Beteiligte
Klägerin und Revisionsklägerin |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I
Der bei der Klägerin für den Fall der Krankheit versicherte beigeladene Rentner S… (Beigeladener zu 1) hat am 4. Januar 1979 einen Unfall erlitten. An diesem Tag wollte sein Sohn D… (D…), der sich während der Semesterferien zu Hause aufhielt, seinen reparaturbedürf-tigen Kraftwagen (VW-Käfer) wegen Startschwierigkeiten zu einer etwa 5 km entfernt liegenden Werkstatt nach E… bringen. Der Beigela-dene zu 1) schleppte mit seinem Kraftwagen (Opel-Rekord) das Fahrzeug seines Sohnes an und fuhr dann hinter ihm her, um seinen Sohn von der Werkstatt zurück nach Hause zu bringen. Auf der nach E… führenden Bundesstraße herrschte zu dieser Zeit Nebel mit Sichten zwischen 40 bis 50 m; die Fahrbahn war durch den gefrorenen Niederschlag eisglatt. Nach kurzer Fahrt hielt der Sohn des Beigeladenen zu 1) an, um die überfrorenen Scheiben seines Kraftfahrzeuges freizumachen. Er war zu diesem Zweck soweit wie möglich nach rechts bis an einen 30 cm hohen Schneewall gefahren. Etwa zu einem Drittel seiner Breite stand das Fahrzeug noch auf der Fahrbahn. Der Beigela-dene zu 1) hielt dahinter an. Da der Motor des Kraftwagens des Sohnes des Beigeladenen zu 1) stehengeblieben war und zur Fortsetzung der Fahrt nicht wieder ansprang, fuhr der Beigeladene zu 1) vor das Fahrzeug seines Sohnes, um dieses anzuschleppen. Als der Beigela-dene zu 1) an seinem unmittelbar an der Mittellinie der Straße stehenden Kraftfahrzeug das Abschleppseil an der Hinterachse seines Fahrzeugs befestigte, wurde er durch ein von hinten herankommendes anderes Kraftfahrzeug erfaßt und verletzt.
Die Klägerin trug die Heilbehandlungskosten in Höhe von 11.844,95 DM und forderte deren Erstattung von der Beklagten. Gegenüber dem Beigeladenen zu 1) lehnte die Beklagte durch bindenden Bescheid vom 28. Mai 1980 Entschädigungsleistungen aus der gesetzli-chen Unfallversicherung ab, weil der Beigeladene zu 1) zum Unfallzeitpunkt nicht zum Kreis der gemäß § 539 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) versicherten Personen gehört habe. Bei der Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) habe es sich um eine unversicherte typische Gefälligkeitsleistung unter Verwandten gehandelt. Den Erstattungsanspruch der Klägerin lehnte die Beklagte aus dem gleichen Grund - zuletzt durch Schreiben vom 28. November 1980 - ab.
Das Sozialgericht (SG) Oldenburg hat die Beklagte zur Zahlung von 11.722,60 DM verurteilt und die Klage im übrigen (wegen der Kosten für Zahnersatz und Unterarmstützen in Höhe von 122,35 DM) abgewiesen (Urteil vom 16. November 1982). Der Beigeladene zu 1) sei im Unfallzeitpunkt als Pannenhelfer für seinen Sohn tätig und - nach § 539 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 RVO gegen Arbeitsunfall versichert ge-wesen. Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 1 Nr. 9 Buchstb. a RVO (Hilfeleistung bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not) habe nicht bestanden. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen nach Beiladung des Gemeinde- Unfallversicherungsverbandes Oldenburg (Beigeladener zu 2) das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 13. September 1983). Das LSG hat einen Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 1 Nr. 9 Buchst. a RVO verneint, weil zwar ein Unglücksfall vorgelegen habe, die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) jedoch nicht von der Absicht bestimmt gewesen sei, bei einem Unglücksfall Hilfe zu leisten. Mit seiner Tätigkeit habe der Beigeladene zu 1) bezweckt, den Motor des Kraftwagens seines Sohnes anzu-lassen und dadurch die Weiterfahrt zur Werkstatt zu ermöglichen. Der Zweck dieser Hilfeleistung sei durch die verwandtschaftlichen Beziehungen geprägt gewesen. Wegen der engen verwandtschaftlichen Beziehungen sei die Tätigkeit auch nicht nach § 539 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 RVO als Pannenhelfer versichert gewesen. Es habe sich um eine verwandtschaftliche Gefälligkeitstätigkeit gehandelt.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Klägerin hat das Rechtsmittel eingelegt. Sie trägt vor, daß sowohl die Voraussetzungen für einen Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 RVO als auch nach § 539 Abs. 1, Nr. 9 Buchst. a RVO vorgelegen hätten. Fraglich könne nur sein, welcher Versicherungsschutz vorrangig sei, Hilfeleistungen bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not seien unabhängig davon versichert, ob sie von Angehörigen geleistet würden. Auch auf die Pannenhilfe habe sich die Verwandtschaft des Beigeladenen zu 1)nicht ausge-wirkt.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des LSG Niedersachsen vom 13. September 1983 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Oldenburg vom 16. November 1982 zurückzuweisen, hilfsweise unter Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile den Beigeladenen zu 2) zu verurteilen, an die Klägerin 11.722, 60 DM zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, soweit sie sich gegen die Beklagte richtet.
Sie trägt vor, daß ein Versicherungsschutz als Pannenhelfer nicht bestanden habe. Die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) sei von verwandtschaftlichen Beziehungen geprägt gewesen. Ihrer Ansicht nach sei von dem Fahrzeug des Sohnes des Beigeladenen zu 1) eine gemeine Gefahr i.S. des § 539 Abs. 1 Nr. 9 Buchst. a RVO ausgegangen. Ob der Versicherungsschutz nach dieser Vorschrift wegen der verwandtschaftlichen Beziehungen zu verneinen sei, bedürfe keiner Stellungnahme, da sie von der Hilfeleistung des Beigeladenen zu 1) nicht betroffen sei.
Der Beigeladene zu 1) ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Der Beigeladene zu 2) beantragt, die Revision zurückzuweisen, soweit diese den Antrag auf Verurteilung des Beigeladenen zu 2) beinhaltet, hilfsweise die Sache an das LSG zurückzuverweisen.
Er trägt vor, daß der Beigeladene zu 1) mit seiner unfallbringenden Handlung nicht den Zweck verfolgt habe, zugunsten anderer Verkehrs-teilnehmer tätig zu werden. Es sei zudem aufgrund des vom LSG festgestellten Sachverhalts nicht erkennbar, daß von dem abgestellten Fahrzeug des Sohnes des Beigeladenen zu 1) eine gemeine Gefahr ausgegangen sei, zumal da der von hinten herannahende Kraftfahrer mit seinem Fahrzeug daran ohne Schwierigkeiten vorbeigefahren sei. Die gemeine Gefahr dürfe nicht danach beurteilt werden, daß erst der Beigeladene zu 1) mit seinem Fahrzeug mitten auf der Fahrbahn eine gefährliche Lage geschaffen habe.
Zur Frage, ob der hilfsweise gestellte Revisionsantrag der Klägerin eine im Revisionsverfahren unzulässige Klageänderung, bedeutet, hat sich die Klägerin mit Schriftsatz vom 2. November 1984 geäußert.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 Sozialge-richtsgesetz -SGG-).
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Klägerin ist unbegründet.
Den gegen die Beklagte gerichteten und auf § 1504 Abs. 1 RVO gestützten Anspruch der Klägerin, ihr die aus Anlaß des Unfalls des Beigeladenen zu 1) am 4. Januar 1979 aufgewendeten Kosten zu erstatten, hat das LSG zutreffend für unbegründet erachtet.
Ist eine Krankheit die Folge eines Arbeitsunfalls, den der Träger der Unfallversicherung zu entschädigen hat, so hat dieser, wenn der Verletzte bei einem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung versichert ist, dem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 1504 Abs. 1 RVO die Kosten mit Ausnahme des Sterbegeldes zu erstatten, die nach Ablauf des 18. Tages nach dem Arbeitsunfall entstehen. Ausgenommen sind die Kosten der Krankenpflege (§ 182 Abs. 1 Nr. 1 RVO).
Der bei der Klägerin gegen Krankheit versicherte Beigeladene zu 1) hat am 4. Januar 1979 keinen von der Beklagten zu entschädigenden Arbeitsunfall erlitten.
Nach § 548 Abs. 1 Satz 1 RVO ist Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sind zwar Personen nach § 539 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 RVO gegen Arbeitsunfall versichert, die dem Halter eines Kraftfahrzeuges bei der Behebung einer Panne helfen. Sofern es sich um eine nicht gewerbliche Kraftfahrzeughaltung handelt (§ 658 Abs. 2 Nr. 2 RVO) , wäre die Beklagte der für die Entschädi-gung eines bei der Pannenhilfe erlittenen Unfalls sachlich zuständige Versicherungsträger (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 3 der Satzung der Beklag-ten; BSGE 35, 140, 142; 46, 232, 234; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 9. Aufl. S. 476 s m.w.N.). Da der Versicherungs-schutz nach § 539 Abs.1 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 RVO u.a. voraussetzt, daß die Tätigkeit unter solchen Umständen geleistet wird, daß sie einer Tätigkeit aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses ähnlich ist, entfällt der Versicherungsschutz bei Verrichtungen aufgrund mitglied-schaftlicher, gesellschaftsrechtlicher oder körperschaftlicher Verpflichtung (Brackmann, aaO S. 476 e m.w.N.) und auch bei, Gefälligkeits-handlungen, die unter Verwandten vorgenommen werden und von familiären Beziehungen zwischen Angehörigen geprägt sind (Brack-mann aaO S. 475 v und 476 h m.w.N.).
Das LSG hat unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und der einschlägigen Rechtsprechung des BSG die Überzeugung gewonnen, daß im vorliegenden Fall der Beigeladene zu 1) im Unfallzeitpunkt im Rahmen einer zwischen Vater und Sohn selbstverständli-chen Gefälligkeit tätig geworden ist. Die Klägerin räumt selbst ein, daß die Begleitung zur Kraftfahrzeugwerkstatt mit dem Ziel der gemein-samen Rückfahrt "sicherlich" als familiär veranlaßt angesehen werden könnte. Das LSG hat aufgrund der von ihm vorzunehmenden Würdi-gung der tatsächlichen Umstände die Begleitung des Sohnes des Beigeladenen zu 1) zur Werkstatt und zurück als einen einheitlichen Vorgang angesehen, in dem die Pannenhilfe - das beabsichtigte Anschleppen zur Weiterfahrt - eingebettet war, wie der Beigeladene zu 1) auch schon bei Antritt der Fahrt das Fahrzeug seines Sohnes angeschleppt hatte. Diese Würdigung ist rechtsfehlerfrei.
Der gegen den Beigeladenen zu 2) gerichtete Erstattungsanspruch ist gleichfalls nicht begründet.
Zwar hat die Klägerin den Beigeladenen zu 2) im Berufungsverfahren noch nicht ausdrücklich auf Erstattung der ihr aus Anlaß des Unfalls des Beigeladenen zu 1) entstandenen Kosten in Anspruch genommen; Bei einer notwendigen Beiladung nach § 75 Abs. 2 zweite Alterna-tive SGG, wie sie hier gegeben ist, kann der zum Verfahren beigeladene Versicherungsträger jedoch auch dann verurteilt werden, wenn keine gegen ihn gerichtete Klage oder Klageänderung vorliegt. Denn durch § 75 Abs. 5 SGG wird unterstellt, daß der Kläger zwar in erster Linie die Verurteilung des beklagten Versicherungsträgers, hilfsweise aber auch die jedes anderen beigeladenen Versicherungsträgers begehrt, es sei denn, daß der Kläger der Verurteilung eines beigeladenen Versicherungsträgers ausdrücklich widerspricht (BSGE 9, 67, 70; 14, 86, 89; BSG SozR Nr. 26 und 27 zu § 75 SGG). Verfahrensrechtlich zutreffend hat daher das LSG den Erstattungsanspruch der Klägerin gegen beide Versicherungsträger (Beklagte und Beigeladener zu 2) geprüft und darüber entschieden . Der im Revisionsverfah-ren erstmalig gestellte Antrag der Klägerin, hilfsweise den Beigeladenen zu 2) zur Zahlung von 11.722,60 DM zu verurteilen, ist deshalb keine - nach - § 168 SGG unzulässige - Klageänderung.
Der Beigeladene zu 1) war zur Zeit des Unfalls auch nicht nach § 539 Abs. 1 Nr. 9 Buchst. a RVO gegen Arbeitsunfall versichert. Nach dieser Vorschrift sind Personen gegen Arbeitsunfall versichert, die u.a. bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not Hilfe leisten. Für die Entschädigung der dabei erlittenen Unfälle wäre der Beigeladene zu 2) der sachlich zuständige Versicherungsträger (§ 655 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 656 Abs.3 und 4 RVO).
Der Versicherungsschutz eines bei einem Unglücksfall oder einer gemeinen Gefahr oder Not Hilfe Leistenden erfordert u.a., daß dessen Tätigkeit nicht nur objektiv auf die Beseitigung eines Unglücksfalles oder einer gemeinen Gefahr oder Not gerichtet ist, sondern er muß auch subjektiv wesentlich von der Vorstellung bestimmt gewesen sein, einen gefährlichen Zustand. zu beseitigen (vgl. BSGE 37, 38, 39; 44, 22, 24; 54, 190, 191; BSG SozR Nr. 4 zu § 539 RVO; USK 7250 und 80300; BSG Urteile vom 22. Februar 1973 - 2 RU 125/70 - und vom 15. Juni 1983 - 9b/8 RU 76/81 -).
Das LSG ist auch hier unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und der einschlägigen Rechtsprechung des BSG zu der Überzeugung gelangt, daß die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) im Unfallzeitpunkt von der Absicht geprägt war, den Motor des Kraftfahr-zeuges seines Sohnes anzulassen, um die Weiterfahrt zur Werkstatt zu ermöglichen und hierbei keine neue und besondere Situation vorgelegen hat, da der Beigeladene zu 1) das Kraftfahrzeug seines Sohnes auch schon bei Antritt der Fahrt abgeschleppt hatte. Feststel-lungen, daß der Beigeladene zu 1) dabei auch die Absicht gehabt hat, bei einem Unglücksfall oder gemeiner Gefahr oder Not Hilfe zu leisten, hat das LSG nicht getroffen, ohne daß insoweit Revisionsrügen vorgetragen worden sind. Unter diesen Umständen kann dahinge-stellt bleiben, ob durch das Liegenbleiben des Kraftfahrzeuges des Sohnes des Beigeladenen zu 1) überhaupt ein Unglücksfall oder eine gemeine Gefahr oder Not eingetreten war und wegen des Vorbringens des Beigeladenen zu 2) zur Breite der Bundesstraße an der Unfallstelle eine weitere Sachaufklärung vorzunehmen gewesen wäre.
Die Revision der Klägerin war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen