Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Urteil vom 23.10.1962) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 23. Oktober 1962 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
I
Der Kläger war in einem Rohrreinigungsbetrieb, der seinen Sitz in Hannover hatte, als Maschinenschlosser beschäftigt. Im Sommer 1955 führte dieses Unternehmen die Reinigung des Wasserleitungsnetzes der Stadt Horsens in Dänemark (Jütland) aus und schickte den Kläger als Monteur dorthin. Seine Tätigkeit erforderte eine tägliche Arbeitszeit von durchschnittlich 16 Stunden, weil ihm u. a. das Nachschweißen von Reinigungsgeräten übertragen war. Diese Arbeit führte er in der städtischen Werkstatt, die in der Frederiksgade lag, aus; sie nahm ihn in der Regel bis in den späten Abend in Anspruch. Für die Dauer seines Aufenthalts in Horsens wohnte der Kläger bei einer dänischen Familie in der Allégade. Am 15. Juli 1955 verließ er nachmittags gegen 17 Uhr seine in der Aaboulevarden befindliche Arbeitsstelle, um eine Essens- und Erholungspause vor der Weiterarbeit einzulegen. Er fuhr mit einem Motorrad stadtauswärts in Richtung Bygholm-See. Unterwegs stürzte er auf dem Bygholm parkvej aus ungeklärter Ursache und zog sich dabei erhebliche Verletzungen zu.
Die Beklagte lehnte die Entschädigungsansprüche des Klägers durch Bescheid vom 26. März 1956 mit der Begründung ab, der Kläger sei auf der Unfallfahrt zu einem privaten Zweck unterwegs gewesen, und zwar um einen Bekannten abzuholen, der am Bygholm-See angelte.
Der Kläger hat hiergegen geltend gemacht, er habe am. Unfalltag die Fahrt unternommen, um im Bygholm-Hotel zu essen, weil dort deutschsprechendes Personal vorhanden gewesen sei. Seinen Bekannten habe er erst am späten Abend nach Beendigung seiner Werkstattarbeit vom See abholen wollen.
Das Sozialgericht (SG) Lüneburg hat die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) Hannover zum Verfahren beigeladen.
Nach Beweiserhebung über die Beschäftigungs- und Lebensverhältnisse des Klägers in Horsens hat das SG die Beklagte verurteilt, an den Kläger Entschädigung im gesetzlichen Rahmen zu zahlen. Das SG ist davon ausgegangen, daß der Kläger kraft Ausstrahlung seines Beschäftigungsbetriebes bei seiner Arbeitstätigkeit in Dänemark unter Versicherungsschutz gestanden habe, und hat angenommen, der Kläger sei mit Rücksicht auf die erhebliche Überstundenleistung von Betriebswegen genötigt gewesen, eine gute Mahlzeit einzunehmen; gegen den Versicherungsschutz spreche nicht, daß er das in landschaftlich schöner Lage befindliche und mit dem Kraftfahrzeug leicht erreichbare Bygholm-Hotel zum Aufenthalt gewählt habe.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 23. Oktober 1962 das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung ist im wesentlichen ausgeführt: Die zum Unfall führende Fahrt des Klägers habe nicht in einem inneren Zusammenhang mit seiner versicherten Arbeit gestanden; sie sei nicht aus betrieblichen Gründen notwendig gewesen. Auch wenn unterstellt werde, daß der Kläger zum Bygholm-Hotel habe fahren wollen, um dort zu essen, sei er jedenfalls nicht durch seine betriebliche Tätigkeit genötigt gewesen, diese außerhalb der Stadt liegende Gaststätte aufzusuchen. Auch unter Berücksichtigung der erheblichen Überstundenarbeit sei es dem Kläger zuzumuten gewesen, in einem in der Nähe seiner Arbeitsstelle gelegenen Lokal zu essen, zumal da auch in der Stadt ein Hotel mit deutschsprechendem Personal zur Verfügung gestanden habe. Das Bygholm-Hotel habe außerhalb des Bereiches gelegen, in dem sich der Kläger aus betrieblichen Gründen habe bewegen müssen. Für ihn sei die Fahrt ein Abweg von seinen versicherungsrechtlich geschützten Wegen gewesen. Anlaß dazu habe die Absicht gegeben, sich in einer landschaftlich reizvollen Gegend zu erholen. Das sei nicht aus betrieblichen Gründen notwendig gewesen, und zwar auch nicht mit Rücksicht darauf, daß der Kläger im Ausland tätig gewesen sei.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Das Urteil ist dem Kläger am 19. November 1962 zugestellt worden. Er hat hiergegen am 8. Dezember 1962 Revision eingelegt und am 8. Januar 1963 das Rechtsmittel wie folgt begründet: Für Unfälle, die sich bei Tätigkeiten im Ausland ereignen, seien dieselben Grundsätze zu berücksichtigen, die das Bundessozialgericht (BSG) für den Versicherungsschutz auf Dienstreisen entwickelt habe (vgl. BSG 8, 48). Daher müsse bei einem Beschäftigungsaufenthalt im Ausland erst recht davon ausgegangen werden, daß der ursächliche Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und einem Unfall eher anzunehmen sei als am Wohn- und Betriebsort. Der Kläger habe mit der zum Unfall führenden Fahrt auf jeden Fall auch den Zweck verfolgt, am Bygholm-See seine Mahlzeit einzunehmen und sich dort nach anstrengender Arbeit zu erholen. Die Gestaltung seiner Arbeitspause, die der Erhaltung seiner Arbeitskraft gedient habe, sei nicht deshalb durch private Gründe ausschlaggebend beeinflußt worden, weil er zum Aufenthalt das außerhalb der Stadt Horsens gelegene Bygholm-Hotel gewählt habe. Insoweit sei ihm im Ausland freie Hand gewährt gewesen.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung der Beklagten gegen das erstinstanzliche Urteil zurückzuweisen.
Die beigeladene AOK stellt den gleichen Antrag und schließt sich der Revisionsbegründung des Klägers an.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie pflichtet den Ausführungen des angefochtenen Urteils bei.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist durch Zulassung statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes –SGG–); sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, somit zulässig. Das Rechtsmittel hatte jedoch keinen Erfolg.
Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, daß der Kläger, der als Beschäftigter eines inländischen Unternehmens im Sommer 1955 vorübergehend in Horsens in Dänemark gearbeitet hat, kraft Ausstrahlung des Unternehmens ins Ausland unter dem Schutz der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung (UV) stand (vgl. BSG 7, 257, 265; 17, 173, 177 und das zur Veröffentlichung in Band 20 der Entscheidungssammlung des BSG vorgesehene Urteil des erkennenden Senats vom 30.10.1963 – 2 RU 217/62 –). Der Unfall, für dessen Folgen der Kläger von der Beklagten Entschädigung beansprucht, hat sich während einer Arbeitspause ereignet. Der Kläger ist verunglückt, als er mit einem Kraftrad von seiner Arbeitsstätte aus unterwegs war. Ein Arbeitsunfall könnte daher nur unter den Voraussetzungen des § 543 Abs. 1 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aF begründet sein. Dafür wäre vor allem erforderlich gewesen, daß die Fahrt mit der versicherten Tätigkeit des Klägers in einem rechtlich wesentlichen Zusammenhang gestanden hatte. Einen solchen – ursächlichen – Zusammenhang hat das LSG nach Lage des vorliegenden Streitfalles mit Recht nicht als gegeben erachtet. Es hat zwar ungeklärt gelassen, welchen Zweck der Kläger mit der Unfallfahrt in Wirklichkeit verfolgte, und lediglich festgestellt, daß er in Richtung Bygholm-See gefahren ist. So ist es offen geblieben, ob der Kläger zu dem See selbst fahren wollte, um einen Bekannten abzuholen, der dort angelte, oder ob seine Behauptung zutrifft, daß er seine Arbeitspause in der Nähe des Bygholm-Sees verbringen wollte, um sich dort von den Anstrengungen seiner Arbeit zu erholen und gleichzeitig in dem Bygholm-Hotel zu essen. Einer abschließenden Klärung des Sachverhalts bedurfte es indessen auch nach Ansicht des Senats nicht, da, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, in jedem dieser beiden in Betracht kommenden Fälle der Versicherungsschutz zu verneinen ist. Auch die Revision zieht nicht in Zweifel, daß es sich bei dem Abholen eines Bekannten vom Angeln um eine rein private und daher unversicherte Verrichtung gehandelt hätte, und daß nur bei Annahme der zweiten Alternative der Versicherungsschutz gerechtfertigt sein könnte, weil nur in diesem Falle für das Bestehen des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der Fahrt und der versicherten Tätigkeit des Klägers Raum wäre. Das LSG ist auf Grund des vom Kläger dargestellten Sachverhalts ohne Rechtsverstoß zu dem Ergebnis gelangt, daß ein solcher betrieblicher Zusammenhang nicht gegeben sei. Hierbei hat es nicht verkannt, daß Wege von und nach der Arbeitsstätte, die erforderlich sind, damit der Versicherte die zur Erhaltung oder Wiedererlangung seiner Arbeitskraft notwendige Ruhe und Ernährung findet, in der Regel unter dem Schutz der gesetzlichen UV stehen. Demzufolge hat das Berufungsgericht auf Grund der von ihm getroffenen und von der Revision nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen zu Recht angenommen, daß der Kläger am Unfalltag gegen 17 Uhr die Essens- und Erholungspause brauchte, um sich nach der vorangegangenen Tagesarbeit zu stärken und für die Weiterarbeit, die ihn bei erheblicher Überstundenleistung bis in den späten Abend in der städtischen Werkstatt in Horsens beansprucht hätte, zu kräftigen. Der streitige Versicherungsschutz wäre daher ohne weiteres zu rechtfertigen, falls der Kläger sich zur Einnahme des Abendessens und zum Ausruhen in seine in der Stadt Horsens gelegene Wohnung oder in eine im Stadtgebiet befindliche Gaststätte begeben hätte. Da die Fahrt aber erheblich über den Stadtbereich hinaus führen sollte, hätte es des Vorliegens besonderer Umstände bedurft, um den für die Entschädigungspflicht der Beklagten erforderlichen betrieblichen Zusammenhang als gegeben ansehen zu können. Die Entfernung des „Ausflugs”-Zieles von der Arbeitsstätte oder der Wohnung des Klägers für sich allein hätte auch nach Auffassung des Senats den Versicherungsschutz nicht in Frage gestellt, zumal da die Zurücklegung eines weiteren Weges mit einem Kraftfahrzeug auch zeitlich nicht ins Gewicht gefallen wäre. Der Versicherungsschutz scheitert aber auf jeden Fall daran, daß der Entschluß des Klägers, seine Arbeitspause in der Gegend des Bygholm-Sees zu verbringen, nicht wesentlich betriebsbedingt war. Rechtliche Bedenken hiergegen sind entgegen der Ansicht der Revision nicht daraus herzuleiten, daß sich der zu beurteilende Unfall im Ausland ereignet hat. Dieser Umstand rechtfertigt es nach der Meinung des Senats im Regelfalle nicht, der Beurteilung der Zusammenhangsfrage andere Maßstäbe zugrunde zu legen, als sie bei. Unfällen im Inland in Betracht zu ziehen sind. Somit sind auch in Fällen der vorliegenden Art die Grundsätze anzuwenden, die in der Rechtsprechung des erkennenden Senats für die Beurteilung von Unfällen auf Dienstreisen im Inland entwickelt worden sind (vgl. BSG 8, 48; 12, 247, 250; BSG in SozR RVO § 542 aF Bl. Aa 22 Nr. 33; Lauterbach, Unfallversicherung, 2. Aufl., Stand August 1962, S. 73 a Anm. 3 II r zu § 542 RVO aF). Danach ist auf einer Dienst- oder Geschäftsreise der Unfallversicherungsschutz nicht schon deshalb gegeben, weil sich der Beschäftigte in einer fremden Stadt aufhalten muß; vielmehr ist darüber hinaus erforderlich, daß die Betätigung dem Bereich seiner versicherten Tätigkeiten zuzurechnen ist. Es bedarf daher jeweils der Abwägung zwischen Betätigungen, die dem Beschäftigungsverhältnis entspringen und deshalb versichert sind, und solchen Verrichtungen, welche der privaten Lebenssphäre zugehören und deshalb unversichert sind. Dabei liegt es, wie in der angeführten Rechtsprechung bereits zum Ausdruck gekommen ist, auf der Hand, daß ein rechtlich wesentlicher innerer Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit am Ort der auswärtigen Beschäftigung in der Regel eher anzuerkennen ist als am Wohn- oder Beschäftigungsort.
Das hat, wie von der Revision mit Recht geltend gemacht worden ist und der Natur der Sache entspricht, sicherlich in besonderem Maße für Beschäftigungen im Ausland zu gelten. Ereignet sich aber der Unfall bei einer Betätigung, die auch unter Berücksichtigung dieser für Dienstreisen maßgebenden Grundsätze als nicht mehr von der Betriebstätigkeit beeinflußt anzusehen ist, entfällt der Versicherungsschutz. Dies ist beim Kläger der Fall gewesen. Unter Zugrundelegung seiner eigenen Angaben über sein Vorhaben ist anzunehmen, daß für die Gestaltung seiner Arbeitspause Beweggründe maßgebend waren, die seinem persönlichen Lebensbereich entsprangen. Der Senat verkennt nicht, daß der Kläger bei der Wahl seines Erholungsortes für die Zeit der Arbeitspause persönliche Rücksichten ohne Schaden für den Versicherungsschutz nicht außer acht zu lassen brauchte. Indessen wären sie bei seinem Wunsch, sich in der Gegend des Bygholm-Sees zu erholen, aber so erheblich ins Gewicht gefallen, daß gleichzeitig vorhandene betriebsbezogene Gründe in den Hintergrund gedrängt worden wären und als rechtlich unwesentlich unberücksichtigt zu bleiben hätten. Wenn der Kläger zum Zwecke der Erholung eine landschaftlich reizvolle Gegend aufsuchen wollte, obwohl ihm dafür in der näheren Umgebung seiner Arbeitsstätte gleichartige Möglichkeiten zur Verfügung standen, liegt die Annahme nahe, daß er im Zeitpunkt des Unfalls nicht wesentlich im betrieblichen Interesse unterwegs war. Dazu kommt, daß er selbst nicht vorgebracht hat, gerade wegen der Art und Schwere seiner Arbeitsleistung am Unfalltag genötigt gewesen zu sein, sich außerhalb der Stadt Horsens in der freien Natur zu erholen. Eine abweichende Beurteilung der streitigen Zusammenhangsfrage vermag auch nicht der Hinweis der Revision auf die Entscheidung des erkennenden Senats vom 22. Januar 1957 (BSG 4, 219, 223) zu rechtfertigen. Der Gesichtspunkt, daß Maßnahmen, welche der Wiederherstellung der Arbeitskraft und der Gesunderhaltung des Erwerbstätigen gelten, eine gesteigerte Bedeutung zukommt, wird bei der vorstehend dargelegten Betrachtungsweise nicht vernachlässigt.
Der Entschädigungsanspruch des Klägers ist hiernach von der Beklagten zu Recht abgelehnt worden. Die Revision war somit als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Unterschriften
Brackmann, Schmitt, Hunger
Fundstellen