Leitsatz (amtlich)
1. Die Zulässigkeit einer im Juni des Beitragsjahres mit Wirkung vom Beginn dieses Jahres beschlossenen Änderung der Rechtsgrundlagen für die Beitragsbemessung in der Unfallversicherung richtet sich nach den für die unechte Rückwirkung von Gesetzen geltenden Grundsätze.
2. Die von der Vertreterversammlung vorgenommene Abstufung der Beiträge entsprechend dem Grad der Unfallgefahr verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.
Leitsatz (redaktionell)
Der Beschluß der Vertreterversammlung einer Berufsgenossenschaft, rückwirkend eine Beitragsbemessung nach Gefahrtarif für das laufende Jahr um mehr als das Dreifache des bisherigen Beitragssatzes vorzunehmen - unechte Rückwirkung -, verstößt gegen das Gebot der Rechtssicherheit.
Normenkette
RVO § 725 Abs. 1 Fassung: 1963-04-30, § 728 Abs. 3 Fassung: 1963-04-30, § 730 Fassung: 1963-04-30
Tenor
Unter Abänderung des Urteils des Bayerischen Landessozialgerichts vom 10. Oktober 1969 wird die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 27. September 1967 zurückgewiesen, soweit durch dieses Urteil auf Aufhebung des Beitragsbescheides der Beklagten für 1963 vom 24. Juli 1964 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. November 1964 erkannt ist.
Im übrigen wird die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 10. Oktober 1969 zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin ein Viertel der außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin ist als Unternehmen des Bewachungsgewerbes Mitglied der Beklagten. Nach § 16 Abs. 2 der am 11. Mai 1954 in Kraft getretenen Satzung der Beklagten wurden die Beiträge einheitlich auf den Kopf jedes Beschäftigten für das Geschäftsjahr festgesetzt. Demgemäß zahlte die Klägerin auf Grund einer Beitragsrechnung vom 22. Mai 1963 unter Zugrundelegung einer Gesamtzahl der Vollbeschäftigten von 109 und eines Beitragssatzes von 35,- DM für 1962 einen Beitrag von 3.815,- DM und für 1963 unter Zugrundelegung eines Beitragssatzes von 45,- DM einen Beitragsvorschuß von 4.905,- DM.
Am 26. Juni 1963 beschloß die Vertreterversammlung der Beklagten mit Wirkung vom 1. Januar 1963 eine Änderung des § 16 Abs. 2 der Satzung dahin, daß die Beiträge nach dem wirklichen Entgelt der Versicherten und dem Gefahrtarif umzulegen seien und daß der Höchstbeitrag je Versicherter sich aus den §§ 726, 575 der Reichsversicherungsordnung (RVO) ergeben und der Mindestbeitrag 18,- DM betragen solle; am gleichen Tage beschloß die Vertreterversammlung einen ab 1. Januar 1963 der Beitragsberechnung zugrunde zu legenden Gefahrtarif, der ebenso wie die Satzungsänderung am 6. September 1963 vom Bundesversicherungsamt (BVA) genehmigt wurde.
Durch Bescheid vom 13. Juli 1964 forderte die Beklagte unter Verzicht auf die Leistung von Vorschüssen für 1964 von der Klägerin einen Beitrag für 1963 in Höhe von 17.221,- DM, von dem nach Abzug des bereits entrichteten Vorschusses 12.316,- DM zu zahlen blieben. In Feld 5 dieses Bescheides ist die Veranlagung zur Gefahrklasse erfolgt, während in der Rechtsmittelbelehrung erwähnt ist, daß der Bescheid die Veranlagung zu den in Feld 5 angegebenen Gefahrklassen einschließe. In einem dem Bescheid beigegebenen Begleitschreiben wies die Beklagte auf die Einführung der Beitragsberechnung nach Lohnsummen und Gefahrtarif hin und gestattete der Klägerin im Hinblick darauf, daß diese auf eine Erhöhung der Beiträge in einem solchen Umfang nicht vorbereitet gewesen sei, die Begleichung der Restschuld in Form von Teilzahlungen bis 1967.
Die Klägerin erhob gegen diesen Bescheid mit Schriftsatz vom 20./24. Juli 1964 Widerspruch. Die Beklagte ersetzte den Beitragsbescheid vom 13. Juli 1964 durch einen neuen Bescheid vom 24. Juli 1964, der von dem früheren lediglich insofern abwich, als statt eines Beitrages von 17.221,- DM ein solcher von 17.244,- DM gefordert und die Restschuld mit 12.339,- DM angegeben wurde.
Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin gegen den "Bescheid vom 13. Juli 1964 in Gestalt des Bescheides vom 24. Juli 1964" zurück (Widerspruchsbescheid vom 19. November 1964). Auf die dagegen gerichtete Klage hob das Sozialgericht (SG) München mit Urteil vom 27. September 1967 den Beitragsbescheid auf. Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Beklagten unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils die "Klagen gegen den Bescheid der Beklagten vom 24. Juli 1964 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. November 1964 und gegen die (für die Folgejahre ergangenen weiteren) Bescheide der Beklagten vom 4. Mai 1965, 6. Mai 1966, 5. Mai 1967, 18. April 1968 und 30. April 1969" abgewiesen (Urteil vom 10. Oktober 1969). Es hat u. a. ausgeführt:
Da die Klägerin gegen die Beitragsbescheide für die Jahre 1964 bis 1968 die gleichen Einwände wie gegen den Veranlagungs- und Beitragsbescheid für 1963 vorgebracht habe, seien trotz einer späteren Senkung der Gefahrklasse 10,5 in 10,0 auch diese Bescheide Gegenstand des Verfahrens geworden; es sei daher entgegen der Ansicht des SG auch über ihre Rechtmäßigkeit zu befinden gewesen. Die Beklagte habe mit dem Übergang zu einer Beitragsbemessung nach Entgeltsummen und Gefahrtarif nicht die ihrer Satzungsgewalt gezogenen Grenzen überschritten. Sie wäre zwar nach § 728 Abs. 2 RVO nicht gehindert gewesen, es beim früheren Verfahren bewenden zu lassen, doch unterliege die Frage der Zweckmäßigkeit des Übergangs zu dem jetzt geübten Verfahren nicht der Nachprüfung im Rechtswege. Die nunmehr geltende Regelung stehe im Einklang mit dem Gesetz, für die Annahme von Willkür fehle es an jedem Anhalt. Daß die Beklagte es zunächst unterlassen habe, der Vorschrift des § 671 Nr. 5 RVO Genüge zu tun, sei unschädlich, da sich diese Vorschrift nur auf die Veranlagung der einzelnen Unternehmen zu den Gefahrklassen, nicht aber auf die Festsetzung der Gefahrklassen des Gefahrtarifes beziehe. Darin, daß die Beklagte § 16 Abs. 2 ihrer Satzung durch Beschluß der Vertreterversammlung vom 26. Juni 1963 mit Wirkung vom 1. Januar 1963 geändert habe, liege kein Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Verbot der Rückwirkung von Gesetzen. Eine echte Rückwirkung liege nicht vor, weil die Veranlagung für 1963 nicht einen im Verlauf dieses Jahres bereits abgeschlossenen, sondern einen noch in der Entwicklung begriffenen Tatbestand betreffe. Auch ein Fall unzulässiger unechter Rückwirkung (schutzwürdigen Vertrauens) sei nicht gegeben, weil bei den Betroffenen nur während der ersten sechs Monate des Jahres 1963 eine unrichtige Vorstellung von den für dieses Jahr zu entrichtenden Beiträgen hätte bestehen können.
Das LSG hat die Revision zugelassen. Die Klägerin hat dieses Rechtsmittel eingelegt und u. a. wie folgt begründet:
Das LSG habe das genossenschaftliche Prinzip der gesetzlichen Unfallversicherung verkannt. Die Klägerin müsse als Unternehmen der Gefahrtarifstelle 7 und der Gefahrklasse 10 im Verhältnis zu einem Unternehmen der Gefahrtarifstelle 1 und der Gefahrklasse 1,0 bei gleicher Lohnsumme ohne sachlichen Grund den zehnfachen Beitrag bezahlen. Sie verkenne nicht, daß die Tätigkeit ihrer Beschäftigten größere Unfallrisiken berge als die von Beschäftigten anderer Mitglieder der Beklagten, und sie sträube sich auch nicht gegen eine unterschiedliche Bemessung der Beiträge unter sachgerechter Berücksichtigung der Risikounterschiede. Die Differenzierung dürfe aber nicht so weit gehen, daß von dem genossenschaftlichen Prinzip des Eintretens des einen für den anderen jedenfalls im Verhältnis der Bewachungsunternehmen zu den übrigen Mitgliedern nichts oder nichts Wesentliches mehr übrig bleibe. Das LSG habe es verabsäumt, sich hierzu das Zahlenwerk der Beklagten vorlegen zu lassen. Daß eine volle Berücksichtigung eines erhöhten Unfallrisikos im Gefahrtarif im Widerspruch zum Willen des Gesetzgebers stehe, ergebe sich aus der durch das Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz (UVNG) getroffenen und vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gebilligten Regelung der Bergbau-Altlast, die dem auf einen Ausgleich unterschiedlicher Belastungen ausgerichteten genossenschaftlichen System der gesetzlichen Unfallversicherung entspreche, sowie aus Art. 3 § 1 UVNG (idF des Finanzänderungsgesetzes 1967 (FÄndG 1967)), der erkennen lasse, daß der Gesetzgeber die Grenze der zumutbaren Mehrbelastung - dort das 4 1/2 - bzw. 5-fache - weit unter dem von der Beklagten für vertretbar gehaltenen Satz angesetzt habe. Der Hinweis des LSG auf die frühere Kindergeldgesetzgebung vermöge eher die gegenteilige Ansicht der Klägerin zu stützen. Unrichtig sei auch die Ansicht des LSG, daß sich § 671 Nr. 5 RVO nicht auf die Festsetzung der Gefahrklassen beziehe. Gerade diese Festsetzung sei wesentlich schwerwiegender als die Einschätzung der einzelnen Unternehmen in die Gefahrtarifklassen. Schließlich habe das LSG auch verkannt, daß die Satzungsänderung mit einer unzulässigen Rückwirkung versehen worden sei. Die Klägerin habe vor den Oktober 1973-Mitteilungen der Beklagten keine Kenntnis über die Einführung eines neuen Beitragsberechnungssystems erhalten.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts vom 10. Oktober 1969 und die Beitragsbescheide der Beklagten vom 21. April 1965, 6. Mai 1966, 5. Mai 1967, 18. April 1968 und 30. April 1969 für die Jahre 1964 bis 1968 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 27. September 1967 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt
Zurückweisung der Revision.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die Klägerin verkenne, daß bei anderen Unfall-Versicherungsträgern Gefahrklassen zwischen 20 und 30 keine Seltenheit seien, ja sogar die Gefahrklasse 40 vorkomme.
II
Die Revision ist nur zum Teil begründet.
Die Ansicht des LSG, daß nicht nur über den ursprünglich angefochtenen Veranlagungs- und Beitragsbescheid für 1963 zu entscheiden war, sondern daß auch die Beitragsbescheide für die Jahre 1964 bis 1968 in entsprechender Anwendung von § 96 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) Gegenstand des Verfahrens geworden sind, ist frei von Rechtsirrtum (vgl. BSG 18, 93).
Die rechnerische Richtigkeit der Beitragsbescheide der Beklagten wird von der Klägerin nicht in Zweifel gezogen; das gilt insbesondere für die Lohnsummen, die diesen Bescheiden zugrunde gelegt sind. Für die Entscheidung kommt es mithin allein darauf an, ob die Beklagte befugt war, § 16 Abs. 2 ihrer Satzung durch Beschluß ihrer Vertreterversammlung vom 26. Juni 1963 wie geschehen zu ändern, ob sie den von der Klägerin angegriffenen Gefahrtarif wirksam gebildet hat und ob, falls diese Fragen zu bejahen sein sollten, die Rechtsänderung ab 1. Januar 1963 wirksam werden konnte.
Nach § 725 Abs. 1 RVO idF des hier anwendbaren UVNG vom 30. April 1963 - BGBl I, 241 - (nF) richtet sich die Höhe der Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung - vorbehaltlich des § 728 RVO - nach dem Entgelt der Versicherten in den Unternehmen und nach dem Grad der Unfallgefahr in den Unternehmen. Demgemäß hat die Vertreterversammlung der Berufsgenossenschaft durch einen Gefahrtarif Gefahrklassen zu bilden (§ 730 RVO). Dadurch, daß sie durch Beschluß vom 26. Juni 1963 die Umlegung der Beiträge nach Gefahrklassen vorschrieb und einen Gefahrtarif bildete, ist sie lediglich einer sich für sie aus der Vorschrift des § 725 Abs. 1 RVO ergebenden Verpflichtung nachgekommen, da sonst der Gefahrtarif von der Aufsichtsbehörde aufgestellt worden wäre (vgl. § 733 RVO). Nur im Rahmen dieser Verpflichtung verbleibt der Vertreterversammlung ein gewisser Spielraum für die Ausgestaltung des Gefahrtarifs im einzelnen; so ist es insbesondere ihrer Entscheidung überlassen, welche Gewerbezweige zu Gefahrklassen zusammengefaßt und wie diese Gewerbezweige voneinander abgegrenzt werden sollen. Von dieser Gestaltungsfreiheit kann die Vertreterversammlung allerdings nur im Einklang mit den Wertentscheidungen des Gesetzes und der Verfassung Gebrauch machen; sie darf sich insbesondere nicht in Widerspruch zum Gleichheitssatz und zu den tragenden Grundsätzen des Unfallversicherungsrechts setzen (vgl. auch BSG 27, 237 (240)). Ein Verstoß hiergegen ist - soweit es sich um den Inhalt der durch den Beschluß der Vertreterversammlung der Beklagten vom 26. Juni 1963 bewirkten Rechtsänderung und nicht um den Zeitpunkt von deren Inkrafttreten handelt - entgegen der Ansicht der Klägerin jedoch nicht ersichtlich.
Dem Zusammenhang der Ausführungen des LSG ist mit hinreichender Sicherheit zu entnehmen, daß der Gefahrtarif und die danach berechneten Beiträge, die die Beklagte fordert, dem Grad der Unfallgefahr in Unternehmen des Bewachungsgewerbes entsprechen. Hiergegen hat die Klägerin keine durchgreifenden Rügen vorgebracht. Ihr Vorbringen, das LSG habe es unterlassen, sich das dem Gefahrtarif zugrunde liegende Zahlenwerk vorlegen zu lassen, ist - soweit es sich auf das Verhältnis von Gefahrklasse 1 zu 10 bezieht - nicht hinreichend substantiiert. Mangels Angabe konkreter Zahlen stellt es die Rechtmäßigkeit der Veranlagung nicht in Frage. Abgesehen davon hat die Klägerin gegen die Darlegungen der Beklagten, wonach die Ausgaben für das Bewachungsgewerbe in den Jahren 1963 bis 1967 stets die Beitragseinnahmen erheblich überschritten haben, nichts Substantiiertes vorzubringen gewußt. Die Klägerin will mit ihrer Rüge vielmehr dartun, daß der Gefahrtarif die Unfallgefahr des Bewachungsgewerbes diesem Gewerbezweig in vollem Umfang auferlege und einen Ausgleich des unterschiedlichen Risikos der einzelnen Gewerbezweige nicht oder jedenfalls nicht im gebotenen Maße vorsehe. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, daß der Sinn des genossenschaftlichen Prinzips der gesetzlichen Unfallversicherung darin bestehe, höhere Unfallrisiken zumindest zum Teil solchen Mitgliedern aufzubürden, die selbst nur einem geringen Risiko ausgesetzt sind. Dieser Anschauung kann nicht gefolgt werden.
Die gesetzliche Unfallversicherung ist seit ihrer Einführung berufsgenossenschaftlich gegliedert, so daß grundsätzlich jeder Gewerbezweig oder jede Gruppe von Gewerbezweigen, für die eine Berufsgenossenschaft gebildet ist, die Mittel für die in diesem Bereich entstehenden Unfallversicherungslasten selbst aufbringt. Der Sinn des berufsgenossenschaftlichen Prinzips liegt also gerade darin, daß möglichst jeder Gewerbezweig, der eine Berufsgenossenschaft bildet, entsprechend der für ihn eigentümlichen Unfallgefahr belastet wird (vgl. BVerfGE 23, 12 (22)). Dieses Ziel wird indessen durch die bloße Bildung von Berufsgenossenschaften insbesondere dann nur unvollkommen erreicht, wenn in ihnen mehrere Gewerbezweige mit unterschiedlichen Unfallrisiken zusammengeschlossen sind. Hier bedarf es der Schaffung engerer Gefahrengemeinschaften, von denen jede das auf sie entfallende Risiko zu tragen hat. Dies beachtet die Klägerin bei ihrer Bezugnahme auf das Unfallversicherungsgesetz von 1884 nicht genügend. Diese Gefahrengemeinschaften sind in den nach § 730 RVO zu bildenden Gefahrklassen jeweils zusammengefaßt. Dem Sinn des § 725 Abs. 1 RVO, wie er sich aus dem Zusammenhang der gesetzlichen Vorschriften ergibt, wird somit um so besser Rechnung getragen, je genauer die Höhe des Beitrags eines Mitglieds dem Grad der Unfallgefahr in seinem Unternehmen entspricht.
Darin liegt kein Widerspruch zu dem auch die gesetzliche Unfallversicherung beherrschenden Grundsatz der gemeinsamen Deckung eines möglichen, in seiner Gesamtheit schätzbaren Bedarfs durch Verteilung auf eine organisierte Vielheit (vgl. BSG 6, 213 (228); BVerfGE 11, 105 (112)). Dieser Grundsatz - das sog. Versicherungsprinzip - erfordert einen Ausgleich der unterschiedlichen Belastungen, die sich aus einer Verwirklichung der Versicherungsgefahr ergeben; er setzt jedoch für jede Gefahrengemeinschaft eine Homogenität der Risiken voraus (vgl. Bruck/Möller, Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz, 8. Aufl., Anm. 6 zu § 1). Die Bildung von Gefahrklassen dient der Herstellung einer solchen Homogenität; sie steht also im Einklang mit dem Versicherungsprinzip. Soweit der Gesetzgeber im Bereich der Sozialversicherung auf eine Homogenität der Risiken verzichtet, weicht er vom Versicherungsprinzip ab, indem er den versicherungsmäßigen Risikoausgleich mit einem sozialen Ausgleich verbindet (vgl. BVerfGE 17, 1 (9)); nur unter diesem zuletzt genannten Gesichtspunkt, nicht aber unter dem des Versicherungsprinzips, könnte mithin eine Beitragsbemessung, wie sie die Klägerin anstrebt, sich begründen lassen. Es fehlt jedoch an jedem Anhalt für die Annahme, daß der Gesetzgeber mit den Vorschriften der §§ 725, 730 RVO etwas anderes als einen ausschließlich versicherungsmäßigen Ausgleich angestrebt haben sollte; zur Herbeiführung auch eines sozialen Ausgleichs bestand aus der Sicht des Gesetzgebers bei der Bildung von Gefahrklassen kein Anlaß.
Soweit die Klägerin die neue Beitragsregelung auch deshalb für unwirksam ansieht, weil sie den zehnfachen Beitrag gegenüber der Gefahrklasse 1 entrichten muß, kann ihr ebenfalls nicht gefolgt werden. Ein solcher Unterschied hält sich durchaus im Rahmen der verschiedenen Risiken und damit des Üblichen (vgl. dazu auch BSG 27, 237, 238, wo die Gefahrklassen 16 und 13 erwähnt werden, oder die von der Beklagten vorgelegten Gefahrtarife anderer Berufsgenossenschaften, aus denen sich Gefahrklassen-Unterschiede zwischen 1 und 20, 29, 33 und 40 ergeben).
Zu Unrecht beruft sich die Klägerin zur Stützung ihrer Auffassung auf den Beschluß des BVerfG vom 19. Dezember 1967 zur Bergbau-Altlast (BVerfGE 23, 12) sowie auf Art. 3 § 1 UVNG (BGBl I 1963, 288) idF des FÄndG 1967 (BGBl I 1967, 1259, 1272). In der genannten Entscheidung hat das BVerfG ausgeführt, daß sich die damals angegriffene Regelung in den Grenzen der dem Gesetzgeber zukommenden Gestaltungsfreiheit halte (BVerfGE 23, 12 (26)). Das BVerfG hat entgegen der Ansicht der Klägerin damit nicht zum Ausdruck gebracht, daß die dortige Regelung "dem auf einen Ausgleich unterschiedlicher Belastungen ausgerichteten genossenschaftlichen System der gesetzlichen Unfallversicherung entspreche", sondern nur einer "Ausnahmesituation" (S. 26) Rechnung getragen. Es bedarf daher keiner Erörterung, ob der damals zu entscheidende Fall vom Sachverhalt her mit der gegenwärtigen Streitsache verglichen werden kann. Art. 3 UVNG idF des FÄndG 1967 soll den Schwierigkeiten Rechnung tragen, die sich aus einem übermäßigen Steigen der Renten- oder Entschädigungslast einer Berufsgenossenschaft infolge wirtschaftlicher Strukturveränderungen ergeben können (vgl. Wendland, BABl 1968, 91 (92)). Anknüpfungspunkt für die gegenseitige Ausgleichspflicht ist hier nicht eine unverhältnismäßig hohe Unfallgefahr, sondern ein vergleichsweise ungünstiges Verhältnis zwischen Rentenlast oder Entschädigungslast und den beitragspflichtigen Entgelten (Lohnsummen), wie es sich auch bei verhältnismäßig geringer Unfallgefahr aus dem Schrumpfen eines Gewerbezweiges ergeben kann (vgl. Art. 3 § 2 UVNG idF von 1967). Inwiefern daraus ein Schluß dahin zu ziehen sein sollte, daß der Gefahrtarif der Beklagten im Widerspruch zum Willen des Gesetzgebers stehe, ist nicht ersichtlich, zumal hier die Ausgleichspflicht der Berufsgenossenschaften untereinander nicht zur Erörterung steht.
Wie das LSG zutreffend dargelegt hat, bezieht sich § 671 Nr. 5 RVO nur auf die Veranlagung der einzelnen Unternehmen zu den Klassen des Gefahrtarifs (§ 734 RVO), nicht aber auf die Aufstellung des Gefahrtarifs selbst. § 671 Nr. 5 RVO, wonach die Satzung über das Verfahren beim Einschätzen der Unternehmen in die Gefahrklassen eine Bestimmung enthalten muß, setzt nach seinem Wortlaut das Bestehen eines Gefahrtarifs voraus; damit stünde es im Widerspruch, wollte man annehmen, daß durch ihn auch die Erstellung des Gefahrtarifs angesprochen sein sollte. Aus dem Sinn der Vorschrift folgt nichts anderes. Daß der Aufstellung des Gefahrtarifs eine größere Bedeutung zukommt als seiner Anwendung im Einzelfall, mag richtig sein. Diese größere Bedeutung liegt indessen darin begründet, daß es sich hier um einen Akt der Rechtsetzung handelt. Der Gefahrtarif bildet kraft Gesetzes eine der von den Selbstverwaltungsorganen beschlossenen Rechtsgrundlagen, auf Grund deren die Heranziehung zur Beitragsleistung erfolgt (vgl. BSG 27, 237 (240)). Das bei der Bildung der Selbstverwaltungsorgane zu beobachtende Verfahren ist in § 4 des Selbstverwaltungsgesetzes (vgl. die Fassung vom 13. August 1952, BGBl I 427 ff - SVwG -) geregelt, während § 2 Abs. 12 und 13 Näheres über die Abstimmung und die Geschäftsordnung bestimmen. Es ist kein Grund ersichtlich, warum sich die Beratung und Verabschiedung von Beschlüssen bestimmter Art, nämlich über die Bildung des Gefahrtarifs, nach der Vorstellung des Gesetzgebers in einem hiervon abweichenden Verfahren vollziehen sollte, wobei noch offen wäre, nach welchen nicht ohnedies allgemein zu beachtenden Normen die Vertreterversammlung gehalten sein sollte, sich bei der Beschlußfassung über den Gefahrtarif Schranken aufzuerlegen. Dafür, daß bei der Beratung und Beschlußfassung über den Gefahrtarif gegen Gesetz oder Satzung bzw. gegen die Geschäftsordnung der Vertreterversammlung der Beklagten verstoßen worden sei (vgl. § 5 Abs. 4 SVwG), ist auch im Schriftsatz vom 21. November 1973, der etwaige "Mehrheitsbeschlüsse" beanstanden will, nichts Durchgreifendes dargetan.
Unzulässig war es jedoch, daß die Vertreterversammlung der Beklagten am 26. Juni 1963 den Übergang zu einer Beitragsbemessung nach dem Gefahrtarif schon mit Wirkung vom 1. Januar 1963 beschlossen hat. Zwar liegt hier ein Fall echter Rückwirkung eines Rechtsetzungsaktes nicht vor. Ein solcher Fall ist nur gegeben, wenn ein Gesetz - dem in diesem Zusammenhang Satzungen gleichzuachten sind (vgl. zu Rechtsverordnungen BVerfGE 28, 66 (88)) - nachträglich ändernd in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreift (BVerfGE 11, 139 (145 f); 30, 367 (386)). Die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung werden jedoch in der Hauptsache zur Deckung des Bedarfs des abgelaufenen Geschäftsjahres erhoben (vgl. § 724 Abs. 1 Satz 1 RVO). Dieser Bedarf steht naturgemäß erst nach Ablauf des Jahres fest; erst zu diesem Zeitpunkt ist der Sachverhalt vollendet, aus dem sich die Beitragspflicht der Höhe nach ergibt. Die Änderung der Grundlagen für die Beitragsberechnung betrifft also hier nicht einen bereits in der Vergangenheit liegenden Tatbestand, sondern einen Sachverhalt, der während des Veranlagungszeitraums (vgl. BVerfGE 13, 274 (278); 279 (283 f)) noch in der Entwicklung begriffen war (vgl. BVerfGE 23, 12 (32)).
Indessen ergeben sich aus dem Gebot der Rechtssicherheit und des daraus folgenden Vertrauensschutzes sachliche Grenzen auch für solche Rechtsetzungsakte, die ihre Wirkung auf Tatbestände erstrecken, deren Verwirklichung erst begonnen hat und noch nicht abgeschlossen ist (unechte Rückwirkung; vgl. BVerfGE 13, 274 (278); 23, 12 (32); 30, 250 (267)). Diese Schranken sind hier nicht beachtet. Der Bürger muß darauf vertrauen können, daß sich eine Erhöhung z. B. des Steuertarifs während des Veranlagungszeitraums in maßvollen Grenzen hält (BVerfGE 13, 274 (278)). Für Sozialversicherungsbeiträge kann jedenfalls dann nichts anderes gelten, wenn es sich um Pflichtbeiträge handelt, die notfalls zwangsweise beigetrieben werden können (wegen freiwilliger Beiträge vgl. BVerfGE 4, 193 (204)).
Von einer Einhaltung maßvoller Grenzen kann aber nicht mehr gesprochen werden, wenn die zu erwartende Beitragsschuld durch die Rechtsänderung um ein Mehrfaches erhöht wird und einen Betrag erreicht, der geeignet ist, die Grundlage der vom Pflichtigen im Vertrauen auf das bisherige Recht getroffenen Dispositionen zu erschüttern. Ein solcher Fall ist hier gegeben. Die Beklagte hatte von der Klägerin für 1933 einen Beitragsvorschuß in Höhe von 4.905,- DM gefordert und erhalten. Darauf, daß die Beitragsforderung der Beklagten auf 17.244,- DM und damit auf mehr als das Dreifache ansteigen würde, brauchte sie sich somit nicht einzurichten. Mit Recht macht die Klägerin geltend, daß die Höhe der Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung einen wesentlichen Einfluß auf die Preisgestaltung habe und daß es nicht im Sinne einer ordnungsgemäßen betriebswirtschaftlichen Kalkulation gelegen hätte, wenn sie sich erst im Jahre 1964 auf die Lohnkosten für das Jahr 1963, zu denen auch der Beitrag zur gesetzlichen Unfallversicherung für dieses Jahr zählt, einstellte. Dabei ist es unerheblich, daß die Beklagte versucht hat, der Klägerin die Erfüllung der Beitragsschuld durch Gewährung von Teilzahlungen zu erleichtern. Ein solches Entgegenkommen mochte zwar dem pflichtgemäßen Ermessen der Beklagten entsprechen; dadurch verringert sich aber der für 1963 aufzubringende Gesamtbetrag nicht; die später zu zahlenden Raten belasten die Klägerin neben den ungewöhnlich erhöhten laufenden Beiträgen zusätzlich. Im übrigen kommt es für die Entscheidung über die Gültigkeit einer Norm allein auf deren Inhalt, nicht aber auf das bei der Durchführung beobachtete Verfahren an (vgl. auch BVerfGE 2, 266 (274)).
Zu Unrecht beruft sich das LSG zur Stützung seiner Ansicht auf die Entscheidung des BVerfG zu Art. 4 § 16 Abs. 1 UVNG aF (BVerfGE 23, 12 (32 f)). Dort ist die Zulässigkeit der retrospektiven (unechten) Rückwirkung der genannten Norm u. a. damit begründet worden, daß eine falsche Vorstellung über die für 1963 zu entrichtenden Beiträge - nachdem das UVNG bereits am 6. März 1963 vom Bundestag beschlossen wurde - nur während der beiden ersten Monate des Jahres habe bestehen können und daß der auf diese beiden Monate entfallende Umlagebetrag relativ gering gewesen sei. Im vorliegenden Fall ist maßgebender Zeitpunkt für den Vertrauensschutz jedoch nicht der 6. März 1963, sondern der Zeitpunkt, an dem die Klägerin von der geänderten Regelung Kenntnis haben konnte, also frühestens der 26. Juni 1963 als der Tag der Verabschiedung der Satzungsänderung und des Gefahrtarifs durch die Vertreterversammlung der Beklagten. Die Klägerin brauchte nicht bereits vom 6. März 1963 an damit zu rechnen, daß es zur Einführung eines Gefahrtarifs mit Wirkung vom 1. Januar 1963 kommen würde. Die Vorschriften der §§ 725, 730 ff RVO nF sind mit Wirkung vom 1. Juli 1963 in Kraft getreten (Art. 4 § 16 Abs. 1 Satz 1 UVNG). Von wann an ein danach festzusetzender Gefahrtarif zu gelten hatte, ist dem UVNG allein nicht mit Sicherheit zu entnehmen. Vom Wortlaut des Gesetzes her lassen sich durchaus Gründe finden, die für die von der Beklagten vertretene Auffassung sprechen, daß die Beitragsbemessung für das Geschäftsjahr 1963 neu zu regeln und deshalb der maßgebende Zeitpunkt der 1. Januar 1963 als der Beginn des noch zur Hälfte unter der Herrschaft des neuen Rechts stehenden Geschäftsjahres sei, zumal sich die Beiträge nach dem "abgelaufenen Geschäftsjahr" (vgl. §§ 724 und 745 Abs. 1 RVO) richten und auch § 726 RVO vom "Jahresbetrag" spricht, in dem das Entgelt zur Beitragsberechnung heranzuziehen ist. Einer abschließenden Entscheidung dieser Frage bedarf es indessen nicht. Denn auch wenn man davon ausgeht, daß das Gesetz den Satzungsgeber grundsätzlich zur Einführung einer dem neuen Recht entsprechenden Beitragsregelung mit Wirkung vom 1. Januar 1963 ermächtigen oder verpflichten wollte, kann dies doch unter dem Gesichtspunkt des Gebots der verfassungskonformen Auslegung von Gesetzen (vgl. BVerfGE 2, 266 (282); 9, 194 (200); 30, 129 (148)) nur unter der Voraussetzung gelten, daß die allgemein einer unechten Rückwirkung von Rechtsnormen gezogenen Schranken beachtet werden. Das bedeutet, daß die neue Regelung, soweit sie zu einer ungewöhnlichen Erhöhung der Beitragsbelastung - wie im Falle der Klägerin - führte, nicht rückwirkend beschlossen werden durfte.
In diesem Zusammenhang ist es ohne Bedeutung, daß die Beklagte bereits unter der Herrschaft des bis zum 30. Juni 1963 geltenden Rechts einen Gefahrtarif hätte einführen können (§ 706 ff, 732 RVO aF) und daß mithin die Klägerin schon vor dem 6. März 1963 nicht davor sicher war, daß die Beklagte von dieser Möglichkeit Gebrauch machen würde. Mit Rechtsänderungen, die inhaltlich der verfassungsmäßigen Ordnung entsprechen, muß der Bürger jedoch stets rechnen; auf einen Fortbestand des geltenden Rechts kann er grundsätzlich nicht vertrauen (vgl. BVerfGE 14, 76 (104); 28, 66 (88)). Wohl aber muß er in einem gewissen Umfang darauf vertrauen können, daß sich eine künftige Regelung, die für ihn eine nicht unerhebliche Verschlechterung bringt, nicht eine - echte oder unechte - Rückwirkung beilegen werde. Hält sich diese - wie hier - nicht in maßvollen Grenzen, so verstößt die Neuregelung gegen höheres Recht und ist deshalb insoweit unwirksam.
Damit entbehrt der Beitragsbescheid für 1963, weil diese Voraussetzungen jedenfalls für die Zeit vom 1. Januar bis mindestens 26. Juni 1963 erfüllt sind, einer ausreichenden Grundlage. Nach dem systematischen Zusammenhang der Vorschriften der §§ 724, 726, 745 RVO ist der Erlaß eines Beitragsbescheides nur für einen Teil eines Geschäftsjahres oder eine Beitragsbemessung nach innerhalb eines Jahres wechselnden Berechnungsgrundlagen für ausgeschlossen zu erachten. Das SG hat mithin im Ergebnis zu Recht diesen Bescheid aufgehoben; die gegen sein Urteil eingelegte Berufung ist daher insoweit nicht begründet. Es bleibt damit im Falle der Klägerin für 1963 bei der Beitragsbemessung nach früherem Recht.
Im übrigen hat das LSG zu Recht auf Klageabweisung erkannt; insoweit war die Revision zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.
Fundstellen