Leitsatz (redaktionell)
Für die Entscheidung darüber, ob ein Arbeits- oder Dienstverhältnis vorliegt, ist die rechtliche Gestaltung des Vertragsverhältnisses durch die Vertragspartner nicht allein ausschlaggebend, vielmehr muß auch das Gesamtbild des Beschäftigungsverhältnisses in der Gestaltung berücksichtigt werden, die es in seiner tatsächlichen Entwicklung genommen hat.
Normenkette
RVO § 537 Nr. 1 Fassung: 1942-03-09
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 9. Juni 1959 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Der Ehemann der Klägerin, der am 19. Juni 1903 geborene Architekt Richard S. war seit dem 1. Januar 1954 für den beigeladenen Architekten K tätig. Am 19. September 1956 verunglückte er mit seinem Personenkraftwagen auf einer Fahrt nach Neustadt (Holstein), wo er ein Bauvorhaben des Architekten K überwachen sollte. Am 28. September 1956 ist er an den Folgen dieses Unfalls gestorben.
Hinsichtlich der Berufstätigkeit des Ehemannes der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) Schleswig folgende Feststellungen getroffen:
"Der Ehemann der Klägerin war von 1923 bis 1945 - mit Unterbrechung durch Zeiten der Arbeitslosigkeit - als angestellter Architekt beschäftigt. Nach der Auflösung seiner Dienststelle eröffnete er 1945 ein eigenes Architektenbüro. Diese selbständige Tätigkeit stellte er 1952 aus wirtschaftlichen Gründen ein und war dann zunächst vom 1. September 1952 bis 31. Dezember 1953 im Angestelltenverhältnis bei der Arbeitsgemeinschaft der Architekten C und K in Kiel beschäftigt. Nach der Auflösung dieser Arbeitsgemeinschaft arbeitete er seit dem 1. Januar 1954 bei dem beigeladenen Architekten K. Er führte im Büro und auf Baustellen die ihm von K erteilten Aufträge aus; vor allem fertigte er für K Entwürfe für Wettbewerbs-Ausschreibungen. Sein Verdienst wurde am Monatsende nach der Zahl der geleisteten Arbeitsstunden, die er jeweils angab, berechnet. Sozialversicherungsbeiträge wurden nicht abgeführt. Ein Anspruch auf bezahlten Urlaub und Beihilfe im Krankheitsfall war nicht vereinbart. Steuerlich veranlagte sich der Ehemann der Klägerin selbst."
Den Anspruch der Klägerin auf Entschädigung lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 21. Juni 1957 mit folgender Begründung ab: Nach dem Ergebnis der Ermittlungen habe der Ehemann der Klägerin zu dem Architekten K nicht in einem Arbeits-, Dienst- oder Lehrverhältnis gestanden, sondern sei lediglich als freier Mitarbeiter und Architekt tätig gewesen. Er habe sich steuerlich selbst veranlagt und gehöre, da die Satzung eine Zwangsversicherung für selbständige Unternehmer nicht vorsehe und eine freiwillige Versicherung nicht bestanden habe, nicht zum Kreis der in der Unfallversicherung versicherten Personen.
Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht (SG) Schleswig erhoben. Dieses hat den Architekten Kurt K, die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung und die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte zum Verfahren beigeladen und die Klage durch Urteil vom 22. Mai 1958 abgewiesen.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung zum Schleswig-Holsteinischen LSG eingelegt.
Das LSG hat durch Urteil vom 9. Juni 1959 das Urteil des SG und den Bescheid vom 21. Juni 1957 aufgehoben und die Beklagte für verpflichtet erklärt, der Klägerin einen neuen Bescheid dahin zu erteilen, daß ihr ein Sterbegeld sowie ab 28. September 1956 eine Witwenrente gewährt wird.
Die Revision ist vom LSG zugelassen worden.
Zur Begründung hat das LSG u. a. ausgeführt: Der Ehemann der Klägerin sei nach seiner wirtschaftlichen und sozialen Stellung versicherter Arbeitnehmer im Sinne des § 537 Nr. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) gewesen, der Unfall habe auch wesentlich mit seiner versicherten Arbeitstätigkeit in Zusammenhang gestanden.
Das Urteil des LSG ist der Beklagten am 21. Juli 1959 zugestellt worden. Sie hat durch Schriftsatz vom 14. August 1959, der am 15. August 1959 beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangen ist, gegen das Urteil des LSG Revision eingelegt und beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils in Zurückweisung der Berufung gegen das Urteil des SG Schleswig die Klage abzuweisen.
Vorsorglich beantragt sie,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Sie hat die Revision durch Schriftsatz vom 25. August 1959, der am 2. September 1959 eingegangen ist, weiter begründet.
Die Beklagte rügt u. a.: Bei der Entscheidung habe der Landessozialgerichtsrat L. als Vorsitzender mitgewirkt; es sei nicht einzusehen, daß das nur ausnahmsweise geschehen sei, außerdem sei der Senat deshalb nicht ordnungsmäßig besetzt gewesen, weil der Amtsgerichtsrat A. nach § 32 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als Hilfsrichter mitgewirkt habe. Weiterhin rügt die Beklagte, aus der Ehe sei ein Kind im Alter von 10 Jahren hervorgegangen, so daß das Rubrum des Urteils entsprechend erweitert werden müsse.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das LSG zurückzuverweisen.
Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.
II
Die durch Zulassung (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) statthafte Revision ist in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden und somit zulässig. Sie hatte jedoch keinen Erfolg.
Die Rügen der Revision, die sich gegen die Besetzung des 6. Senats des LSG in der mündlichen Verhandlung am 9. Juni 1959 richten, sind nicht geeignet, eine Verletzung verfahrensrechtlicher Vorschriften den Anforderungen des § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG entsprechend darzutun. Aus dem von der Revision gerügten Umstand, daß ein Landessozialgerichtsrat in dieser Sitzung den Vorsitz geführt hat, ergibt sich für sich allein nicht, daß ein Verstoß gegen § 34 Abs. 1 Satz 2 SGG vorliegt. Ebenso war die Mitwirkung eines Amtsgerichtsrats als Hilfsrichter nach §§ 11 Abs. 3, 32 Abs. 2 SGG in der am 9. Juni 1959 noch geltenden Fassung vor dem Inkrafttreten des Deutschen Richtergesetzes vom 8. September 1961 (BGBl I S. 1665, vgl. § 90) nicht grundsätzlich unzulässig.
Die Revision ist auch insoweit unbegründet, als sie sich dagegen wendet, daß das LSG zu der Auffassung gelangt ist, der Ehemann der Klägerin sei "versicherter Arbeitnehmer im Sinne des § 537 Nr. 1 RVO" in dem bei der Beklagten versicherten Unternehmen des Architekten K gewesen.
Bei der Prüfung der Rechtsnatur der vertraglichen Beziehungen, die zwischen dem Ehemann der Klägerin und dem Architekten K bestanden haben, ist das LSG - allerdings ohne das ausdrücklich zu erörtern - ohne Rechtsirrtum davon ausgegangen, daß die vertraglichen Verpflichtungen des Ehemannes der Klägerin die Leistung von Diensten (vgl. §§ 611 ff. BGB) und nicht einen durch Dienstleistung herbeizuführenden Erfolg (vgl. §§ 631 ff. BGB) zum Gegenstand hatten. Auch die Revision will offenbar nicht beanstanden, daß das LSG das Vertragsverhältnis als Dienstvertrag aufgefaßt hat. Allerdings weist sie zutreffend auf die Besonderheiten dieses Vertragsverhältnisses, z. B. darauf hin, daß der Ehemann der Klägerin nach den aufgewendeten Arbeitsstunden bezahlt wurde, nicht an die für die übrigen bei dem Architekten K arbeitenden Architekten geltenden Bürostunden gebunden war, keinen Anspruch auf bezahlten Urlaub und auf Hilfe im Krankheitsfalle hatte, nicht zur Sozialversicherung angemeldet war und seine Einnahmen selbst zur Einkommensteuerveranlagung angeben mußte.
Es kann dahingestellt bleiben, ob diese vertragliche Gestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen dem Ehemann der Klägerin und dem Architekten K es rechtfertigen, bürgerlich-rechtlich ein unabhängiges Dienstverhältnis anzunehmen, auf das die nur für abhängige Arbeitsverhältnisse geltenden Regeln des Arbeitsrechts nicht anwendbar sind.
Wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, ist für die Entscheidung darüber, ob ein Arbeits- oder Dienstverhältnis im Sinne des § 537 Nr. 1 RVO vorliegt, die rechtliche Gestaltung des Vertragsverhältnisses durch die Vertragspartner nicht allein ausschlaggebend, vielmehr muß hierbei das Gesamtbild des Beschäftigungsverhältnisses in der Gestaltung berücksichtigt werden, die es in seiner tatsächlichen Entwicklung genommen hatte (vgl. hierzu auch das Urteil des erkennenden Senats vom 21.10.1958 - 2 RU 196/57 - SozR RVO § 537 Bl. Aa 8 Nr. 8). Das LSG hat deshalb mit Recht besonderes Gewicht darauf gelegt, daß der Ehemann der Klägerin - nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des LSG (vgl. § 163 SGG) - seine Aufträge, die meist keinen Raum für freie, eigenschaffende Tätigkeiten ließen und für deren Erledigung ihm feste Termine gesetzt wurden, in gleicher Weise zugeteilt erhielt wie die übrigen im Büro beschäftigten Architekten und trotz der vertraglichen Freiheit hinsichtlich der Arbeitsstunden tatsächlich durch seine Tätigkeit derart in den Betrieb des Architektenbüros eingegliedert war, daß für die Ausübung einer freien Architektentätigkeit neben der Arbeit für den Architekten K praktisch kein Raum mehr blieb. Die Stellung des Ehemannes der Klägerin im Architektenbüro unterschied sich also, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, ihrer tatsächlichen Gestaltung nach nicht wesentlich von der eines gehobenen Angestellten, der in der Ausgestaltung seiner Arbeit im Rahmen der ihm erteilten Weisungen verhältnismäßig frei ist und dem gegenüber das Weisungsrecht des Arbeitgebers nur in gemilderter Form ausgeübt wird.
Wie der erkennende Senat im Urteil vom 20. Dezember 1961 - 2 RU 146/56 - (BSG 16, 73) näher dargelegt hat, steht zudem für die gesetzliche Unfallversicherung die Frage im Vordergrund, ob derjenige, der auf Grund einer vertraglichen Verpflichtung für ein Unternehmen Arbeit leistet, selbst Unternehmer oder Mitunternehmer dieser Arbeit ist. Das hat das LSG im vorliegenden Fall ohne Rechtsirrtum verneint. Die wirtschaftliche Abhängigkeit des Ehemannes der Klägerin und seine Bindung an die Weisungen des Architekten K die nach den Feststellungen des LSG bestanden, reichen zwar für sich allein noch nicht aus, um die Unternehmereigenschaft verneinen zu können; denn derartige Abhängigkeiten können auch zwischen Unternehmern bestehen, wenn ein Unternehmer überwiegend für Zwecke eines anderen Unternehmens produziert, jedoch weisen sie ihrer tatsächlichen Gestaltung nach - wie dargelegt - auf das Bestehen eines abhängigen Arbeitsverhältnisses hin, und abgesehen davon, daß der Ehemann der Klägerin selbst über keine nennenswerten Betriebsmittel verfügte, ist entscheidend, daß ihm die Vergütung nach Arbeitsstunden keine Teilnahme am Unternehmergewinn ermöglichte und er nicht einmal an den Einnahmen durch die von ihm gefertigten Wettbewerbsarbeiten beteiligt war. Es kann auch nicht als ein Unternehmerrisiko angesehen werden, daß der Ehemann der Klägerin in stärkerem Mäße vom Steigen oder Fallen des Auftragseingangs betroffen war als die "fest" angestellten Architekten, die auch bei einem Rückgang der Aufträge - zunächst - ihr vertragliches Gehalt ungekürzt weiter beanspruchen konnten, während der Architekt K die Möglichkeit gehabt hätte, die Zahlungen an den Ehemann der Klägerin dadurch schneller an einen veränderten Geschäftsgang anzupassen, daß er dem Ehemann der Klägerin weniger Aufträge zuteilte. Im einzelnen wird hierzu auch auf das in BSG 14 S. 142 veröffentlichte Urteil des erkennenden Senats vom 29. März 1961 - 2 RU 204/57 - (vgl. insbesondere S. 146) Bezug genommen.
Der erkennende Senat stimmt deshalb mit dem LSG darin überein, daß der Ehemann der Klägerin während seiner Tätigkeit für den Architekten K nach § 537 Nr. 1 RVO unter Versicherungsschutz gegen Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten stand. Es kann infolgedessen dahingestellt bleiben, ob sich ein Versicherungsschutz auf jeden Fall aus der Nr. 10 des § 537 RVO ergeben hätte.
Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des LSG hat sich der Unfall vom 19. September 1956 auf einer Fahrt ereignet, die der Ehemann der Klägerin im Auftrage des Architekten K unternommen hatte, um ein Bauvorhaben zu überprüfen. Diese Fahrt gehörte somit unmittelbar zu der versicherten Tätigkeit des Ehemannes der Klägerin. Der Unfall war ein Arbeitsunfall im Sinne des § 542 RVO. Das LSG hat die Beklagte zu Recht verurteilt, der Klägerin die gesetzlichen Leistungen aus der Unfallversicherung zu gewähren. Die Revision ist unbegründet.
Die Revision hat darauf hingewiesen, daß außer der Klägerin noch ein Kind im Alter von 10 Jahren Anspruch auf Leistungen nach § 591 RVO habe, und hat angeregt, die Bezeichnung der Parteien (Rubrum) "von Amts wegen" entsprechend zu ändern. Dieser Anregung konnte der Senat nicht folgen. Der Bescheid vom 21. Juni 1957 ist lediglich der Klägerin erteilt worden und bezieht sich seinem Wortlaut nach auch nur auf deren Ansprüche auf Sterbegeld und Witwenrente. Auch Klage und Berufung sind von der Klägerin nur im eigenen Namen erhoben worden. Der Anspruch auf Waisenrente war somit nicht Gegenstand des Verfahrens.
Die Revision war nach § 170 Abs. 1 SGG zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergeht auf Grund von § 193 SGG.
Fundstellen