Leitsatz (redaktionell)

1. Die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Versorgungswesen stellen als Ergebnis langer medizinischer Erfahrung eine zulässige, auch für den Richter geeignete Hilfe bei der Bewertung von Schädigungsfolgen in der Kriegsopferversorgung dar. Da sie nur Richtlinien für die Bemessung der Minderung der Erwerbsfähigkeit sein wollen, stehen sie einer Höherbewertung der Minderung der Erwerbsfähigkeit im Einzelfall nicht entgegen.

2. Zwischen Unfallversicherung und Kriegsopferrecht bestehen Unterschiede, die die Notwendigkeit ausschließen, in beiden Rechtsgebieten für die Bewertung der Minderung der Erwerbsfähigkeit gleiche Richtsätze aufzustellen und anzuwenden. Darum verstößt in einer Kriegsopferversorgungssache auch die Ermittlung der Minderung der Erwerbsfähigkeit auf der Grundlage der Anhaltspunkte nicht gegen das Gesetz, wenn der Verlust der Gebrauchshand und der Gegenseite bewertet werden soll, der nach den Anhaltspunkten gleich, in den Tabellen zur Unfallversicherung aber unterschiedlich bemessen wird.

 

Orientierungssatz

Zur Frage, welchen Einfluß der Funktionsausfall der Gebrauchshand beim Rechtshänder für seine körperliche Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben und damit für die Bemessung seiner Erwerbsfähigkeit hat.

 

Normenkette

BVG § 30 Abs. 1 Fassung: 1960-06-27

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 7. April 1960 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Der 1920 geboren Kläger, ehemals kaufmännischer Angestellter, wurde 1948 in den Dienst der Bundesbahn übernommen und ist inzwischen zum Bundesbahnassistenten aufgerückt. Nach einer 1941 erlittenen Granatsplitterverletzung mußte ihm der rechte Unterarm abgenommen werden. Die Versorgungsbehörde erkannte Amputation des rechten Unterarms im unteren Drittel, Zustand nach gut verheiltem Oberarmschußbruch rechts mit geringen Bewegungseinschränkungen im rechten Schultergelenk als Folgen einer Granatsplitterverletzung nach dem Wehrmachtsfürsorge- und -versorgungsgesetz und der Sozialversicherungsdirektive (SVD) Nr. 27 an. Die zunächst nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 vom Hundert (v.H.), dann 60 v.H. bewilligte Rente wurde durch Urteil der Spruchkammer des Oberversicherungsamtes (OVA) Düsseldorf vom 20. September 1949 ab 1. August 1947 nach einer MdE um 70 v.H. festgesetzt.

Nach versorgungsärztlicher Stellungnahme zur Höhe der MdE, der eine ärztliche Nachuntersuchung nicht vorangegangen war, übernahm das Versorgungsamt im Umanerkennungsbescheid vom 4. Juni 1952 die frühere Leidenbezeichnung sowie die MdE und bewilligte ab 1. Oktober 1950 die entsprechende Rente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Durch Neufeststellungsbescheid vom 3. Oktober 1953 wurde nach versorgungsärztlicher Untersuchung unter Bezugnahme auf den Wortlaut des § 86 Abs. 3 BVG und gestützt auf § 62 Abs. 1 BVG die Rente ab 1. Dezember 1953 nur mehr nach einer MdE um 60 v.H. bemessen, weil eine wesentliche Besserung eingetreten sei. Als Schädigungsfolgen wurden Verlust der rechten Hand im Unterarm, geringfügige Bewegungseinschränkung im rechten Schultergelenk, Narben am rechten Oberarm, Einschränkung der Drehbewegung im Unterarmstumpf anerkannt. Der Widerspruch wurde zurückgewiesen; eine wesentliche Besserung sei zwar nicht eingetreten, der angefochtene Bescheid aber nach § 86 Abs. 3 BVG gerechtfertigt.

Das Sozialgericht (SG) holte von Dr. N. ein Gutachten ein, der eine MdE v. 60. v.H. für ausreichend hielt. Das SG wies mit Urteil vom 17. September 1956 die Klage auf Erhöhung der Rente nach einer MdE um 70 v.H. ab und ließ die Berufung zu. Das im Berufungsverfahren erstattete Gutachten der Dres. und L. und B. von der Orthopädischen Universitätsklinik (H..stiftung) in Münster schloß sich dem Gutachten des Dr. N. an. Das Landessozialgericht (LSG) wies mit Urteil vom 7. April 1960 die Berufung zurück und ließ die Revision zu. Die Rente habe nach § 86 Abs. 3 BVG neu festgestellt werden dürfen, weil der Umanerkennungsbescheid ohne ärztliche Nachuntersuchung erlassen worden sei. Der Neufeststellung habe auch das Urteil des OVA nicht entgegengestanden, denn diese Entscheidung sei unter der Geltung der SVD Nr. 27 getroffen worden, also nicht nach den sachlich-rechtlichen Grundsätzen des BVG, das die SVD Nr. 27 aufgehoben habe. Die Rente sei nach dem BVG zutreffend neu festgesetzt worden. Hierbei habe - anders als nach der SVD Nr. 27 - keine Bindung an die Bewertungsgrundsätze des Unfallversicherungsrechts bestanden. Dort sei die Rente wesentlich berufsgebunden; die Beschädigtenrente des BVG werde dagegen grundsätzlich nach dem Grad der körperlichen Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter Berücksichtigung von seelischen Begleiterscheinungen und Schmerzen festgesetzt und in der Höhe allein nach diesen Maßstäben abgestuft. Dieser Unterschied gegenüber der gesetzlichen Unfallversicherung habe abweichende Bewertungsgrundsätze zur Folge. Die in Nr. Z. der Verwaltungsvorschriften (VV) zu den §§ 29, 30 BVG und in den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Versorgungswesen festgelegten Sätze seien zwar für die Gerichte nicht unmittelbar bindend, jedoch erfordere der Gleichheitsgrundsatz, daß alle Versorgungsberechtigten mit gleichen Schädigungsfolgen gleichbemessene Renten erhielten. Abweichungen seien nur durch Besonderheiten im Einzelfall geboten. Eine Ermächtigung für die Festsetzung von Mindesthundertsätzen sei in 30 Abs. 1 Sate 3 BVG enthalten. Nach diesen Richtlinien werde der Verlust einer Hand in der Mitte des Unterarms bei funktionstüchtigem Ellenbogengelenk mit 50 v.H. und der Verlust des Armes in der Mitte des Oberarmes mit 70 v.E. bewertet. Der Kläger sei zwar ungünstiger gestellt, als wenn er nur im Unterarm amputiert worden wäre, er sei jedoch nicht einem Oberarmamputierten gleichzuachten. Zusätzlich sei er dadurch betroffen, daß der Unterarmstumpf, obgleich er nicht zu Geschwürsbildungen neige, ungünstig mit Weichteilen gedeckt sei and außerdem die Drehbewegungen des Unterarms sowie die Beweglichkeit des Schultergelenks geringfügig beeinträchtigt seien. Nach den übereinstimmenden chirurgischen und orthopädischen Begutachtungen werde durch diese zusätzliche Behinderung die Erwerbsfähigkeit nicht in gleichem Maße wie durch den Verlust des Oberarms eingeschränkt; denn der Oberarm and der Unterarmstumpf könnten, wenn auch nach Auffassung der gerichtlichen Sachverständigen eine Prothese ohne operative Stumpfveränderungen nicht getragen werden könne, noch weitgehend bei den üblichen Verrichtungen gebraucht werden. Demnach sei der Mittelwert des Grades der MdE, der zwischen dem Verlust des Unterarms und der Oberarmamputation liege, angemessen und damit eine Höherbewertung der Schädigungsfolge mit 10 v. H. ausreichend. In den VV und den Anhaltspunkten sei eine unterschiedliche Bewertung von rechts und links bei einer Verletzung, wie sie der Kläger erlitten habe, nicht vorgesehen. Das sei auch sachlich gerechtfertigt, wie die gerichtlichen Sachverständigen überzeugend dargelegt hätten. Ob jemand an der Gebrauchshand und am entsprechenden Arm oder an der anderen Seite verletzt werde, sei über die Beeinträchtigung als solche hinaus im allgemeinen Erwerbsleben in der Regel nicht bedeutsam. Wer am Anfang der zwanziger Lebensjahre in solcher Weise verwundet worden sei, könne sich für die üblichen Verrichtungen auf den anderen Arm umstellen, und dies müsse auch dem Kläger seit 1941 gelungen sein. Die Voraussetzungen einer zusätzlichen Bewertung wegen besonderer beruflicher Schädigung lägen beim Kläger als einem ehemaligen kaufmännischen Angestellten, der jetzt als mittlerer Bundesbahnbeamter tätig sei, nicht vor.

Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung des § 30 Abs. 1 BVG und der §§ 103, 128 SGG. Das LSG habe übersehen, daß es sich bei den in Nr. 7 der VV zu den §§ 29 und 30 BVG ausgeworfenen Erwerbsminderungsgraden um Mindesthundertsätze handele und daß darum der Gleichheitsgrundsatz einer Höherbewertung des MdE-Grades nicht entgegenstehe, wenn dies nach Lage des Falles gerechtfertigt sei, besonders beim Verlust der Gebrauchshand. Es sei nicht einzusehen, weshalb das in der Unfallversicherung gültige Prinzip der Höherbewertung des Verlustes der Gebrauchshand nicht auch im Versorgungsrecht angewendet werden solle, denn die erwerbsmindernden Folgen seien die gleichen. Das LSG habe zwar trotz seiner Auffassung, daß der Verlust des Gebrauchsarmes eine Höherbewertung der MdE grundsätzlich nicht begründe, untersucht, ob eine solche im vorliegenden Fall gerechtfertigt sei. Es habe sich hierbei des nach seiner Auffassung allgemein gültigen Erfahrungssatzes bedient, wonach es in der Regel im allgemeinen Erwerbsleben nicht bedeutsam sei, ob jemand an der Gebrauchshand oder an der anderen Hand verletzt sei. Ein derartiger Erfahrungssatz bestehe nicht; das LSG habe mit seiner Anwendung daher die Grenzen seines Beweiswürdigungsrechts nach § 128 SGG überschritten. Auch die Ausführungen des LSG, daß ein Beschädigter, der am Anfang der zwanziger Lebensjahre Verletzungen wie der Kläger erlitten habe, sich für die üblichen Verrichtungen auf den anderen Arm umstellen könne, was auch dem Kläger gelungen sein müsse, seien nicht ausreichend; aus ihnen ergebe sich nicht, ob es sich um eine bloße Vermutung oder eine tatsächliche Feststellung handele. Soweit damit zum Ausdruck gebracht werden sollte, daß wegen der zwischenzeitlich eingetretenen Gewöhnung und Anpassung eine höhere Bewertung der MdE nicht gerechtfertigt sei, hätte es zumindest einer konkreten medizinischen Begründung bedurft. Das LSG habe darüber hinaus aber auch keine anderen Gründe angegeben, die seine Feststellung tragen könnten. Es hätte einen medizinischen Sachverständigen hören müssen, der im einzelnen die Tatsachen hätte darlegen müssen, die die Annahme des LSG über die Gewöhnung und Anpassung des Klägers rechtfertigten. Das LSG habe damit § 103 SGG verletzt. Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und der zugrunde liegenden Entscheidungen den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger über den 30. November 1953 hinaus Rente nach einer MdE von 70 v.H. zu gewähren

hilfsweise

die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das Urteil des LSG für zutreffend. Das Kriegsopferrecht gewähre anstelle der berufsgebundenen Rente der Unfallversicherung die Rentenerhöhung wegen besonderer Betroffenheit im Beruf. Daraus ergebe sich auch eine abweichende Beurteilung der MdE. Im Recht der Unfallversicherung würden zwar teilweise höhere Sätze für den Verlust des rechten Armes als des Gebrauchsarmes zuerkannt; eine differenzierte, den Einzelfall besonders berücksichtigende Bewertung sei in Anwendung dieser Grundsätze aber auch nicht möglich.

Die durch Zulassung statthafte Revision (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 164, 166 SGG) und damit zulässig. Sachlich ist sie nicht begründet.

Die Rüge der Revision, das LSG habe die Grenzen der freien richterlichen Beweiswürdigung überschritten und damit § 128 SGG verletzt, trifft nicht zu ... Rechtsauffassung aus, die bei der verfahrensrechtlichen Revision zugrunde zu legen ist (vgl. BSG in SozR SGG § 162 Bl. Da 3 Nr. 20, Da 21 Nr. 79), zu beurteilen, welchen Einfluß der Funktionsausfall der Gebrauchshand beim Rechtshänder für seine körperliche Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben und damit für die Bemessung seiner Erwerbsfähigkeit hat. Das LSG hat ausgeführt, daß es im allgemeinen Erwerbsleben in der Regel nicht bedeutsam ist, ob jemand an der Gebrauchshand und am entsprechenden Arm oder an der anderen Seite verletzt wird. Die uneingeschränkte Anwendung dieses Satzes könnte allerdings - das ist der Revision einzuräumen - zu Fehlschlüssen verleiten. Das LSG hat seine Entscheidung aber nicht mit einer allgemeinen und vorbehaltlosen Anwendbarkeit dieses Satzes begründet, sondern sich vor allem auf die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Versorgungswesen und die Sachverständigengutachten bezogen. Die Anhaltspunkte (Ausgabe 1953) gehen bei einer Schädigung der oberen Gliedmaßen auch von der Unterscheidung zwischen rechts und links aus, halten jedoch eine unterschiedliche Bewertung in dem besonderen Fall des Verlustes des Hand oder des Unterarms nicht für geboten. Das LSG konnte die Anhaltspunkte zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen für die Bewertung der MdE nehmen, sofern die Besonderheiten des Falles keine andere Beurteilung rechtfertigten, denn die Anhaltspunkte sind das Ergebnis langer medizinischer Erfahrung und kommen auch dem Bedürfnis zu möglichst einheitlicher Beurteilung gleicher Schäden entgegen (vgl. Anhaltspunkte Nr. 154 S. 169). Sie stellen somit eine zulässige, auch für den Richter geeignete Hilfe bei der Bewertung von Schädigungsfolgen in der Kriegsopferversorgung dar. Durch ihre Anwendung hat das LSG nicht gegen allgemeine Erfahrungssätze verstoßen. Das LSG hat insbesondere auch nicht verkannt, daß die Anhaltspunkte nur Richtlinien für die Bemessung der MdE sein wollen und daher einer Höherbewertung der MdE im Einzelfall nicht entgegenstehen. Es hat für den vorliegenden Fall untersucht, ob eine höhere MdE gerechtfertigt sei, und hat dies unter Bezugnahme auf die Sachverständigengutachten verneint. Diese haben im einzelnen dargelegt, warum bei dem Kläger kein Anlaß zu einer abweichenden Beurteilung besteht. Aus dem Gutachten des Chirurgen Dr. N. ergab sich, daß nach seiner Auffassung die überwiegende Mehrzahl der Armamputierten sich in aller Verrichtungen des gewöhnlichen Lebens auf den gesunden Arm umstellt. Der Kläger sei zur Zeit der Verwundung erst 23 Jahre (richtig 21) alt gewesen, ein Alter, in dem ihm ohne weiteres zuzutrauen sei zu lernen, den linken Arm als Gebrauchsarm vollwertig zu gebrauchen. Da der Kläger die erhöhte Rente ab 1. Dezember 1953 begehrte, waren seit der Verwundung am 21. Dezember 1941 bzw. der 1942 durchgeführten Operation fast 12 Jahre, bis zum Urteil des LSG mehr als 6 weitere Jahre vergangen. Die Richtigkeit seiner Auffassung fand Dr. N. durch die jetzige berufliche Stellung des Klägers bestätigt. Dr. N. hat auch die Beeinträchtigung der Drehbewegung im Unterarm und die Bewegungsbehinderung im Schultergelenk gewürdigt und ausgeführt, daß die dadurch hervorgerufenen Behinderungen keine entscheidende Rolle spielen könnten, weil die im allgemeinen mit dem rechten Arm ausgeführten Verrichtungen des täglichen Lebers (Essen, An- und Ausziehen, Kämmen) inzwischen auf den linken Arm übergegangen seien. Der rechtsseitige Unterarmstupf sei aber für unterstützende Halte- oder Zangengriffe durchaus brauchbar; darum könne er sich keinesfalls der Auffassung des Klägers anschließen, daß der rechte Arm als Ganzes völlig gebrauchsunfähig sei. Er hielt darum eine MdE v. 60 v.H. für angemessen. Das Gutachten der H..stiftung hat sich diesem Gutachten, insbesondere bezüglich der Höhe der MdE, angeschlossen. Unter Berücksichtigung des Alters des Verletzten und der seit der Verwundung vergangenen Zeit könne die Tatsache, daß es sich um den rechten Arm handele, nicht mehr für wesentlich gehalten werden. Auch dieser Beurteilung lag eine eingehende Untersuchung des Klägers zugrunde, in der besonders die Einschränkung der Beweglichkeit im rechten Schultergelenk im einzelnen festgehalten und die Umfangsmaße beider Arme verglichen wurden. Diesem Gutachten der Orthopädischen Universitätsklinik und Poliklinik in Münster kam wegen der besonderen Sachkunde der Gutachter auf diesem Gebiet eine erhöhte Bedeutung zu. Das LSG hat sich bei der Beurteilung der medizinischen Fragen, d.h. der physiologischen und funktionellen Folgen der Schädigung an die ihm vorliegenden Gutachten gehalten (vgl. BSG in SozR SGG § 128 Da 1 Nr. 2 und Da 9 Kr. 25). In Übereinstimmung mit den Gutachten hat es auch gewürdigt, daß der Kläger nicht so schlecht gestellt ist, als hätte er den rechten Arm in der Mitte des Oberarms verloren und daß ihm darum auch nicht die hierfür in den VV zu den §§ 29) 30 BVG und in den Anhaltspunkten vorgesehene MdE um 70. v.H. zugebilligt werden kann. Dabei hat es auch nicht übersehen, wie die Revision meint, daß in den VV die MdE von 50 v.H. für den Verlust der rechten Hand als ein Mindesthundertsatz bezeichnet wird, es hat darauf ausdrücklich hingewiesen. Wenn das LSG diese von den Anhaltspunkten übernommene und von den Gutachtern befürwortete Bewertung als angesessen angesehen hat, weil die individuelle Prüfung der Verletzungsfolgen keinen ausreichenden Anlaß für eine höhere Bewertung gab, so hat es damit die Grenzen der freien Beweiswürdigung eingehalten und § 128 SGG nicht verletzt. Es hat auch mit vertretbarer Begründung die Unterschiede, die sich bei der Bewertung der Schädigungsfolgen im Unfallversicherungsrecht und in der Kriegsopferversorgung ergeben können, erörtert. Bei der vom LSG als erwiesen angenommenen Umgewöhnung des Klägers auf die linke Hand handelt es sich auch nicht, wie die Revision meint, um eine bloße Vermutung, sondern um eine durch die Sachverständigen ausreichend gestützte Feststellung. Aus der Art des Berufs ergab sich kein Anhalt für größere als übliche Beschwerden oder für eine besondere berufliche Betroffenheit des Klägers; dieser hatte auch nicht geltend gemacht, daß die Ausübung seines Berufs durch die Verletzungsfolgen besonders erschwert sei oder daß nach der Art seiner Berufstätigkeit die von den Gutachtern angenommene Umstellung nicht oder nur unvollkommen gelungen sei. Seine Ausführungen in der Berufungsschrift legten im Gegenteil die Folgerung nahe, daß er mit dem von ihm hervorgehobenen Fleiß und guten Willen sein Schicksal nicht schlechter als andere gemeistert habe. Aufgrund des vorliegenden Sachverhalts brauchte sich das LSG daher zu weiterer Sachaufklärung nicht gedrängt zu fühlen (BSG in SbsR SGG i 103 Da 2 Nr. 7). Der Kläger hat zudem auch nicht gemäß § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG in den wesentlichen Punkten die Tatsachen bestimmt bezeichnet (BSG in SozR SGG § 162 Db 1 Nr. 1), die den Mangel einer unzureichenden Aufklärung des Sachverhalts ergeben sollen. Er hat ins besondere nicht dargelegt, inwiefern ihm in seinem Beruf die Umstellung auf die linke Hand besonders erschwert oder unmöglich gemacht wurde. Die Rüge einer Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 103 SGG) greift daher ebenfalls nicht durch.

Bei der zugelassenen Revision ist die Rechtskraft eines denselben Streitgegenstand betreffenden Urteils von Amts wegen zu beachten; sie gehört zu den unverzichtbaren (negativen) Voraussetzungen, von denen die Rechtswirksamkeit des Verfahrens als Ganzes abhängt (BSG 13, 181, 188; Baumbach-Lauterbach, Zivilprozeßordnung -ZPO- 26. Aufl. § 322.- 327, Einf, 5A). Der Senat hatte daher - auch ohne entsprechende Rüge der Revision - zu prüfen, ob die Rechtskraft des Urteils des OVA vom 20. September 1949, durch das die MdE nach der SVD Nr. 27 auf 70 v.H. festgesetzt worden war, einer abweichenden Entscheidung über die MdE entgegenstand. Das LSG hat dies bereits zutreffend verneint. Aus den §§ 85, 86 Abs. 3 BVG ergibt sich, daß mit dem Inkrafttreten des BVG die Versorgung der Kriegsbeschädigten und der Hinterbliebenen auf eine völlig neue unabhängige Rechtsgrundlage gestellt wurde. Eine Entscheidung nach bisherigen versorgungsrechtlichen Vorschriften sollte nur zu der Frage des ursächlichen Zusammenhangs einer Gesundheitsstörung mit einem schädigenden Vorgang im Sinne des § 1 BVG rechtsverbindlich sein (BSG 4, 21, 22), im übrigen waren aber die Ansprüche unabhängig von dem früheren Recht neu nach dem BVG zu prüfen und insbesondere die MdE neu festzustellen. Unter "Entscheidung" im Sinne des § 85 BVG sind dabei Bescheide und Urteile, die nach früheren sachlich-rechtlichen Versorgungsvorschriften ergangen sind, zu verstehen. Soweit der Ausnahmefall des § 85 Satz 1 BVG nicht vorliegt, sind daher auch die im Spruchverfahren getroffenen Entscheidungen nicht "rechtsverbindlich". Darunter fallen auch Urteile der Oberversicherungsämter über die Höhe der MdE nach früheren versorgungsrechtlichen Vorschriften, hier der SVD Nr. 27. Sie haben für den Anspruch nach dem BVG keine Bedeutung mehr. Das BSG hat unter Darlegung der Rechtsentwicklung bis zum Inkrafttreten des BVG wiederholt entschieden, daß in Versorgungsangelegenheiten die Wirksamkeit von Entscheidungen, seien es Verwaltungsbescheide oder gerichtliche Urteile, von dem Portbestand ihrer gesetzlichen Grundlage abhängt, soweit sich nicht aus dein Gesetz etwas anderes ergibt (BSG 3, 255 ff; 4, 21, 23 ff; 10, 248, 251). Daran ändert auch nichts, daß f 84 Abs. 3 BVG aF für das Verwaltungs- und Spruchverfahren es bei den bisherigen Vorschriften beließ und § 214 Abs. 1 Nr. 1 SGG eine Anfechtung der bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes (1. 1. 1954) im Lande Nordrhein-Westfalen ergangenen Entscheidungen der Oberversicherungsämter nur zuließ, wenn die Zusammenhangsfrage streitig war. Es kann nicht angenommen werden, daß das SGG als das spätere Gesetz sich mit den Vorschriften des BVG über die materielle Verbindlichkeit der nach früherem Versorgungsrecht ergangenen Entscheidungen in Widerspruch setzen und - auf dem Wege über die Rechtskraft - ihnen eine Rechtsverbindlichkeit zuerkennen wollte, die ihnen nach dem neuen Versorgungsrecht nicht zukam. Daraus ergibt sich, daß die §§ 214, 141 SGG, soweit das Versorgungsrecht in Betracht kommt, in ihrer prozeßrechtlichen Bedeutung, die im BVG enthaltene materiell-rechtliche Regelung nicht berühren. Die Rechtskraftwirkung der nach früherem Versorgungsrecht - hier der SVD Nr. 27 - ergangenen gerichtlichen Entscheidungen geht deshalb, soweit die Festsetzung der MdE in Betracht kommt, nicht über den zeitlichen Geltungsbereich dieser Vorschriften hinaus. Das Urteil des OVA stand daher einer anderweitigen Entscheidung über die MdE durch das LSG nicht entgegen.

Das LSG hat auch § 30 Abs. 1 BVG in der vor dem Ersten Neuordnungsgesetz geltenden Fassung nicht verletzt.

Nach dieser Vorschrift ist die MdE nach der körperlichen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben zu beurteilen, dabei sind seelische Begleiterscheinungen und Schmerzen in ihrer Auswirkung zu berücksichtigen. Die MdE ist höher zu bewerten, wenn der Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen in seinem Beruf besonders betroffen wird. Soweit die tatsächlichen Grundlagen, von denen das LSG bei der Schätzung der MdE ausgegangen ist, nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen angegriffen sind, kann die Schätzung als solche in der Revisionsinstanz nur darauf nachgeprüft werden, ob die gesetzlichen Grenzen für die Ausübung des richterlichen Ermessens überschritten sind. Die Schätzung selbst kann das Revisionsgericht nicht durch eigene Schätzung ersetzen. Das BSG hat diese Grundsätze zwar bisher nur für die gesetzliche Unfallversicherung ausgesprochen (BSG 4, 149), sie haben aber nach Auffassung des Senats auch für die Kriegsopferversorgung zu gelten (vgl. auch BSG 6, 267, 268). Eine Rechtsverletzung bei der Bewertung der MdE kann im übrigen nur insoweit in Betracht kommen, als das LSG den Rechtsbegriff der Minderung der Erwerbsfähigkeit nach der körperlichen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben oder die Voraussetzungen der beruflichen Betroffenheit verkannt hat. Der Senat konnte aber weder einen Ermessensverstoß des LSG noch einen Rechtsirrtum der letztgenannten Art feststellen.

