordnung zum Wehrgesetz). Grundsätzlich muß also der Grund für die Ableistung des militärischen Dienstes die gesetzliche Dienst- oder Wehrpflicht gewesen sein, mindestens muß aber durch die Ableistung des Dienstes eine sonst später eingetretene Dienst- oder Wehrpflicht erloschen sein, denn nur diese Dienstleistenden, die in der Regel auch kein Grundgehalt nach beamtenrechtlichen Grundsätzen, sondern nur Wehrsold erhielten, erfüllen den für den Zweck der Ersatzzeitenregelung typischen Tatbestand, durch den die versicherungsrechtlichen Nachteile ausgeglichen werden sollen, die diesem Personenkreis dadurch entstanden, daß sie infolge der Militärdienstpflicht keine versicherungspflichtige Tätigkeit ausüben und keine Beiträge entrichten konnten (vgl. hierzu auch SozR 2200 Nr. 3 zu § 1267). Ganz anders lagen die Verhältnisse beim Kläger. Für die Entscheidung ist ohne Bedeutung, ob er mit der Überführung in die Wehrmacht einverstanden war. Sozialversicherungsrechtlich ist nur bedeutsam, daß der im Jahre 1909 geborene Kläger nicht auf Grund gesetzlicher Dienst- oder Wehrpflicht Soldat geworden ist. Bei dem Gesetz vom 3. Juli 1935 handelte es sich nicht um ein Wehrgesetz, sondern um ein Gesetz, das den im öffentlichen Dienst gewählten Beruf des Klägers veränderte und ihn zu einem Berufssoldaten machte. Somit kann er auch hinsichtlich seiner Wehrdienstzeit versicherungsrechtlich nicht anders als andere Berufssoldaten behandelt werden, d. h. er hat die diesem Personenkreis zustehenden Versorgungsansprüche, jedoch ist für ihn die Wehrdienstzeit keine Ersatzzeit iS des § 1251 Abs. 1 Nr. 1 RVO. Das Bundessozialgericht (BSG) hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß die Zeiten des militärischen Dienstes eines Berufssoldaten in Friedenszeiten keine Ersatzzeiten sind. Dies gilt sogar für die Zeiten, in denen sonst aufgrund gesetzlicher Wehrpflicht Militärdienst zu leisten gewesen wäre; es muß deshalb um so mehr in den Fällen gelten, in denen - wie beim Kläger - sonst gar kein Militärdienst aufgrund gesetzlicher Wehrpflicht zu leisten gewesen wäre (vgl. SozR Nr. 7 und Nr. 65 zu § 1251 RVO).
Die Urteile der Vorinstanzen waren daher aufzuheben, soweit diese dem Antrag des Klägers stattgegeben haben, die Zeit vom 10. Oktober 1935 bis zum 30. September 1936 als Ersatzzeit rentensteigernd zu berücksichtigen. Insoweit war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen