Leitsatz (amtlich)

1. Die Ausnahmeregelungen in Nr 19 Buchst b Nr 2 Buchst b und 2 Buchst c des Schlußprotokolls zum deutsch-österreichischen Sozialversicherungsabkommen vom 1966-12-22 (BGBl 2 1969, 1247) erfassen nur solche sozialversicherungsrechtlichen Tatbestände, die sich tatsächlich "im Gebiet" der Republik Österreich ereignet haben. Tatbestände, die lediglich infolge einer zwischenstaatlich vereinbarten Versicherungslastverschiebung später in die österreichische Versicherungslast gelangt sind, fallen nicht unter diese Ausnahmeregelungen.

2. Sind Versicherungs- und Beschäftigungszeiten aufgrund des österreichisch-jugoslawischen Abkommens über soziale Sicherheit vom 1965-11-19 Art 33 (österreichisches BGBl 1966, 1509) in die österreichische Versicherungslast übergegangen, dann sind sie trotz dieses Übergangs gemäß Schlußprotokoll zum deutsch-österreichischen Sozialversicherungsabkommen vom 1966-12-22 (BGBl 2 1969, 1247) Nr 19 Buchst b Nr 2 Buchst a nach dem FRG anzurechnen, wenn die übrigen für eine solche Anrechnung erforderlichen Voraussetzungen vorliegen.

 

Normenkette

RVO § 1248; FRG § 2 Fassung: 1960-02-25, § 16 Fassung: 1960-02-25; SozSichAbk AUT Art. 2 Abs. 3 Fassung: 1966-12-22

 

Tenor

Die Revision der beigeladenen Landesversicherungsanstalt O gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 19. März 1974 wird zurückgewiesen.

Die Landesversicherungsanstalt O hat dem Kläger auch dessen außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahren zu erstatten.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob dem Kläger unter Anrechnung von in Jugoslawien zurückgelegten Beschäftigungszeiten Altersruhegeld zu gewähren ist.

Der am 4. Oktober 1904 in Jugoslawien geborene Kläger ist Heimatvertriebener i. S. des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) und Heimkehrer i. S. des Heimkehrergesetzes (HKG). Er erlernte in seiner Heimat ab 1. März 1920 das Schuhmacherhandwerk und war anschließend bis 1. März 1929 als Schuhmachergeselle tätig. Dann arbeitete er als selbständiger Schuhmacher. 1944 wurde er in Jugoslawien interniert. 1947 floh er nach Österreich. Dort wurde er in einem Flüchtlingslager untergebracht, bis er am 15. September 1958 in die Bundesrepublik übersiedelte. Hier arbeitete er ab Januar 1959 wieder als Schuhmacher und entrichtete Pflichtbeiträge zur Arbeiterrentenversicherung (ArV). Am 7. Juli 1969 beantragte er die Gewährung von Altersruhegeld. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 20. November 1969 wegen Nichterfüllung der Wartezeit ab, weil der Kläger von 1959 bis 1969 nur eine Versicherungszeit von 130 Kalendermonaten zurückgelegt hat.

Während des Klageverfahrens gewährte die beigeladene Landesversicherungsanstalt (LVA) O dem Kläger mit Bescheid vom 8. Juni 1971 ab 1. August 1969 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. In dem von ihr eingeleiteten zwischenstaatlichen Rentenverfahren lehnte die Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter in Wien mit Bescheid vom 3. Februar 1972 den Anspruch des Klägers auf Alterspension mit der Begründung ab, die vom Kläger in der Zeit vom 1. März 1920 bis 1. März 1929 erworbenen Versicherungszeiten seien nicht anrechenbar, weil die Zeit vom 1. Januar 1939 bis 1. November 1969 nicht zur Hälfte durch Versicherungsmonate gedeckt sei. Am 18. Dezember 1972 teilte die Pensionsversicherungsanstalt mit, der Kläger erfülle die Voraussetzungen des Art. 33 des österreichisch-jugoslawischen Abkommens über Sozialversicherung vom 19. November 1965 (österr. BGBl 1966 S. 1509).

Das Sozialgericht (SG) Frankfurt hat durch Urteil vom 6. August 1973 die beigeladene LVA O verurteilt, dem Kläger ab 1. November 1969 Altersruhegeld zu gewähren. Die Berufung der LVA O hat das Hessische Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 19. März 1974 zurückgewiesen. In den Entscheidungsgründen, auf die im einzelnen Bezug genommen wird, hat es ausgeführt: Der Kläger habe Anspruch auf die Gewährung des Altersruhegeldes, weil die Wartezeit von 180 Kalendermonaten erfüllt sei; zu der von ihm im Bundesgebiet zurückgelegten Versicherungszeit von 130 Kalendermonaten sei seine von 1920 bis 1929 in Jugoslawien zurückgelegte und glaubhaft gemachte Beschäftigungszeit hinzuzurechnen. Diese Zeit falle zwar in die österreichische Versicherungslast und gelte damit als österreichische Versicherungszeit. Sie könne jedoch in Anwendung der Ziff. 19 des Schlußprotokolls zum deutsch-österreichischen Abkommen vom 22. Dezember 1966 (BGBl 1969 II 1235) auch aus der deutschen Rentenversicherung entschädigt werden, weil hiernach dieses Abkommen bei Anwendung der deutschen Rechtsvorschriften über Fremdrenten nicht als Abkommen i. S. des § 2 Buchst. b des Fremdrentengesetzes (FRG) gelte. Die Ziff. 19 Buchst. b Nr. 2 c, aa dieses Schlußprotokolls stehe dem nicht entgegen. Eine erweiternde Auslegung dieser Ausnahmebestimmung auf Zeiten, die als österreichische Zeiten "gelten", lasse sich aus Art. 2 Abs. 3 des Abkommens vom 22. Dezember 1966 nicht herleiten, denn daraus ergebe sich lediglich, daß Versicherungslastregelungen aus dem Verhältnis Österreichs mit Drittstaaten auch im Bereich des deutsch-österreichischen Sozialversicherungsabkommens zu berücksichtigen seien. Das könne jedoch nicht bedeuten, daß sie damit zugleich den in Ziff. 19 Buchst. b Nr. 2 c, aa des Schlußprotokolls genannten, "in" Österreich zurückgelegten Zeiten gleichgestellt werden sollten. Die Ausnahmeregelung der Ziff. 19 Buchst. b Nr. 2 c, aa sei beschränkt auf Versicherungs- und Beschäftigungszeiten, die im Territorium der Republik Österreich tatsächlich zurückgelegt seien. Der gegenteiligen Auffassung, die das LSG Berlin in einem Urteil vom 22. Januar 1974 - 12 An 34/73 - vertreten habe, könne nicht beigetreten werden. Diese Auffassung verkenne die grundsätzliche Bedeutung der Ziff. 19 Buchst. b Nr. 2 a des Schlußprotokolls, die darin liege, daß durch die Aufhebung der Subsidiarität des FRG dessen Anwendung für alle Versicherungs- und Beschäftigungszeiten möglich werde, die in die österreichische Versicherungslast fallen.

Mit der - zugelassenen - Revision rügt die beigeladene LVA O die Verletzung des Art. 2 Abs. 3 des deutsch-österreichischen Sozialversicherungsabkommens und der Ziff. 19 Buchst. b Nr. 2 c, aa des hierzu ergangenen Schlußprotokolls. Sie meint, der Übergang der vom Kläger in Jugoslawien zurückgelegten Zeiten in die österreichische Versicherungslast bewirke, daß diese Zeiten ihren Charakter als jugoslawische Zeiten verloren hätten und als von Anfang an in der österreichischen Pensionsversicherung zurückgelegte Versicherungszeiten anzusehen seien. Damit sei kein Raum, sie nach dem FRG abzugelten, weil nach Ziff. 19 Buchst. b Nr. 2 c, aa des Schlußprotokolls die Subsidiarität des FRG im Verhältnis zu Österreich für Versicherungszeiten, die u. a. vor dem 1. Januar 1939 im Gebiet der Republik Österreich zurückgelegt sind, aufrecht erhalten bleibe, also insoweit § 2 Buchst. b FRG fortgelte. In diese Regelung seien auch beitragslose jugoslawische Beschäftigungszeiten einzubeziehen, da solche Zeiten nach österreichischem Recht den Charakter von Ersatzzeiten hätten und somit von der Versicherungslastregelung des Art. 33 des österreichisch-jugoslawischen Abkommens über soziale Sicherheit vom 19. November 1965 erfaßt würden. Zeiten, die aufgrund von Versicherungslastregelungen in die Versicherungslast eines Staates übernommen seien, müßten so behandelt werden, als seien sie im Gebiet des aufnehmenden Staates zurückgelegt worden. Die allgemeine Bestimmung des Art. 2 Abs. 3 des Abkommens müsse auch im Rahmen der Ziff. 19 des Schlußprotokolls gelten, da das Abkommen insoweit keine abweichenden Bestimmungen enthalte.

Die beigeladene LVA O beantragt,

die vorinstanzlichen Urteile aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Beklagte und die beigeladene LVA N schließen sich diesem Antrag an.

Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der beigeladenen LVA O ist nicht begründet. Beide Vorinstanzen haben zu Recht entschieden, daß dem Kläger der geltend gemachte Anspruch auf Altersruhegeld zusteht.

Nach § 1248 der Reichsversicherungsordnung (RVO) erhält ein Versicherter, der das 65. Lebensjahr vollendet hat, Altersruhegeld, wenn die Wartezeit von 180 Kalendermonaten erfüllt ist (§ 1248 Abs. 1 i. V. m. Abs. 4 RVO aF = § 1248 Abs. 5 i. V. m. Abs. 7 Satz 2 RVO nF). Das ist hier der Fall. Die Vorinstanzen haben deshalb mit Recht dem Kläger, der im Oktober 1969 das 65. Lebensjahr vollendet hat, das Altersruhegeld ab 1. November 1969 zuerkannt. Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, daß zu der vom Kläger ab Januar 1959 in der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegten Versicherungszeit von 130 Kalendermonaten seine Beschäftigungszeit in Jugoslawien von 1920 bis 1929 hinzuzurechnen ist. Denn nach den mit der Revision nicht angegriffenen und deshalb für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) ist diese Beschäftigungszeit glaubhaft gemacht (§ 16, i. V. m. § 4 FRG).

Für die Anrechnung dieser jugoslawischen Beschäftigungszeit kommt allerdings der deutsch-jugoslawische Vertrag über die Regelung gewisser Forderungen aus der Sozialversicherung vom 10. März 1956 (BGBl 1958 II 170) nicht in Betracht. Nach diesem Vertrag (Art. 2) übernehmen die deutschen Versicherungsträger Verpflichtungen aus Anwartschaften und Ansprüchen aufgrund von vor dem 1. Januar 1956 in der jugoslawischen Sozialversicherung zurückgelegten Versicherungszeiten nur gegenüber jenen Deutschen, die an diesem Stichtag ihren ständigen Wohnsitz im Gebiet der Bundesrepublik hatten. Zu diesem von dem Vertrag erfaßten Personenkreis gehört der Kläger nicht, denn er ist erst am 15. September 1958 in die Bundesrepublik übergesiedelt. Am 1. Januar 1956 befand er sich noch in Österreich. Deshalb kann die von ihm in Jugoslawien zurückgelegte Beschäftigungszeit auch nicht aufgrund des am 1. September 1969 in Kraft getretenen deutsch-jugoslawischen Abkommens über soziale Sicherheit vom 12. Oktober 1968 (BGBl 1969 II 1438) angerechnet werden. Nach Art. 25 Abs. 1 dieses Abkommens werden zwar für den Erwerb von Leistungsansprüchen grundsätzlich alle Versicherungszeiten zusammengerechnet, die in einem der beiden Vertragsstaaten, also in der Bundesrepublik oder in Jugoslawien, als anrechnungsfähige Versicherungszeiten vorhanden sind, soweit sie nicht auf dieselbe Zeit entfallen. Art. 2 Abs. 2 des Abkommens bestimmt jedoch, daß Rechtsvorschriften, die sich für einen der beiden Vertragsstaaten aus einem zwischenstaatlichen Vertrag mit einem dritten Staat ergeben, im Verhältnis der beiden Vertragsstaaten zu berücksichtigen sind, soweit sie Versicherungslastregelungen enthalten (vgl. RVO Gesamtkommentar, Internationales Sozialrecht, Deutschland-Jugoslawien, Abkommen Art. 2 Anm. 11 - S. 37). Eine solche die jugoslawische Beschäftigungszeit des Klägers erfassende Regelung der Versicherungslast enthält das am 1. Januar 1967 in Kraft getretene österreichisch-jugoslawische Abkommen über soziale Sicherheit vom 19. November 1965 (Österreichisches BGBl 1966 S. 1509). Nach Art. 33 dieses Abkommens übernehmen die österreichischen Versicherungsträger alle aus vor dem 1. Januar 1956 in der jugoslawischen Sozialversicherung zurückgelegten Versicherungszeiten entstandenen Anwartschaften und Ansprüche solcher Personen, die nach österreichischem Recht für den Bereich der Sozialversicherung als Volksdeutsche anerkannt werden und sich am 1. Januar 1956 im Gebiet von Österreich nicht nur vorübergehend aufgehalten haben. Diese Voraussetzungen sind beim Kläger erfüllt. Seine Beschäftigungszeit in Jugoslawien von 1920 bis 1929 ist mithin aufgrund dieses österreichisch-jugoslawischen Abkommens versicherungsrechtlich aus dem jugoslawischen in den österreichischen Bereich übergegangen (BSGE 18, 113, 114). Sie kann deshalb nicht nach dem deutsch-jugoslawischen Abkommen vom 12. Oktober 1968 als anrechenbare jugoslawische Zeit berücksichtigt werden.

Der Übergang der jugoslawischen Beschäftigungszeit des Klägers in den Bereich der österreichischen Sozialversicherung schließt jedoch entgegen der Auffassung der Revision die Anrechnung dieser Beschäftigungszeit nach § 16 FRG nicht aus. Allerdings gehen grundsätzlich zwischenstaatliche Rechtsvorschriften den innerstaatlichen vor. Diesem Grundsatz entsprechend bestimmt Art. 2 Abs. 3 des am 1. November 1969 in Kraft getretenen deutsch-österreichischen Abkommens über soziale Sicherheit vom 22. Dezember 1966 (BGBl 1969 II 1235), daß Versicherungslastregelungen enthaltende Rechtsvorschriften, die sich aus zwischenstaatlichen Verträgen mit dritten Staaten ergeben, im Verhältnis zwischen den Vertragsstaaten, also zwischen der Bundesrepublik und Österreich, zu berücksichtigen sind. Nach dieser Vorschrift des deutschösterreichischen Abkommens wäre deshalb im Rahmen dieses Abkommens die aufgrund der Versicherungslastregelung des österreichisch-jugoslawischen Abkommens in die österreichische Versicherungslast übergegangene jugoslawische Beschäftigungszeit des Klägers als österreichische Zeit zu behandeln. Ihre Anrechnung nach § 16 FRG wäre nicht möglich, denn nach § 2 Buchst. b FRG gilt dieses Gesetz nicht für Beschäftigungszeiten, die nach einem für die Bundesrepublik wirksamen zwischenstaatlichen Abkommen über Sozialversicherung in einer Rentenversicherung des anderen Staates anrechnungsfähig sind.

Diese Rechtsfolge ist jedoch durch das einen Bestandteil des deutsch-österreichischen Abkommens (Art. 49) bildende Schlußprotokoll zu diesem Abkommen vom 22. Dezember 1966 (BGBl 1969 II 1247) ausgeräumt worden. Nach Ziff. 19 Buchst. b Nr. 2 a Satz 1 dieses Schlußprotokolls gilt das Abkommen für die Anwendung der deutschen Rechtsvorschriften über Fremdrenten nicht als Abkommen i. S. dieser Rechtsvorschriften. Damit wird die Ausschlußwirkung des § 2 FRG ausdrücklich aufgehoben, so daß Versicherungs- und Beschäftigungszeiten, die - wie die glaubhaft gemachte jugoslawische Beschäftigungszeit des Klägers - aufgrund eines zwischenstaatlichen Abkommens in die österreichische Versicherungslast übergegangen sind, trotz dieses Übergangs nach dem FRG angerechnet werden müssen, wenn die übrigen für eine derartige Anrechnung erforderlichen Voraussetzungen vorliegen. Das ist beim Kläger der Fall. Er ist Vertriebener i. S. des BVFG (§ 1 FRG), Jugoslawien gehört zu den in § 16 FRG genannten ausländischen Gebieten (§ 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG) und die vom Kläger dort in den Jahren 1920 bis 1929 verrichtete Beschäftigung als Schuhmacher wäre, sofern sie in der Bundesrepublik verrichtet worden wäre, nach dem am 1. März 1957 geltenden Bundesrecht versicherungspflichtig gewesen. Diese Beschäftigung steht deshalb nach § 16 FRG einer mit Beiträgen belegten rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung in der Bundesrepublik gleich.

Der Anrechnung dieser Beschäftigung nach § 16 FRG steht die Ziff. 19 Buchst. b Nr. 2 c, aa des Schlußprotokolls vom 22. Dezember 1966 nicht entgegen. Hiernach gilt die Nr. 2 a dieser Ziffer nicht für Versicherungszeiten, die vor dem 1. Januar 1939 oder nach dem 10. April 1945 "im Gebiet der Republik Österreich" zurückgelegt sind. Für diese Beschäftigungszeiten wird also die durch Nr. 2 a erfolgte Aufhebung der Ausschlußwirkung des § 2 FRG wieder beseitigt. Für sie gilt das deutsch-österreichische Abkommen als Abkommen i. S. dieser Vorschrift des Fremdrentenrechts mit der Folge, daß sie nicht nach dem FRG anrechenbar sind.

Zu den von dieser Ausnahmeregelung erfaßten Zeiten gehört die jugoslawische Beschäftigungszeit des Klägers jedoch nicht, denn sie ist vom Kläger nicht "im Gebiet der Republik Österreich", sondern im Gebiet der heutigen Volksrepublik Jugoslawien zurückgelegt worden. Obwohl sie aufgrund des österreichisch-jugoslawischen Abkommens vom 19. November 1965 versicherungsrechtlich in den Bereich der österreichischen Sozialversicherung übergegangen ist, kann sie entgegen der Auffassung der Revision diesen "im Gebiet der Republik Österreich" zurückgelegten Versicherungszeiten nicht gleichgesetzt werden. Das ergibt sich aus der Denkschrift zum deutschösterreichischen Abkommen vom 22. Dezember 1966 (BT-Drucks. V/2584 S. 29). In dieser Denkschrift ist zu Ziff. 19 Buchst. b Nr. 2 b ausgeführt (Seite 42): Die durch diese Bestimmung erfolgte Einschränkung des in Nr. 2 a festgelegten Grundsatzes beruhe auf der Erwägung, daß aufgrund sozialversicherungsrechtlicher Tatbestände, die sich im Gebiet der Republik Österreich zu einer Zeit ereignet haben, als für dieses Gebiet das frühere deutsche Reichsrecht nicht galt - die deutsche Sozialversicherung galt in Österreich erst ab 1. Januar 1939 (VO vom 22.12.1938, RGBl I 1912) -, die deutschen Versicherungsträger in keinem Fall Leistungen feststellen sollen. Dementsprechend seien in Unterabschnitt aa die auf österreichischem Gebiet außerhalb der Geltungsdauer der reichsrechtlichen Vorschriften eingetretenen Arbeitsunfälle von der Anwendung des FRG ausgeschlossen. Die Bestimmung Nr. 2 c enthalte für die Rentenversicherung eine der in Nr. 2 b getroffenen entsprechende Regelung.

Diese Ausführungen der Denkschrift stellen mithin ausdrücklich klar, daß die Nrn. 2 b und 2 c der Ziff. 19 Buchst. b des Schlußprotokolls Ausnahmeregelungen enthalten, die nur solche sozialversicherungsrechtlichen Tatbestände erfassen, die sich "im Gebiet" der Republik Österreich tatsächlich ereignet haben. Das entspricht auch dem Sinn und Zweck dieser Ausnahmeregelungen. Diejenigen sozialversicherungsrechtlichen Tatbestände, die sich im Gebiet der heutigen Republik Österreich zu einer Zeit ereignet haben, in der dort infolge des Anschlusses Österreichs an das Deutsche Reich die deutschen Sozialversicherungsvorschriften galten und für die deshalb die Träger der deutschen Sozialversicherung weiterhin leistungspflichtig sein sollen, sollen getrennt werden von jenen sozialversicherungsrechtlichen Tatbeständen, die sich im selben Gebiet in Zeiten ereignet haben, in denen die deutschen Sozialversicherungsvorschriften dort nicht galten. Für diese Zeiten sollen nicht die deutschen, sondern ausschließlich die österreichischen Sozialversicherungsträger zur Leistungsgewährung verpflichtet bleiben. Diesem Sinn und Zweck der Ausnahmeregelungen zufolge können mithin sozialversicherungsrechtliche Tatbestände, die sich nicht in dem von diesen Ausnahmeregelungen des Schlußprotokolls erfaßten Gebiet ereignet haben, selbst dann nicht unter diese Ausnahmeregelungen fallen, wenn sie infolge zwischenstaatlich vereinbarter Versicherungslastverschiebungen später in die Versicherungslast der heutigen Republik Österreich gelangt sind, wie das bei der im Gebiet der heutigen Volksrepublik Jugoslawien zurückgelegten Beschäftigungszeit des Klägers der Fall ist. Derartige sozialversicherungsrechtliche Tatbestände haben mit dem "Anschluß" Österreichs an das Deutsche Reich nichts zu tun. Sie sind von der lediglich eine Folge dieses "Anschlusses" bildenden Einführung der deutschen Sozialversicherungsvorschriften in Österreich nicht berührt worden.

Mit Recht ist das Berufungsgericht der gegenteiligen Rechtsauffassung des LSG Berlin, die die Anrechenbarkeit der Beschäftigungszeit des Klägers in Jugoslawien nach § 16 FRG ausschlösse, nicht gefolgt. Das LSG Berlin hat in seinem Urteil vom 22. Januar 1974 - L 12 An 34/73 - ausgeführt: Die Bestimmung der Ziff. 19 Buchst. b Nr. 2 a des Schlußprotokolls zum deutsch-österreichischen Abkommen vom 22. Dezember 1966 sei nur für den "Normalfall" von Bedeutung, daß hinsichtlich der in dritten Ländern zurückgelegten Versicherungs- und Beschäftigungszeiten sowohl die Voraussetzungen des FRG als auch diejenigen des österreichischen Auslandsrenten-Übernahmegesetzes (ARÜG) erfüllt seien. Nur insoweit - wenn die sich dauernd in Österreich aufhaltenden Vertriebenen deutscher Sprachzugehörigkeit bisher lediglich aufgrund des ARÜG einen Anspruch auf Anrechnung der in einem Drittstaat zurückgelegten Versicherungszeiten hätten - solle über Ziff. 19 aaO nunmehr das deutsche Fremdrentenrecht Anwendung finden und der Berechtigte im Ergebnis so gestellt werden, daß er durch die deutsche und die österreichische Leistung zusammen mindestens so viel erhalte, wie er beanspruchen könnte, wenn die fraglichen Ansprüche nur nach innerstaatlichen deutschen Rechtsvorschriften zu beurteilen wären.

Für diese vom LSG Berlin vertretene Auffassung spricht auch nicht, daß in der Denkschrift zum deutsch-österreichischen Abkommen vom 22. Dezember 1966 zu den Nrn. 2 bis 4 der Ziff. 19 Buchst. b des Schlußprotokolls (BT-Drucks. V/2584 S. 41) ausgeführt ist, die zwischen den beiden Vertragsstaaten, also zwischen der Bundesrepublik und Österreich, vorgenommene Aufteilung der Versicherungslast auf die beiderseitigen Versicherungsträger habe im Hinblick auf Besonderheiten des österreichischen Rechts dazu geführt, daß die betroffenen Berechtigten zum Teil finanzielle Nachteile hätten in Kauf nehmen müssen gegenüber Personen, die sich nicht an einem der für ihre Übernahme in die österreichische Versicherungslast maßgebenden Stichtage in Österreich aufgehalten haben; derartige Nachteile würden durch diese Bestimmungen des Schlußprotokolls beseitigt. Aus dieser Erläuterung läßt sich nicht schließen, daß es sich hier nur um die Beseitigung solcher finanzieller Nachteile handeln soll, die sich aus einer unmittelbar zwischen den beiden Vertragsstaaten vorgenommenen Versicherungslastaufteilung ergeben. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb demgegenüber finanzielle Nachteile, die sich aus einer in einem zwischenstaatlichen Vertrag mit einem dritten Staat enthaltenen Versicherungslastregelung ergeben, von den betroffenen Berechtigten in Kauf genommen werden müßten, und zwar um so weniger, als Art. 2 Abs. 3 des deutsch-österreichischen Abkommens ausdrücklich vorschreibt, daß eine derartige, in einem zwischenstaatlichen Vertrag mit einem dritten Staat enthaltene Versicherungslastregelung im Verhältnis zwischen den beiden Vertragsstaaten zu berücksichtigen ist, es sich damit also ebenfalls um eine zwischen den beiden Vertragsstaaten vorgenommene Aufteilung der Versicherungslast handelt. Abgesehen hiervon hebt Nr. 2 a Satz 1 der Ziff. 19 Buchst. b des Schlußprotokolls die Subsidiarität des FRG ganz allgemein und uneingeschränkt auf. Die Denkschrift (S. 41/42) stellt hierzu ausdrücklich klar, daß damit der deutsche Rentenversicherungsträger künftig im Verhältnis zur österreichischen Sozialversicherung bei der Beurteilung von Leistungsansprüchen § 2 FRG nicht mehr anzuwenden habe, was im Ergebnis zunächst zu Doppelanrechnungen von Versicherungszeiten durch die Versicherungsträger beider Vertragsstaaten führe. Um dennoch Doppelzahlungen auszuschließen, sind deshalb nach Satz 2 dieser Bestimmung i. V. m. der Vorschrift Nr. 3 Buchst. c Satz 3 und 4 der Ziff. 19 Buchst. b des Schlußprotokolls Leistungen anzurechnen, die aufgrund derselben Versicherungszeiten für denselben Zeitraum von einem Versicherungsträger des anderen Vertragsstaates gezahlt wurden. Für den betroffenen Berechtigen ergeben sich mithin aus der eingetretenen Versicherungslastverschiebung weder Nachteile noch auch Vorteile. Nur das aber entspricht dem Sinn und Zweck der getroffenen Regelung.

Nach alledem ist die Revision der beigeladenen LVA O als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1648615

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