Entscheidungsstichwort (Thema)
Waisenrente; Haushaltsaufnahme des Enkels durch Großmutter; letzter Dauerzustand
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Großmutter kann einen Enkel auch in der Form in ihren Haushalt aufnehmen, dass sie mit der Mutter des später waisenrentenberechtigten Kindes einen gemeinsamen Hausstand gründet und beide zur Führung des Haushalts zumindest in gleicher Weise beitragen (Fortführung von BSG vom 15.3.1988 - 4/11a RA 14/87 = BSGE 63, 79 = SozR 3-2200 § 1267 Nr 35, BSG vom 22.4.1992 - 5 RJ 28/91 = SozR 3-2200 § 1267 Nr 2 und BSG vom 8.7.1998 - B 13 RJ 97/97 R = SozR 3-2200 § 1267 Nr 6).
2. Der für die Beurteilung der Haushaltsaufnahme maßgebende letzte Dauerzustand vor dem Tode des versicherten Großelternteils kann auch mit Ausbruch einer zum Tode führenden länger andauernden Krankheit beginnen (Abgrenzung zu BSG vom 30.8.2001 - B 4 RA 109/00 R = SozR 3-2600 § 48 Nr 5).
Normenkette
SGB VI § 48 Abs. 3 Nr. 2; BGB §§ 1356, 1360, 1360a; SGB VI § 243
Beteiligte
Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz |
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 29. Juni 2001 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Waisenrente aus der Versicherung ihrer verstorbenen Großmutter (Versicherte).
Die Versicherte war 1985/1986 zu ihrer Tochter (sorgeberechtigte Mutter der Klägerin) und der im November 1984 geborenen Klägerin gezogen; sie lebten seither in einem gemeinsamen Haushalt. Die Versicherte starb am 31. Mai 1996. Sie hatte auf Grund einer Krebserkrankung seit dem 1. August 1987 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bezogen; seit 1995 zahlte die Beklagte Altersrente. Die ledige Mutter der Klägerin bezog zwischen 1993 und Mai 1996 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Zeit. Die Klägerin selbst erhielt zwischen 1984 und 1987 und erneut ab Dezember 1993 Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG) in Höhe des Regelunterhalts nach der Düsseldorfer Tabelle; das Kindergeld für die Klägerin wurde an die Mutter ausbezahlt.
Den im Juni 1996 gestellten Antrag auf Gewährung von Halbwaisenrente nach der Versicherten lehnte die Beklagte nach Auswertung von Zeugenerklärungen durch Bescheid vom 30. Januar 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. April 1997 ab, weil die Versicherte die Klägerin – mangels Ausscheidens aus dem Haushalt der Mutter – nicht in ihren eigenen Haushalt „aufgenommen” habe; auch habe die Versicherte die Klägerin nicht überwiegend unterhalten.
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte unter Aufhebung vorgenannter Bescheide verurteilt, Halbwaisenrente nach Maßgabe der Gesetze zu bewilligen (Urteil vom 20. Oktober 1998). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten mit Urteil vom 29. Juni 2001 zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin sei gemäß § 48 Abs 3 Nr 2 Sozialgesetzbuch – Sechstes Buch – (SGB VI) als Kind der versicherten Großmutter zu berücksichtigen, weil sie in deren Haushalt aufgenommen und von ihr überwiegend unterhalten worden sei. Es habe eine Familiengemeinschaft iS einer Schnittstelle von Merkmalen örtlicher, materieller und immaterieller Art bestanden. Die Klägerin habe glaubhaft und nachvollziehbar beschrieben, dass sich ihre Großmutter mindestens ebenso wie ihre Mutter um sie gekümmert habe; dies werde durch die schriftlichen Erklärungen der Zeugen E. und R. sowie durch Angaben der weiteren Zeuginnen H., F. und D. bestätigt. Die Versicherte habe der Klägerin auch ausreichend Unterhalt zugewandt. Es sei davon auszugehen, dass die Versicherte – so lange sie dazu gesundheitlich in der Lage gewesen sei – Betreuungsunterhalt im Umfang von mindestens einem Viertel des insgesamt für das Kind aufzubringenden zeitlichen Betreuungsaufwands geleistet habe. Dies sei nicht nur eine lebensnahe Betrachtungsweise, sondern werde auch durch den Gesundheitszustand der Mutter der Klägerin plausibel belegt. Unerheblich sei, dass die Versicherte krankheitsbedingt ab 1994 eventuell nicht mehr in der Lage gewesen sei, wesentliche Betreuungsleistungen für die Klägerin zu erbringen. Im Gegensatz zu § 243 SGB VI komme es bei § 48 Abs 3 SGB VI nicht darauf an, dass die Versicherte Unterhalt im letzten Jahr vor ihrem Tode erbracht habe oder im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor ihrem Tode Anspruch darauf bestanden habe.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung des § 48 Abs 1 Nr 1 iVm Abs 3 Nr 2 SGB VI. Sie ist der Ansicht: Das Berufungsurteil enthalte keine ausdrückliche Feststellung zu der Frage, ob und in welchem Umfang die verstorbene Versicherte der Klägerin im Jahre 1996 ggf Barunterhalt gewährt habe. Auch sei nicht festgestellt, in welcher Höhe der notwendige Eigenbedarf (Selbstbehalt) der verstorbenen Versicherten anzusetzen sei. Seien aber Barunterhalt und Naturalunterhalt als grundsätzlich gleichwertige Leistungen des Gesamtunterhalts anzusetzen, dürften auch konkrete Feststellungen zum Umfang des Barunterhaltes nicht fehlen. Unklar sei zudem, inwieweit die Versicherte vor ihrem Tode krankheitsbedingt noch in der Lage gewesen sei, Betreuungsleistungen zu erbringen. Dies könne – entgegen der Ansicht des LSG – nicht dahinstehen, zumal die Mutter der Klägerin wegen eigener schwerer Erkrankung selbst nicht in der Lage gewesen sei, ihr Kind im erforderlichen Maße zu betreuen. Ob die verstorbene Versicherte neben der notwendigen Hilfeleistung für ihre Tochter auch noch in der Lage gewesen sei, einen erheblichen Betreuungsunterhalt für die Klägerin zu leisten, ließen die tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht erkennen. Unklar sei auch, von welchem rechtserheblichen Zeitraum insoweit auszugehen sei.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des LSG Nordrhein-Westfalen vom 29. Juni 2001 und des SG Düsseldorf vom 20. Oktober 1998 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫). Die bisherigen Feststellungen des LSG lassen keine abschließende Entscheidung darüber zu, ob der Klägerin Anspruch auf Halbwaisenrente nach der verstorbenen Versicherten zusteht. Die Beklagte rügt zu Recht, dass das LSG keine hinreichenden Feststellungen dazu getroffen habe, ob die Versicherte die Klägerin in ihren Haushalt aufgenommen und zuletzt vor ihrem Tode Betreuungs- oder Barunterhalt in rechtlich erheblichem Maße geleistet habe.
Kinder haben nach dem Tode eines Elternteils gemäß § 48 Abs 1 SGB VI Anspruch auf Halbwaisenrente, wenn sie noch einen Elternteil haben, der unbeschadet der wirtschaftlichen Verhältnisse unterhaltspflichtig ist, und der verstorbene Elternteil die allgemeine Wartezeit erfüllt hat. Gemäß Abs 3 Nr 2 der Vorschrift werden als Kinder auch Enkel berücksichtigt, die in den Haushalt des Verstorbenen aufgenommen waren oder von ihm überwiegend unterhalten wurden. Anhand der bisherigen Feststellungen des LSG lässt sich weder beurteilen, ob die verstorbene Versicherte zuletzt vor ihrem Tode die Klägerin „in ihren Haushalt aufgenommen” noch ob sie eine überwiegende Unterhaltsleistung erbracht hat.
1. Das BSG hat das Tatbestandsmerkmal der Haushaltsaufnahme im Laufe der Zeit mit unterschiedlichen Formulierungen umschrieben (vgl zB Urteile vom 22. Juli 1960 – 3 RJ 40/58 – BSGE 12, 288 = SozR Nr 7 zu § 1258 Reichsversicherungsordnung ≪RVO≫ aF, vom 21. Dezember 1960 – 7 RKg 7/57 – BSGE 13, 265 = SozR Nr 4 zu § 2 Kindergeldgesetz ≪KGG≫, vom 12. September 1963 – 4 RJ 151/62 – BSGE 20, 26 = SozR Nr 8 zu § 1262 RVO, vom 22. November 1963 – 7 RKg 2/61 – BSGE 20, 91 = SozR Nr 10 zu § 2 KGG, vom 30. Juni 1966 – 12 RJ 162/64 – BSGE 25, 109 = SozR Nr 14 zu § 2 KGG, vom 26. Juni 1969 – 4 RJ 137/68 – BSGE 29, 294 = SozR Nr 20 zu § 1262 RVO, vom 10. Dezember 1970 – 5 RJ 441/69 – SozR Nr 43 zu § 1267 RVO, vom 18. August 1971 – 4 RJ 411/70 – BSGE 33, 105 = SozR Nr 45 zu § 1267 RVO, vom 11. Juli 1972 – 5 RJ 392/71 – SozR Nr 30 zu § 1262 RVO, vom 10. August 1972 – 4 RJ 247/71 – SozR Nr 31 zu § 1262 RVO, vom 19. Oktober 1977 – 4 RJ 57/76 – BSGE 45, 67 = SozR 2200 § 1262 Nr 11 und vom 28. Juni 1979 – 8b RKg 3/78 – SozR 5870 § 2 Nr 16). Nach der neueren Rechtsprechung des BSG, der sich der erkennende Senat anschließt, kommt es insoweit auf das Bestehen einer Familiengemeinschaft an, die eine Schnittstelle von Merkmalen örtlicher (Familienwohnung), materieller (Vorsorge, Unterhalt) und immaterieller Art (Zuwendung von Fürsorge, Begründung eines familienähnlichen Bandes) darstellt. Diese drei Arten von Kriterien stehen in enger Beziehung zueinander und können sich auch teilweise überschneiden; keines davon darf jedoch gänzlich fehlen (vgl BSG Urteile vom 15. März 1988 – 4/11a RA 14/87 – BSGE 63, 79 = SozR 2200 § 1267 Nr 35, vom 22. April 1992 – 5 RJ 28/91 – SozR 3-2200 § 1267 Nr 2 und vom 8. Juli 1998 – B 13 RJ 97/97 R – SozR 3-2200 § 1267 Nr 6; stRspr).
Den vorentschiedenen Sachverhalten letztgenannter Entscheidungen gemein war, dass jeweils Großeltern(teile) Enkel (und Tochter) in ihren bereits zuvor bestehenden Haushalt aufgenommen hatten. Das Bestehen eines eltern- bzw familienähnlichen Bandes wurde „jedenfalls so lange” angenommen, wie der Enkel (mit seiner Mutter) bei dem versicherten Großelternteil wohnte (vgl BSG Urteil vom 8. Juli 1998 – B 13 RJ 97/97 R – SozR 3-2200 § 1267 Nr 6), der Mutter und den Großeltern der Haushalt, in dem der Enkel lebte, zumindest gemeinsam zuzuordnen war (vgl BSG Urteil vom 10. Februar 1983 – 5b RJ 56/81 – Volltext in JURIS), und der Großelternteil mithin „neben der Wohnungsgewährung” und Zuwendung von Fürsorge nicht unerheblichen Bar- oder/und Betreuungsunterhalt leistete (Senatsurteil vom 22. April 1992 – 5 RJ 28/91 – SozR 3-2200 § 1267 Nr 2). Dabei hat die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nie die „Unterhaltsfunktion” der Hinterbliebenenrente aus den Augen verloren und die Situation des mit einem Großelternteil und der Mutter zusammenlebenden Enkels stets mit der „Versorgungssituation” im elterlichen Haushalt verglichen (zB BSG Urteil vom 15. März 1988 – 4/11a RA 14/87 – BSGE 63, 79 = SozR 2200 § 1267 Nr 35 mwN).
Eine entsprechende Versorgungssituation hält der Senat zwar – in Übereinstimmung mit dem LSG – auch dann nicht für von vornherein ausgeschlossen, wenn der Enkel nicht in den Haushalt des versicherten Großelternteils aufgenommen worden ist, sondern – wie vorliegend – der Großelternteil zu Mutter und Kind gezogen ist. Es muss sich jedoch in der Folge zumindest auch um einen Haushalt des Großelternteils gehandelt haben, dh der versicherte Großelternteil muss zur „Führung” dieses Haushalts in zumindest gleicher Weise, dh mindestens gleichwertig, beigetragen haben wie die Mutter des Kindes, sei es durch Arbeiten im Haushalt oder durch einen entsprechenden finanziellen Beitrag. Mutter und Großelternteil müssen den Haushalt also in ähnlicher Weise bestritten haben, wie es §§ 1356, 1360, 1360a BGB in der ehelichen Lebensgemeinschaft von Ehegatten untereinander verlangen; ist ein Anspruch auf Halbwaisenrente zu beurteilen, so steht der Tod eines versicherten Großelternteils dem Tod eines Elternteils (insoweit) gleich. Ehegatten sind zwar frei, den Familienunterhalt, wozu auch die Haushaltsführung zählt, frei zu gestalten; beide müssen jedoch ihren Teil zum Bestreiten des Haushalts – durch Hausarbeit oder Abdeckung der Kosten – beitragen.
Bezogen auf die Verteilung der Haushaltsführung zwischen der Versicherten und der Mutter der Klägerin fehlen jegliche Feststellungen des LSG. Solche werden nicht ersetzt durch die Feststellung, dass es mehrere „Haushaltsvorstände” gegeben habe, die Versicherte also auch Haushaltsvorstand gewesen sei und die beiden im Haushalt lebenden erwachsenen Personen gleichberechtigt alle Belange des Haushalts geregelt hätten.
Ungeklärt ist ferner, wie groß der konkrete Betreuungsbedarf der Klägerin gewesen ist und während welchen Zeitraums die Versicherte Betreuungsaufwand in rechtlich erheblichem Umfang geleistet hat. Die berufungsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen erlauben gegenwärtig auch insoweit noch nicht, die Auffassung des LSG zu bestätigen, dass eine Haushaltsaufnahme iS des § 48 Abs 3 Nr 2 SGB VI vorgelegen habe. Insbesondere lässt sich nicht sagen, in welchem maßgeblichen Dauerzustand vor dem Tode der Versicherten zwischen dieser und der Klägerin in immaterieller Hinsicht eine Familiengemeinschaft bestanden hat. Als immaterielles Merkmal ist ein elternähnliches, auf Dauer berechnetes Band (vgl zB BSG Urteil vom 22. November 1963 – 7 RKg 2/61 – BSGE 20, 91 = SozR Nr 10 zu § 2 KGG und BSG Urteil vom 8. Juli 1998 – B 13 RJ 97/97 R – SozR 3-2200 § 1267 Nr 6), dh ein auf längere Dauer gerichtetes Betreuungs- und Erziehungsverhältnis familiärer Art erforderlich (vgl auch BSG Urteil vom 26. Juni 1969 – 4 RJ 439/67 – BSGE 29, 292 = SozR Nr 19 zu § 1263 RVO). Der zeitliche Rahmen für die Unterhaltserbringung bestimmt sich – ähnlich wie bei der Geschiedenenrente nach § 243 SGB VI – nach dem letzten Dauerzustand vor dem Tode der Versicherten (vgl BSG Urteile vom 10. Dezember 1970 – 5 RJ 441/69 – SozR Nr 43 zu § 1267 RVO und vom 8. Juli 1998 – B 13 RJ 97/97 R – SozR 3-2200 § 1267 Nr 6). Dies hat das LSG im Berufungsurteil verkannt, wenn es davon ausgeht, dass es – bei einem hinsichtlich des Zeitraums der Unterhaltsgewährung offenen Wortlaut des § 48 Abs 3 SGB VI – im Gegensatz zu § 243 SGB VI (Witwen- und Witwerrente an vor dem 1. Juli 1977 geschiedene Ehegatten) für den Waisenrentenanspruch nicht auf eine Unterhaltserbringung im letzten (wirtschaftlichen) Dauerzustand vor dem Tode der Versicherten ankomme.
Zwar hat das LSG ausgeführt, die Versicherte habe sich mindestens ebenso um die Klägerin gekümmert wie deren Mutter. Es sei davon auszugehen, dass die Versicherte Betreuungsunterhalt in Höhe zumindest eines Viertels des insgesamt für das Kind aufzubringenden zeitlichen Betreuungsaufwandes geleistet habe; dies sei nicht nur eine lebensnahe Betrachtungsweise, sondern werde auch durch den Gesundheitszustand der Mutter der Klägerin plausibel belegt. Das LSG hat jedoch – von seinem Rechtsstandpunkt aus zutreffend – nicht den Zeitrahmen bestimmt, der für die Erbringung von Betreuungsaufwand rechtserheblich ist, um auf dieser Grundlage zu beurteilen, in welchem Umfang einerseits die Versicherte, andererseits die Mutter gesundheitlich (noch) in der Lage waren, die Klägerin zu betreuen.
Insoweit wird es darauf ankommen, ob die Mutter der Klägerin innerhalb des „letzten Dauerzustandes” selbst gesundheitlich nicht oder nur sehr eingeschränkt in der Lage gewesen ist, Betreuungsunterhalt zu leisten, in welchem Umfang die Versicherte während dieser Zeit den Betreuungsunterhalt übernommen hat und ab welchem Zeitpunkt sie selbst krankheitsbedingt nicht mehr in der Lage war, wesentliche Betreuungsleistungen für die Klägerin zu erbringen. Die bisherigen Feststellungen des LSG könnten es nahe legen, dass der „letzte Dauerzustand” in diesem Sinne im Jahre 1994 – und damit gut zwei Jahre vor dem Tod der Versicherten am 31. Mai 1996 – eingetreten sein könnte, nämlich ab dem Zeitpunkt, in dem die Versicherte selbst gesundheitlich nicht mehr in der Lage gewesen sein soll, wesentliche Betreuungsleistungen zu erbringen.
Mit einer solchen Beurteilung würde sich das LSG nicht in Widerspruch zu dem Urteil des BSG vom 30. August 2001 (B 4 RA 109/00 R – zur Veröffentlichung vorgesehen) setzen. In dieser Entscheidung hat es der 4. Senat des BSG für unerheblich gehalten, dass der Versicherte, der ein Stiefkind in seinen Haushalt aufgenommen hatte, drei oder vier Monate vor seinem Tode an einem „zum Tode führenden Leiden” erkrankt war; dieser Zeitraum sei in den „letzten wirtschaftlichen Dauerzustand” nicht einzubeziehen. Er hat jedoch ausdrücklich offen gelassen, ob es für die Bestimmung des Endes des Dauerzeitraums, in dem die Haushaltsaufnahme bestanden haben muss, anders als bei dem „wirtschaftlichen” Dauerzustand des „Geschiedenen-Rentenrechts”, darauf ankomme, wie lange das zum Tode führende Leiden gedauert hat (s Urteilsumdruck S 6, 1. Absatz). Der erkennende Senat geht davon aus, dass bei einem über zwei Jahre dauernden Zeitraum nicht mehr von einem „anormalen Zustand” iS eines „Schicksalsschlags” ausgegangen werden kann, worauf der 4. Senat auch abgestellt hat. Allerdings bleibt genau abzuklären, ob und wann während der Zeit der zum Tode führenden Verschlimmerung der Krebserkrankung der Versicherten akute Gesundheitsverschlechterungen – ggf mit Klinikaufenthalten – aufgetreten sind, die bei der Bewertung eines Dauerzustandes als Normalzustand möglicherweise außer Betracht bleiben können.
2. Zur Frage der Gewährung materiellen Unterhalts durch die Versicherte an die Klägerin fehlt es ebenfalls an berufungsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen. Insoweit kommen insbesondere Geld- und Sachleistungen in Betracht. Barunterhalt und Naturalunterhalt sind grundsätzlich gleich zu bewerten (vgl BSG Urteile vom 15. März 1988 – 4/11a RA 14/87 – BSGE 63, 79 = SozR 2200 § 1267 Nr 35 und vom 8. Juli 1998 – B 13 RJ 97/97 R – SozR 3-2200 § 1267 Nr 6). Da die Klägerin zwischen 1984 und 1987 und erneut ab Dezember 1993 Leistungen nach dem UVG in Höhe des Regelunterhaltes nach der Düsseldorfer Tabelle erhielt und über ihre Mutter (die kindergeldberechtigt war) krankenversichert war, ist unklar, ob die Versicherte ihr in diesem Sinne überhaupt einen nennenswerten materiellen Unterhalt geleistet hat. Feststellungen zum Renteneinkommen der Versicherten hat das LSG nicht getroffen; insoweit finden sich lediglich im erstinstanzlichen Urteil ungefähre Zahlenangaben. Auch ist weder durch das SG noch durch das LSG festgestellt worden, welcher notwendige Eigenbedarf (Selbstbehalt) der Versicherten zustand und ob sie auf ihn (teilweise) zu Gunsten ihrer Enkelin verzichtet hat.
Im Hinblick auf die Ausführungen unter 1. und 2. hält es der erkennende Senat gegenwärtig nicht für geboten, darüber zu befinden, ob für die einen Waisenrentenanspruch begründende Haushaltsaufnahme in jedem Fall ein Mindestmaß von einem Viertel des insgesamt für das Kind aufzubringenden Bar- und/oder Betreuungsunterhalts zu fordern ist (so Urteil des BSG vom 15. März 1988 – 4/11a RA 14/87 – BSGE 63, 79 = SozR 2200 § 1267 Nr 35; Senatsurteil vom 22. April 1992 – 5 RJ 28/91 – SozR 3-2200 § 1267 Nr 2; kritisch dazu Köbl in: Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band 3, 1999, § 28, RdNr 117) oder nicht (so die Rechtsprechung zum Kindergeldrecht, vgl BSG Urteile vom 8. Dezember 1993 – 10 RKg 8/92 – SozR 3-5870 § 2 Nr 22 und vom 19. November 1997 – 14/10 RKg 18/96 – FEVS 48, 188).
Die erforderlichen Ermittlungen kann der erkennende Senat im Revisionsverfahren nicht selbst durchführen. Das Berufungsurteil ist daher gemäß § 170 Abs 2 Satz 2 SGG aufzuheben und die Sache an das LSG zurückzuverweisen.
Fundstellen
FA 2002, 364 |
FEVS 2002, 437 |
NZS 2003, 159 |
SozArb |