Leitsatz (redaktionell)

Grundsätzlich können bei der Bewertung einer Tätigkeit nur diejenigen Umstände von Bedeutung sein, die in der Zeit vorgelegen haben, als der Versicherte diese Tätigkeit ausgeübt hat.

 

Orientierungssatz

Die Tätigkeit als "Aushilfsheizer" (bei der Deutschen Bundesbahn) ist nicht als ungelernte Tätigkeit, sondern wie eine anerkannte Anlerntätigkeit zu bewerten.

 

Normenkette

RVO § 1246 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 25. Oktober 1961 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander Kosten des Revisionsverfahrens nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Der im Jahre 1906 geborene Kläger war von Ende Mai 1922 bis Mitte Dezember 1924 Schmiedelehrling; eine Gesellenprüfung legte er nicht ab. Von Januar bis Anfang April 1925 war er als Hilfsarbeiter in einem Betonwerk und anschließend zwölfeinhalb Jahre lang bei der damaligen Deutschen Reichsbahn als Bahnunterhaltungsarbeiter und von Oktober 1937 bis Ende Juni 1942 als Lokputzer und - ganz überwiegend - als Aushilfsheizer invalidenversicherungspflichtig beschäftigt. Er wurde am 1. Juli 1942 zum Lokomotivheizer-Anwärter und am 1. Dezember 1942 zum Lokomotivheizer (Beamtenanwärter bzw. Beamter) ernannt und am 1. April 1956 zum Oberlokomotivheizer befördert; vom 1. Januar 1957 ab führte er die Bezeichnung Obertriebwagenführer. Vom 1. Juli 1942 an setzte er die Versicherung freiwillig fort. Wegen verminderten Hörvermögens versetzte die Deutsche Bundesbahn ihn zum 1. Januar 1959 in den Ruhestand.

Im Januar 1958 beantragte der Kläger bei der Beklagten, ihm Versichertenrente zu gewähren. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 23. Juli 1958 den Rentenantrag mit der Begründung ab, der Kläger sei weder berufs- noch erwerbsunfähig.

Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 23. Oktober 1959 die Beklagte - unter Abänderung des Bescheides vom 23. Juli 1958 - verurteilt, dem Kläger vom 1. Januar 1959 an Rente wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt, der Kläger sei vom 1. Januar 1959 an berufsunfähig im Sinne des § 1246 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO), weil er zu diesem Zeitpunkt als Beamter in den Ruhestand versetzt worden sei.

Das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz hat durch Urteil vom 25. Oktober 1961 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen; es hat die Revision zugelassen. Die Auffassung des SG sei rechtsirrig, da Dienstunfähigkeit im Sinne des Beamtenrechts nicht Berufsunfähigkeit im Sinne des § 1246 Abs. 2 RVO sei. Berufsunfähig im Sinne dieser Vorschrift sei der Kläger nicht. Als sein bisheriger Beruf sei der eines Aushilfsheizers anzusehen. Als solcher sei er, auch mit Rücksicht auf seine rund zweieinhalb Jahre dauernde Schmiedelehre unter die angelernten Arbeiter einzureihen. Die von einem Aushilfsheizer geforderten Fähigkeiten und Kenntnisse ließen eine Gleichstellung mit dem Beruf eines gelernten Facharbeiters ebensowenig zu wie der Umstand, daß diese Tätigkeit tariflich verhältnismäßig günstig eingestuft sei. Für den Kläger sei daher die Verrichtung angelernter Tätigkeiten und Hilfsarbeitertätigkeiten zumutbar. Er sei gesundheitlich noch in der Lage, zahlreiche leichte Hilfsarbeitertätigkeiten in der Industrie und in gewerblichen Betrieben auszuüben, die nur einer kurzen Einweisung bedürften und bei denen besondere körperliche und geistige Anforderungen nicht gestellt würden. Insbesondere kämen in Betracht die Tätigkeiten eines Fabrikarbeiters mit rein mechanischen oder Kontrolltätigkeiten an einer Maschine, eines Gerätewarts, dem die Pflege leichter Gegenstände obliege, eines Materialausgebers in einem Magazin, eines Sortierers, eines Verpackers leichter Gegenstände, eines Etikettierers und eines Reinigers leichter Industrieerzeugnisse vor ihrem Versand.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger Revision mit dem Antrag eingelegt, unter Aufhebung des Urteils des LSG die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen. Er hält das angefochtene Urteil nicht für zutreffend. In seiner letzten versicherungspflichtigen Beschäftigung sei er Lokputzer und Aushilfsheizer gewesen. Damit habe er die Qualifikation eines Lokomotivheizers erworben. Im Zusammenhang mit seiner nicht ganz zu Ende geführten Schmiedelehre sei daher, wenn auch nicht vom Facharbeiter, so doch vom qualifiziert angelernten Arbeiter auszugehen. Als solcher könne er aber nicht auf einfache angelernte oder ungelernte Tätigkeiten, sondern nur auf qualifizierte Tätigkeiten verwiesen werden. Die soziale Wertigkeit des Lokomotivheizerberufes sei durch die - tarifliche - Gleichstellung mit Handwerker-Lokomotivheizern erheblich angestiegen. Zu entscheiden sei die Frage, ob die tarifliche Lohneingruppierung eines an sich angelernten Arbeiters in die Gruppe der Facharbeiter zur Folge habe, daß dieser auch für die Berufsunfähigkeit dem Facharbeiter gleichzuachten sei. Für die gehobeneren Dienste wie Ladeschaffner, Lagermeister u. ä. komme er - der Kläger - nicht in Betracht, weil er sich in erheblichem Umfange beruflich umstellen müßte.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die Ausbildung als Schmied habe der Kläger nicht beendet. Seine weitere Tätigkeit als Hilfsarbeiter lasse auch darauf schließen, daß er die Tätigkeit als Schmied nicht als seinen künftigen Lebensberuf angesehen habe. Seine Ausbildung als Hilfsheizer habe nur wenige Wochen betragen und könne daher nicht einem erlernten Beruf, für den eine mehrjährige Ausbildung und die Ablegung einer förmlichen Prüfung vorgeschrieben sei, gleichgestellt werden. Als bisheriger Beruf könne für den Kläger daher nur eine ungelernte Tätigkeit angesehen werden. Die Anforderungen, die an seine Tätigkeit als Bahnunterhaltungsarbeiter, Lokputzer und Hilfsheizer gestellt würden, seien die gleichen, wie sie überall an ungelernte Arbeiter gestellt würden. Daß er in seiner zuletzt ausgeübten Tätigkeit als Hilfsheizer den gleichen Lohn erhalten habe wie ein mit gleicher Tätigkeit beschäftigter Facharbeiter, könne daran nichts ändern. Auf die Tätigkeiten als Ladeschaffner, Lagermeister oder ähnliche Berufe müsse sich der Kläger verweisen lassen, da für solche Berufe nur eine kurze Einarbeitungszeit erforderlich sei.

Die zulässige Revision des Klägers hatte keinen Erfolg.

Ohne Rechtsirrtum hat das Berufungsgericht den Kläger noch nicht als berufsunfähig im Sinne des § 1246 Abs. 2 RVO angesehen.

Insbesondere hat das Berufungsgericht nicht verkannt, daß der bisherige Beruf des Klägers im Sinne des § 1246 Abs. 2 RVO der eines Lokomotiv-Aushilfsheizers, den er zuletzt versicherungspflichtig im wesentlichen ausgeübt hat, ist. Zwar war er von 1922 bis Mitte 1924 Schmiedelehrling, hat jedoch die Gesellenprüfung nicht abgelegt. Da er anschließend, wenn auch nur für kurze Zeit, als Hilfsarbeiter in einer Betonfabrik tätig gewesen ist, muß angenommen werden, daß er sich von der ersteren Tätigkeit gelöst hat (BSG 2, 182, 186). Aber auch von der Tätigkeit eines Hilfsarbeiters in einer Betonfabrik hat sich der Kläger gelöst, als er Bahnunterhaltungsarbeiter bei der damaligen Deutschen Reichsbahn wurde, und von dieser Tätigkeit hat er sich hinwiederum gelöst, als er die Tätigkeit eines Aushilfsheizers übernommen hat. Die später, nach dem 1. Januar 1942, ausgeübten Tätigkeiten eines Lokomotivheizeranwärters und eines Lokomotivheizers (im Beamtenanwärter- bzw. Beamtendienst) scheiden bei dieser Betrachtung aus, da sie nicht versicherungspflichtig sind und im Rahmen des § 1246 RVO nur Tätigkeiten Bedeutung haben können, die versicherungspflichtig sind.

Das Berufungsgericht hat auch ohne Rechtsirrtum entschieden, daß die Tätigkeit als Aushilfsheizer nicht als ungelernte Tätigkeit, sondern wie eine anerkannte Anlerntätigkeit zu bewerten ist. Denn nach den Feststellungen des Berufungsgerichts war für diese Tätigkeit bei der damaligen Reichsbahn durch eine Dienstvorschrift die Ableistung einer vielmonatlichen Anlernzeit mit einer im einzelnen genau geregelten umfassenden Ausbildung vorgeschrieben. Diese Anlernung geht deutlich über den Rahmen einer bloßen betrieblichen Einweisung hinaus. Anderseits kann der Beruf eines solchen Aushilfsheizers aber auch nicht als ein Lehrberuf angesehen werden, weil ihm keine mehrjährige Lehrzeit mit Abschlußprüfung vorauszugehen hat und er auch nicht als solcher anerkannt ist. Ebensowenig läßt die Art der Tätigkeit des Klägers als Aushilfsheizer eine Bewertung über die eines anerkannten Anlernberufes hinaus zu.

Für eine Höherbewertung des Berufes des Klägers könnte im vorliegenden Falle allerdings die tarifliche Einstufung des Aushilfsheizers sprechen. Doch kann die Entlohnung für Lokomotivheizer, die einen für den Lokomotivführerberuf anerkannten Handwerksberuf erlernt haben, nicht berücksichtigt werden, da der Kläger nicht zu dieser Gruppe gehört. Ob etwas anderes für die Zeit nach dem 31. März 1958 zu gelten hat, während welcher alle Lokomotivheizer einheitlich nach einer höheren Lohngruppe entlohnt worden sind, kann hier dahingestellt bleiben. Denn im vorliegenden Falle handelt es sich um die Bewertung der Lokomotivheizertätigkeit in einem weit früheren Zeitraum, nämlich in den Jahren 1937 bis 1942. Grundsätzlich können bei der Bewertung einer Tätigkeit aber nur diejenigen Umstände von Bedeutung sein, die in der Zeit vorgelegen haben, als der Versicherte diese Tätigkeit ausgeübt hat.

Wie das Bundessozialgericht bereits entschieden hat, kann ein Versicherter, dessen bisheriger Beruf im Sinne des § 1246 Abs. 2 RVO ein anerkannter Anlernberuf ist, auf solche ungelernte Tätigkeiten, die nicht zu den Arbeiten einfacher Art - die ohne eingehendere Einweisung längere Einarbeitung oder betriebliche Anlernung von jedem gesundheitlich dazu Fähigen ausgeübt werden können - gehören, verwiesen werden, da ihm deren Verrichtung zumutbar ist (Urt. des erkennenden Senats vom 28. Mai 1963, SozR RVO § 1246 Nr. 32). Auf eine Reihe der von dem Berufungsgericht angeführten Tätigkeiten, wie etwa die eines Gerätewarts und eines Materialausgebers in Magazinen, kann der Kläger daher verwiesen werden. Da das LSG auch bindend festgestellt hat, daß der Kläger nach seinen beruflichen Fähigkeiten und nach seinem Gesundheitszustand in der Lage ist, solche Tätigkeiten auszuüben, ist er noch nicht berufsunfähig. Zu Recht hat das Berufungsgericht daher die Klage abgewiesen.

Die Revision des Klägers mußte somit als unbegründet zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2374925

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