Leitsatz (amtlich)
Zur Frage, wann bei einer schweren Hauterkrankung iS der 3. BKVO Anl 1 Nr 46 (Fassung: 1961-04-28) nach Wegfall der sichtbaren Hautveränderungen eine wesentliche Änderung (Besserung) iS des RVO § 622 Abs 1 angenommen werden kann (hier: weiter bestehende Terpentinüberempfindlichkeit).
Normenkette
RVO § 622 Abs. 1 Fassung: 1963-04-30; BKVO 6 § 1 Fassung: 1961-04-28; BKVO 3 Anl 1 Nr. 46 Fassung: 1961-04-28
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 24. März 1969 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen des Versicherten Rudolf B (B.) die für die Gewährung einer Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 25 v. H. der Vollrente wegen einer Hauterkrankung maßgebend gewesen sind, eingetreten ist.
Die beklagte Berufsgenossenschaft gewährte dem ursprünglichen Kläger B., der am 21. März 1909 geboren und am 28. Februar 1971 verstorben ist und dessen Verfahren von seiner Ehefrau fortgesetzt wird, mit Bescheid vom 22. Januar 1964 für die Folgen der Berufskrankheit nach Nr. 46 der Anlage zur 6. Verordnung über die Ausdehnung der Unfallversicherung auf Berufskrankheiten vom 28. April 1961 - BKVO - (BGBl I 505) vom 9. September 1963 an - dem Tage des Berufswechsels (Aufgabe des Berufs als Maler und Lackierer, den er seit 1931 ausgeübt hatte und überwechselnd in die Tätigkeit eines Pförtners) - eine Teilrente von 25 v. H. der Vollrente. Die Schätzung der MdE beruhte auf einem Gutachten des Hautarztes Medizinalrat Dr. B vom 21. Oktober 1963 in dem der Gutachter ausgeführt hatte, der Hautbefund zeige ein Ekzem der Hände unter bevorzugtem Befall der Finger mit dyshidrotischem Einschlag sowie einen Restzustand eines Ekzems der Unterschenkel. Die Hautausschläge, so führte der Gutachter weiter aus, stünden in ursächlichem Zusammenhang mit der Arbeit des Klägers als Maler und Lackierer (hochgradige Überempfindlichkeitsreaktion der Hautteste bei Terpentin). Die Hauterkrankung sei als schwer zu bezeichnen und habe zur Aufgabe der beruflichen Beschäftigung als Maler gezwungen.
Gegen diesen Bescheid hat die Allgemeine Ortskrankenkasse Stuttgart Klage erhoben. Auf Grund dieser ist die Beklagte durch Urteil vom 20. November 1964 rechtskräftig verurteilt worden, den Beginn der entschädigungspflichtigen Hauterkrankung des Klägers auf den 9. Mai 1962 festzusetzen.
Nachdem die Rente zur Dauerrente geworden war (§ 622 Abs. 2 Satz 1, § 1585 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung - RVO -) kam Dr. B nach abermaliger Untersuchung in seinem Gutachten vom 19. Mai 1965 zu dem Ergebnis, bei einem Vergleich der jetzt erhobenen Befunde mit den in seinem Gutachten vom 21. Oktober 1963 genannten Befunden sei insofern eine Besserung festzustellen, daß sowohl der Hautbefund besser geworden sei als auch nach dem Ausfall der Hautteste eine Besserung anzunehmen sei. An den Händen lägen jetzt keine nennenswerten Hautveränderungen mehr vor, eine Terpentinüberempfindlichkeit bei erhöhter Hautempfindlichkeit und Hautreizbarkeit bestehe jedoch weiter. Die MdE auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt schätze er auf 15 v. H. Mit Bescheid vom 24. Juni 1965 entzog die Beklagte die bisher gewährte Dauerrente mit Ablauf des Monats Juli 1965.
Die Klage gegen diesen Bescheid hatte keinen Erfolg. Auf die Berufung des B. hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des Sozialgerichts (SG) vom 28. März 1967 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, unter Abänderung ihres Bescheides vom 24. Juni 1965 B. über den 31. Juli 1965 hinaus eine Rente nach einer MdE von 25 v. H. zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt: in dem Verschwinden der sichtbaren Symptome der Erkrankung, d. h. der Hautveränderungen, müsse zwar eine Änderung gesehen werden, sie sei aber nicht wesentlich. Der im Verfahren gehörte Gutachter Prof. Dr. K sei in seinem Gutachten vom 21. Juni 1968 ebenso wie Dr. B zu dem Ergebnis gekommen, daß zwar die Hände frei von krankhaften Veränderungen seien, daß die Hauttestung aber - ebenso wie bei der Hautfunktionsprüfung im Oktober 1963 - eine Überempfindlichkeit gegen Terpentin bei dreifacher positiver Reaktion ergeben habe, Daraus ergebe sich, daß nach wie vor das Grundleiden weiterbestehe. Nach der Beurteilung dieses erfahrenen Sachverständigen sei der Körperschaden des B. schon in der Überempfindlichkeit zu sehen. Es handele sich also um eine Fortsetzung der Hauterkrankung, so daß von einem echten Gesundungsprozeß des eigentlichen Leidens nicht gesprochen werden könne. Im übrigen sei zu berücksichtigen, daß B. in einem erlernten, besser bezahlten Beruf nicht mehr tätig sein und als 56jähriger auch nicht mehr angemessen umgeschult werden könne. Außerdem sei er auch wegen des Hautleidens berufsunfähig i. S. des § 1246 RVO geworden, da er den Beruf eines Malers nicht mehr ausüben könne.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte die zugelassene Revision eingelegt. Sie meint, wenn B. infolge seiner latenten Allergie - zumal gegen Terpentin - den Beruf eines Malers und Lackierers nicht mehr ausüben könne, so fehle dieser doch der Charakter einer Erkrankung, die eine MdE im rentenberechtigenden Grade bedingen könne. Im übrigen würden Allergien - wenn überhaupt - nur höchstens mit einer Rente von 20 v. H. der Vollrente bewertet, zumal eine solche Allergie für sich allein keinen echten körperlichen Schaden darstelle. Eine Rente könne im übrigen auch längstens bis zu dem Zeitpunkt gewährt werden, in dem man sich in beruflichen Kreisen im allgemeinen zur Ruhe zu setzen pflege (Gewährung von Altersruhegeld).
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG vom 24. März 1969 aufzuheben und die Berufung des B. gegen das Urteil des SG vom 28. März 1967 zurückzuweisen.
Die Rechtsnachfolgerin des B. beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die Altersrente eines Lackierers gegenüber derjenigen eines Pförtners betrüge mindestens das Dreifach, weshalb die Rente auch dann nicht hätte wegfallen dürfen.
II
Die Revision ist unbegründet.
Zu Recht hat das LSG die Beklagte verurteilt, B. über den 31. Juli 1965 hinaus eine Rente nach einer MdE von 25 v. H. zu gewähren. Die Voraussetzungen des § 622 Abs. 1 RVO sind nicht erfüllt. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist in den Verhältnissen, die für die Festsetzung der Leistung an B. durch den Bescheid der Beklagten von 22. Januar 1964 (Teilrente von 25 v. H. der Vollrente) wegen der Folgen einer Berufskrankheit nach Nr. 46 der Anlage zur 6. BKVO maßgebend waren, keine wesentliche Änderung eingetreten. Es besteht in der medizinischen Literatur im wesentlichen einhellige Meinung darüber, daß auch nach Abheilung der jeweiligen Hauterkrankung - jedenfalls bei fortbestehender Überempfindlichkeit - eine gewisse Schonzeit einzuhalten ist, die im allgemeinen etwa ein bis zwei Jahre beträgt (vgl. Koelsch, BG 1953, 365, 366; Carrié, BG 1954, 70, 71 rechts oben). Erst dann kann - sofern kein besonders gelagerter Fall vorliegt - unter Umständen eine Rentenentziehung in Betracht kommen. Bei der Prüfung, ob eine wesentliche Änderung im Sinne des § 622 Abs. 1 RVO eingetreten ist, sind aber gerade bei einer latenten Terpentin- Allergie besonders strenge Maßstäbe anzulegen (vgl. dazu Prof. Dr. C, der aaO S. 71 betont, diese Allergie erstrecke sich nicht auf einen bestimmten Zeitraum, sondern sei "praktisch immer eine dauernde"). Dabei ist zu beachten, daß die bei einem beruflichen Hautschaden zu gewährende Entschädigung die mit einem erzwungenen Berufswechsel in der Regel verbundene Einbuße an Betätigungs- und damit Verdienstmöglichkeiten ausgleichen soll, und daß ein Hautkranker, dem ohnedies viele Stellen des Arbeitsmarktes verschlossen sind (vgl. BSG in BG 1960, 248 sowie LSG Niedersachsen in Breithaupt 1967, 925, 926, 927) gerade durch eine berufliche Terpentin-Allergie besonders nachteilig betroffen sein kann. Demgemäß hat auch schon das Reichsversicherungsamt (RVA) in EuM Bd. 43, 102, 103 f hinsichtlich der Terpentin-Allergie eines Lackierers ausgeführt: Auch wenn keine examatösen Erscheinungen mehr vorhanden gewesen seien, so habe doch bei dem Versicherten nach den ärztlichen Gutachten auch weiterhin eine Überempfindlichkeit gegenüber Terpentin bestanden, die es nicht zuließ, daß dieser seinen früheren Beruf wieder ausübte. Damit sei aber das dem Versicherten offenstehende Arbeitsfeld weiterhin eingeengt, und zwar gerade hinsichtlich seines bisherigen Berufs als Lackierer und mithin der Versicherte in seiner Erwerbsfähigkeit noch beeinträchtigt.
Neben diesen Gesichtspunkten kann auch das Alter des Erkrankten nicht schlechthin unberücksichtigt bleiben; denn je älter er ist und je länger er seinen Beruf ausgeübt hat, desto schwieriger kann es für ihn sein, bei bestehender Terpentin-Allergie seine verbliebene Arbeitskraft noch zu verwerten (siehe dazu auch Carrié aaO).
Im zu entscheidenden Fall war B. am 1. August 1965 über 56 Jahre alt und von 1931 bis zum Eintritt der Hauterkrankung im Jahre 1962 in seinem Beruf als Maler und Lackierer tätig gewesen. Da Terpentinpräparate nach dem Sachverständigengutachten von Professor Dr. K Dr. B vom 21. Juni 1968 nicht nur in vielen Berufszweigen, sondern auch im täglichen Leben weit verbreitet sind, bestand für B. beim Berufswechsel eine mehr als üblich eingeschränkte Auswahl (Gutachten S. 5), die durch sein vorgerücktes Alter noch schwieriger wurde (Gutachten S. 6). Die Terpentin-Allergie des B. war daher geeignet, ihn beruflich wie auch außerberuflich weiterhin erheblich zu beeinträchtigen. Das wird auch durch das vom LSG eingeholte vorerwähnte Gutachten bestätigt. Diese Sachverständigen sind zu dem Ergebnis gelangt, daß der durch die Terpentin-Allergie geschaffene Zustand der Gefährdung durchaus eine Beeinträchtigung sei, die einem Gebrechen gleichgesetzt werden müsse. Deshalb haben sie die MdE weiterhin mit 25 v. H. beurteilt. Wenn das LSG diesem Gutachten gefolgt ist, so kann dies aus den vorgenannten Gründen nicht beanstandet werden. Bei dieser Sachlage bestehen gegen die Änderung (Aufhebung) des Entziehungsbescheides vom 24. Juni 1965 durch das LSG keine rechtlichen Bedenken. Denn nach den Feststellungen des LSG war jedenfalls im Entziehungszeitpunkt keine wesentliche Änderung im Sinne des § 622 Abs. 1 RVO eingetreten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen