Leitsatz (amtlich)
Die Vornahme einer neuen Prüfung nach RVO § 1744 ist nicht an eine Frist gebunden (Anschluß BSG 1958-01-304 RJ 270/56 = BSGE 6, 284).
Normenkette
RVO § 1744 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Schleswig vom 12. Februar 1959 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Der Kläger war früher selbständiger Viehhändler in R… (Pommern). Im Juni 1946 kam er im Zuge der Nachkriegsereignisse nach Schleswig-Holstein. Im September 1948 suchte er um Kriegsbeschädigtenrente nach, weil er sich im Juli oder August 1943 als Mitglied der Pflichtfeuerwehr R… bei einer Brandbekämpfung in … (Westpreußen) durch schweres Heben eine Netzhautablösung beider Augen zugezogen habe, die zu seiner völligen Erblindung geführt habe. Mit diesem Antrag hatte er keinen Erfolg. Der ablehnende Bescheid der Landesversicherungsanstalt Schleswig-Holstein vom 6. Juli 1949 ist durch rechtskräftig gewordenes Urteil des Oberversicherungsamts (OVA) S... vom 11. August 1950 bestätigt worden. Darin ist ausgeführt: Es sei zwar mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß der Kläger durch eine Netzhautablösung an beiden Augen, ausgelöst in richtunggebender Verschlimmerung durch seine Tätigkeit bei der Brandbekämpfung, erblindet sei. Die Schädigung sei jedoch nicht bei einem militärähnlichen Dienst, sondern beim Feuerwehrdienst eingetreten.
Noch während der Anhängigkeit des vorerwähnten Verfahrens beim OVA Schleswig beantragte der Kläger wegen seiner Erblindung vorsorglich auch Entschädigung von der Feuerwehr-Unfallversicherungskasse ( FUVK ) für Schleswig-Holstein in K... In der Unfallanzeige ist ua ausgeführt: Beim schweren Heben sei es dem Kläger vor dem Auge wie ein Blitz gewesen, und die Augen hätten gewaltig geschmerzt; den ersten Blitz habe er beim Heben einer schweren Schlauchrolle verspürt, den zweiten beim Heben eines Stiftendreschers aus einem Gehöft. Auf eine Anfrage der FUVK bei der Augenklinik der Universität G..., in welcher der Kläger im Jahre 1943 stationär behandelt worden war, teilte die Klinik mit, ein Befundbericht über den Kläger liege nicht vor; Prof. Dr. V..., auf dessen Privatstation der Kläger gelegen habe, habe bei seinem Fortgang nach L... die Krankengeschichten seiner Patienten mitgenommen. Daraufhin gewährte die FUVK dem Kläger durch Bescheid vom 1. Juni 1951 die Vollrente und ein Pflegegeld von 75,-- DM monatlich vom 1. April 1951 an. Der Bescheid ist auf die in dem o.a. Urteil des OVA Schleswig getroffenen Feststellungen und auf die in diesem Verfahren abgegebenen Gutachten der Ärzte Dr. B... und Dr. M... gestützt. Er enthält vor der Rechtsmittelbelehrung folgende Ausführungen: "Es wird bemerkt, daß die Feuerwehr-Unfallversicherungskasse Schleswig-Holstein für Ihren Unfall unmittelbar nicht zuständig ist, Sie jedoch im Auftrage des Landes Schleswig-Holstein bzw. des Bundes als Flüchtling versorgt. Es ist zu erwarten, daß eine endgültige Regelung der Zuständigkeit in Kürze durch Gesetz erfolgen wird."
Nachdem die Zuständigkeit zur Entschädigung auf Grund des § 7 Abs. 1 des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes (FremdRG) vom 7. August 1953 auf die durch die Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung vertretene Beklagte übergegangen war, stellte die FUVK die Rentenzahlung an den Kläger mit Ablauf des Jahres 1953 ein und gab die Unterlagen an den nunmehr zuständigen Versicherungsträger ab. Die Beklagte veranlaßte die Weiterzahlung der Rente und stellte zugleich weitere Ermittlungen an durch Vernehmung des Maschinisten S..., der gemeinsam mit dem Kläger bei der Brandbekämpfung in B... eingesetzt war, durch Beiziehung der den Kläger betreffenden Akten des Versorgungsamts Heide sowie durch Einholung einer Auskunft des Prof. Dr. V... Darin heißt es im wesentlichen: Der Kläger habe nach seiner Aufnahme in die Universitätsklinik G... im September 1943 angegeben: Er sei auf dem linken Auge immer kurzsichtig gewesen. Im Jahre 1933 habe er sich mit einem Strohhalm in das rechte Auge gestoßen; dieses sei dadurch allmählich erblindet. Deshalb sei er auch nicht Soldat geworden. Am 14. September 1943 habe er plötzlich auf dem linken Auge nichts mehr gesehen. Als Ursache hierfür komme vielleicht eine Überanstrengung bei der Kartoffelernte in Betracht. Die Auskunft des Prof. Dr. V... lautet weiter: Er habe im Jahre 1943 die Diagnose gestellt: "Angeborene symmetrische Ektopie bzw. Subluxation der Linse. Rechts wahrscheinlich alte Netzhautablösung mit Erblindung, links frische Netzhautablösung". Von einer Überanstrengung beim Feuerwehreinsatz habe der Kläger in der Augenklinik nichts gesagt. Er sei schicksalsmäßig in hohem Grade zur Netzhautablösung disponiert gewesen.- Anläßlich einer von der Beklagten veranlaßten Untersuchung des Klägers in der Universitäts-Augenklinik K... gab dieser am 1. Dezember 1955 an, er habe sich in den ersten Kriegsjahren einen Strohhalm ins rechte Auge gestoßen. Weiter erklärte er, er habe bei der Brandbekämpfung im Sommer 1943 anläßlich des Hebens einer kleinen Dreschmaschine ein heftiges Blitzen vor beiden Augen bemerkt. Die Sachverständigen der Klinik (Prof. Dr. M... Doz. Dr. P...) kamen in ihrem Gutachten zu dem Ergebnis, die Erblindung des Klägers sei nicht durch einen Arbeitsunfall verursacht worden, sondern schicksalsmäßig eingetreten.
Gestützt auf dieses Gutachten lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 29. Dezember 1955 den Entschädigungsanspruch des Klägers ab.
Mit der hiergegen gerichteten Klage hat der Kläger beantragt, den Ablehnungsbescheid aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm vom 1. Februar 1956 an die Vollrente und ein Pflegegeld von monatlich 100,-- DM zu gewähren. Er hat die Klage damit begründet, daß die Erblindung auf Überanstrengung bei der Brandbekämpfung in B... zurückzuführen sei. Demgegenüber hat die Beklagte ausgeführt, der Kläger habe die bisherigen Leistungen im Wege der vorläufigen Fürsorge erhalten; die Beklagte sei daher bei der am 29. Dezember 1955 auf Grund des FremdRG getroffenen Feststellung nicht an den Bescheid der FUVK vom 1. Juni 1951 gebunden gewesen.
Das Sozialgericht (SG) hat zunächst die Akten der Staatsanwaltschaft Itzehoe zur Prüfung vorgelegt, ob der Kläger sich einer strafbaren Handlung schuldig gemacht habe. Die Staatsanwaltschaft hat das Verfahren auf Grund des Straffreiheitsgesetzes vom 17. Juli 1954 eingestellt. Durch Urteil vom 13. März 1957 hat das SG den angefochtenen Bescheid aufgehoben und die Beklagte antragsgemäß mit folgender Begründung verurteilt: Die FUVK habe vor dem 1. April 1952 die Rente des Klägers mittels förmlichen Bescheides festgestellt; es liege nicht etwa eine formlose fürsorgerische Maßnahme vor. Infolgedessen sei die Beklagte an den Bescheid der FUVK vom 1. Juni 1951 gebunden (§ 17 Abs. 6 FremdRG). Sie könne sich von der Bindung nur lösen, wenn die Voraussetzungen des Wiederaufnahmeverfahrens (§ 1744 der Reichsversicherungsordnung -RVO-) gegeben wären. Dies sei jedoch nicht der Fall. Der Kläger habe den Bescheid nicht durch eine mit gerichtlicher Strafe bedrohte Handlung erwirkt. Betrug (§ 263 des Strafgesetzbuches -StGB-) liege nicht vor, weil es an einem Vermögensschaden bei der FUVK fehle; der Kläger hätte selbst dann die Vollrente erhalten, wenn er nach vorausgegangener Erblindung des rechten Auges bei dem Unfall nur das zweite (linke) Auge verloren hätte. Hinsichtlich seiner Behauptung, das linke Auge durch einen Unfall verloren zu haben, liege eine strafbare Handlung nicht vor, denn er habe in Unkenntnis einer schicksalsmäßig verlaufenen Erkrankung gutgläubig die Erblindung des linken Auges auf den Unfall zurückgeführt. Die Wiederaufnahme könne auch nicht auf § 1744 Abs. 1 Nr. 6 RVO gestützt werden. Die Auskunft des Prof. Dr. V... habe zur Zeit der ersten Rentenfeststellung noch nicht bestanden. Im übrigen habe die FUVK damals darauf verzichtet, eine Auskunft von Prof. Dr. V... über die Krankengeschichte einzuholen.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte rechtzeitig Berufung eingelegt. Sie hat ausgeführt: Der Bescheid vom 1. Juni 1951 sei keine bindende Leistungsfeststellung im Sinne des § 17 Abs. 6 FremdRG. Außerdem müßten die Voraussetzungen für ein Wiederaufnahmeverfahren bejaht werden; denn es liege ein Betrug vor. Ein Vermögensschaden sei insofern gegeben, als die unrichtige Angabe des Klägers hinsichtlich des rechten Auges die Beklagte veranlaßt habe, die Gründe für die Erkrankung des anderen Auges nicht nachzuprüfen und von weiteren Ermittlungen abzusehen. Wären diese Ermittlungen durchgeführt worden, so hätte der Kläger mit Rücksicht auf die unfallunabhängige Herkunft seines Leidens überhaupt keine Rente erhalten.
Am 1. März 1958 hat die Beklagte dem Kläger einen weiteren Ablehnungsbescheid erteilt, durch den sie den Bescheid der FUVK im Wege der Wiederaufnahme des Verfahrens aufgehoben hat.
Das Landessozialgericht (LSG) hat erneut Zeugen vernommen sowie ärztliche Gutachten von dem Augenarzt Dr. O..., von der Universitätsaugenklinik Hamburg (Dozent Dr. U... /Dr. D...) und von dem Facharzt für Augenkrankheiten Dr. C... eingeholt. Dr. O... hat ausgeführt, wenn gewisse Behauptungen des Klägers nicht einwandfrei widerlegt werden könnten, sei "trotz aller Unstimmigkeiten und Unklarheiten die Möglichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs nicht mit Sicherheit abzulehnen". Im Gutachten der Universitätsaugenklinik H... heißt es: Der Kläger sei höchstwahrscheinlich zu einer Netzhautablösung auf beiden Augen disponiert gewesen. Das rechte Auge sei bereits vor 1943 erblindet gewesen. Wenn man davon ausgehe, daß der Kläger bei der Brandbekämpfung lediglich den üblichen Belastungen ausgesetzt gewesen sei, so sei die möglicherweise bei dieser Tätigkeit eingetretene Netzhautablösung auf Grund der vorhandenen Disposition eingetreten und nicht etwa durch die Anstrengung bei der Brandbekämpfung mit verursacht worden. Die Ablösung hätte auch bei jeder anderen Gelegenheit zur gleichen Zeit eintreten können. Im übrigen sei es nach den Angaben des Prof. Dr. V... wahrscheinlicher, daß die Netzhautablösung bei der Kartoffelernte eingetreten sei. Dr. C... hat sich dem Gutachten der Universitätsaugenklinik H... angeschlossen.
