Leitsatz (amtlich)
Werden Jugendliche in staatlich anerkannten Lehrwerkstätten eines caritativen Erziehungsheims auf Grund von "Anstaltslehrverträgen", die von der Handwerkskammer genehmigt sind und zur Eintragung der Lehrlinge in die Lehrlingsrolle geführt haben, nach Art der Lehrlingsausbildung in gewerblichen Betrieben mit dem Ziel der Ablegung der Gesellenprüfung ausgebildet, so sind diese Jugendlichen "Lehrlinge" iS des RVO § 165 a Nr 2.
Die Versicherungspflicht solcher Lehrverhältnisse wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß das Erziehungsheim in erster Linie die Erziehung der Jugendlichen anstrebt und dieses Ziel auch bei der Berufsausbildung in seinen Lehrwerkstätten verfolgt.
Auch die Lehrverhältnisse der durch vormundschaftsgerichtlichen Beschluß der Fürsorgeerziehung überwiesenen Jugendlichen (RJWG § 63), die in das Erziehungsheim aufgenommen sind, beruhen auf freien Verträgen und begründen daher Versicherungspflicht.
Leitsatz (redaktionell)
Äußerungen einer Krankenkasse als Einzugstelle zur Versicherungsfreiheit sind keine Entscheidungen. Eine Krankenkasse hat nur insoweit begründeten Anlaß, eine "Entscheidung" in der Frage der Versicherungspflicht zu treffen, als der bisherige Zustand geändert werden soll.
Normenkette
RVO § 165 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1945-03-17, § 1226 Fassung: 1945-03-17; AVAVG § 69; AVAVG 1927 § 69; JWG § 64 Fassung: 1961-08-11; RVO § 165 Abs. 2 Fassung: 1945-03-17, § 165a Nr. 2 Fassung: 1945-03-17; AVAVG § 74 Abs. 1; AVAVG 1927 § 74 Abs. 1; AVAVG § 74 Abs. 3; AVAVG 1927 § 74 Abs. 3; JWG § 63
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 3. Dezember 1958 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Koster des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I.
Der klagende Verein für Innere Mission e. V. unterhält ein Jugenderziehungsheim, den Fürsorgehof H in Schongau/Obb. Die beigeladenen 91 Jugendlichen waren dort im Jahre 1955 untergebracht. Sie wurden in den staatlich anerkannten Lehrwerkstätten des Heims für die verschiedensten Berufe als Lehrlinge ausgebildet. 19 von ihnen (die Beigeladenen zu IV. Nr. 1 bis 19) waren durch einen Beschluß des Vormundschaftsgerichts nach § 63 des Reichsgesetzes für Jugendwohlfahrt vom 9. Juli 1922 (RGBl I S. 633) i. d. F. des Änderungsgesetzes vom 28. August 1953 (BGBl I S. 1035) - JWG - der Fürsorgeerziehung überwiesen worden. Die weiteren 72 Lehrlinge befanden sich in der Anstalt in freiwilliger Fürsorgeerziehung (Erziehungsfürsorge). 50 von ihnen (die Beigeladenen Nr. 20 bis 69) waren mit Zustimmung der Erziehungsberechtigten auf Veranlassung behördlicher oder caritativer Einrichtungen (Jugendamt, Gesundheitsamt, Pfarramt, Evangelischer Jugenddienst e. V.), die restlichen 22 (die Beigeladenen Nr. 70 bis 91) nur auf Grund einer Vereinbarung mit den Erziehungsberechtigten im Fürsorgehof aufgenommen worden. Den Lehrverhältnissen lag jeweils ein "Anstaltslehrvertrag" zugrunde, in dem die Dauer der Lehrzeit unter Berücksichtigung bereits nachgewiesener Lehrzeiten festgesetzt war. Im übrigen galten nach dem Lehrvertrag für die Lehrverhältnisse folgende Bestimmungen:
"Der Fürsorgehof H übernimmt im Rahmen der ihm übertragenen Aufgaben
a) die Pflicht der Erziehung und Betreuung des Lehrlings in einem seiner Heime - gegen Kostenersatz -,
b) die Pflicht gewissenhafter und umfassender Berufserziehung in seiner Werkstätte.
Das monatliche Taschengeld wird nach Führung und Leistungswillen bemessen.
Eine Erziehungsbeihilfe wird im Anstaltslehrverhältnis vom Lehrherrn nicht gewährt.
Der Werkstatturlaub richtet sich nach der tariflich gültigen Ordnung.
Der Lehrling verspricht, zur Erreichung seines Berufszieles seine ganzen Kräfte und Fähigkeiten einzusetzen, den nötigen Gehorsam zu leisten, ihm anvertrautes Gut pfleglich zu behandeln, die Unfallverhütungsvorschriften genau zu beachten, durch sein Betragen dem Handwerk Ehre zu machen und pünktlich und regelmäßig die Berufsschule zu besuchen.
Nach Ablauf der Probezeit können nur wichtige Gründe zur Kündigung des Lehrvertrages führen. Dies sind z. B. von Seiten des Lehrlings: Wiederholte gröbliche Pflichtverletzungen, Arbeitsverweigerung, wiederholt schuldhafte Schulversäumnisse, vorsätzliche Sachbeschädigung usw. Von Seiten des Lehrherrn z. B.: Gefährdung der Gesundheit oder Vernachlässigung der ordnungsgemäßen Ausbildung usw.
Nach Beendigung der Lehrzeit hat sich der Lehrling vor dem zuständigen Prüfungsauschuß einer Gesellenprüfung zu unterziehen. Der Lehrling erhält nach seinem Lehrende ein Lehrzeugnis, bei vorzeitiger Auflösung des Lehrvertrages eine Arbeitsbescheinigung.
Jeder Lehrling scheidet nach Ablauf des Lehrvertrages und nach bestandener Prüfung bei seiner Ausbildungsstätte aus.
Beim Anstaltslehrvertrag steht Berufserziehung mit Heimbetreuung in Abhängigkeit zum erforderlichen Kostensatz. Bei Wegfall oder Nichtgewährung der Kostendeckung ist der Fürsorgehof zur jederzeitigen Lösung des Lehrverhältnisses berechtigt."
Die Lehrverträge wurden vom Leiter des Fürsorgehofs, dem Lehrmeister, dem Lehrling und seinem gesetzlichen Vertreter unterzeichnet, von der Handwerkskammer jeweils genehmigt und in die Lehrlingsrolle eingetragen.
Mit Bescheid vom 19. Januar 1955 stellte die beklagte Krankenkasse die Krankenversicherungspflicht derjenigen Lehrlinge des Fürsorgehofs fest, die in freiwilliger Fürsorgeerziehung standen (der Beigeladenen zu IV. Nr. 20 bis 91). Für den gleichen Kreis wurde auch die Versicherungspflicht zur Arbeitslosenversicherung im Rahmen des § 74 des Gesetzes über Arbeitslosenvermittlung und Arbeitslosenversicherung vom 16. Juli 1927 (RGBl I S. 187) i. d. F. des Änderungsgesetzes vom 19. Dezember 1952 (BGBl I S. 790) - AVAVG - bejaht. Die Versicherungspflicht zur Invalidenversicherung wurde - in der Annahme, daß § 1227 der Reichsversicherungsordnung (RVO) a. F. noch anzuwenden sei - im Hinblick auf die Unentgeltlichkeit der Lehrlingsverhältnisse verneint. Ferner wurde die Versicherungsfreiheit derjenigen Lehrlinge, die auf Grund eines Gerichtsbeschlusses im Fürsorgehof untergebracht waren, mit der Begründung festgestellt, daß hier ein obrigkeitlicher Zwang bestehe, der das Zustandekommen einer freien Vereinbarung ausschließe.
Auf den Widerspruch des Klägers hin änderte die Widerspruchsstelle der beklagten Krankenkasse ihren Bescheid dahin ab, daß die Versicherungspflicht aller beim Fürsorgehof beschäftigten Lehrlinge in der Krankenversicherung, Invalidenversicherung und der Arbeitslosenversicherung - hier im Rahmen des § 74 AVAVG - festgestellt wurde. In der Begründung wurde hervorgehoben, daß alle Lehrverträge - auch die der durch Gerichtsbeschluß der Fürsorgeerziehung überwiesenen Jugendlichen - auf freier Vereinbarung beruhten.
Mit der Klage hat der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 19. Januar 1955 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 16. April 1955 aufzuheben.
Er hält die Unterscheidung zwischen den Lehrlingen, die der Fürsorgeerziehung durch vormundschaftlichen Beschluß überwiesen worden sind, und solchen, die in freiwilliger Fürsorgeerziehung stehen, für überholt. Versicherungspflicht setze arbeitsrechtliche Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer voraus. Die Lehrwerkstätten des Fürsorgehofs seien keine Erwerbsbetriebe, sondern Hilfseinrichtungen des Jugenderziehungsheims, die ausschließlich dessen erzieherischen Gesamtzwecken dienten. Berufsausbildung und Heimerziehung der Zöglinge seien von der Dauer ihrer Unterbringung und von der Deckung der dadurch entstehenden Kosten abhängig. Bei allen Lehrlingen stehe die Erziehung im Vordergrund; sie müßten daher alle gleich behandelt werden. Die Lehrlinge würden für ihre Tätigkeit in den Lehrwerkstätten weder durch Gewährung freien Unterhalts noch durch Zahlung eines Taschengeldes entschädigt. Für ihren Unterhalt komme der jeweilige Kostenträger auf. Das Taschengeld von durchschnittlich 5 DM im Monat, auf das die Lehrlinge keinen Anspruch hätten, werde aus erzieherischen Gründen nach Führung und Leistung gewährt.
Das Sozialgericht (SG) München hob durch Urteil vom 3. August 1956 die angefochtenen Bescheide insoweit auf, als dadurch Versicherungspflicht für die 22 Heimlehrlinge in Anspruch genommen wurde, die nur auf Grund einer Vereinbarung mit den Erziehungsberechtigten in die Anstalt aufgenommen worden waren; im übrigen wies es die Klage ab. In den Gründen seiner Entscheidung führte das SG aus, diese Lehrlinge, die freiwillig ohne behördliche Mitwirkung und als Selbstzahler in der Anstalt untergebracht seien, stünden nicht in öffentlicher Erziehung. Ihre Lehrverhältnisse seien ohne Ausübung eines unmittelbaren oder mittelbaren behördlichen Zwanges zustandegekommen und daher wie die aller Lehrlinge in der freien Wirtschaft versicherungspflichtig.
Gegen das Urteil legten der Kläger, die beklagte Krankenkasse und die beigeladene Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (BfArb) Berufung ein.
Der Kläger hat beantragt,
1. das Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide der beklagten Krankenkasse aufzuheben,
2. festzustellen, daß alle Lehrlinge des Fürsorgehofs versicherungsfrei sind.
Er macht geltend, daß der Tenor des Urteils des SG in Widerspruch zu den Entscheidungsgründen stehe. In sachlicher Hinsicht trug er zu seinen bisherigen Ausführungen vor, daß es nicht darauf ankomme, ob der Aufenthalt der Lehrlinge in der Anstalt auf behördlichem Zwang oder auf Freiwilligkeit beruhe und wer die Kosten dafür trage. Entscheidend sei, daß bei sämtlichen Lehrlingen keine arbeitsrechtlichen Beschäftigungsverhältnisse vorlägen, weil der Hauptzweck ihrer Unterbringung die Erziehung sei. Diesem Zweck diene auch deren Tätigkeit in den Lehrwerkstätten. Die Annahme versicherungspflichtiger Lehrverhältnisse hätte zur Folge, daß die Zöglinge freie Arztwahl, Erziehungsbeihilfe und ähnliche Ansprüche geltend machen könnten. Das wäre mit dem erzieherischen Zweck ihres Aufenthalts in der Anstalt nicht vereinbar.
Die beklagte Krankenkasse nahm ihren Widerspruchsbescheid insofern zurück, als dadurch Versicherungspflicht über den Bescheid vom 19. Januar 1955 hinaus geltend gemacht wurde. Sie hat beantragt,
das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Sie hält daran fest, daß zwischen Fürsorgeerziehung und Erziehungsfürsorge nur in der Art der Einleitung, nicht aber in der Durchführung ein Unterschied bestehe. Selbst dieses Unterscheidungsmerkmal verliere bei näherer Betrachtung an Bedeutung; denn der freie Entschluß der Erziehungsberechtigten, der die Erziehungsfürsorge einleite, sei nur bedingt als freiwillige Entschließung anzusehen, da bei Weigerung der Erziehungsberechtigten das Jugendamt einen Gerichtsbeschluß auf Fürsorgeerziehung erwirken könne. Die Beschäftigung selbst beruhe bei allen Zöglingen des Fürsorgehofs auf Freiwilligkeit. Sie alle hätten die gleichen Möglichkeiten, Rechte und Pflichten.
Die beigeladene BfArb hat beantragt,
1. das Urteil des SG aufzuheben und festzustellen, daß die (50) in Erziehungsfürsorge stehenden und die (22) freiwillig zu Erziehungszwecken im Fürsorgehof H sich aufhaltenden Lehrlinge der Sozial- und Arbeitslosenversicherungspflicht unterliegen,
2. die Klage insoweit abzuweisen, als mit ihr die Feststellung der Versicherungsfreiheit für die Beschäftigung der genannten Lehrlinge begehrt wird.
Sie hält die Lehrlinge des Fürsorgehofs, die nicht in Fürsorgeerziehung stehen, für kranken- und demgemäß auch arbeitslosenversicherungspflichtig, soweit nicht Versicherungsfreiheit nach § 74 AVAVG a. F. besteht.
Die beigeladene Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) ist der Auffassung, das Beschäftigungsverhältnis der Lehrlinge des Fürsorgehofs könne nicht unterschiedlich nach dem Grunde der Unterbringung beurteilt werden. Das Heim mache, was Erziehung und Behandlung der Zöglinge betreffe, keinen Unterschied nach der Art der Einweisung. Der Erziehungszweck verbiete solche Unterscheidungen. Alle Lehrlinge des Fürsorgehofs seien nach § 1 Abs. 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) a. F. - die Erste Verordnung zur Vereinfachung (1. VereinfVO) des Leistungs- und Beitragsrechts vom 17. März 1945 sei in Bayern nicht anwendbar - schon deshalb nicht in der Angestelltenversicherung (AV) versicherungspflichtig, weil sie kein Entgelt bezögen. Für die Zeit nach Inkrafttreten des AVG i. d. F. vom 23. Februar 1957 müsse die Versicherungspflicht der in Heimerziehung stehenden Lehrlinge schlechthin verneint werden, weil ein Beschäftigungsverhältnis auf der Grundlage von Leistung und Gegenleistung zwischen Heimleitung und Zöglingen ausgeschlossen sei.
Die beigeladene Landesversicherungsanstalt (LVA) teilt diese Auffassung.
Das Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 3. Dezember 1958
1. das Urteil des SG aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid der beklagten Krankenkasse vom 19. Januar 1955 abgewiesen,
2. festgestellt, daß Versicherungsfreiheit der streitbeteiligten Lehrlinge zur Arbeitslosenversicherung insoweit besteht, als die Lehrlinge auf Grund eines schriftlichen Lehrvertrages von mindestens zweijähriger Dauer beschäftigt wurden;
die Revision wurde zugelassen.
Das LSG ist davon ausgegangen, der angefochtene Bescheid der beklagten Krankenkasse vom 19. Januar 1955 beziehe sich allein auf die Lehrverhältnisse der in Erziehungsfürsorge - nicht in Fürsorgeerziehung - stehenden Jugendlichen, für die Versicherungspflicht zur Kranken- und (im Rahmen des § 74 AVAVG) zur Arbeitslosenversicherung geltend gemacht werde. Die gegen diesen Bescheid erhobene Anfechtungsklage schließe, soweit die Feststellungswirkung des Bescheides reiche, eine auf das gleiche Ziel - nämlich die Feststellung der Versicherungsfreiheit - gerichtete Feststellungsklage aus. Insoweit sei daher mangels Rechtsschutzbedürfnisses die Feststellungsklage des Klägers unzulässig. Gleichwohl hat das LSG - "zur Erreichung eines möglichst einfachen und klaren Entscheidungssatzes" - die Versicherungsfreiheit aller streitbefangenen Lehrlinge in der Arbeitslosenversicherung im Rahmen des § 74 AVAVG festgestellt.
Das LSG hat weiterhin auf den offenbaren Widerspruch zwischen dem Tenor des Urteils des SG und der Begründung hingewiesen: Das SG hat nach dem Urteilsausspruch die angefochtenen Bescheide der beklagten Krankenkasse insoweit aufgehoben , als Sozialversicherungs- und Beitragspflicht der 22 nicht in öffentlicher Erziehung stehenden Lehrlinge festgestellt wurde während es nach den Gründen seines Urteils die angefochtenen Verwaltungsakte insoweit gerade bestätigen wollte. Schon aus diesem Grunde sei das Urteil des SG aufzuheben gewesen.
Der eigenen Sachentscheidung des LSG liegt die Auffassung zugrunde, daß die Lehrverhältnisse aller Lehrlinge des Fürsorgehofs der Sozialversicherungspflicht unterliegen. Maßgebende Norm für die Krankenversicherungspflicht der beigeladenen Lehrlinge sei § 165 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. Abs. 2 RVO i. d. F. der 1. VereinfVO vom 17. März 1945. Hiernach komme es darauf an, ob sie "Lehrlinge" seien. Das Lehrverhältnis bezwecke in erster Linie eine Fach- oder Berufsausbildung im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses. Die Ausbildung des Lehrlings sei zwar mit einer gewissen Arbeitsleistung verbunden; diese sei aber nicht Selbstzweck, sondern vor allem Mittel zur Erreichung des Ausbildungsziels. Insofern unterscheide sich das Lehrverhältnis vom Beschäftigungsverhältnis der Arbeiter und der Angestellten, das im wesentlichen die Leistung von Arbeit gegen Entgelt beinhalte. In diesem Sinne verstanden wiesen die Lehrverhältnisse auf dem Fürsorgehof keine wesentlichen Unterschiede zu anderen Lehrverhältnissen auf. Unter den verschiedenen Gruppen der beigeladenen Lehrlinge dürfe für die Frage der Versicherungspflicht nicht danach unterschieden werden, ob sie unter Mitwirkung von Behörden in das Heim aufgenommen worden seien oder nicht. Auch die Lehrverhältnisse der in öffentlicher Erziehung stehenden Jugendlichen seien freie Beschäftigungsverhältnisse. Soweit staatlicher Zwang durch Überweisung zur Fürsorgeerziehung ausgeübt werde, richte er sich nicht gegen den Jugendlichen, sondern gegen dessen Eltern, deren Erziehungsrecht beschränkt werde.
Aus der Krankenversicherungspflicht der beigeladenen Lehrlinge ergebe sich ihre Versicherungspflicht in der Invalidenversicherung (§ 1226 Nr. 1 RVO i. d. F. der 1. VereinfVO) bzw. in der Angestelltenversicherung (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 AVG i. d. F. der 1. VereinfVO i. V. m. § 165 b Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 RVO). Die Krankenversicherungspflicht habe auch nach § 69 AVAVG a. F. - mit den sich aus § 74 AVAVG ergebenden Einschränkungen - Arbeitslosenversicherungspflicht zur Folge.
Gegen dieses Urteil legte der Kläger Revision ein mit dem Antrag,
das angefochtene Urteil aufzuheben und entsprechend seinem Antrag vor dem LSG zu erkennen.
Die beigeladenen Jugendlichen seien keine "Lehrlinge" im Sinne des § 165 a Nr. 2 RVO. Die in Fürsorgeerziehung befindlichen Lehrlinge würden auf dem Fürsorgehof nicht anders als die in Erziehungsfürsorge stehenden behandelt. Alle diese Lehrverhältnisse seien durch ein mehr oder weniger großes Maß von Zwang zustande gekommen. Außerdem seien sie dadurch gekennzeichnet, daß sie in erster Linie der Erziehung des Jugendlichen dienten. Die Erziehung des Lehrlings sei im Lehrvertrag ausdrücklich zur Verpflichtung erhoben. Die Lehrverhältnisse des Fürsorgehofs unterschieden sich somit sowohl nach der Art ihres Zustandekommens als auch nach ihrem Zweck und Inhalt von den üblichen Lehrverhältnissen. Von Bedeutung für die Beurteilung der Versicherungspflicht der fraglichen Lehrverhältnisse sei auch die Regelung in § 1 Abs. 2 Nr. 1 des Jugendarbeitsschutzgesetzes vom 9. August 1960 (BGBl I S. 665), wonach das Gesetz nicht gelte für Beschäftigungen, mit denen überwiegend Zwecke der Erziehung, der Heilung oder des Schulunterrichts verfolgt werden.
Die beklagte Krankenkasse hat beantragt,
die Revision des Klägers gegen das angefochtene Urteil zurückzuweisen.
Sie hält die im angefochtenen Urteil vertretene Auffassung für richtig, daß die Lehrverhältnisse der verschiedenen Gruppen von Jugendlichen auf dem Fürsorgehof einheitlich zu beurteilen seien.
Die beigeladene BfA hält an ihrer Meinung fest, für die Zeit vor dem Inkrafttreten der die Versicherungspflicht regelnden Vorschriften des AVG i. d. F. des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) - d. h. bis zum 28. Februar 1957 - sei § 1 AVG in der alten reichsgesetzlichen Fassung anzuwenden. Mangels Entgelts seien daher in diesem Zeitraum die in Frage kommenden Lehrlinge des Fürsorgehofs auf jeden Fall versicherungsfrei in der Angestelltenversicherung. Im übrigen fehle es bei den bezeichneten Lehrverhältnissen an der Grundvoraussetzung jeder Versicherungspflicht von Arbeitnehmern, daß sie in einem Beschäftigungsverhältnis zu einem Arbeitgeber ständen. Unfreie Personen könnten keine Beschäftigten im Sinne des Sozialversicherungsrechts sein; alle Insassen einer Fürsorgeanstalt seien aber unfrei. Außerdem sei für das Vorliegen eines Lehrverhältnisses erforderlich, daß die Ausbildung in einem Betriebe erfolge, in dem die Möglichkeit bestehe, den Lehrling als Arbeitskraft, d. h. zum wirtschaftlichen Nutzen des Arbeitgebers, zu beschäftigen. Diese Möglichkeit bestehe aber bei dem Fürsorgehof nicht.
Die beigeladene BfArb stimmt der Auffassung der BfA zu, daß das Lehrverhältnis ein Beschäftigungsverhältnis sei, das den freien Austausch von Arbeit und Entgelt voraussetze. Unfrei seien aber nur die Jugendlichen, bei denen die Fürsorgeerziehung durch vormundschaftsgerichtlichen Beschluß angeordnet sei. Wenn auch alle Gruppen von Jugendlichen auf dem Fürsorgehof gleich behandelt würden, so schließe das nicht eine unterschiedliche versicherungsrechtliche Beurteilung nach der Art des Unterbringungsgrundes aus. Daß das Lehrverhältnis auf dem Fürsorgehof der Erziehung diene, schließe die Versicherungspflicht ebensowenig aus wie eine Beschäftigung aus Mitlied oder Nächstenliebe. Nicht erforderlich sei für die Annahme eines versicherungspflichtigen Lehrverhältnisses, daß es in einem auf wirtschaftliche Zwecke gerichteten Betrieb durchgeführt werde.
II.
Die Revision des klagenden Vereins ist unbegründet.
1. Der Kläger hat mit der gegen den Bescheid der beklagten Krankenkasse vom 19. Januar 1955 gerichteten Anfechtungsklage eine Klage auf Feststellung der Versicherungsfreiheit der beigeladenen Lehrlinge verbunden. Die Feststellungsklage wäre - mangels Rechtsschutzinteresses - insoweit unzulässig, als bereits eine die beklagte Krankenkasse bindende Feststellung über die Versicherungsfreiheit vorläge.
Nun hat zwar die beklagte Krankenkasse im angefochtenen Bescheid die Versicherungspflicht der durch einen Gerichtsbeschluß in der Anstalt untergebrachten Jugendlichen verneint. Sie hat ferner in diesem Bescheid für die nicht auf Grund eines vormundschaftsgerichtlichen Beschlusses der Fürsorgeerziehung überwiesenen Lehrlinge erklärt, daß sie in der Invalidenversicherung versicherungsfrei seien. Wären diese Äußerungen zur Versicherungsfreiheit Entscheidungen der beklagten Krankenkasse, so schlössen sie als den Kläger begünstigende und bindend gewordene Verwaltungsakte eine nochmalige Feststellung der Versicherungsfreiheit aus. Der Kläger hätte insoweit bereits die begehrte Feststellung, nachdem die beklagte Krankenkasse ihren Widerspruchsbescheid zurückgenommen hatte, soweit dieser über den Bescheid vom 19. Januar 1955 hinaus Versicherungspflicht festgestellt hatte.
Indessen ist mit dem LSG die Tragweite der im Bescheid vom 19. Januar 1955 getroffenen Entscheidung - der "Verfügungssatz" - auf die positive Feststellung der Versicherungspflicht und der daraus folgenden Beitragspflicht zu beschränken. Nur soweit der bisherige Zustand geändert werden sollte, bestand für die beklagte Allgemeine Ortskrankenkasse überhaupt ein Grund, eine Entscheidung in der Frage der Versicherungspflicht zu treffen. Ein der Regelung bedürftiger Sachverhalt war somit nur gegeben, als entgegen der bisherigen Praxis Beitragspflicht geltend gemacht werden sollte. Das ist, wie auch die Schlußbemerkungen des angefochtenen Bescheides über Anmeldepflicht und Beitragsberechnung klar erkennen lassen, das mit dem Bescheid vom 19. Januar 1955 verfolgte Ziel. Die Ausführungen der beklagten Krankenkasse im angefochtenen Bescheid zur Versicherungsfreiheit in bestimmtem Umfange sind demnach nur als Begründung dafür zu verstehen, warum die beklagte Krankenkasse insoweit von der Heranziehung des Klägers zu Beiträgen abgesehen hat.
Somit ist in der Sache zu entscheiden
a) auf die Anfechtungsklage hin über die Versicherungspflicht der beigeladenen Lehrlinge zu IV Nr. 20 bis 91 in der Krankenversicherung und in der Arbeitslosenversicherung,
b) auf die Feststellungsklage hin über die Versicherungsfreiheit dieser Lehrlinge in der Rentenversicherung und der beigeladenen Lehrlinge zu IV Nr. 1 bis 19 in allen Versicherungszweigen.
Demnach ist die Versicherungspflicht aller beigeladenen Lehrlinge in allen Versicherungszweigen Streitgegenstand.
2. Beide Klagen sind unbegründet. Die beigeladenen Lehrlinge sind versicherungspflichtig.
Maßgebende Norm in der Krankenversicherung ist § 165 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 i. V. m. § 165 a Nr. 2 RVO i. d. F. der 1. VereinfVO vom 17. März 1945, soweit es sich um Lehrlinge handelt, die für einen Arbeiterberuf ausgebildet wurden. Für die Versicherungspflicht der in Ausbildung zu einem Angestelltenberuf stehenden Lehrlinge gilt § 165 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 165 b Abs. 1 Nr. 2 RVO i. d. F. der 1. VereinfVO. Daß entgegen der Meinung der beigeladenen BfA auch die die Versicherungspflicht betreffenden Vorschriften der 1. VereinfVO spätestens seit dem ersten Zusammentritt des Bundestags (7. September 1949) im ganzen Bundesgebiet gelten, hat der erkennende Senat in seinem Urteil vom 28. August 1961 (BSG 15, 65, 68) dargelegt.
Von der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung hängt die Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung (§ 69 AVAVG a. F.) mit den sich aus § 74 Abs. 1 und 3 AVAVG a. F. ergebenden Einschränkungen und in der Rentenversicherung (§ 1226 Nr. 1 RVO a. F.; § 1 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 AVG a. F.) ab.
Demnach ist für die Frage der Versicherungspflicht der beigeladenen Jugendlichen in allen Versicherungszweigen entscheidend, ob die beigeladenen Jugendlichen "Lehrlinge" waren. Die umstrittene Frage, ob das Lehrverhältnis ein Arbeitsverhältnis oder ein Berufsausbildungs- und Erziehungsverhältnis eigener Art ist (vgl. Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, Erster Band, 6. Aufl. S. 72 f, 672 ff; Nikisch, Arbeitsrecht, Erster Band, 3. Aufl. S. 869 ff), hat für die Versicherungspflicht keine Bedeutung, weil die "Lehrlinge" im Sozialversicherungsrecht kraft gesetzlicher Vorschrift zu den "Arbeitern" (§ 165 a Nr. 2 RVO) bzw. zu den "Angestellten" (§ 165 b Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 RVO) gerechnet werden. Das Sozialversicherungsrecht legt demnach für die Versicherungspflicht der Tätigkeit als Lehrling - unbeschadet der Frage, ob das Lehrverhältnis allgemein dem Arbeitsverhältnis gleichzusetzen oder von diesem zu unterscheiden sei - die versicherungsrechtliche Wirkung eines Arbeitsverhältnisses (Beschäftigungsverhältnisses) bei. Somit ist in diesem Zusammenhang für die Beurteilung, ob Versicherungspflicht gegeben ist, allein danach zu fragen, ob die beigeladenen Jugendlichen "Lehrlinge" i. S. der angeführten Vorschriften sind.
3. Für die Annahme einer Beschäftigung als "Lehrling" sprechen eine Reihe gewichtiger Umstände. Die Tätigkeit ist klar auf das Ziel der Berufsausbildung ausgerichtet. Die "Anleitung" der Lehrlinge erfolgt durch Lehrmeister. Die Lehrzeit ist festgelegt und so bemessen, daß nach ihrem Ablauf die Ablegung der Gesellenprüfung möglich ist (vgl. für das Handwerk § 30 der Handwerksordnung - HandwO -); ausdrücklich wird im Lehrvertrag die Verpflichtung des Lehrlings ausgesprochen, sich der Gesellenprüfung zu unterziehen. Bei vorzeitiger Auflösung des Lehrvertrages erhält er eine "Arbeitsbescheinigung". "Werkstatturlaub" wird "nach der tariflich gültigen Ordnung" gewährt. Schriftliche Lehrverträge sind abgeschlossen, die von der Handwerkskammer als ordnungsmäßig anerkannt und in die Lehrlingsrolle eingetragen wurden (vgl. § 21 Abs. 4, § 84 Abs. 1 Nr. 4 HandwO).
4. Die beigeladene BfA hält dessen ungeachtet die beigeladenen Jugendlichen nicht für Lehrlinge, weil die Ausbildung nicht im Betriebe eines Arbeitgebers durchgeführt werde (vgl. auch Koch/Hartmann/v. Altrock/Fürst, AVG 3. Aufl. § 2 Anm. B III 2 a). Nach dieser Auffassung ist Voraussetzung des Lehrverhältnisses, daß die Ausbildung in einer der Erzielung eines Arbeitsprodukts dienenden Arbeitsstätte durchgeführt wird dergestalt, daß der Lehrling als Gegenleistung für die Ausbildung mit seiner Arbeitskraft das Arbeitsprodukt vermehrt. Nun ist es zwar richtig - und widerspricht auch nicht dem Zweck des Lehrverhältnisses -, daß Lehrlinge häufig in dem Maße, wie der Ausbildungsstand es zuläßt, auch zu Arbeiten herangezogen werden, die für den Betrieb von Nutzen sind. Wenn das Reichsversicherungsamt - RVA - (Grunds. Entsch. Nr. 2480; AN 1918, 453) ausführt, in dem wirtschaftlichen Wert, den die Mitarbeit des Lehrlings - zumal in seiner späteren Lehrzeit - habe, bestehe regelmäßig ganz oder teilweise die dem Lehrherrn zufließende Gegenleistung für die dem Lehrling erteilte Unterweisung, so wird damit in der Tat ein dem Lehrverhältnis in der Regel anhaftendes Merkmal hervorgehoben. Doch ist es für das Lehrverhältnis nicht wesensnotwendig; nicht Arbeit gegen Entgelt, sondern der Ausbildungszweck gibt dem Lehrverhältnis das Gepräge. So hat auch das RVA (Grunds. Entsch. Nr. 4455; AN 1932, 425) die Ausbildung eines Körperbehinderten in einer Heilanstalt - zur Erlernung eines Handwerks - als ein Versicherungspflicht begründendes Lehrverhältnis anerkannt. Deshalb braucht im vorliegenden Fall nicht der Frage nachgegangen zu werden, ob und in welchem Umfange die beigeladenen Jugendlichen in den Lehrwerkstätten des Fürsorgehofs produktive Arbeit geleistet haben.
Freilich ist nicht zu übersehen, daß das Lehrlingsverhältnis in dem Maße, wie es aus dem Produktionsprozeß in einem Betriebe herausgelöst und für sich in besonderen Lehrwerkstätten unter stärkster Betonung des Ausbildungszwecks durchgeführt wird, dem - nicht versicherungspflichtigen - Schülerverhältnis angenähert wird. Doch gilt diese Feststellung nicht nur für die Lehrlingsverhältnisse in staatlich anerkannten Lehrwerkstätten (vgl. § 126 b Abs. 3 GewO), sondern nach der neueren Entwicklung auch für die Lehrlingsausbildung von Großbetrieben, die in zunehmendem Maße ihre Lehrlinge - jedenfalls während längerer Zeit - in besonders hierfür eingerichteten Lehrwerkstätten mit eigenem Lehrpersonal oft auch unter mehr oder weniger starker räumlicher Trennung vom eigentlichen Produktionsbetrieb und unter weitgehendem Verzicht auf eine produktive Verwertung der Arbeitskraft dieser Lehrlinge ausbilden (vgl. Nikisch aaO S. 875). Derartige Lehrlingsverhältnisse unterscheiden sich vom Schülerverhältnis einmal durch die auf die Erlangung praktischer Kenntnisse und Fertigkeiten gerichtete Art der Ausbildung, die - von Praktikern ("Lehrmeistern", "Lehrgesellen") geleitet - am Werkstück unter Zuhilfenahme von Maschinen und Geräten vor sich geht. Zum anderen kennzeichnet diese Lehrlingsverhältnisse, daß bei ihnen bereits typische Elemente des entgeltlichen Arbeitsverhältnisses, wie betriebsgemäße Weisungsunterworfenheit, Bindung an Arbeitszeit und Urlaubsgewährung ("nach der tariflich gültigen Ordnung" im vorliegenden Falle) festzustellen sind. Auch läßt die Tatsache, daß die Zöglinge in den Lehrwerkstätten allgemein als "Lehrlinge" - und nicht als Schüler - bezeichnet werden, zur Genüge erkennen, daß auch die Verkehrsauffassung sie als Lehrlinge betrachtet. In diesem Zusammenhang ist auch auf die Regelung der Gewerbeordnung (GewO) hinzuweisen, wonach die den schriftlichen Lehrvertrag behandelnden Absätze 1 und 2 des § 126 b GewO auf Lehrlinge in staatlich anerkannten Lehrwerkstätten keine Anwendung finden. Das Gesetz geht also davon aus, daß auch die Ausbildung in staatlich anerkannten Lehrwerkstätten ein Lehrverhältnis begründet.
5. Ebensowenig steht im vorliegenden Fall der Annahme eines Versicherungspflicht begründenden Lehrverhältnisses entgegen, daß die Lehrverhältnisse auf dem Fürsorgehof in besonderem Maße auf die Erziehung der Lehrlinge ausgerichtet sind. Damit kommt entgegen der Meinung des Klägers kein wesensfremder Zug ins Lehrverhältnis. Ausbildung zum Beruf und Erziehung sind jedenfalls bei minderjährigen Lehrlingen nicht zu trennen. Wenn § 127 GewO für die der GewO unterliegenden gewerblichen Betriebe neben den Berufsausbildungspflichten die Verpflichtung des Lehrherrn nennt, "den Lehrling zur Arbeitsamkeit und zu guten Sitten anzuhalten und vor Ausschweifungen zu bewahren", wenn § 127 a Abs. 1 GewO den Lehrling "der väterlichen Zucht des Lehrherrn" unterwirft und den Lehrling "zur Folgsamkeit und Treue, zu Fleiß und anständigem Betragen" gegenüber dem Lehrherrn und Lehrmeister verpflichtet, so zeigt das zur Genüge, wie sehr nach dem hierin zum Ausdruck gekommenen Sinn des Gesetzes das Lehrverhältnis vom Erziehungsgedanken mitbestimmt ist. Mit Recht bezeichnet Nikisch (aaO S. 870) das Lehrverhältnis als ein "Berufsausbildungs- und Erziehungsverhältnis". Deshalb kann aus dem besonderen Maß an erzieherischer Fürsorge, das den beigeladenen Jugendlichen auf dem Fürsorgehof im Rahmen ihres Lehrverhältnisses zuteil wurde, nicht auf eine rechtlich wesentliche Veränderung ihrer Lehre geschlossen werden. So wenig Fürsorge- oder Heimerziehung als solche schon Berufsausbildung darstellt (vgl. hierzu im Zusammenhang mit § 1267 Abs. 1 Satz 2 RVO die Entscheidung in BSG 14, 285), so wenig steht die Betonung des Erziehungselements einer im übrigen allen Ansprüchen genügenden Berufsausbildung entgegen. Daß Berufsausbildung im versicherungsrechtlichen Sinn auch bei Unterbringung von Jugendlichen in einem Erziehungsheim vorliegt, hält die vorgenannte Entscheidung (aaO S. 289) - "insbesondere bei gleichzeitigem Abschluß eines ordnungsmäßigen Lehrvertrags" - sogar für die Regel, wie auch das RVA Erziehung und Berufsausbildung bei Unterbringung in einer Erziehungsanstalt für durchaus vereinbar gehalten hat (Grunds.Entsch. Nr. 3319; AN 1929, 18). Widmet sich somit ein Lehrherr in verstärktem Maße der Erziehungsseite des Lehrverhältnisses, ohne dabei die fachliche Ausbildung zu kurz kommen zu lassen, so wird dadurch das Lehrverhältnis in seinem Wesensgehalt nicht verändert.
6. Auch der Umstand, daß die beigeladenen Lehrlinge sich in einem Erziehungsheim befinden, vermag keine andere Beurteilung ihrer Lehrverhältnisse zu rechtfertigen.
Das RVA hat in einer gutachtlichen Stellungnahme, der sich der Reichsarbeitsminister (RAM) mit Erlaß vom 21. März 1931 (RABl I 1931, 81) angeschlossen hatte, die Auffassung vertreten, die in den Lehrwerkstätten der Fürsorge- oder Pflegeanstalten beschäftigten Fürsorgezöglinge unterlägen nicht der Krankenversicherungspflicht, da kein freier wirtschaftlicher Austausch von Arbeit und Lohn, vielmehr ein obrigkeitlicher Zwang vorliege; unerheblich sei, daß zwischen dem Vorstand der Fürsorge- oder Pflegeanstalt und dem von ihm für die Leitung der Lehrwerkstätte der Anstalt bestellten Meister ein schriftlicher Lehrvertrag abgeschlossen sei. An dieser Stellungnahme fällt auf, daß unter "schriftlichem Lehrvertrag" nicht das Rechtsverhältnis zwischen Lehrherrn und Lehrling, sondern die Regelung des "Lehrauftrags" (regelmäßig Dienstvertrags), den der Anstaltsleiter dem Lehrmeister erteilt - verstanden wird. Auch kann dem RVA und dem RAM darin nicht gefolgt werden, daß die Frage der Versicherungspflicht von Fürsorgezöglingen in Lehrwerkstätten von Fürsorgeanstalten an dem Merkmal des freien wirtschaftlichen Austausches von Arbeit und Lohn geprüft wird; denn diese für das Arbeitsverhältnis typische Beziehung tritt beim Lehrverhältnis zurück und kann beim unentgeltlichen Lehrverhältnis ganz entfallen, ohne daß damit die Versicherungspflicht aufgehoben wird (§ 165 Abs. 2 RVO).
Beachtlich bleibt jedoch der in dem zitierten Erlaß auch hervorgehobene Gesichtspunkt, daß bei der Ausbildung von Fürsorgezöglingen "ein obrigkeitlicher Zwang vorliegt". In diesem Sinne hat auch die beigeladene BfArb den Erlaß dahin verstanden und sich der Auffassung angeschlossen, daß die Lehrverhältnisse derjenigen Lehrlinge in Erziehungsheimen, die durch vormundschaftsgerichtlichen Beschluß der Fürsorgeerziehung überwiesen sind, nicht versicherungspflichtig seien; denn mit der Anordnung der Fürsorgeerziehung sei gleichzeitig Freiheitsentzug verbunden (vgl. auch Erl. der BfArb vom 8. August 1955, abgedruckt bei Schelle/Imhoff, Gesetz und Recht der KV, Bd. VII Teil IV Anhang; AVAVG Ziff. 180). Träfe diese Auffassung zu, so läge in der Tat kein Lehrverhältnis im versicherungsrechtlichen Sinn vor; denn grundsätzlich können nur freie Beschäftigungs- oder Ausbildungsverhältnisse Versicherungspflicht begründen. Wären die beigeladenen Jugendlichen den Insassen von Strafanstalten und Arbeitshäusern gleichzusetzen, die kraft ihrer Unterworfenheit durch die Anstaltsgewalt Arbeiten verrichten müssen, so wäre für ein freies Beschäftigungs- oder Ausbildungsverhältnis kein Raum. Eine solche Parallele besteht jedoch selbst bei den Jugendlichen nicht, die - wie im vorliegenden Streitfall - nach § 63 JWG a. F. (= § 64 JWG i. d. F. vom 11. August 1961, BGBl I S. 1206) durch Beschluß des Vormundschaftsgerichts der Fürsorgeerziehung überwiesen sind. Der Beschluß des Vormundschaftsgerichts hat keinen Strafcharakter und stellt auch keine Maßnahme der Sicherungsverwahrung dar. Er weist auch nicht den Jugendlichen in eine Fürsorgeanstalt ein, wie oft irrtümlich angenommen wird; würde er eine solche konkrete Regelung treffen, wäre er rechtswidrig (vgl. Bayer. Oberstes Landesgericht zu § 70 RJWG in Samml. von Entscheid. des BayObLG in Zivilsachen Bd. 34 S. 426; Potrykus, JWG § 65 Anm. 8). Der vormundschaftsgerichtliche Beschluß beschränkt sich vielmehr auf die Anordnung der Fürsorgeerziehung und hat zur Folge, daß das Recht und die Pflicht der Eltern zum Unterhalt, zur Erziehung und zur Beaufsichtigung des Minderjährigen als Teil des den Eltern zustehenden Gesamtpersonensorgerechts kraft öffentlichen Rechts auf die Organe der öffentlichen Jugendhilfe übergeht (vgl. Potrykus aaO § 63 Anm. 19). Mit Recht bezeichnet das LSG den mit der Anordnung der Fürsorgeerziehung verbundenen staatlichen Zwang als in erster Linie gegen die Eltern - nicht gegen den Jugendlichen - gerichtet (vgl. auch Teitge, BABl 1958, 67, 69). Elterliche Rechte werden nach Erlaß des vormundschaftsgerichtlichen Beschlusses weitgehend von der Fürsorgeerziehungsbehörde wahrgenommen. Entscheidet sich diese Behörde dafür, die Fürsorgeerziehung in einer "Erziehungsanstalt" (§ 62 JWG a. F. - jetzt "Heim", § 69 Abs. 3 Satz 1 JWG n. F. -) durchführen zu lassen - es kann auch eine "geeignete Familie" (§ 62 JWG a. F., § 69 Abs. 3 Satz 1 JWG n. F.), u. U. sogar die eigene Familie des Minderjährigen (§ 69 Abs. 4 JWG a. F., § 69 Abs. 3 Satz 2 JWG n. F) sein -, so kann allerdings damit für den Jugendlichen ein öffentlich-rechtliches Gewaltverhältnis begründet werden, sofern er nämlich in eine mit hoheitlichen Befugnissen ausgestattete Anstalt eingewiesen wird. Er ist in diesem Falle der Anstaltsgewalt unterworfen - im Grundsatz nicht anders als der Schüler gegenüber der Schule, der Student gegenüber der Universität - und hat den zwingenden Ge- und Verboten der Anstaltsordnung, die auch bestimmte Arbeiten betreffen können, nachzukommen.
Hiervon ist jedoch das Lehrverhältnis, das der Jugendliche mit der Anstalt eingeht, scharf zu trennen (vgl. Teitge aaO S. 71). Dieses beruht nicht auf der Anstaltsgewalt, sondern auf Vertrag. Auch die Fürsorgeerziehungsbehörde, die für eine angemessene Berufsausbildung des der Fürsorgeerziehung unterstellten Jugendlichen sorgen will, kann die Eingehung einer Lehre nicht mit hoheitlichen Mitteln, sondern nur auf dem Wege der Vereinbarung lösen. Zu diesem Zweck überträgt ihr § 70 Abs. 3 Satz 1 JWG gesetzliche Vertretungsmacht u. a. für alle Rechtsgeschäfte, die mit dem Lehrvertrag zusammenhängen. Schließt daher die Fürsorgeerziehungsbehörde im Namen des Minderjährigen einen Lehrvertrag, so übt sie ihr Sorgerecht in grundsätzlich gleicher Weise wie Eltern oder - bei unehelichen Kindern - das Jugendamt als Amtsvormund aus, die durch Lehrverträge die ihrer Fürsorge unterstellten Jugendlichen verpflichten. Begründung des Lehrverhältnisses sowie Ausmaß und Art der durch den Lehrvertrag für den Minderjährigen begründeten Pflichten unterscheiden sich nicht, wer immer auch als gesetzlicher Vertreter für den Minderjährigen gehandelt hat. Zusammenfassend ist somit festzustellen, daß die Lehrverhältnisse aller beigeladenen Jugendlichen gleichermaßen freie Ausbildungsverhältnisse sind und daß es daher nicht gerechtfertigt ist, die Lehrverhältnisse der Jugendlichen, die der Fürsorgeerziehung überwiesen sind, anders als die Lehrverhältnisse der übrigen Jugendlichen auf dem Fürsorgehof zu behandeln.
7. Nur diese Auffassung entspricht auch der Interessenlage, Die Fürsorgeerziehung darf nur als äußerste und letzte Erziehungsmaßnahme angeordnet werden; kann der Erziehungszweck mit Maßnahmen der - freiwilligen - Erziehungsfürsorge erreicht werden, so ist das Eingreifen des Vormundschaftsgerichts nicht erforderlich (vgl. dazu Potrykus aaO Vorbem. 8 zu Abschn. VI und § 63 Anm. 5). Ob ein gefährdeter Jugendlicher im Wege der Erziehungsfürsorge oder der Fürsorgeerziehung in das Erziehungsheim gekommen und dort Lehrling geworden ist, hängt nicht selten von mehr oder weniger zufälligen Umständen ab. Die Durchführung der Erziehung ist in beiden Fällen die gleiche (BSG 14, 285, 288 und RVA Grunds. Entsch. Nr. 5441; AN 1941, 362). Es hieße also, wie der Kläger und die beigeladene BfA mit Recht hervorheben, einen in der Sache nicht gerechtfertigten Unterschied in diesen Lebenssachverhalt hineintragen, wollte man von Erziehungsheim gleich behandelte Lehrverhältnisse in der Frage der Versicherungspflicht nach einem letztlich nur formalen Gesichtspunkt - wer nämlich gesetzlicher Vertreter des Minderjährigen bei Abschluß des Lehrvertrages gewesen ist - unterschiedlich beurteilen.
Für eine nicht differenzierende Einbeziehung der Lehrverhältnisse auf dem Fürsorgehof in die Versicherungspflicht spricht auch, daß bei ihnen allen ein starkes Bedürfnis nach Versicherungsschutz gegeben ist. Nur soweit es sich um die Krankenversicherung handelt, ist dieses Bedürfnis eingeschränkt, sofern nämlich Krankenhilfe von der Fürsorgeanstalt - etwa durch einen Anstaltsarzt - gewährt wird. Um Doppelleistungen zu vermeiden, ruht insoweit - aber auch nur insoweit (vgl. RVA, Grunds. Entsch. Nr. 5441; AN 1941, 362) - die Krankenhilfe (§ 216 Abs. 1 Nr. 1, § 218 RVO). Stärker noch ist das Schutzbedürfnis in den anderen Versicherungszweigen ausgeprägt. Das gilt schon für die Arbeitslosenversicherung insofern, als sie Anwartschaftszeiten für Leistungen vorsieht. Das Gesetz hat dem Rechnung getragen dadurch, daß die Versicherungsfreiheit von Lehrverhältnissen (mit schriftlichen Lehrverträgen von mindestens zweijähriger Dauer) ein Jahr vor dem Ende der Lehrzeit erlischt (§ 74 Abs. 3 AVAVG a. F.). Das Bedürfnis nach Sicherung gegen das Risiko der Arbeitslosigkeit beim Eintritt in das Berufsleben - nach beendeter Lehre - ist bei den Jugendlichen, die der Fürsorgeerziehung überwiesen waren, nicht weniger groß als bei den anderen Jugendlichen. Erst recht ist diese Interessenlage in der Rentenversicherung festzustellen. Grund und Höhe der Leistungen hängen hier von der Zurücklegung entsprechender Versicherungszeiten ab. Würden die Lehrverhältnisse der beigeladenen Jugendlichen nicht als versicherungspflichtig behandelt, so würden ihnen Versicherungszeiten von regelmäßig erheblicher Dauer - bei Handwerkslehrlingen in der Regel drei Jahre (§ 30 HandwO) - und mit erheblichen Auswirkungen für ihre späteren Versicherungsansprüche vorenthalten, obwohl sie wie andere Lehrlinge in aller Regel nach beendeter Lehrzeit Berufe in abhängiger Stellung ausüben, die typisch zum Schutzbereich der Rentenversicherung gehören.
Nach allem ist festzustellen, daß die beigeladenen Jugendlichen als "Lehrlinge" - sei es nach § 165 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 i. V. m. § 165 a Nr. 2 RVO, sei es nach § 165 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 RVO i. V. m. § 165 b Abs. 1 und 2 RVO - in der Krankenversicherung und damit auch, wie bereits dargelegt, in der Arbeitslosenversicherung - hier mit den sich aus § 74 Abs. 1 und 3 AVAVG a. F. ergebenden Einschränkungen - und in der Rentenversicherung versicherungspflichtig waren. Zu Recht sind daher die Anfechtungsklage ganz und die auf Feststellung der Versicherungsfreiheit gerichtete Klage insoweit, als nach § 69, § 74 Abs. 3 AVAVG a. F. Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung besteht, abgewiesen worden.
Die Revision des Klägers ist demnach als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen