Leitsatz (redaktionell)

Der Rückforderungsanspruch wegen einer vor rechtskräftiger Entscheidung gewährten Leistung (RVO § 628) ist ein - im allgemeinen Verwaltungsrecht entwickelter - öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch. Ihm gegenüber ist für den Einwand des Wegfalls der Bereicherung kein Raum.

 

Normenkette

RVO § 628 Fassung: 1963-04-30

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 22. Februar 1967 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beklagte hatte durch Bescheid vom 19. März 1958 die von der Klägerin begehrte Hinterbliebenenentschädigung nach dem am 11. November 1957 nach einem Herzinfarkt eingetretenen Tod ihres als Buchhalter tätig gewesenen Ehemannes abgelehnt. Auf Klage hob das Sozialgericht (SG) Oldenburg durch Urteil vom 30. Januar 1959 den Bescheid der Beklagten auf und verurteilte diese, Hinterbliebenenentschädigung zu gewähren. Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen hob aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 15. November 1961, an der die Klägerin und ihr Prozeßbevollmächtigter teilgenommen hatten, durch das an demselben Tag gefällte Urteil die Entscheidung des Erstgerichts auf und wies die Klage ab. Das Bundessozialgericht (BSG) verwarf durch Beschluß vom 23. April 1964 die - nicht zugelassene - Revision der Klägerin als unzulässig.

Die Beklagte hatte mit Schreiben vom 19. März 1959 der Klägerin mitgeteilt, daß aufgrund des Urteils des SG vom 30. Januar 1959 von diesem Tage an einstweilen Rente von monatlich 321,50 DM gezahlt werde; sie hatte darauf hingewiesen, daß sie gegen das Urteil des SG Berufung eingelegt habe und im Falle ihres Obsiegens die Leistungen zurückzuerstatten seien. Nach dem zu ihren Gunsten ergangenen Urteil des LSG stellte die Beklagte die Rentenzahlungen ein. Bis dahin hatte sie an die Klägerin insgesamt 10.952,40 DM gezahlt.

Am 21. Juli 1964 fragte die Beklagte bei der Klägerin an wie sie sich die Rückzahlung dieses Betrages, zu der sie verpflichtet sei, denke; mit einer Erstattung in angemessenen Teilbeträgen bestehe Einverständnis. Die Klägerin erwiderte durch ihren Prozeßbevollmächtigten am 17. August 1964, daß sie die Rentenleistungen für sich verbraucht habe, diese somit infolge Wegfalls der Bereicherung nicht zurückzuzahlen brauche. Zur Antwort der Beklagten vom 24. August 1964, daß sie sich hierauf nicht berufen könne, sich indessen die Frage stelle, ob die Rückforderung wegen ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse nicht vertretbar sei, und hierzu eine Stellungnahme erbeten werde, äußerte sich die Klägerin nicht.

Durch Bescheid vom 13. November 1964 forderte die Beklagte den Betrag von 10.952,40 DM zurück, weil die Rentenleistungen allein aufgrund des - wieder aufgehobenen - Urteils des SG Oldenburg vom 30. Januar 1959 und somit zu Unrecht gezahlt worden seien; da die Klägerin sich trotz Aufforderung über ihre wirtschaftlichen Verhältnisse nicht geäußert habe, sei davon auszugehen, daß diese der Rückforderung nicht entgegenstünden.

Im Widerspruchsverfahren machte die Klägerin geltend, daß sie wegen ihrer schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse zur Rückzahlung nicht in der Lage sei. Die Beklagte nahm hierauf Ermittlungen vor. Es ergab sich folgendes: Von ihrem Ehemann erbte die Klägerin ein Hausgrundstück. Am 24. November 1961 übernahm sie für alle Ansprüche der Geestemünder Bank in Bremerhaven gegen die Firma Günter Sieh - aus Gefälligkeit gegenüber dem mit ihr befreundeten Ehepaar Sieh - eine Bürgschaft in Höhe von 5.000,- DM nebst Zinsen und Kosten. Wegen dieser Bürgschaft wurde sie von der Bank in Anspruch genommen. Seit April 1964 zahlte sie monatlich 100,- DM, seit November 1964 monatlich 150,- DM. Am 18. Dezember 1961 verkaufte die Klägerin ihr Hausgrundstück um 40.000,- DM. Die Barzahlung von 15.000,- DM wurde zur Tilgung einer auf dem Grundstück lastenden Hypothek verwendet. Die Restschuld wird vom Käufer in monatlichen Raten von 150,- DM getilgt. Diese Forderung trat die Klägerin für die Dauer von etwa 3 Jahren an die Geestemünder Bank bis zur Tilgung ihrer Verpflichtungen aus der Bürgschaft ab. Die Zinsen von 6 v.H. auf das jeweilige Restkaufgeld werden ebenfalls in monatlichen Raten gezahlt. Zu Beginn des Jahres 1965 betrugen die infolge der Tilgung der restlichen Kaufpreissumme allmählich niedriger werdenden Zinsen monatlich 98,- DM. Diesen Betrag verwendete die Klägerin zur Tilgung von Kleinkrediten, welche sie seit Mai 1963 in schwankender Höhe zwischen 1.000,- bis 2.200,- DM aufgenommen hatte; zeitweilig betrug die monatliche Tilgung 85,- DM. Die Kleinkredite nahm sie zwecks Anschaffung eines Schlafzimmers und von Gebrauchsgegenständen sowie zur Bestreitung laufender Ausgaben auf. Die Grundlage für ihren Lebensunterhalt bildet ihre Witwenrente aus der Angestelltenversicherung. Diese betrug im Jahre 1959 monatlich 208,- DM, 1961 232,- DM, 1965 308,- DM; aufgrund der Rentenanpassungen erhöhte sie sich auch in der Folgezeit.

Wegen der zeitlich abzusehenden Belastungen durch die eingegangenen Schulden schlug die Beklagte der Klägerin im Schreiben vom 24. März 1965 vor, daß sie vom 1. Mai 1966 an, also nach Abdeckung der Kleinkredite, monatlich 100,- DM und, nach Tilgung der Bürgschaftsschuld, vom 1. Oktober 1967 bis 31. Juli 1969 monatlich 250,- DM zahlen solle. Dies lehnte die Klägerin mit der Begründung ab, daß die Prozeßaussichten der Beklagten nicht günstig seien und ihr überdies die Rückzahlung wegen ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse nicht zugemutet werden könne.

Durch Bescheid vom 27. April 1965 wies die Beklagte hierauf den Widerspruch mit der Maßgabe zurück, daß sie ihre Forderung auf 7.119,20 DM ermäßigte. Durch eine Rentennachzahlung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte in Höhe des Unterschiedsbetrages war insoweit ihr Ersatzanspruch befriedigt worden.

Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben (Urteil des SG Oldenburg vom 13. September 1966; Urteil des LSG Niedersachsen vom 22. Februar 1967).

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:

Die ihrer Höhe nach nicht strittigen Rentenzahlungen im Betrage von 7.119,20 DM seien ohne Rechtsgrund erfolgt, weil sie von der Beklagten allein in Ausführung des aufgehobenen Urteils des SG Oldenburg vom 30. Januar 1959 nach § 154 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) an die Klägerin gewährt worden seien. Ob das Schreiben der Beklagten vom 19. März 1959, der sogenannte Ausführungsbescheid, als Verwaltungsakt anzusehen sei, könne dahingestellt bleiben, weil die Rentenzahlung nur eine vorläufige von dem Bestand des angefochtenen SG-Urteils abhängige Maßnahme gewesen sei. Mit der Aufhebung dieses Urteils sei, ohne daß es einer förmlichen Entscheidung der Verwaltung bedurft habe, der Grund zur Leistung weggefallen und der Rückforderungsanspruch der Beklagten entstanden. Dieser sei bereits mit dem Erlaß und nicht erst mit der - später eingetretenen - Rechtskraft des Berufungsurteils vom 15. November 1961 fällig geworden, weil von diesem Tag an die Entscheidung des SG nicht mehr existent gewesen sei. Deshalb sei der Rückforderungsanspruch der Beklagten nach § 620 der Reichsversicherungsordnung (in der bis zum Inkrafttreten des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes geltenden Fassung - RVO aF) zu beurteilen. Es mache indessen keinen Unterschied, ob diese Rechtsnorm oder § 628 RVO nF anzuwenden sei, weil diese Vorschrift lediglich die Kodifikation des schon vorher geltenden allgemeinen Grundsatzes über den Rückforderungsanspruch zu Unrecht gezahlter Versicherungsleistungen darstelle. § 620 RVO aF bilde allerdings nicht die gesetzliche Grundlage des Rückforderungsanspruchs; dieser wurzele vielmehr als öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch im allgemeinen öffentlichen Recht. Nach § 620 RVO aF sei der Rückforderungsanspruch des Versicherungsträgers als Ausfluß des Grundsatzes von Treu und Glauben unter bestimmten Voraussetzungen ausgeschlossen. Darauf könne sich die Klägerin indessen nicht berufen, weil sie aufgrund der Mitteilung der Beklagten vom 19. März 1959 gewußt habe, daß ihr die Leistung nicht endgültig zustehen könne. Die Leistung nach § 154 Abs. 2 SGG werde von vornherein nur vorläufig gezahlt: deshalb rechtfertige der Grundsatz von Treu und Glauben keinen Vertrauensschutz des Leistungsempfängers dahin, daß er von dem Bestand des ihm günstigen erstinstanzlichen Urteils ausgegangen sei. Dem Rückforderungsanspruch der Beklagten stehe also nicht entgegen, daß die Klägerin damit gerechnet habe, sie werde im Rechtsstreit obsiegen. Auch die Durchsetzung des Rückforderungsanspruchs durch die Beklagte verstoße nicht gegen Treu und Glauben, denn die Rückforderung sei unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin vertretbar. Abzustellen sei auf die wirtschaftlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Gewährung der Leistungen eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse sei nur zu berücksichtigen, soweit sie nach dem Empfang der Leistungen eingetreten und vom Leistungsempfänger nicht zu vertreten sei. Verwende er die Leistungen nicht zu dem nach § 154 Abs. 2 SGG erstrebten Zweck, nämlich der Sicherung des Lebensunterhalts, oder treffe er nach der Entstehung des Rückforderungsanspruchs Verfügungen, durch die sich seine wirtschaftlichen Verhältnisse so änderten, daß der Rückforderungsanspruch des Versicherungsträgers, der ohne Sicherheit und ohne Vorbehalt geleistet habe, erschwert oder vereitelt werde, sei er im Verhältnis zum Versicherungsträger so zu behandeln, als seien diese Veränderungen nicht erfolgt. Da die Klägerin an der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht am 15. November 1961 teilgenommen habe, habe sie gewußt, daß die Beklagte die ihr einstweilen gewährten Leistungen zurückfordern werde. Sie habe also von diesem Zeitpunkt an bei jeder Verfügung über ihr Vermögen und bei der Eingehung schuldrechtlicher Verpflichtungen prüfen müssen, ob und inwieweit sie dadurch den Rückforderungsanspruch der Beklagten schmälere. Dies habe die Klägerin durch den erst nach dem Urteil vom 15. November 1961 eingegangenen Bürgschaftsvertrag sowie dadurch getan, daß der Kaufpreis für das Grundstück zum überwiegenden Teil in Ratenzahlungen festgelegt worden sei. Dadurch sei die Befriedigungsmöglichkeit der Beklagten in das Grundstück vereitelt worden. Ebenso habe sich die Klägerin angesichts ihrer Vermögenslage darüber klar sein müssen, daß sie Verpflichtungen aus der Bürgschaft nur unter Schmälerung des Rückforderungsanspruchs der Beklagten nachkommen könne. Diese beiden Vermögensverfügungen brauche die Beklagte sich somit nicht entgegenhalten zu lassen. Selbst wenn man nur die Bürgschaftsschuld unberücksichtigt lasse, wären die wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin so günstig gewesen, daß sie von November 1961 an stets ein Einkommen von mindestens 500,- DM im Monat gehabt habe (AV-Rente 232,- DM, Zins- und Tilgungsrate aus Hausverkauf rund 250,- DM, Wohnrecht im verkauften Haus bis Ende 1965). Die wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin hätten sich in der Folgezeit nicht verschlechtert. Zwar hätten sich die Zinsen entsprechend der laufenden Tilgung vermindert. Dem stehe jedoch - annähernd gleichwertig - die Steigerung der Rente gegenüber. Deshalb könne unberücksichtigt bleiben, inwieweit die Klägerin, wie sie behaupte, die Kleinkredite zum Lebensunterhalt verwendet habe. Insoweit handele es sich um einen vorweggenommenen Konsum, den die Klägerin andernfalls aus dem laufenden Einkommen hätte bestreiten müssen. Überdies wäre der Rückforderungsanspruch selbst dann noch vertretbar, wenn die Zins- und Tilgungsraten für die Kleinkredite als Ausgaben anzusehen seien, weil sie stets unter 100,- DM gelegen hätten. Die Durchsetzung des Rückforderungsanspruchs durch die Beklagte stelle für die Klägerin somit keine unbillige wirtschaftliche Härte dar.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Die Klägerin hat dieses Rechtsmittel durch ihren Prozeßbevollmächtigten eingelegt und es im wesentlichen wie folgt begründet:

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts sei der Rückforderungsanspruch erst mit der Rechtskraft des Urteils vom 15. November 1961 fällig geworden. Trotz des gewohnheitsmäßigen Hinweises der Beklagten in ihrer Mitteilung vom 19. März 1959 über die Rückzahlungspflicht könne insoweit ein Wissenmüssen der Klägerin nicht unterstellt werden, weil ihr Prozeßbevollmächtigter ihr erklärt habe, daß sie den Rechtsstreit nie verlieren könne. Es komme auf die wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin im Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides an. Deshalb könne man ihr den Verkauf ihres Grundstücks, der vorher erfolgt sei, nicht zum Vorwurf machen. Sie habe das Grundstück verkauft, um aus der Kaufpreisanzahlung einen gegenüber dem zu Lebzeiten ihres Ehemannes recht hohen Lebensstandard größeren Nachhol- und Anschaffungsbedarf befriedigen zu können. Für den Restkaufpreis habe die Klägerin den Weg der Ratenzahlungen gewählt, damit sie ihre für den Lebensunterhalt nicht ausreichende Rente aufbessern konnte und somit nicht gezwungen sei, ihren Lebensbedarf um ein Vielfaches herabsetzen zu müssen. Die Kleinkredite könnten bei der Errechnung des monatlichen Einkommens unberücksichtigt bleiben, da sie nur Verwirrung stifteten. Sie seien höchstens ein Indiz dafür, daß die Klägerin mit ihrem laufenden Einkommen nicht ausgekommen sei. Die Übernahme der Bürgschaft könne der Klägerin nicht angelastet werden, weil es sich um eine Gefälligkeitsbürgschaft für ein befreundetes Ehepaar gehandelt habe, welches Eigentümer eines großen Grundbesitzes und eines anscheinend gutgehenden Fuhrunternehmens gewesen sei; nach dessen Konkurs und der Flucht des Ehepaares in das Ausland sei die Klägerin aus der Bürgschaft in Anspruch genommen worden. Die hierdurch eingetretenen Verschlechterungen der wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin, die praktisch von ihrer Rente leben müsse, ließen den Rückforderungsanspruch der Beklagten als nicht vertretbar erscheinen.

In weiteren Schriftsätzen hat der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin ausgeführt, nach dem heutigen Stand der ärztlichen Wissenschaft könne, wie aus einem Bericht der Bunten Illustrierten vom 30. August 1967 hervorgehe, der Ehemann der Klägerin einem Herztod nicht erlegen sein; da ihre Klage somit Erfolg gehabt hätte, liege sachlich keine Bereicherung der Klägerin vor. Bei der Beurteilung der Billigkeitsfrage, ob die Rückforderung vertretbar sei, sei diese Tatsache als verstärkendes Moment für das Verbot der Rückforderung heranzuziehen.

Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des LSG Niedersachsen vom 22. Februar 1967 sowie die Bescheide der Beklagten vom 13. November 1964 und 27. April 1965 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II

Die Revision ist nicht begründet.

Wie das Berufungsgericht mit Recht angenommen hat, handelt es sich bei dem von der Beklagten geltend gemachten Rückforderungsanspruch um einen auf den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts beruhenden öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch, dem der allgemeine Rechtsgedanke zugrundeliegt, daß ohne Rechtsgrund gewährte öffentliche Leistungen grundsätzlich zurückgefordert werden können (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Stand 15.8.69, Band II S. 603, Band III S. 730 e ff. mit Nachweisen). § 620 RVO aF, nunmehr § 628 RVO, setzt ebenso wie inhaltlich ihm entsprechende Vorschriften der gesetzlichen Rentenversicherungen - dasselbe gilt für das vor dem Bundesversorgungsgesetz geltende Recht der Kriegsopferversorgung (KOV s. SozR Nr. 13 zu § 47 VerwVG) - voraus, daß ein Erstattungsanspruch besteht; nach diesen Vorschriften braucht eine Entschädigung nicht zurückgefordert werden, die vor rechtskräftiger Entscheidung gezahlt werden mußte oder die zu Unrecht gezahlt worden ist (BSG 23, 259, 260; Brackmann, aaO, S. 602 b). Diese Rechtslage ist gegeben, wenn ein Versicherungsträger - in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung das beklagte Land - zur Leistung verurteilt worden ist, er dagegen ein Rechtsmittel eingelegt hat, aber trotzdem nach § 154 Abs. 2 SGG gehalten ist, vom Erlaß des Urteils an Leistungen zu gewähren. Ob nach Aufhebung des Urteils durch ein übergeordnetes Gericht mangels einer ausdrücklichen Vorschrift im SGG und im Recht der Kriegsopferversorgung eine Verpflichtung zur Rückerstattung der Leistungen in entsprechender Anwendung des § 717 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung besteht, wie der 10. Senat des BSG im Urteil vom 15. August 1967 entschieden hat (BSG 27, 102; siehe dazu Schenke, KOV 1968, 167), kann dahinstehen; für die gesetzliche Unfallversicherung ist jedenfalls eine besondere Vorschrift zur Frage des Rückforderungsrechts in einem solchen Fall vorhanden (für die Arbeiterrentenversicherung siehe das Urteil des 12. Senats des BSG vom 25. September 1969 - 12 RJ 334/68).

Die Beklagte ist, wie das Berufungsgericht nicht verkannt hat, aufgrund der Vorschrift des § 154 SGG verpflichtet gewesen, an die Klägerin vom Tage des Urteils des SG Oldenburg an (30. Januar 1959) Zahlungen, wenn auch unter dem Vorbehalt der Rückgewähr, zu leisten. Diese Leistungen sind im Zeitpunkt ihrer Ausführung somit rechtmäßig gewesen. Daß es dennoch Zahlungen ohne Rechtsgrund gewesen und diese somit grundsätzlich zu erstatten sind, hat sich jedoch nachträglich durch das Urteil des LSG vom 15. November 1961 herausgestellt, das - nach Verwerfung der hiergegen von der Klägerin eingelegten Revision durch den Beschluß des erkennenden Senats vom 23. April 1964 - rechtskräftig geworden ist (RVA, AN 1938, 12; Brackmann, aaO, S. 604).

Da es sich bei dem von der Beklagten geltend gemachten Anspruch um einen im allgemeinen Verwaltungsrecht entwickelten öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch handelt, für den die bürgerlich-rechtlichen Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung auch nicht sinngemäß als Regelung eines allgemeinen Rechtsgedankens gelten, ist für den Einwand der Revision, eine Bereicherung sei nicht gegeben, auf jeden Fall sei sie weggefallen, weil die Klägerin die Leistungen der Beklagten zum Lebensunterhalt verbraucht habe, kein Raum (Brackmann, aaO, S. 603, 730 f.). Ob die Beklagte die der Klägerin gewährten Leistungen zurückfordern darf, war schon nach der zum früheren Recht der gesetzlichen Unfallversicherung, der gesetzlichen Rentenversicherungen und der KOV entwickelten Rechtsprechung durch den Grundsatz von Treu und Glauben bestimmt (Brackmann, aaO, S. 604 mit Nachweisen). In § 628 Satz 2 RVO (ebenso § 1301 Satz 2 RVO, § 80 Satz 2 AVG, § 93 Abs. 2 RKG, § 47 VerwVG) hat der Gesetzgeber diese Rechtsprechung - abgestellt auf die Besonderheiten der betreffenden Rechtsgebiete - im wesentlichen übernommen (BSG 23, 259, 262; SozR Nr. 8 zu § 1301 RVO). Deshalb bedarf die Frage, ob vorliegendenfalls § 620 RVO aF oder § 628 RVO anzuwenden ist, was nach der Auffassung des Berufungsgerichts vom Zeitpunkt der Fälligkeit des Rückforderungsanspruchs, nach einer Meinung im Schrifttum (Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl., Anm. 7 zu § 628 RVO) vom Zeitpunkt der Geltendmachung des Rückforderungsanspruchs durch den Versicherungsträger abhängt, keiner Entscheidung.

Die Grundsätze von Treu und Glauben schließen den Rückforderungsanspruch der Beklagten als solchen nicht aus. Der Klägerin war ihre Pflicht zur Rückzahlung der Leistungen an die Beklagte bei deren Obsiegen durch das Schreiben vom 19. März 1959 unmißverständlich mitgeteilt worden; darüber konnte sie also nicht im Unklaren sein. Daß die Klägerin daran geglaubt hat, der Rechtsstreit werde trotz des ihr nachteiligen Urteils des Berufungsgerichts zu ihren Gunsten ausgehen und sie darin durch ihren Prozeßbevollmächtigten bestärkt worden ist, ist für die Frage der Zulässigkeit der Rückforderung ohne rechtliche Bedeutung (BSG, Breithaupt 1966, 766, 767). Ebensowenig ist entscheidend, ob, wie die Revision meint, der Klägerin von Rechts wegen doch ein Anspruch auf Hinterbliebenenentschädigung zusteht (SozR Nr. 17 zu § 47 VerwVG).

Die Rückforderung ist auch unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin vertretbar. Diese ist zu Unrecht der Meinung, daß ihr aufgrund ihrer wirtschaftlichen Lage eine Rückzahlung schlechthin nicht zugemutet werden könne. Darüber, wie diese im einzelnen zu erfolgen hat, hat die Beklagte noch keine Entscheidung getroffen, da sie ersichtlich einer Vereinbarung auf gütlichem Wege den Vorzug gibt. Wie aus ihrem Schreiben vom 21. Juli 1964 und 24. März 1965 hervorgeht, ist sie - was angesichts der Höhe des zurückgeforderten Betrages und der Einkommensverhältnisse der Klägerin gar nicht anders möglich ist - mit Ratenzahlungen einverstanden. Diese sollen, wie die Beklagte zu erkennen gegeben hat, erst nach Wegfall der die Klägerin wesentlich drückenden Belastungen, nämlich den Verpflichtungen aus der Bürgschaft und den Kleinkrediten, beginnen. Nach den mit Revisionsrügen nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Klägerin stets insgesamt über ein Einkommen von etwa 500,- DM im Monat verfügt. Es kann ihr, unter angemessener Berücksichtigung ihrer Lebensstellung, jedenfalls nach Wegfall ihrer Schuldverpflichtungen zugemutet werden, von diesem Betrag einen Teil zur ratenweisen Befriedigung des Rückforderungsanspruchs der Beklagten zu verwenden. Darüber, welche monatliche Rate angemessen ist, ist nach näherer Würdigung der Verhältnisse der Klägerin zu entscheiden. Insoweit hat die Beklagte aber, da sie mit Recht eine Absprache mit der Klägerin anstrebt, noch keine Entscheidung getroffen.

Da die Beklagte den Beginn der Erstattung der ohne Rechtsgrund gewährten Leistungen erst mit dem Wegfall der von der Klägerin eingegangenen Schuldverpflichtungen verlangt, war über die vom LSG für rechtserheblich gehaltene Frage, ob sich die Beklagte die bei der Klägerin durch die Verpflichtungen aus der Bürgschaftsschuld und die Bedingungen des Hausverkaufs eingetretene Änderung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse entgegenhalten lassen muß, nicht zu befinden.

Der Rückforderungsanspruch der Beklagten ist somit im Grunde berechtigt. Deshalb war die Revision als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 SGG).

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1669873

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