Das LSG Schleswig hat durch Urteil vom 12. Februar 1959 das erstinstanzliche Urteil aufgehoben; es hat die Klage abgewiesen und den Antrag auf Aufhebung des Bescheids vom 1. März 1958 zurückgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es im wesentlichen ausgeführt: Der Bescheid der FUVK vom 1. Juni 1951 sei als rechtskräftige Feststellung eines Versicherungsträgers im Bundesgebiet im Sinne des § 17 Abs. 6 FremdRG zu betrachten. Für die Anwendbarkeit dieser Vorschrift sei entscheidend, ob ein förmlicher Bescheid mit Rechtsmittelbelehrung erteilt worden sei. In einem solchen Falle liege eine rechtskräftige Feststellung auch vor, wenn der Bescheid, wie hier, mit der Bemerkung versehen sei, daß die zahlende Berufsgenossenschaft nicht unmittelbar zuständig sei und lediglich im Auftrage des Landes bzw. des Bundes eine Versorgung übernehme. Die Berufung sei jedoch begründet, weil gegenüber dem Bescheid vom 1. Juni 1951 die Wiederaufnahmegründe des § 1744 Abs. 1 Nr. 3 und 4 RVO durchgriffen. Hinsichtlich der sachlichen Zuständigkeit für das Wiederaufnahme verfahren beständen keine Bedenken. Da die Beklagte nach § 7 Abs. 1 FremdRG kraft Gesetzes die Leistungen von der FUVK übernommen habe, sei sie auch für das Wiederaufnahmeverfahren zuständig. Die FUVK habe nach Abgabe der sachlichen Zuständigkeit nicht mehr tätig werden können. Zwar habe die Beklagte die Monatsfrist nach § 1728 Abs. 1 RVO aF nicht gewahrt; § 1728 Abs. 1 RVO aF sei jedoch gemäß § 224 Abs. 3 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) aufgehoben worden. § 1744 Abs. 2 RVO stehe der Wiederaufnahme nicht entgegen, weil das Strafverfahren gegen den Kläger auf Grund des Straffreiheitsgesetzes vom 17. Juli 1954 eingestellt worden sei. Der Kläger habe sowohl den objektiven als auch den subjektiven Tatbestand des Betruges erfüllt. Den objektiven Tatbestand habe er dadurch verwirklicht, daß er eine falsche Tatsache vorgespiegelt habe, indem er sowohl in den der Rentenbewilligung zugrundeliegenden Versorgungsakten als auch in seinem Vorbringen gegenüber der FUVK angegeben habe, beide Augen auf Grund der Überanstrengung bei der Brandbekämpfung verloren zu haben. Weiterhin habe er die wahre Tatsache unterdrückt, daß das rechte Auge bereits lange vor Kriegsbeginn erblindet gewesen sei. Hierdurch habe er ursächlich bei der FUVK einen Irrtum hervorgerufen und insofern eine Vermögensverfügung erwirkt, als die FUVK eine Rente und ein Pflegegeld bewilligt habe. Dadurch sei eine Vermögensschädigung der FUVK und späterhin auch der Beklagten eingetreten. Bei Kenntnis des wahren Sachverhalts hätte die FUVK die Rente und das Pflegegeld nicht bewilligt und sich mit den in den Akten des Versorgungsamts H... befindlichen Gutachten nicht begnügt. Vielmehr hätte sie dann mit Sicherheit die bei Prof. Dr. V... befindliche Krankengeschichte angefordert und damit die Veranlagung des Klägers zur Netzhautablösung erkannt. Bei dieser Sachlage hätte sie ein neues Gutachten eingeholt, welches das gleiche Ergebnis gehabt hätte, wie es in den späteren Gutachten niedergelegt ist. Bei dem durch Langwüchsigkeit ausgezeichneten Körperbau des Klägers hätte die durch Prof. Dr. V... diagnostizierte angeborene symmetrische Ektopie mit Sicherheit zu dem Schluß geführt, daß das linke Auge genau wie vorher das rechte nur gelegentlich der Verrichtung irgendeiner Tätigkeit erblindet sei. Ein Arbeitsunfall wäre dann nicht angenommen worden, weil Schädigungen, die nur bei Gelegenheit einer versicherten Tätigkeit und nach menschlichem Ermessen auch bei jedem anderen, nicht zu vermeidenden Anlaß eingetreten wären, mit der versicherten Tätigkeit nicht in einem unfallrechtlich erheblichen ursächlichen Zusammenhang ständen. Diese Voraussetzungen seien hier gegeben, denn nach dem überzeugenden Gutachten des Sachverständigen Dr. C..., das sich vollständig mit den übrigen Gutachten decke, sei der Kläger hochgradig zur Netzhautablösung disponiert gewesen. Bei Menschen mit dieser Veranlagung genüge eine Anstrengung, wie sie im täglichen Leben häufig vorkomme, um einen derartigen Schaden entstehen zu lassen. Zwar wäre das Anheben einer außergewöhnlich schweren Last mit der Notwendigkeit, dabei die Bauchpresse zu betätigen, auch dann als wesentliche Mitursache im Sinne des § 542 RVO zu betrachten, wenn eine Disposition zur Netzhautablösung vorliege. Nach dem Beweisergebnis sei jedoch nicht hinreichend wahrscheinlich, daß der Kläger bei der Brandbekämpfung schwerer habe heben müssen, als dies sonst in seinem Beruf als Viehhändler der Fall gewesen sei. Wenn der Kläger ein schweres Heben beim Feuerlöschen als Ursache der linksseitigen Erblindung angesehen hätte, so sei nicht einzusehen, warum er dieses nicht Prof. Dr. V... mitgeteilt hätte. Nach den vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gemachten Angaben sei es sogar wahrscheinlicher, daß die Netzhautablösung erst beim Kartoffelgraben eingetreten sei; denn der Kläger habe nach dem Brand seinem Beruf als Viehhändler zunächst weiter nachgehen können. Auch die subjektiven Tatbestandsmerkmale des Betruges seien erfüllt. Dem Kläger sei bei der Anmeldung des Schadens bekannt gewesen, daß das rechte Auge bereits lange vor dem Unfall erblindet gewesen sei. Weiter sei ihm auf Grund seiner langjährigen Erfahrung, die er durch seine Behandlung wegen der Netzhautablösung gewonnen habe, bekannt gewesen, welche Bedeutung hinsichtlich der medizinischen und damit auch unfallrechtlichen Beurteilung dem Umstand habe beigemessen werden können, daß das rechte Auge bereits vor dem Unfall infolge eines geringfügigen Anlasses erblindet war. Er habe auch die Absicht gehabt, sich einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen. In der letzten mündlichen Verhandlung habe er vortragen lassen, daß er bei der Antragstellung bewußt den Verlust beider Augen auf die Brandbekämpfung zurückgeführt habe, weil er der Annahme gewesen sei, bei dem Verlust nur eines Auges lediglich die halbe Rente beanspruchen zu können. Auch der Tatbestand des § 1744 Abs. 1 Nr. 4 RVO sei erfüllt. Der Kläger habe Tatsachen, die für den Erlaß des Verwaltungsakts von wesentlicher Bedeutung gewesen seien, wissentlich falsch behauptet und vorsätzlich verschwiegen. Die FUVK hätte bei Kenntnis der Erblindung des rechten Auges eine gründlichere augenfachärztliche Prüfung vorgenommen und außerdem die bei Prof. Dr. V... erwachsenen Unterlagen beigezogen. Die medizinische und unfallrechtliche Beurteilung wäre dann die gleiche gewesen wie heute.
Das LSG hat die Revision "wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage zugelassen, unter welchen Umständen ein verbindlicher Bescheid nach § 17 Abs. 6 FremdRG anzunehmen ist."
Das Urteil ist dem Kläger am 25. Juni 1959 zugestellt worden. Er hat hiergegen am 30. Juni 1959 durch den Reichsbund der Kriegs- und Zivilbeschädigten, Sozialrentner und Hinterbliebenen Revision eingelegt. Die Revisionsbegründungsfrist ist bis zum 25. September 1959 verlängert worden. Innerhalb der verlängerten Frist hat, nachdem die ursprünglichen Prozeßbevollmächtigten ihre Prozeßvertretung niedergelegt hatten, der jetzige Prozeßbevollmächtigte des Klägers mit einem am 24. September 1959 eingegangenen Schriftsatz die Revision begründet. Er führt aus: Die Voraussetzungen für ein Wiederaufnahmeverfahren seien nicht nach § 1744 RVO, sondern nach § 179 SGG in Verbindung mit §§ 578 ff der Zivilprozeßordnung (ZPO) zu beurteilen. Im vorliegenden Falle sei ein Wiederaufnahmeverfahren nicht möglich, weil die Monatsfrist des § 586 ZPO nicht gewahrt sei. Selbst wenn aber die Zulässigkeit des Wiederaufnahmeverfahrens allein nach § 1744 RVO zu beurteilen sei, hätte die Monatsfrist des früheren § 1728 Abs. 1 RVO beachtet werden müssen. Die Aufhebung dieser Vorschrift durch § 224 Abs. 3 Nr. 1 SGG bedeute nicht, daß rechtskräftige Verwaltungsakte nun jederzeit und ohne Einschränkung im Wiederaufnahmeverfahren aufgehoben werden könnten. Man müsse § 586 ZPO entsprechend anwenden. Es beständen auch erhebliche Zweifel, ob die Wiederaufnahmegründe des § 1744 Abs. 1 Nr. 3 und 4 RVO vorlägen. Die falsche Angabe des Klägers, nach dem Unfall bei dem Großbrand in Briesen seien beide Augen erblindet, sei für den Verwaltungsakt nicht ursächlich gewesen. Hätte er wahrheitsgemäß angegeben, daß er damals schon auf einem Auge erblindet war, so hätte ihm die Rente ebenfalls gewährt werden müssen. Die Annahme, daß die FUVK in diesem Falle keine Entschädigung gewährt hätte, sei eine nicht bewiesene Vermutung.- Im übrigen greift die Revision die Beweiswürdigung des LSG hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Netzhautablösung und Überanstrengung bei der Brandbekämpfung an.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 29. Dezember 1955 und 1. März 1958 zu verurteilen, dem Kläger vom 1. Februar 1956 an die Vollrente und ein Pflegegeld von monatlich 100,-- DM zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält es für zweifelhaft, ob die Beklagte an den Bescheid der FUVK vom 1. Juni 1951 gebunden ist. Hinsichtlich der Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 1744 RVO tritt sie den Ausführungen des LSG bei. Zur Begründung dafür, daß eine neue Prüfung nach § 1744 RVO nicht mehr von der Einhaltung einer Frist abhänge, bezieht sie sich auf BSG 6, 283.
II
Die Revision ist durch Zulassung statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG), sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, also zulässig; sie hatte jedoch keinen Erfolg.
Der erkennende Senat hat die vom LSG bejahte Rechtsfrage, ob der Bescheid der FUVK vom 1. Juni 1951 eine rechtskräftige, die Beklagte bindende Feststellung einer Leistung im Sinne des § 17 Abs. 6 FremdRG darstellt, unentschieden gelassen. Einer Entscheidung hierüber bedurfte es nicht, weil jener Bescheid dadurch wirkungslos geworden ist, daß die Beklagte auf Grund des § 1744 RVO in der Fassung des § 220 Nr. 18 SGG eine neue Prüfung vorgenommen und in diesem Verfahren die Entschädigungsansprüche des Klägers mit Recht abgelehnt hat.
Gegen die Zuständigkeit der Beklagten zur Wiederaufnahme des von der FUVK durchgeführten Verwaltungsverfahrens bestehen, wie auch das LSG zutreffend angenommen hat, keine Bedenken. Die Beklagte ist nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 FremdRG vom Inkrafttreten dieses Gesetzes an für die Feststellung und Gewährung von Leistungen nach diesem Gesetz an die Stelle der FUVK getreten. Ebenso wie sie berechtigt und verpflichtet wäre, zugunsten des Verletzten beim Vorliegen der Voraussetzungen des § 1744 RVO in eine neue Prüfung einzutreten, konnte sie den bindend gewordenen Verwaltungsakt der FUVK aus der Zeit vor dem Eintritt ihrer Zuständigkeit nunmehr zuungunsten des Verletzten einer neuen Prüfung unterziehen.
Das LSG hat ferner mit Recht angenommen, daß die Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 1744 RVO an keine Frist gebunden ist. Nach § 179 Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 586 ZPO sind allerdings Nichtigkeits- und Restitutionsklagen innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Bekanntwerden des Anfechtungsgrundes zu erheben. In dem hier zu entscheidenden Falle handelt es sich jedoch nicht, wie im Falle des § 179 SGG, um die Wiederaufnahme eines rechtskräftig beendeten gerichtlichen Verfahrens, sondern um die Wiederaufnahme eines Verwaltungsverfahrens. § 586 ZPO ist daher nicht anwendbar, auch nicht sinngemäß, weil der Bindungswirkung eines Verwaltungsakts nicht die gleiche Bestandskraft zukommt wie der Rechtskraft eines Urteils und es infolgedessen nicht angängig ist, Vorschriften, welche die Möglichkeit der Aufhebung eines rechtskräftigen Urteils erschweren sollen, auf das Verwaltungsverfahren zu übertragen. Daß vor dem Inkrafttreten des SGG die Monatsfrist nicht nur für Wiederaufnahmeverfahren nach §§ 1722 ff RVO, sondern auch für die Anfechtung endgültiger Bescheide der Versicherungsträger galt (§ 1744. Abs. 2 i.V.m. § 1728 RVO aF), findet seine Erklärung darin, daß in jener Zeit den Bescheiden der Versicherungsträger erstinstanzliche Wirkung und eine der materiellen Rechtskraft von Urteilen ähnliche Bindung zukamen (vgl. BSG 5, 98). Der veränderten Auffassung von Bescheiden der Versicherungsträger entspricht es, daß bei der Neufassung des § 1744 RVO durch § 220 Nr. 18 SGG die Verweisung auf die durch § 224 Abs. 3 Nr. 1 SGG aufgehobenen §§ 1724 bis 1734 RVO ersatzlos wegfiel (vgl. BSG 6, 287; Tannen, SGb 1961, 104, 105).
Die Beklagte war zu einer neuen Prüfung des Entschädigungsanspruchs des Klägers schon deshalb berechtigt, weil - wie auch das LSG angenommen hat - der Tatbestand des § 1744 Abs. 1 Nr. 4 RVO erfüllt ist. Danach setzt die Wiederaufnahme des Verwaltungsverfahrens voraus, daß ein Beteiligter Tatsachen, die für den Erlaß des Verwaltungsakts von wesentlicher Bedeutung waren, wissentlich falsch behauptet oder vorsätzlich verschwiegen hat. Nach den Feststellungen des LSG, die das Bundessozialgericht (BSG) binden (§ 163 SGG), im übrigen auch von der Revision nicht in Zweifel gezogen worden sind, hat der Kläger bei der Anmeldung seines Entschädigungsanspruchs verschwiegen, daß er auf dem rechten Auge schon lange vor seinem Einsatz bei der Brandbekämpfung im Jahre 1943 erblindet war, und wider besseres Wissen behauptet, er habe das Augenlicht auf beiden Augen - also auch auf dem bereits früher erblindeten rechten Auge - durch Überanstrengung bei der Brandbekämpfung verloren. Dem Zeitpunkt und dem Ursprung der Netzhautablösung auf dem rechten Auge - in beiderlei Hinsicht hat der Kläger falsche Angaben gemacht - hat das LSG wesentliche Bedeutung für den Erlaß des Bescheides vom 1. Juni 1951 beigemessen, weil die FUVK bei Kenntnis des wirklichen Sachverhalts sich nicht mit den in den Akten des Versorgungsamts H... befindlichen Gutachten des Dr. B... und des Dr. M... begnügt, sondern eine gründlichere augenfachärztliche Prüfung veranlaßt und außerdem die bei Prof. Dr. V... erwachsenen Unterlagen beigezogen hätte; alsdann hätte sich ergeben, daß das nach der Meinung des Klägers für die Erblindung des linken Auges ursächlich gewesene Ereignis nur eine - versicherungsrechtlich unerhebliche - Gelegenheitsursache gewesen sei. Diese Subsumtion des LSG ist unter Zugrundelegung der von ihm festgestellten Tatsachen frei von Rechtsirrtümern. Die frühere Netzhautablösung auf dem rechten Auge war in Verbindung mit der Diagnose des Prof. Dr. V... für die Frage nach dem Zusammenhang der Netzhautablösung auf dem linken Auge mit dem vom Kläger angeführten schädigenden Ereignis des Jahres 1943 in hohem Maße bedeutsam; für die Entschließung der FUVK war die wissentlich falsche Sachdarstellung des Klägers von wesentlicher Bedeutung im Sinne des § 1744 Abs. 1 Nr. 4 SGG.
§ 1744 Abs. 2 RVO macht in den Fällen des Abs. 1 Nrn. 1 bis 4 die Zulässigkeit einer neuen Prüfung weiterhin davon abhängig, daß entweder "wegen der strafbaren Handlung eine rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung ergangen ist" oder "ein gerichtliches Strafverfahren aus anderen Gründen als wegen Mangels an Beweis nicht eingeleitet oder nicht durchgeführt werden konnte". Der Umstand, daß bereits § 1744 Abs. 1 Nr. 3 RVO jede strafbare Handlung als Wiederaufnahmegrund erfaßt, spricht dafür, daß der Wiederaufnahmegrund des Abs. 1 Nr. 4 keine strafbare Handlung darstellen muß. Deshalb liegt die Annahme nahe, daß die Anwendung des Abs. 2 auf Fälle des Abs. 1 Nr. 4 versehentlich vorgeschrieben worden ist (vgl. demgegenüber § 179 Abs. 2 SGG, der einen zusätzlichen Grund für die Wiederaufnahme eines gerichtlichen Verfahrens nur bei strafrechtlich erheblichem falschem Behaupten oder Verschweigen von Tatsachen regelt). Einer abschließenden Erörterung der Zweifelsfrage bedarf es jedoch im vorliegenden Falle nicht, weil die Voraussetzung des § 1744 Abs. 2 Nr. 2 RVO erfüllt ist; das gegen den Kläger wegen seiner falschen Angaben gegenüber dem Versicherungsträger eingeleitete Strafverfahren ist nicht wegen Mangels an Beweis, sondern auf Grund des Straffreiheitsgesetzes vom 17. Juli 1954 eingestellt worden.
Da somit das Verwaltungsverfahren schon nach § 1744 Abs. 1 Nr. 4 RVO wiederaufgenommen werden konnte, brauchte nicht geprüft zu werden, ob auch die Wiederaufnahmegründe des § 1744 Abs. 1 Nr. 3 oder Nr. 6 RVO gegeben waren.
Die hiernach zulässige erneute Prüfung des Entschädigungsanspruchs des Klägers hat zur Ablehnung durch die Beklagte geführt. Bei der Nachprüfung des Ablehnungsbescheides im gerichtlichen Verfahren hat das LSG es dahinstehen gelassen, ob die Netzhautablösung auf dem linken Auge im Anschluß an den Einsatz des Klägers bei der Brandbekämpfung oder erst später im Anschluß an Arbeiten bei der Kartoffelernte eingetreten ist. Selbst für den Fall, daß ein zeitlicher Zusammenhang zwischen der Brandbekämpfung und dem Eintritt der Netzhautablösung besteht, ist das LSG zu dem Ergebnis gelangt, daß es an dem für die Annahme eines Arbeitsunfalls erforderlichen inneren Zusammenhang zwischen dem von dem Kläger angeführten schädigenden Ereignis und der Netzhautablösung fehlt. Es hat auf Grund des Gesamtergebnisses der Beweisaufnahme festgestellt, der Kläger sei hochgradig zur Netzhautablösung disponiert und bei der Brandbekämpfung keiner außergewöhnlich schweren körperlichen Belastung ausgesetzt gewesen. Auf Grund dieser Beweiswürdigung, welche die Grenzen des Rechts der freien richterlichen Überzeugungsbildung nicht überschreitet, hat das LSG ohne Rechtsirrtum in der festgestellten Veranlagung des Klägers die rechtlich wesentliche Ursache für die Netzhautablösung auf dem linken Auge und in der körperlichen Beanspruchung bei der Brandbekämpfung eine - rechtlich unwesentliche - Gelegenheitsursache gesehen.
Das LSG hat somit das Vorliegen eines Arbeitsunfalls mit Recht verneint. Die Revision des Klägers war daher als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 SGG).
Die Entscheidung über die Kosten ergeht in Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen