Leitsatz (redaktionell)
Unterhaltsbeiträge von 20,00 DM monatlich stellen keine "Leistung von Unterhalt" iS des RVO § 1265 dar.
Normenkette
RVO § 1265 S. 1 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 26. Mai 1964 mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Die Klägerin wendet sich gegen die anteilmäßige Aufteilung der Hinterbliebenenrente gemäß § 1268 Abs. 4 der Reichsversicherungsordnung (RVO).
Die Beklagte gewährte der Klägerin durch Bescheid vom 27. November 1962 Witwenrente aus der Versicherung ihres am 19. September 1962 gestorbenen Ehemannes. Auf den von der Beigeladenen im Februar 1963 gestellten Antrag, ihr als der früheren Ehefrau des Versicherten Hinterbliebenenrente zu bewilligen, gewährte ihr die Beklagte mit Bescheid vom 5. April 1963 eine Rente von monatlich 129,50 DM vom 1. Juni 1963 an; der Klägerin erkannte die Beklagte unter Aufhebung ihres früheren Bescheides vom 27. November 1962 mit Bescheid vom 10. April 1963 vom 1. Juni 1963 an eine monatliche Rente von 89,40 DM zu. Diese Beträge hatte die Beklagte nach dem Verhältnis der Dauer der beiden Ehen des Versicherten berechnet. Das Sozialgericht (SG) hat die von der Klägerin gegen den Bescheid vom 10. April 1963 erhobene Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin gegen das Urteil zurückgewiesen; es hat die Revision zugelassen.
Gegen das Urteil des LSG hat die Klägerin Revision eingelegt, mit der sie unrichtige Anwendung des § 1265 RVO sowie eine Verletzung des Art. 6 Grundgesetz (GG) rügt.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des SG Hamburg vom 30. September 1963 und des LSG Hamburg vom 26. Mai 1964 sowie den Bescheid der Beklagten vom 10. April 1963 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr die gesamte Witwenrente ab 1. Juli 1963 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beigeladene ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
II
Die Revision ist insoweit begründet, als das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist.
Nach den bisher getroffenen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil liegen entgegen der Ansicht des LSG die Voraussetzungen des § 1268 Abs. 4 RVO nicht vor. Die vom Berufungsgericht vertretene Annahme, die Beigeladene sei Berechtigte nach § 1265 RVO im Sinne des § 1268 Abs. 4 RVO, läßt sich nicht halten.
Nach den Feststellungen des LSG ist die im August 1940 geschlossene Ehe der Beigeladenen mit dem Versicherten im März 1952 - rechtskräftig seit Mai 1952 - geschieden; beide Eheleute tragen die Schuld an der Scheidung. Am 10. April 1953 erwirkte die Beigeladene gegen den Versicherten ein Urteil des Amtsgerichts, mit dem er zur Zahlung einer Unterhaltsbeihilfe an die Beigeladene in Höhe von monatlich 20 DM verurteilt wurde. Die vom Versicherten gegen dieses Urteil eingelegte Berufung wurde durch Urteil des Landgerichts Hamburg vom 17. Juni 1953 zurückgewiesen. In der Folgezeit leistete der Versicherte regelmäßig die monatlichen Zahlungen an die Beigeladene. Das LSG hat die Voraussetzungen des § 1265 RVO für den Anspruch der Beigeladenen auf Hinterbliebenenrente schon deshalb als erfüllt angesehen, weil ihr der Versicherte im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt von monatlich 20 DM gezahlt habe. Diese Ansicht vermag der Senat nicht zu teilen.
