Leitsatz (redaktionell)
Es ist dem pflichtmäßigen Ermessen des Versicherungsträgers überlassen, sich auf dem Ausschluß des Entschädigungsanspruchs durch die Versäumung der Anmeldefrist zu berufen.
Die Berufung hierauf ist jedenfalls dann kein Rechtsmißbrauch, wenn der verspätet geltend gemachte Anspruch nicht offensichtlich berechtigt ist.
Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen das Recht, sich auf die Versäumung der Anmeldefrist zu berufen, als verwirkt anzusehen ist.
Normenkette
RVO § 1546 Abs. 1 Fassung: 1942-08-20, § 1548 Fassung: 1924-12-15
Tenor
Die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 12. Februar 1959 und des Sozialgerichts Hildesheim vom 5. Juli 1957 werden aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Der Kläger wurde am 10. März 1938 von einem Arbeitsunfall betroffen. Er war damals in einem Steinbruchsbetrieb im Kreise se Z... als Spalter beschäftigt. Nach der von dem Unternehmer am 14. März 1938 erstatteten Unfallanzeige hatte sich von einer Schutthalde ein etwa faustgroßer Stein gelöst und im Fallen den Kläger am Kopf über dem linken Auge getroffen. Die Verletzung machte ärztliche Behandlung erforderlich; die Arbeit setzte der Kläger etwa acht Wochen aus. Im August 1938 übernahm er eine Gastwirtschaft.
Zu Kriegsbeginn wurde er Soldat. Im November 1939 und von Mitte März bis Mitte Mai 1940 wurde er in verschiedenen Militärlazaretten wegen "Kopfschmerzen nach altem Schädelbruch" und "alter Gehirnkontusion" beobachtet. Ende Juni 1940 wurde er mit der Leidensbezeichnung L 15 (Neuropathie, Psychopathie, schwerer Alkoholismus, Schwachsinn mittleren Grades) als dienstuntauglich entlassen, aber Anfang 1942 wieder eingezogen. Er kam in Fronteinsatz und wurde im Oktober 1944 durch Granatsplitter an linken Hinterkopf und rechten Unterkiefer verwundet. Die Lazarettbehandlung wurde damals wegen einer Prellung des Schädels durchgeführt. Im März 1948 zog er sich eine klaffende Kopfwunde über der Mitte des Scheitels zu.
Am 10. April 1951 stellte der Kläger wegen seiner Verwundung im Oktober 1944 erstmals Antrag auf Versorgungsbezüge nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Er machte Hirnverletzung und Brustquetschung geltend. Im Oktober 1951 wurde er in der Landesheil- und Pflegeanstalt W... beobachtet und untersucht. Daraufhin äußerten sich am 15. November 1951 die Anstaltsärzte Dr. B... und Dr. C... gutachtlich dahin, daß die Schädelverletzung im März 1938 einen noch bestehenden Beschwerdenkomplex hinterlassen habe und eine leichte hirnorganische Störung davon noch herrühre, daß hingegen die Verwundung im Oktober 1944 bei einer nur oberflächlichen Verletzung des Kopfes nicht für die Kopfbeschwerden ursächlich sei. Das Versorgungsamt H... lehnte auf Grund dieses Gutachtens den Antrag auf Versorgungsrente ab. Das Klageverfahren hierüber ist noch nicht rechtskräftig abgeschlossen.
Nunmehr beantragte der Kläger mit Schreiben vom 1. April 1952 aus Anlaß des Unfalls vom 10. März 1938 die Gewährung einer Rente von der Beklagten. Diese hatte wegen der Schwierigkeiten, die sich ihren Bemühungen um die Aufklärung des Sachverhalts entgegenstellten, den Kläger zur Mithilfe bei der Beschaffung von Beweisunterlagen aufgefordert und in einem Schreiben vom 21. Februar 1953 darauf hingewiesen, daß sie sich u. U. auf die Ausschlußfrist der §§ 1546 ff der Reichsversicherungsordnung (RVO) berufen müsse, falls er dies nicht durch Beibringung geeigneter Beweismittel verhindern könne. Unterlagen, die über Schwere und Auswirkung der Kopfverletzung im Jahre 1938 Aufschluß geben könnten, ließen sich nicht ermitteln. Die Beklagte ließ abschließend den Kläger im Mai 1954 von dem Nervenarzt Dr. D... begutachten, der die psychologischen Veränderungen ausschließlich für Folgen von Alkoholmißbrauch hält und die Erkennbarkeit eines Schädelbruchs auf den in der Heil- und Pflegeanstalt W... hergestellten Röntgenaufnahmen verneint. Die Beklagte lehnte daraufhin durch Bescheid vom 20. Juli 1954 einen Entschädigungsanspruch ab.
Der Kläger hat diesen Bescheid rechtzeitig angefochten und sich auf die ärztliche Ansicht der Sachverständigen Dr. B... und Dr. C... berufen. Das Sozialgericht (SG) hat das Land Niedersachsen als Träger der Versorgungsverwaltung zum Verfahren beigeladen und Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens der Neurologischen Klinik des Universitätskrankenhauses H...; die Gutachter Prof. Dr. P... und Dr. S... meinen, es sei eine Ermessensfrage und durch die ärztliche Untersuchung nicht mehr zu entscheiden, ob für den beim Kläger bestehenden Hirnschaden der Alkoholmißbrauch oder der Unfall vom Jahre 1938 ursächlich ist. Ein unfallbedingtes Auftreten des Hirnschadens halten sie für wahrscheinlicher, weil der Kläger im Jahre 1940 wegen posttraumatischer Beschwerden vorübergehend aus der Wehrmacht entlassen worden sei. Das SG hat entsprechend diesem Gutachten die Beklagte zur Entschädigungsleistung verurteilt. Es verkennt nicht, daß es bei der gegebenen Sachlage schwierig sei, einwandfreie Feststellungen über die Entstehungsursache der Beschwerden des Klägers zu treffen, hält jedoch das Gutachten der Ärzte Prof. Dr. P... und Dr. S... für ausreichend, um sich von dem ursächlichen Zusammenhang zwischen der hirnorganischen Wesensänderung des Klägers und seinem Arbeitsunfall zu überzeugen.
Im Berufungsverfahren weist die Beklagte auf die Schwere der Kopfverwundung des Klägers im Kriege hin und betont, daß er vor dem Kriege keine Unfallrente begehrt habe. In der Berufungsverhandlung hat sie ausdrücklich den Einwand der verspäteten Anspruchsanmeldung nach § 1546 RVO erhoben. Das Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 12. Februar 1959 die Berufung zurückgewiesen; es hat zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: Der Kläger habe die Ausschlußfrist des § 1546 RVO versäumt, ein Ausnahmefall des § 1547 RVO sei nicht gegeben. Die Beklagte habe jedoch ihr Recht, sich auf die Versäumung der Ausschlußfrist zu berufen, verwirkt. Es lägen Umstände vor, aus denen der Kläger habe schließen dürfen, daß die Beklagte seinen Entschädigungsanspruch nicht mehr unter Berufung auf § 1546 RVO ablehnen werde. Da sie schon im April 1953 unter Hinweis auf die Zweifelhaftigkeit der Erfolgsaussichten des Streitverfahrens für den Kläger die mögliche Geltendmachung ihres Abwehrrechts aus der angeführten Vorschrift angekündigt und trotz vermeintlichen Fortbestehens dieser Sachlage nach eingehenden Ermittlungsversuchen nicht eher endgültig von diesem Recht Gebrauch gemacht, vielmehr den Kläger im Mai 1954 von einem Nervenarzt habe begutachten lassen, schließlich ihren Ablehnungsbescheid nicht auf § 1546 RVO gestützt habe, sei darin ein Verhalten der Beklagten zu erblicken, auf das sich der Kläger eingerichtet habe; denn er habe auf die Gewährung der Rente vertraut. Der Entschädigungsanspruch des Klägers sei berechtigt. Seine Gesundheitsstörungen seien teilweise Folge des Arbeitsunfalls vom 10. März 1938.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Gegen das am 24. März 1959 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 14. April 1959 Revision eingelegt und sie am 11. Mai 1959 wie folgt begründet: Das angefochtene Urteil habe mit mehreren Verstößen gegen die Verfahrensvorschriften unrichtige tatsächliche Feststellungen und Schlußfolgerungen getroffen. Deshalb sei es zu der irrtümlichen Auffassung gelangt, die Hirnbeschwerden des Klägers seien Unfallfolgen. Bei einem ordnungsgemäß durchgeführten Verfahren und einwandfreier Beweiswürdigung hätte das LSG die schon lange bestehenden schädlichen Auswirkungen des Alkoholmißbrauchs auf die Gesundheit des Klägers berücksichtigen müssen und auch aus dem Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. P... und Dr. S... nicht herauslesen dürfen, daß diese den streitigen Ursachenzusammenhang mit hinreichender Wahrscheinlichkeit bejaht hätten. Jedenfalls habe sich die Beklagte nicht in rechtsmißbräuchlicher Weise auf die Versäumung der Ausschlußfrist des § 1546 RVO berufen. Die besonderen Voraussetzungen der Verwirkung dieses Rechtes seien nicht gegeben, insbesondere sei dem Kläger kein unbilliger zusätzlicher Nachteil dadurch zugefügt worden, daß die Beklagte auf ihr Recht aus § 1546 RVO zurückgegriffen habe.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält die erhobenen Verfahrensrügen für unberechtigt. Hinsichtlich der Verwirkung widerspricht er dem Revisionsvorbringen unter Bezug auf das angefochtene Urteil.
Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Der Senat hat von dieser Entscheidungsmöglichkeit Gebrauch gemacht (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
II
Die Revision ist durch Zulassung statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG); sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, somit zulässig. Der rechtlichen Nachprüfung des angefochtenen Urteils in vollem Umfange steht nicht entgegen, daß das LSG in der Begründung zu dem in der Urteilsformel enthaltenen uneingeschränkten Zulassungsausspruch zum Ausdruck gebracht hat, die Revision werde mit Rücksicht auf die Entscheidung über die Rechtsfrage der Verwirkung zugelassen. Abgesehen davon, daß die Zulassung der Revision nicht auf bestimmte Rechtsfragen, sondern nur auf bestimmte streitige Ansprüche beschränkt werden kann (BSG 3, 138, 139), ist der begründende Hinweis auf die zur Zulassung führende Rechtsfrage nicht dahin zu verstehen, daß das LSG auf sie die Zulassung beschränken wollte.
Die Revision hatte Erfolg. Sie führte zur Abweisung der Klage, weil der Entschädigungsanspruch des Klägers wegen Versäumung der Anmeldefrist des § 1546 RVO ausgeschlossen ist.
Wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, war die Frist des § 1546 Abs. 1 RVO im vorliegenden Streitfalle mit dem 31. Dezember 1947 abgelaufen (§ 2 des Gesetzes vom 15. Januar 1941 - RGBl I 34 -; SVA Nr. 10 vom 24. Juni 1947 - ArbBl für die brit. Zone S. 234 -; § 1 des Gesetzes über den Ablauf der durch Kriegsvorschriften gehemmten Fristen in der Sozial- und Arbeitslosenversicherung vom 13. November 1952 - BGBl - I 737 -). Vor diesem Zeitpunkt hat der Kläger nach den das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des angefochtenen Urteils (vgl. § 163 SGG) Ansprüche aus Anlaß des Unfalls vom 10. März 1938 weder bei der Beklagten noch einer der nach § 1549 Abs. 1 RVO zuständigen Stellen angemeldet. Die Unfallanzeige, die vom Arbeitgeber des Klägers wenige Tage nach dem Unfall formularmäßig erstattet worden war, ist nicht geeignet, im Sinne des § 1546 RVO den Anspruch des Klägers zu wahren (Mitgl. Komm. zur RVO, 2. Aufl., Bd. I 178, Anm. 7a zu § 1546). Die Voraussetzungen für die nachträgliche fristwahrende Anmeldung des Anspruchs gemäß § 1547 RVO sind nach den ebenfalls bindenden Feststellungen des angefochtenen Urteils nicht gegeben. Somit ist das LSG bei seiner Entscheidung zu Recht davon ausgegangen, daß der Kläger die Anmeldefrist des § 1546 RVO versäumt hat. Auf diese Fristversäumung durfte sich die Beklagte zur Abwehr des gegen sie geltend gemachten Entschädigungsanspruchs des Klägers berufen. Daß sie den Ausschluß dieses Anspruchs erst im Verfahren vor dem LSG geltend gemacht hat, ist unschädlich. Da ihr nach § 157 SGG gestattet war, in diesem Rechtszug neue Angriffe und Verteidigungsmittel vorzubringen, durfte sie sich auch des Einwandes der Fristversäumnis aus § 1546 RVO noch bedienen. Sie führte damit nicht einen Ablehnungsgrund in das Verfahren ein, der ihren mit der Klage angefochtenen Bescheid in seinem Ausspruch und Wesensgehalt geändert hätte. Im übrigen wurde der Kläger durch die Erweiterung der Ablehnungsgründe in seiner Rechtsverfolgung nicht beeinträchtigt; denn er hatte noch ausreichend Gelegenheit, zu dem ihm schon in dem Schreiben der Beklagten an seinen Prozeßbevollmächtigten vom 21. Februar 1953 angekündigten Einwand der Fristversäumung Stellung zu nehmen. Daß die Berufung auf den Ausschluß des Anspruchs in dem vorgerückten Prozeßstadium noch zulässig war, hat das LSG nicht verkannt. Es hat seiner Entscheidung - ohne dies allerdings näher darzutun - die in der bisherigen Rechtsübung herrschende Auslegung des § 1546 RVO zugrunde gelegt, nach der es dem pflichtmäßigen Ermessen des Versicherungsträgers überlassen ist, sich auf den Ausschluß des Entschädigungsanspruchs durch die Versäumung der Anmeldefrist zu berufen, und die Berufung hierauf jedenfalls dann kein Rechtsmißbrauch ist, wenn der verspätet geltend gemachte Anspruch nicht offensichtlich berechtigt ist (vgl. BSG 10, 88). Das LSG muß davon überzeugt gewesen sein, daß die Beklagte den Einwand der Fristversäumung erhoben hat, ohne ihr Recht hierzu in dem angeführten Sinne mißbraucht zu haben; denn für seine Entscheidung, daß die Beklagte ihr Recht aus § 1546 RVO verwirkt habe, wäre kein Raum gewesen, wenn das LSG die Berechtigung der Beklagten, sich auf die Fristversäumung des Klägers zu berufen, verneint hätte. Es trifft auch nach der Auffassung des erkennenden Senats zu, daß im Zeitpunkt der Geltendmachung der Fristversäumung der Entschädigungsanspruch des Klägers keinesfalls unzweifelhaft war. Über den streitigen Ursachenzusammenhang zwischen den Hirnbeschwerden des Klägers und seinem Unfall war keine einheitliche Meinung der ärztlichen Sachverständigen zu erzielen. Da die Untersuchungsbefunde und sonstigen Behandlungsunterlagen, insbesondere die Röntgenaufnahmen aus der ersten Zeit nach dem Unfall, fehlen, waren die in dem vorliegenden Streitverfahren gehörten Sachverständigen bei der Beurteilung der Frage, ob und welche Unfallfolgen noch vorhanden sind, auf die nicht einheitlichen Angaben des Klägers über Art und Schwere des Unfallhergangs sowie auf Rückschlüsse aus ihren Untersuchungsergebnissen auf den wahrscheinlichen Schädel- und Hirnbefund des Klägers in der maßgeblichen Zeit nach dem Unfall angewiesen. Schon die Unsicherheit dieser Beurteilungsgrundlagen läßt es naheliegend erscheinen, daß von einem offensichtlich bestehenden, den Anspruch des Klägers berechtigenden Ursachenzusammenhang zwischen seinem Leiden und dem Unfall nicht die Rede sein kann. Daran ändert nichts, daß das LSG bei der Würdigung der Beweise, insbesondere bei der Abwägung der für und gegen diesen Ursachenzusammenhang sprechenden gutachtlichen Ausführungen der zu Wort gekommenen Ärzte, (zu der Überzeugung gelangt ist, daß der derzeitige krankhafte Hirnzustand des Klägers nicht allein auf seinen Alkoholmißbrauch zurückzuführen sei, sondern daß mit Rücksicht auf die schon im Jahre 1939 und, 1940 bestehenden Kopfbeschwerden Unfallfolgen in begrenztem Maße mit Wahrscheinlichkeit als noch vorhanden angesehen werden könnten. Das LSG hat ausdrücklich eingeräumt, daß überhaupt eine sichere Klärung der Folgen, die der Arbeitsunfall vom Jahr; 1938 hinterlassen habe, nicht mehr möglich gewesen sei. Bei dieser Sach- und Rechtslage durfte sich die Beklagte auf die Versäumung der Anmeldefrist berufen. Nach dem Zweck dieser Vorschrift soll der Versicherungsträger gerade dagegen geschützt werken, daß der Ansprüche befriedigen muß, deren Grundlagen infolge Zeitablaufs nur noch unvollständig aufgeklärt werden können, die sich aber u. U. als unberechtigt erwiesen hätten, wenn die erforderlichen Ermittlungen in der ersten Zeit nach dem behaupteten Unfallereignis durchgeführt/worden wären (BSG aaO).
Das LSG hat jedoch der Beklagten das Recht, sich auf die Schutzvorschrift des § 1546 RVO zu berufen, unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Verwirkung versagt. Es ist der Meinung, daß hier die besonderen Voraussetzungen einer unzulässigen Rechtsausübung im Sinne des § 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches vorlägen. Dieser Auffassung ist der erkennende Senat nicht beigetreten.
Zwar gibt es, wie der erkennende Senat in seiner Entscheidung vom 20. Mai 1958 (BSG 7, 199) ausgesprochen hat, das Institut der Verwirkung materieller Rechte auch in der Sozialversicherung. Da es sich bei den Ausschlußfristen des § 1546 RVO um Fristen des materiellen Rechts handelt (BSG 10, 92; EuM 14, 24), kann auch der Versicherungsträger das Recht verwirken, sich auf den Ablauf einer solchen Frist zu berufen. Der erkennende Senat hat in seinem angeführten Urteil mit näherer Begründung ausgeführt, an welche Voraussetzungen der Eintritt der Verwirkung eines Rechts geknüpft ist. Danach ist dem Rechtsgedanken der Verwirkung wesenseigen, daß es sich bei ihr nur um Fälle des Rechtsmißbrauchs handeln kann, die auf Tatbestände und Rechtsfolgen einer illoyalen Verspätung der Rechtsausübung beruhen, und daß deshalb der bloße Zeitablauf den Rechtsverlust durch Verwirkung allein nicht herbeiführen kann, vielmehr weitere Umstände hinzutreten müssen, welche die späte Geltendmachung oder Ausübung des Rechts mit der Wahrung von Treu und Glauben als nicht vereinbar und dem Rechtspartner gegenüber wegen des illoyalen Verhaltens des Berechtigten nicht als zumutbar erscheinen lassen. Der Rechtspartner muß aus der längere Zeit dauernden Untätigkeit geschlossen haben, der Berechtigte werde von seinem Recht keinen Gebrauch mehr machen, und er muß sich im Vertrauen hierauf in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen entsprechend eingerichtet haben, so daß ihm ein unbilliger zusätzlicher Nachteil zugefügt würde, wenn der Berechtigte nachträglich auf sein Recht zurückgreifen dürfte.
Hiernach hat das LSG zwar den Einwand der Beklagten aus § 1546 RVO zu Recht unter dem Gesichtspunkt der Verwirkung geprüft, jedoch zu Unrecht angenommen, daß die besonderen Voraussetzungen einer unzulässigen Rechtsausübung gegeben seien. Zu Gunsten des vom Ablauf der Ausschlußfrist betroffenen Klägers reicht der vom LSG berücksichtigte Umstand nicht aus, daß der Kläger auf die Gewährung der Rente vertraut habe. Es ist schon nicht ersichtlich, inwiefern der Kläger bei dem nachhaltigen Bemühen der Beklagten, die bis zuletzt streitig gebliebene Zusammenhangsfrage zu klären, durch eine verzögerte Erhebung des Fristeinwandes veranlaßt worden sein soll, auf die Gewährung der Rente zu vertrauen. Jedenfalls ist weder nach den Ausführungen des angefochtenen Urteils noch den sonstigen Unterlagen ein Anhalt dafür gegeben, daß der Kläger irgendwelche Vorkehrungen und Maßnahmen getroffen habe, die erkennbar machten, daß er sich auf einen Verzicht der Beklagten, den Einwand zu erheben, eingerichtet habe. Erst recht bietet der Sachverhalt keinen Anhalt dafür, daß dem Kläger ein unbilliger zusätzlicher Nachteil dadurch zugefügt worden wäre, daß die Beklagte von ihrem Recht aus § 1546 RVO Gebrauch machte. Der Umstand, daß ihm bei der gegebenen Prozeßlage ohne das Hindernis des Ablaufs der Ausschlußfrist trotz der Zweifelhaftigkeit seines Anspruchs gelingen konnte, ein im Ergebnis obsiegendes Urteil zu erstreiten, ist nicht geeignet, die Annahme eines derartigen unzumutbaren Nachteils zu begründen. Die Klage ist somit unbegründet. Sie mußte daher unter Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen abgewiesen werden.
Bei den dieser Entscheidung zugrundeliegenden Erwägungen ist der erkennende Senat in Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtsprechung zu §§ 1546 ff RVO davon ausgegangen, daß der Ablauf der Anmeldefrist des § 1546 RVO von den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit nicht von Amts wegen zu berücksichtigen ist, sondern dem Versicherungsträger insoweit die Möglichkeit der Ausübung eines Rechtes zusteht (vgl. BSG 10, 88, 91). Inzwischen hat der Große Senat des Bundessozialgerichts (BSG) in einer zu § 58 BVG aF - einer dem § 1548 RVO ähnlichen Vorschrift - ergangenen Entscheidung die Meinung vertreten, daß der Ablauf der Frist von Amts wegen zu berücksichtigen sei. Die nähere Begründung dieser Entscheidung ist noch nicht bekannt. Aus der Presse-Mitteilung des BSG Nr. 38/61 vom 10. Juni 1961 ergibt sich, daß es nicht im Ermessen der Versorgungsverwaltung stehe, sich auf den Ablauf der Frist zu berufen, daß jedoch die Fristvorschrift nach ihrem für die Auslegung maßgebenden Sinn und Zweck nicht die Fälle treffe, in denen die Voraussetzungen des verspätet angemeldeten Anspruchs zweifelsfrei gegeben seien. Selbst wenn die angeführte Auffassung des Großen Senats zur Auslegung der §§ 56 ff BVG aF entsprechend für die §§ 1546 ff RVO zu gelten hätte, käme man im vorliegenden Falle ebenfalls zur Abweisung der Klage, da die Voraussetzungen des verspätet angemeldeten Anspruchs nicht zweifelsfrei gegeben waren. Deshalb brauchte sich der erkennende Senat mit der Entscheidung des Großen Senats nicht näher auseinanderzusetzen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen