Entscheidungsstichwort (Thema)
Unfallversicherung. Feststellung. Bindung
Orientierungssatz
Der vom Gesetzgeber in § 17 Abs 6 SVFAG verwendete Begriff "rechtskräftig festgestellt" setzt nicht voraus, daß ein förmlicher Bescheid im Sinne der Vorschriften des Sechsten Buches der RVO vorliegt, vielmehr genügt es, wenn nach dem 8. Mai 1945 ein Verwaltungsakt eines zur Gewährung von Unfallversicherungsleistungen verpflichteten Sicherungsträgers ergangen ist, in dem dieser einen Leistungsanspruch verbindlich festgestellt hat.
Normenkette
SVFAG § 17 Abs. 6
Verfahrensgang
LSG Berlin (Entscheidung vom 26.11.1959) |
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 26. November 1959 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Der am 5. Februar 1910 geborene Kläger beansprucht Entschädigung für die Folgen eines Arbeitsunfalls, der ihm am 5. Februar 1935 bei Forstarbeiten in Ostpreußen zugestoßen ist und die Erblindung des linken Auges zur Folge hatte. Nach seinen Angaben erhielt er für die Folgen dieses Unfalls von der Ostpreußischen landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft eine Unfallrente in Höhe von 34,20 RM, die auf Grund einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 33 1/3 v.H. berechnet war. Unterlagen hierüber sind nicht mehr vorhanden.
Seit dem 29. Mai 1946 wohnt der Kläger in Berlin-Zehlendorf. Er stellte im November 1947 bei der damals noch ungeteilten Versicherungsanstalt Berlin (VAB) einen Rentenantrag. Diese holte ein Gutachten der Universitäts-Augenklinik Berlin vom 12. April 1948 (Prof. H., Dr. O.) ein, in dem die MdE auf 30 v.H. geschätzt wurde. Durch Bescheid vom 3. Juli 1948 erkannte sie den Anspruch auf Verletztenrente an und stellte die Rente unter Zugrundelegung einer MdE von 33 1/3 v.H. und eines Jahresarbeitsverdienstes (JAV) von 1846,80 RM auf monatlich 34,20 RM fest, ordnete jedoch mit Rücksicht auf das Arbeitseinkommen des Klägers nach den Vorschriften der Satzung der VAB das Ruhen der Rente an. Auf einen neuen Rentenantrag des inzwischen arbeitslos gewordenen Klägers änderte die damalige VAB (West) durch Bescheid vom 16. Oktober 1950 den Bescheid vom 3. Juli 1948 dahin, daß nunmehr vom 1. Oktober 1950 an die festgestellte Verletztenrente voll zu gewähren sei. Nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Anpassung des Rechts der Sozialversicherung in Berlin an das in der Bundesrepublik Deutschland geltende Recht vom 3. Dezember 1950 (VOBl I S. 542) erhielt der Kläger von der VAB (West) eine Mitteilung vom 30. November 1951, daß er auf Grund des Bescheides der VAB vom 3. Juli 1948 aus Anlaß des Arbeitsunfalls vom 5. Februar 1935 Anspruch auf eine Rente von 33 1/3 v.H. der Vollrente in Höhe von monatlich 34,20 DM habe, die nunmehr durch die Post gezahlt werde. Nach dem Inkrafttreten des Gesetzes über Zulagen und Mindestleistungen in der gesetzlichen Unfallversicherung und zur Überleitung des Unfallversicherungsrechts im Lande Berlin vom 29. April 1952 (BGBl I S. 253) übernahm die Hannoversche landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft die Zahlung der Rente. Nach Inkrafttreten des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes (FAG) vom 7. August 1953 (BGBl I S. 848) übernahm die Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung in Wilhelmshaven (BAfU) die Rentenzahlung. Sie veranlaßte eine Nachuntersuchung durch den Augenarzt Dr. G. in Berlin, der in seinem Gutachten vom 27. August 1956 die MdE auf 25 v.H. schätzte. Durch Bescheid vom 11. Februar 1957 stellte die Beklagte die Rente mit Wirkung vom 1. März 1957 unter Zugrundelegung einer MdE von 25 v.H. und eines JAV von 1200 DM in Höhe von monatlich 16,67 DM neu fest.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger Klage beim Sozialgericht (SG) Berlin erhoben und zur Begründung ausgeführt:
Die Einschätzung der MdE durch Dr. G. sei unrichtig, außerdem müsse der Rentenberechnung ein JAV von 4200 DM zugrunde gelegt werden, da er nur während des Winters in der Forstwirtschaft tätig, im übrigen aber Rohrleger gewesen sei und als solcher etwa 3000 RM verdient habe. Nach Inkrafttreten des Gesetzes zur vorläufigen Neuregelung von Geldleistungen in der gesetzlichen Unfallversicherung vom 27. Juli 1957 (BGBl I S. 1071) hat die Beklagte die Rente unter Zugrundelegung eines JAV von 3384 DM neu berechnet. Nachdem die Beklagte einen in der Verhandlung vor dem SG am 28. August 1958 abgeschlossenen Vergleich widerrufen hatte, hat das SG durch Urteil vom 20. November 1958 die Beklagte verurteilt, dem Kläger vom 1. März 1957 an eine Dauerrente in Höhe von 33 1/3 v.H. der Vollrente unter Zugrundelegung eines JAV von 3384 DM zu zahlen. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Das SG hat dahingestellt gelassen, ob bereits der Bescheid der noch ungeteilten VAB vom 3. Juli 1948 eine Feststellung im Sinne von § 17 Abs. 6 FAG sei, und hat eine solche bindende Feststellung in den Mitteilungen der VAB (West) vom 16. Oktober 1950 und 30. November 1951 erblickt.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Berlin eingelegt. Dieses hat die Berufung durch Urteil vom 26. November 1959 zurückgewiesen und die Revision zugelassen.
Es ist der Auffassung, die Mitteilung der VAB (West) vom 30. November 1951 beruhe auf einer Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen und enthalte eine ausdrückliche Verpflichtungserklärung. An diese sei die Beklagte nach § 17 Abs. 6 FAG gebunden, so daß eine Rentenherabsetzung nur nach § 608 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zulässig sei. Die hierfür erforderliche wesentliche Änderung der Verhältnisse sei jedoch nicht festzustellen. Der Unterschied in der Bewertung der MdE durch die Gutachten der Universitäts-Augenklinik und des Augenfacharztes Dr. G. liege noch im Rahmen der allgemeinen Fehlergrenze und könne deshalb nicht als wesentlich betrachtet werden. Da der Kläger bereits in der Verhandlung vor dem SG erklärt habe, daß er die Berechnung des JAV mit 3384 DM nicht mehr beanstande und auch vor dem LSG nochmals erklärt habe, sei insoweit eine Entscheidung über den ursprünglich weitergehenden Antrag nicht mehr erforderlich.
Das Urteil des LSG ist der Beklagten am 28. Dezember 1959 zugestellt worden.
Sie hat gegen dieses Urteil am 26. Januar 1960 Revision eingelegt und sie am 23. Februar 1960 begründet.
Sie beantragt,
unter Aufhebung der Urteile des LSG und des SG die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 11. Februar 1957 abzuweisen,
hilfsweise,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Der Senat hat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, ohne mündliche Verhandlung durch Urteil zu entscheiden (§ 124 SGG).
II
Die in der gesetzlichen Form und Frist eingelegte und begründete Revision ist durch Zulassung (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) statthaft und somit zulässig. Sie hatte jedoch keinen Erfolg.
Die Ansprüche des Klägers gegenüber der Beklagten beruhen, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, auf dem FAG, da der Kläger im Zeitpunkt des Unfalls bei der Ostpreußischen landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft versichert war und diese ein nicht mehr bestehender deutscher Versicherungsträger war (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 FAG). Für die Gewährung der Leistungen ist nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 FAG die Beklagte zuständig, da es sich um einen Unfall handelt, für den bei einer gleichartigen Beschäftigung am Wohnort des Klägers im Zeitpunkt der Antragstellung eine landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft zuständig sein würde. Bei den Ansprüchen auf Grund des FAG handelt es sich grundsätzlich um originäre Ansprüche, so daß die Beklagte an sich berechtigt ist, die Anspruchsvoraussetzungen unabhängig von früheren Feststellungen zu prüfen und die Höhe der Leistungen neu festzustellen (vgl. BSG 9, 273). Das LSG ist jedoch im Ergebnis zutreffend zu der Auffassung gelangt, daß im vorliegenden Falle die Beklagte an eine rechtskräftige Feststellung im Sinne von § 17 Abs. 6 FAG gebunden ist.
Der vom Gesetzgeber in § 17 Abs. 6 FAG verwendete Begriff "rechtskräftig festgestellt" setzt nicht voraus, daß ein förmlicher Bescheid im Sinne der Vorschriften des Sechsten Buches der RVO vorliegt, vielmehr genügt es, wenn nach dem 8. Mai 1945 ein Verwaltungsakt eines zur Gewährung von Unfallversicherungsleistungen verpflichteten Versicherungsträgers ergangen ist, in dem dieser einen Leistungsanspruch verbindlich festgestellt hat. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Falle gegeben. Das Schreiben der VAB (West) vom 30. November 1951 enthält die ausdrückliche Erklärung, daß der Kläger einen Anspruch auf eine Rente von 33 1/3 v.H. der Vollrente in Höhe von monatlich 34,20 DM hat, und gibt auch das Datum des die Anspruchsgrundlage bildenden Arbeitsunfalles an. Vor allem aber nimmt dieses Schreiben ausdrücklich auf den Bescheid der damals noch ungeteilten VAB vom 3. Juli 1948 Bezug. Dieser Bescheid, der das äußere Bild eines förmlichen Verwaltungsaktes hat, erklärt ausdrücklich, daß der Anspruch des Klägers aus Anlaß des Unfalls vom 5. Februar 1935 "anerkannt" werde und stellt die Höhe der Rente unter Angabe der MdE und des JAV fest. Er enthält auch eine Rechtsmittelbelehrung. Ob dieser Bescheid der noch ungeteilten VAB eine rechtskräftige Feststellung im Sinne von § 17 Abs. 6 FAG ist, kann dahingestellt bleiben, da die VAB (West) im Schreiben vom 30. November 1951 diesen Bescheid ausdrücklich zur Grundlage ihrer eigenen Verpflichtungserklärung gemacht hat, überdies hatte die VAB (West) bereits im Bescheid vom 16. Oktober 1950 ausdrücklich diesen Bescheid "geändert" und damit als Grundlage ihrer eigenen Verpflichtungserklärung anerkannt, so daß bereits mit diesem Bescheid der VAB (West) eine rechtskräftige Feststellung des Entschädigungsanspruchs im Sinne von § 17 Abs. 6 FAG erfolgt ist (vgl. hierzu BSG 8, 57, 59). Daß das Schreiben vom 30. November 1951 keine Rechtsmittelbelehrung enthält, ist, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, in diesem Zusammenhang ohne rechtliche Bedeutung, da es die Bindungswirkung des Verwaltungsakts für die VAB (West) nicht berührt, sondern nur für die Frage von Bedeutung ist, innerhalb welcher Fristen der Kläger die Möglichkeit gehabt hätte, diesen Verwaltungsakt mit einem Rechtsmittel anzufechten.
Da die von der VAB festgestellte Leistung hiernach als Leistung im Sinne des FAG zu gelten hatte, war die Beklagte, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, nur zu einer Neufeststellung der Leistungen berechtigt, wenn in den für die Feststellung der Entschädigung maßgebend gewesenen Verhältnissen inzwischen eine wesentliche Änderung eingetreten war (§ 608 RVO). Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) ist der Eintritt einer solchen Veränderung nicht festzustellen. Das SG und das LSG haben die Beklagte deshalb ohne Rechtsirrtum für verpflichtet gehalten, die Rente in Höhe von 33 1/3 v.H. der Vollrente zu gewähren.
An dieser Rechtslage hat sich auch durch das Inkrafttreten des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes vom 25. Februar 1960 - FANG - (BGBl I 93) nichts geändert. Die Ansprüche des Klägers fallen weiterhin unter das Fremdrentenrecht, da es sich um einen Arbeitsunfall handelt, der außerhalb des Geltungsbereichs des FANG eingetreten ist, und der Kläger im Zeitpunkt des Unfalls, wie bereits dargelegt, bei einem deutschen Träger der gesetzlichen Unfallversicherung versichert war (Art. 1 § 5 FANG). Die Beklagte ist auch nach Art. 1 § 9 Abs. 2 FANG weiterhin für die Gewährung der Leistungen zuständig geblieben. Allerdings enthält das FANG keine Vorschrift, die ihrem klaren Wortlaut nach dem § 17 Abs. 6 FAG entspricht. Wie der Senat jedoch bereits im Urteil vom 1. Juli 1960 (BSG 12, 273) näher dargelegt hat, muß Art. 6 § 2 Satz 1 FANG dahin ausgelegt werden, daß er trotz der abweichenden Fassung eine dem § 17 Abs. 6 FAG entsprechende Besitzstandsklausel enthält.
Die Revision der Beklagten ist hiernach unbegründet.
Die Kostenentscheidung ergeht auf Grund von § 193 SGG.
Fundstellen