Entscheidungsstichwort (Thema)
Bauherrenhaftung. notwendige Beiladung
Orientierungssatz
Ist die Ehefrau gemeinsam mit ihrem Ehemann Bauherrin iS von § 729 Abs 2 RVO, dann ist sie im sozialgerichtlichen Verfahren über die Bauherrenhaftung nach § 75 Abs 2 SGG notwendig beizuladen.
Normenkette
RVO § 729 Abs 2; SGG § 75 Abs 2
Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 25.02.1987; Aktenzeichen L 3 U 171/85) |
SG Mainz (Entscheidung vom 06.08.1985; Aktenzeichen S 5 U 11/84) |
Tatbestand
Der Beklagte und seine Ehefrau schlossen mit der Firma B Bau-Gesellschaft mit beschränkter Haftung (Firma B) am 15. Februar 1980 einen Bauvertrag über die Errichtung eines Doppelwohnhauses in K-W. Die Firma B schloß mit dem Beigeladenen einen sogenannten Nachunternehmervertrag über die vollständige Errichtung des Rohbaues. Der Beigeladene errichtete Keller und Erdgeschoß am Bauvorhaben des Beklagten im März/April 1980.
Im Juni 1980 wurde über das Vermögen der Firma B der Konkurs eröffnet; nach Vornahme der Schlußverteilung wurde das Verfahren durch Beschluß vom 18. Oktober 1982 aufgehoben; die Firma B ist nunmehr nach einem Vermerk im Handelsregister des Amtsgerichts Bingen vom 15. März 1983 erloschen.
Im Februar/März 1981 erfuhr die Klägerin, daß der Beigeladene bei der Stadtverwaltung Bingen im Dezember 1980 mit Wirkung vom 1. März 1980 bis Ende August 1980 einen Gewerbebetrieb für Maurerarbeiten an- und auch wieder abgemeldet hatte. Im Januar 1982 stellte die Klägerin in einem Schreiben an den Beigeladenen fest, sein Betrieb könne nicht in das Unternehmerverzeichnis aufgenommen werden, da er nicht Unternehmer iS des § 658 der Reichsversicherungsordnung (RVO) sei. Er sei als Unternehmer nichtgewerbsmäßiger Bauarbeiten anzusehen und habe für die bei ihm Beschäftigten Beiträge zur Unfallversicherung zu entrichten. Weil der Beigeladene Lohnnachweise nicht einreichte, errechnete die Klägerin aufgrund der Angaben der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) eine Bruttolohnsumme für die von März bis August 1980 erbrachten Arbeiten in Höhe von 51.913,93 DM und setzte mit Bescheid vom 29. Juni 1982 die Beiträge auf 9.707,70 DM fest. Die Zwangsvollstreckung aus diesem Bescheid verlief erfolglos; der Beigeladene hatte bereits im Dezember 1980 die eidesstattliche Versicherung zur Offenbarung seines Vermögens abgegeben. Unbekannt war der Klägerin bis zu diesem Zeitpunkt, für wen der Beigeladene Arbeiten erbracht hatte. Im Verlaufe weiterer Ermittlungen teilte der Beigeladene im März 1983 mit, daß er ua für die Firma B gearbeitet habe. Den Wert der Leistungen am Bauvorhaben des Beklagten bezifferte der frühere Gesellschafter der Firma B im Juli 1983 auf etwa 20.000,-- DM. Die insoweit angefallenen Beiträge in Höhe von 3.740,-- DM forderte die Klägerin von dem Beklagten mit einem am 29. Juli 1983 zugegangenen Schreiben. Der Beklagte zahlte nicht.
Mit der Klage hat die Klägerin Beiträge in Höhe von 3.740,-- DM begehrt.
Durch Urteil vom 6. August 1985 hat das Sozialgericht (SG) die Klage abgewiesen.
Das Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 25. Februar 1987 die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und ua ausgeführt: Trotz Vorliegens der objektiven Tatbestandsmerkmale des § 729 Abs 2 RVO sei der Anspruch der Klägerin nicht gegeben. Danach hafte der Bauherr bei nichtgewerbsmäßigen Bauarbeiten jedenfalls nur dann, wenn er wisse oder wissen müßte, wer sein Vertragspartner sei und wer als solcher Arbeiten an seinem Bauvorhaben erbringe, wer also "sein" Unternehmer sei; denn nur auf diese Weise könnte der Bauherr die rechtlichen Konsequenzen und damit sein Haftungsrisiko erkennen und sich absichern, indem er Sorge dafür trage, daß die Beiträge an die BG abgeführt würden. Zwischen den Beteiligten sei aber unstreitig, daß der Beklagte und seine Ehefrau nicht gewußt hätten, der Beigeladene werde als Unternehmer für sie tätig.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Klägerin hat dieses Rechtsmittel eingelegt und ua ausgeführt: Der gute Glaube des Beklagten und seiner Ehefrau schließe deren Haftung nach § 729 Abs 2 RVO nicht aus.
Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils des Landessozialgerichts und des Urteils des Sozialgerichts Mainz vom 6. August 1985 den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 3.740,-- DM zu zahlen, hilfsweise, die Sache an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
Der Beklagte ist im Revisionsverfahren nicht durch einen Prozeßbevollmächtigten vertreten.
Der Beigeladene, dessen Aufenthalt unbekannt ist, hat sich nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Klägerin ist insofern begründet, als die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist (§ 170 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Nach den - insoweit allerdings nicht vollständigen - tatsächlichen Feststellungen des LSG muß in Betracht gezogen werden, daß die Ehefrau des Beklagten zum Verfahren notwendig beigeladen werden mußte (§ 75 Abs 2 Alternative 1 SGG). Dies ist von Amts wegen zu beachten (BSG SozR 1500 § 75 Nr 1).
Die Beiladung ist nach § 75 Abs 2 Alternative 1 SGG notwendig, wenn an dem streitigen Rechtsverhältnis Dritte derart beteiligt sind, daß die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Diese Voraussetzung ist gegeben, wenn die im Rechtsstreit zu erwartende Entscheidung über das streitige Rechtsverhältnis zugleich in die Rechtssphäre eines anderen unmittelbar eingreift (ständige Rechtsprechung; s ua BSG SozR 1500 § 75 Nrn 8, 15, 21 mwN).
Im vorliegenden Streitfall ist darüber zu entscheiden, ob der Beklagte zu Beiträgen herangezogen werden kann, die der Beigeladene für Bauarbeiten am Haus des Beklagten schuldet.
Nach § 729 Abs 2 Satz 1 RVO haftet bei nichtgewerbsmäßigen Bauarbeiten der Bauherr für Beiträge und die übrigen Leistungen zahlungsunfähiger Unternehmer während eines Jahres, nachdem die Verbindlichkeit endgültig festgestellt ist. Diese Regelung ist mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar (BSG Urteil vom 26. Januar 1988 - 2 RU 25/87 -).
Das LSG ist ohne nähere tatsächliche Feststellungen davon ausgegangen, daß "der Beklagte und seine Ehefrau" mit der Firma B den Bauvertrag über die Errichtung eines Doppelwohnhauses geschlossen haben. In dem Bauvertrag vom 15. Februar 1980 sind als "Bauherr" die "Eheleute Dr. K M" aufgeführt (Bl 72 BG-Akte). Unterschrieben hat den Vertrag allerdings nur "K. M". Ob er in Vollmacht seiner Ehefrau handelte, hat das LSG nicht festgestellt. Die hierfür erforderlichen Feststellungen sind jedoch zu treffen, da die Ehefrau des Beklagten nach § 75 Abs 2 SGG beizuladen ist, wenn sie - wovon das LSG ausgeht - gemeinsam mit dem Kläger Bauherrin iS des § 729 Abs 2 RVO ist. Dann haften beide als Gesamtschuldner. Ein Gesamtschuldverhältnis setzt gemäß § 421 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) die Verpflichtung mehrerer Personen voraus, ein und dieselbe Leistung zu erbringen. Die Erfüllung der Leistung durch einen der Gesamtschuldner wirkt auch für die übrigen Schuldner (§ 422 Abs 1 Satz 2 BGB) und führt zur Ausgleichspflicht gegenüber dem Leistenden (§ 426 Abs 1 Satz 1 BGB). Demzufolge begründete nach den bisher vom LSG getroffenen Feststellungen die Klageerhebung die Gefahr für die Ehefrau des Beklagten, durch die Entscheidung des Rechtsstreits gegenüber dem Beklagten verpflichtet zu werden. In einem solchen Fall ist die Beiladung zur Wahrnehmung der Rechte des Betroffenen notwendig (BSG Urteile vom 20. Oktober 1983 - 2 RU 82/82 -, 30. August 1984 - 2 RU 37/83 - und 13. Dezember 1984 - 2 RU 35/84 -). Die bisherigen Feststellungen des LSG über den Abschluß des Vertrages mit der Firma B sprechen dafür, daß die im Rechtsstreit zu erwartende Entscheidung über das streitige Rechtsverhältnis zugleich auch in die Rechtssphäre der Ehefrau des Beklagten mittelbar eingreift. Die insoweit zur Klärung noch erforderlichen Feststellungen hat das LSG zu treffen. Das Bundessozialgericht (BSG) kann insoweit keine eigenen Feststellungen treffen, auch ist im Revisionsverfahren eine Beiladung nicht zulässig (§ 168 SGG). Das Urteil des LSG war deshalb aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das LSG zurückzuverweisen. Sofern nicht umfangreiche tatsächliche Feststellungen zu treffen sind, erscheint es gegebenenfalls nicht unzweckmäßig, vorsorglich die Höhe der gegen den Beklagten gerichteten Beitragsforderung festzustellen (s BSG Urteil vom 30. Juli 1987 - 2 RU 37/85 -).
Fundstellen