Nach § 1265 Satz 1 RVO idF des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes (RVÄndG) vom 9. Juni 1965 (BGBl I 476), der mit § 1265 RVO idF des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes übereinstimmt, wird einer früheren Ehefrau des Versicherten, deren Ehe mit dem Versicherten geschieden, für nichtig erklärt oder aufgehoben ist, nach dem Tode des Versicherten Rente gewährt, wenn ihr der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des Ehegesetzes (EheG) oder aus sonstigen Gründen zu leisten hatte, oder wenn er im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet hat. Die 3. Alternative dieser Vorschrift, daß der Versicherte im letzten Jahr vor seinem Tode der Beigeladenen Unterhalt geleistet hat, hat das LSG als erfüllt angesehen. Zwar ist entgegen der Auffassung der Revision ein Unterhaltsbeitrag nach § 60 EheG, wie das Bundessozialgericht (BSG) bereits ausgesprochen hat, als Unterhalt nach den eherechtlichen Vorschriften anzusehen (BSG 13, 166 = SozR Nr. 3 zu § 42 BVG; BSG in SozR Nr. 29 zu § 1265 RVO). Ein tatsächlich gewährter Beitrag zum Unterhalt gemäß § 60 EheG kommt deshalb auch als tatsächliche Unterhaltsgewährung im Sinne des § 1265 RVO in Betracht. Jedoch stellen Unterhaltsbeiträge von monatlich 20 DM, die der Versicherte im letzten Jahr vor seinem Tode tatsächlich geleistet hat, keine Leistungen von "Unterhalt" im Sinne des § 1265 RVO dar. Das BSG hat bereits entschieden, daß es für die Auslegung des Begriffs "Unterhalt" im Sinne des § 1265 RVO - der in den drei Alternativen der Vorschrift einheitlich verwendet und aufzufassen ist - nicht entscheidend darauf ankommt, was unter "Unterhalt" im Sinne des bürgerlichen Rechts im allgemeinen und des EheG im besonderen zu verstehen ist (BSG, Urteil vom 27. Oktober 1964 in BSG 22, 44 = SozR Nr. 26 zu § 1265 RVO). Diese Auffassung hält der erkennende Senat für zutreffend. Mit dem Sinn und Zweck des § 1265 RVO wäre es - wie das BSG bereits ebenfalls dargelegt hat - nicht zu vereinbaren, wenn der früheren, geschiedenen Ehefrau des Versicherten wegen jeder noch so geringfügigen, nach dem bürgerlichen Recht oder dem EheG aber als Unterhalt geltenden Unterhaltsleistungen eine lebenslange Hinterbliebenenrente zugebilligt und dadurch auch der Anspruch der Witwe des Versicherten auf Witwenrente gemäß § 1268 Abs. 4 RVO wesentlich beeinträchtigt würde (BSG 22, 44, 47 und die dort angeführte Rechtsprechung des 1., 5. und 11. Senats des BSG). Unterhaltsbeiträge, die wegen ihrer Geringfügigkeit für die Lebensführung der früheren Ehefrau ohne nennenswerte Bedeutung sind, scheiden als Unterhalt im Sinne des § 1265 RVO aus. Deshalb kann ein Unterhaltsbetrag, den der Versicherte der früheren geschiedenen Ehefrau im letzten Jahr vor seinem Tode tatsächlich geleistet hat, als Unterhalt im Sinne des § 1265 RVO nur angesehen werden, wenn durch ihn etwa 25% des notwendigen Mindestbedarfs für den Unterhalt gedeckt werden. Dieser bereits vom 4. Senat des BSG vertretenen Auffassung (BSG 22, 44 ff = SozR Nr. 26 zu § 1265 RVO) hat sich der Senat schon in anderen Entscheidungen angeschlossen.
Der Unterhaltsbeitrag, den der Versicherte der Beigeladenen im letzten Jahr vor seinem Tode in Höhe von 20 DM monatlich geleistet hat, war nicht geeignet, etwa 25% des notwendigen Mindestbedarfs für den Unterhalt der Beigeladenen zu decken. Nach den Feststellungen des LSG lag das eigene monatliche Einkommen der Beigeladenen mit einer Rente von 140 DM noch unter dem Fürsorgerichtsatz, so daß ihr eine Sozialhilfe von 26,50 DM monatlich gezahlt worden ist, um diesen zu erreichen. Wenn hiernach der Fürsorgerichtsatz etwa 160 DM monatlich betragen hat, so ist durch die monatliche Zahlung des Versicherten in Höhe von 20 DM nicht einmal die Hälfte des Betrages geleistet worden, der 25% des notwendigen Mindestbedarfs (etwa 40 DM) ausmachte. Mag die Zahlung des Unterhaltsbeitrages von 20 DM monatlich für die Beigeladene nach ihren damaligen wirtschaftlichen Verhältnissen auch nicht bedeutungslos gewesen sein, so ist mit ihr doch entgegen der Ansicht des LSG kein "Unterhalt" im Sinne des § 1265 RVO geleistet worden.
Da es mithin daran fehlt, daß der Versicherte der Beigeladenen im letzten Jahr vor seinem Tode tatsächlich Unterhalt im Sinne des § 1265 RVO geleistet hat, sind die Voraussetzungen der 3. Alternative des § 1265 RVO nicht erfüllt.
Zwar kommt das rechtskräftige Unterhaltsurteil des Landgerichts Hamburg vom 17. Juni 1953, mit dem der Versicherte zur Zahlung einer Unterhaltsbeihilfe an die Beigeladene in Höhe von monatlich 20 DM verurteilt worden ist, als "sonstiger Grund" im Sinne der 2. Alternative des § 1265 RVO in Betracht (BSG, Beschluß des Großen Senats vom 27. Juni 1963 in BSG 20, 1 = SozR Nr. 17 zu § 1265 RVO). Ein Unterhaltsbetrag, den der Versicherte der früheren geschiedenen Ehefrau zur Zeit seines Todes aus sonstigen Gründen zu leisten hatte, kann aber als Unterhalt im Sinne des § 1265 RVO ebenfalls nur dann angesehen werden, wenn durch ihn etwa 25% des notwendigen Mindestbedarfs für den Unterhalt gedeckt werden. Da dies - wie dargelegt worden ist - nicht zutrifft, sind die Voraussetzungen der 2. Alternative des § 1265 RVO, daß der Versicherte der Beigeladenen zur Zeit seines Todes aus sonstigen Gründen Unterhalt zu leisten hatte, ebenfalls nicht erfüllt.
Zu prüfen ist aber weiterhin, ob der Anspruch der Beigeladenen auf Hinterbliebenenrente auf Grund der 1. Alternative des § 1265 RVO begründet ist, ob also der Versicherte der Klägerin zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des EheG zu leisten hatte. Für den am 19. September 1962 eingetretenen Versicherungsfall kommt das Unterhaltsrecht des EheG von 1946 zur Anwendung (BSG 5, 276 ff). Entscheidend ist, ob der Versicherte "zur Zeit seines Todes", d. h. in der Zeit während des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes vor dem Tode am 19. September 1962 (BSG in SozR Nr. 22 zu § 1265 RVO) der Beigeladenen nach § 60 EheG einen Beitrag zu ihrem Unterhalt zu leisten hatte, durch den etwa 25% des notwendigen Mindestbedarfs für ihren Unterhalt gedeckt wurden; denn die aus dem Gesetz herzuleitende Unterhaltspflicht reicht zur Erfüllung der Voraussetzungen der 1. Alternative des § 1265 RVO aus, ohne daß ein den Unterhalsbeitrag zusprechendes zivilgerichtliches Urteil vorliegen müßte (BSG in SozR Nr. 29 zu § 1265 RVO). Für die Beurteilung, ob der Versicherte der Beigeladenen in der Zeit des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes vor seinem Tode am 19. September 1962 gemäß § 60 EheG einen solchen Unterhaltsbeitrag zu leisten hatte, der also über den im Urteil des Landgerichts Hamburg vom 17. Juni 1963 festgesetzten Unterhaltsbeitrag von 20 DM monatlich hinausgeht, fehlt es in dem angefochtenen Urteil an den notwendigen tatsächlichen Feststellungen, so daß das Revisionsgericht in der Sache selbst nicht entscheiden kann. Das LSG wird die insoweit erforderlichen tatsächlichen Feststellungen noch zu treffen haben. Das angefochtene Urteil muß aus diesen Gründen aufgehoben und die Sache an das LSG zurückverwiesen werden (§ 170 Abs. 2 SGG).
Bevor nicht feststeht, ob überhaupt mehrere Berechtigte im Sinne des § 1268 Abs. 4 RVO vorhanden sind, und da die Möglichkeit besteht, daß der Klägerin die volle Witwenrente zusteht, ohne daß es auf die Anwendung des § 1268 Abs. 4 RVO ankommt, hält der Senat es nicht für tunlich, zu der Frage Stellung zu nehmen, ob die Vorschrift des § 1268 Abs. 4 RVO, wie die Revision meint, Art. 6 GG verletzt und deshalb verfassungswidrig ist.
Bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung wird das LSG auch zu prüfen haben, ob der der Beigeladenen am 5. April 1963 erteilte Bescheid über die Gewährung der Hinterbliebenenrente vom 1. Juni 1963 an ebenfalls Gegenstand des Verfahrens ist. Es wird hierbei die Grundsätze zu berücksichtigen haben, die das BSG in seinen Urteilen vom 25. Oktober 1963 (SozR Nr. 3 zu § 1268 RVO) und vom 23. Juni 1964 (BSG 21, 125 ff = SozR Nr. 5 zu § 1268 RVO) ausgesprochen hat.
Die Entscheidung, inwieweit die Beteiligten einander außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten haben, bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Fundstellen