Das LSG hat auch nicht deshalb zu einer höheren MdE als 50 v.H. für den Verlust der rechten Hand kommen müssen, weil diese Schädigungsfolge nach den in der gesetzlichen Unfallversicherung verwendeten Tabellen durchweg mit 60 v.H. und der Verlust der linken Hand um 10 v.H. niedriger bewertet wird (Rostock-Imhof-Wegmann, Unfallbegutachtung 4. Aufl., 1957 S. 52, 57; Liniger/Molineus, Der Rentenmann, 15. Aufl., 1962, S. 55; Bürkle de la Camp-Rostock, Handbuch der gesamten Unfallkunde 2. Aufl., 1956, Bd. III, S. 693). Eine Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung, auf den die Revision offenbar anspielt, kommt nicht in Betracht (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes -GG-); denn dabei wäre Voraussetzung, daß wesentlich Gleiches ohne zureichenden Grund ungleich behandelt wird (BVerfG 2, 336, 340). Der Rentenanspruch aus der Unfallversicherung hat nicht nur eine andere Rechtsgrundlage als die Kriegsopferversorgung, er ist auch in seinen Voraussetzungen und den sich aus der Systematik des Unfallversicherungsrechts ergebenden Entwicklungstendenzen und Besonderheiten nicht dem im BVG geregelten Anspruch des Beschädigten (und der Hinterbliebenen) gleichzustellen. Zwar ist in der gesetzlichen Unfallversicherung wie nach § 30 BVG maßgebend für die MdE-Höhe die Beeinträchtigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (Lauterbach, Unfallversicherung 2. Aufl., § 559 a, Anm. 4), es fehlt aber in der Unfallversicherung eine dem § 30 Abs. 1 Satz 2 BVG aF entsprechende Vorschrift, die allgemein eine Berücksichtigung der besonderen beruflichen Betroffenheit gebietet und, ihre Grenzen bestimmt. Lediglich die Rechtsprechung zur Unfallversicherung berücksichtigt bisher Ausbildung und bisherigen Beruf des Verletzten. (BSG 1, 174, 178), aber nun, zur Vermeidung unbilliger Härten. Dabei kann hier die erst nach dem Erlaß des LSG-Urteils im Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz vom 30. April 1963 (BGBl I, 241) getroffenen Bestimmung (§ 581 Abs. 2 RVO) außer Betracht bleiben, wonach auch die Nachteile zu berücksichtigen sind, die durch die unfallbedingte Unmöglichkeit entstehen, im Beruf erworbene Fähigkeiten und Erfahrungen weiterhin zu nutzen.

Es ergeben sich somit Unterschiede, die die Notwendigkeit ausschließen, in beiden Rechtsgebieten für die Bewertung der MdE gleiche Richtsätze aufzustellen und anzuwenden. Andererseits werden Ungleichheiten der Bewertung der Schädigungsfolgen zwischen den Anhaltspunkten und den Tabellen zur Unfallversicherung im praktischen Ergebnis in der Regel wieder ausgeglichen: Die in den Anhaltspunkten wiedergegebenen MdE-Sätze berücksichtigen zwar die üblichen seelischen Begleiterscheinungen, nicht aber die besondere Beeinträchtigung im Beruf; die Feststellung einer besonderen beruflichen Betroffenheit wird daher in der Kriegsopferversorgung zu einer Erhöhung der MdE-Sätze und damit häufig zu einer Angleichung an die - in Einzelpositionen - höheren Sätze der Unfallversicherung führen. Die in den Anhaltspunkten und in den Tabellen zur Unfallversicherung angenommenen Werte sind in übrigen als bloße Schätzungen, die nur einen "Anhalt" zur Ermittlung der MdE geben sollen, nicht geeignet, den individuellen Grad der MdE abschließend zu bestimmen (vgl. auch BSG in BVBl 1960 S. 139). Darum verstößt auch die Ermittlung der MdE auf der Grundlage, der Anhaltspunkte nicht gegen das Gesetz, obgleich in ihnen der Verlust der Gebrauchshand und der Gegenseite gleich, in den Tabellen zur Unfallversicherung aber unterschiedlich bewertet wird.

Nach alledem erweist sich die angefochtene Entscheidung als zutreffend. Die Revision war daher als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI3082325

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