Beteiligte
Bundesversicherungsanstalt für Angestellte |
Nachgehend
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. November 1996 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der Kläger begehrt von der Beklagten eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung, wobei er sein Recht auf eine solche Rente auf die Zurücklegung von Ersatzzeiten iS des bundesdeutschen Rentenrechts stützt.
Der 1926 geborene Kläger besitzt sowohl die polnische als auch ab 1991 die deutsche Staatsangehörigkeit. Vom polnischen Sozialversicherungsträger (Zak(ad Ubezpiecze(Spo(ecznych – ZUS –) bezog er zunächst ab Dezember 1983 eine Invalidenrente und ab Oktober 1986 eine Altersrente. Im Februar 1993 beantragte er bei der Beklagten, ihm Rentenleistungen wegen des in der Zeit vom 27. März 1944 bis 9. Mai 1945 in der Deutschen Wehrmacht geleisteten Kriegsdienstes sowie wegen der anschließenden Zeit der russischen Kriegsgefangenschaft vom 9. Mai 1945 bis 17. Januar 1950 zuzuerkennen. Diese Zeiten seien vom ZUS nicht berücksichtigt worden.
Die Beklagte lehnte den Antrag mit der Begründung ab, der Kläger habe seinen ständigen Wohnsitz in Polen und dort bereits vor dem 1. Januar 1991 eine Rente bezogen. Deshalb sei nach dem hier maßgeblichen deutsch-polnischen Sozialversicherungsabkommen von 1975 allein der ZUS für die Rentengewährung zuständig (Bescheid vom 16. Juli 1993). Widerspruch und Klage hatten keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 22. Oktober 1993, Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ vom 18. November 1996). Mit Beschluß vom 4. November 1997 hat das SG die Sprungrevision zugelassen.
Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des Art 3 Grundgesetz (GG) sowie des Art 14 der Europäischen Menschenrechtskonvension (EMRK). Er trägt vor, der polnische Rentenversicherungsträger berücksichtige bei der Rentenberechnung nicht die Zeiten des von ihm zurückgelegten Wehrdienstes sowie der russischen Kriegsgefangenschaft. Um gegenüber anderen deutschen Staatsangehörigen nicht benachteiligt zu werden, habe die Beklagte ihm wegen dieser Zeiten eine Rente zu gewähren.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. November 1996 sowie den Bescheid der Beklagten vom 16. Juli 1993 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Oktober 1993 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Rente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, daß die angefochtene Entscheidung nicht zu beanstanden sei.
II
Die Revision des Klägers ist nicht begründet.
Nach seinem in der ersten Instanz und in der Revisionsbegründung gestellten Sachantrag begehrt der Kläger sinngemäß die Gewährung einer Rentenleistung unter Zugrundelegung des geltend gemachten Kriegsdienstes sowie der Kriegsgefangenschaftszeiten. Hierbei kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger nicht mehr die Berücksichtigung der Kriegsdienstzeit geltend machen will, nachdem der ZUS während des Revisionsverfahrens diese Zeit bei der Berechnung der polnischen Rente berücksichtigt hat. Welche Art von Rente der Kläger von der Beklagten begehrt, hat er nicht weiter spezifiziert. Offenbar verlangt er die Zahlung der Rente, die für ihn unter Zugrundelegung der geltend gemachten Zeiten überhaupt in Betracht kommen könnte. Insoweit schließt das hier vorrangig anzuwendende deutsch-polnische Sozialversicherungsabkommen jedoch von vornherein ein Recht des Klägers auf eine Rente (gleich welcher Art) gegen einen deutschen Rentenversicherungsträger und damit auch gegen die Beklagte aus.
Ob bzw inwieweit der Kläger ein solches Recht gegen einen deutschen Rentenversicherungsträger haben könnte, beurteilt sich nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über Renten- und Unfallversicherung vom 9. Oktober 1975 (BGBl II 1976 S 396), das aufgrund des (Zustimmungs-)Gesetzes vom 12. März 1976 (BGBl II S 393) in innerstaatliches Recht transformiert und am 1. Mai 1976 in Kraft getreten ist (BGBl II S 463). Der Vorrang der Bestimmungen dieses Abkommens folgt bzgl der Anspruchsentstehung aus § 30 Abs 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil –; sie schließen eine Anwendung des bundesdeutschen Rentenversicherungsrechts aus.
Das Abkommen vom 9. Oktober 1975 (nachfolgend DPSVA 1975) wurde nicht durch das spätere Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über soziale Sicherheit vom 8. Dezember 1990 (BGBl II 1991 S 743) verdrängt bzw ersetzt, das durch das Gesetz vom 18. Juni 1991 (BGBl II S 741) in innerstaatliches Recht transformiert worden und am 1. Oktober 1991 in Kraft getreten ist (BGBl II S 1072). Nach den Übergangs- und Schlußbestimmungen des Abkommens vom 8. Dezember 1990 (nachfolgend DPSVA 1990) findet das DPSVA 1975 weiterhin ua auf Personen Anwendung, die vor dem 1. Januar 1991 in einem Vertragsstaat aufgrund des Abkommens von 1975 Ansprüche und Anwartschaften erworben und die auch nach dem 31. Dezember 1990 ihren Wohnort im Hoheitsgebiet dieses Vertragsstaats beibehalten haben (Art 27 Abs 2 Satz 1 und 2 DPSVA 1990). Da dem Kläger vom ZUS vor dem 1. Januar 1991 zunächst eine Invalidenrente (1983) und dann eine Altersrente (1986) zuerkannt worden war und er durchgehend bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt in Polen wohnt, beurteilen sich die geltend gemachten Rechte allein nach dem DPSVA 1975. Dies räumt auch der Kläger ein.
Dem DPSVA 1975 liegt nicht – wie dem DPSVA 1990 – das sog Leistungsexportprinzip zugrunde. Nach diesem Prinzip leistet jeder Staat nur aus Zeiten, die in seinem Hoheitsgebiet zurückgelegt worden sind; die in einem anderen Vertragsstaat zurückgelegten Zeiten werden nur noch für den Erwerb des Rentenrechts mit den eigenen Zeiten zusammengerechnet; die nach nationalem Recht festgestellte „pro-rata-Rente” kann „exportiert”, dh auch in den anderen Vertragsstaat ausgezahlt werden. Die Frage, ob der Kläger unter Berücksichtigung polnischer Versicherungszeiten und der im Revisionsverfahren evtl nur noch geltend gemachten Zeit der Kriegsgefangenschaft eine Rente gegen einen deutschen Rentenversicherungsträger erwerben könnte, stellt sich vorliegend jedoch nicht. Denn dem hier anzuwendenden DPSVA 1975 liegt das Eingliederungs- bzw Integrationsprinzip zugrunde, wie Art 4 aaO unmißverständlich zum Ausdruck bringt. Danach werden Renten der Rentenversicherung ausschließlich von dem Versicherungsträger des Staates, in dessen Gebiet der Berechtigte wohnt (Wohnstaat), nach den dort geltenden Vorschriften gewährt (Art 4 Abs 1 aaO). Dabei hat der zuständige Träger die in einem anderen Staat zurückgelegten Zeiten so zu berücksichtigen, als seien sie im eigenen Staatsgebiet zurückgelegt worden (Art 4 Abs 2 aaO), dh es wird fingiert, der Berechtigte habe sein gesamtes Versicherungsleben nur im Wohnstaat zurückgelegt. Solange er in diesem Vertragsstaat wohnt, hat er Rechte bzw Ansprüche nur gegen dessen Versicherungsträger (Art 4 Abs 3 aaO). Demzufolge darf ein deutscher Versicherungsträger eine Rente, selbst wenn auf sie an sich nach innerstaatlichem Recht ein Anspruch bestehen würde, nicht zuerkennen und an einen Berechtigten (aus-)zahlen, der im Gebiet des polnischen Staates wohnt (BSG SozR 6710 Art 16 Nr 3). Die Ausnahmefälle der Art 15, 16 DPSVA 1975 sind im vorliegenden Fall offenkundig nicht gegeben.
Da der Kläger seinen ständigen Wohnsitz immer nur in Polen gehabt hat (vgl zur Definition des Begriffs „Wohnort” Art 1 Nr 2 DPSVA 1975), begründet der weitergeltende Art 4 DPSVA 1975 eindeutig eine ausschließliche Zuständigkeit des polnischen Rentenversicherungsträgers. Der Kläger kann demzufolge keine Rechte bzw Ansprüche gegen einen deutschen Rentenversicherungsträger geltend machen; damit kann offenbleiben, ob er zB allein mit den geltend gemachten Ersatzzeiten überhaupt einen Rentenanspruch erwerben konnte, zumal wenn er deren Geltendmachung nur noch auf die Zeit der Gefangenschaft (rund 57 Monate) beschränken sollte. In jedem Fall gehen nämlich die Regelungen des Abkommensrechts – wie schon dargelegt – als Sonderregelungen (leges speciales) den Regelungen des inländischen Rentenrechts (zB zur Zuständigkeit des Versicherungsträgers oder zum Auslandsrentenrecht) vor (vgl auch BSG SozR 3-1200 § 30 Nr 5 ≪S 9≫). Da somit eine Verpflichtung der Beklagten von vornherein ausscheidet, kann auch dahinstehen, ob sie ggf zuständiger Träger im Sinne des Abkommens gewesen wäre (vgl zur Definition Art 1 Buchst c der Vereinbarung zwischen dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung der Bundesrepublik Deutschland und dem Minister für Arbeit, Löhne und Sozialangelegenheiten der Volksrepublik Polen zur Durchführung des DPSVA 1975 vom 11. Januar 1977 ≪BGBl II S 586≫).
Verfassungsrechtlich, insbesondere im Hinblick auf Art 3, 14 und 20 Abs 1 GG, ist die Verankerung des Eingliederungsprinzips im DPSVA 1975 nicht zu beanstanden. Der Senat verweist insofern, insbesondere auf den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 26. Februar 1980 (BVerfGE 53, 164, 179 ff = SozR 2200 § 1318 Nr 5); auch wenn die dortigen Ausführungen unmittelbar nur den Export von Renten an deutsche Versicherte in den „Oder-Neisse-Gebieten” in Polen unter Zugrundelegung der früheren §§ 1315 ff Reichsversicherungsordnung betrafen, hat das BVerfG seine Entscheidung doch ausdrücklich auch im Blick auf das DPSVA 1975 getroffen.
Wie das BVerfG (aaO, S 180 ff) dargelegt hat, hat das DPSVA 1975 für viele Deutsche in Polen, wenn auch nicht für alle, eine Verbesserung gebracht. Diesen war zuvor aus in Deutschland zurückgelegten Versicherungszeiten zunächst kein auszahlbarer Rentenanspruch erwachsen. Nun wurden die nach reichsgesetzlichen Vorschriften abgesicherten Zeiten erstmals in Form eines vertraglich abgesicherten Rechtsanspruchs in das polnische Sozialversicherungssystem mit einbezogen. Ob es andere „Gelegenheiten” gegeben hat, die rentenversicherungsrechtliche Situation der in Polen verbliebenen Deutschen – soweit sie im Vergleich zu Deutschen im Inland noch benachteiligt sind – zu verbessern, ist eine Frage der außenpolitischen Gestaltungsmöglichkeiten. Auch unter Berücksichtigung der mit dem Status der deutschen Versicherten verbundenen Schutzpflicht der Bundesregierung ist dieser Gestaltungsraum, gemessen an den Maßstäben des Art 3 GG nicht überschritten worden (vgl hierzu im einzelnen BVerfG, aaO, S 182 ff). Insoweit ist daher auch kein Verstoß gegen das in Art 14 EMRK verankerte Diskriminierungsverbot erkennbar.
Art 14 GG ist ebenfalls nicht verletzt. Zum einen unterliegen Ersatzzeiten als solche nicht dem Eigentumsschutz des Art 14 GG, da sie überwiegend auf staatlicher Gewährung beruhen und somit Ausdruck besonderer staatlicher Fürsorge sind; nur als Bestandteil der Rente – bzw der Rentenanwartschaft – sind sie dem Bestandsschutz des Art 14 Abs 1 GG zuzuordnen (vgl dazu BSG, Urteil vom 18. April 1996, BSGE 78, 138, 146 f = SozR 3-2600 § 71 Nr 1). Zum anderen war der Bundesgesetzgeber bei Schaffung der gegen die Bundesrepublik Deutschland nach Kriegsende neu begründeten Rentenansprüche nicht gehindert, insoweit den Rentenexport in das Ausland einzuschränken (vgl zur Situation in den ehemaligen deutschen Ostgebieten BVerfG, aaO, S 175 ff). Demzufolge bestand auch kein Anlaß, im Zusammenhang mit dem Abschluß des DPSVA 1975 bzw nach dessen Inkrafttreten eine Sonderregelung in das bundesdeutsche Rentenrecht aufzunehmen, die eine von den Prinzipien des Abkommens abweichende Rentengewährung gerechtfertigt hätte.
Schließlich ist in Anbetracht des insoweit besonders großen Gestaltungsraums des Gesetzgebers auch kein Verstoß gegen das Sozialstaatsgebot (Art 20 Abs 1 GG) ersichtlich (vgl dazu BVerfG, aaO, S 184 f). Letztlich läuft damit das Begehren des Klägers auf einen vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit nicht verfolgbaren Anspruch auf Gesetzgebung hinaus (vgl dazu BSGE 72, 50, 52 = SozR 3-8570 § 10 Nr 1).
Nach alledem konnte die Revision des Klägers keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen