Leitsatz (amtlich)
1. Für den Ersatzanspruch, den ein Unfallversicherungsträger gegen eine Gemeinde wegen der verauslagten Kosten einer Obduktion mit der Begründung geltend macht, die Anordnung der Obduktion sei gemäß RVO § 1559 Aufgabe der Ortspolizeibehörde gewesen, ist der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gegeben.
2. Zur Abgrenzung der amtlichen Unfalluntersuchung von Maßnahmen der Rechtshilfe. Läßt sich die Frage, ob der Tod die Folge eines Arbeitsunfalls ist, auf andere Weise nicht klären, so muß die Ortspolizeibehörde in Vollzug der ihr obliegenden Unfalluntersuchung eine Obduktion auf ihre Kosten durchführen lassen. Dem Unfallversicherungsträger, der diese Kosten verauslagt hat, steht hierfür ein öffentlich-rechtlicher Ersatzanspruch gegen die Gemeinde zu.
Normenkette
RVO § 1559 Abs. 1, § 115 Abs. 1, §§ 117, 1564-1565; SGG § 51 Abs. 1
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt vom 29. November 1963 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der 50 Jahre alte Bauhilfsarbeiter Johann M (M.), bei dem noch im Januar 1958 durch ärztliche Untersuchung ein normaler Herzbefund festgestellt wurde, begann am 14. April 1958 auf einer Baustelle in Darmstadt eine Beschäftigung, bei der er Steine mit einer Schubkarre zu transportieren hatte. Als er im Verlauf dieser Tätigkeit gerade dabei war, die Karre anzuheben, sank er um und war tot. Die Baufirma unterrichtete die Berufsgenossenschaft (BG) sofort fernmündlich und durch Übersendung der Unfallanzeige; nach den Angaben der Firma konnte der Amtsarzt, der den Toten untersuchte, die Todesursache auf Grund der äußerlichen Untersuchung nicht einwandfrei feststellen, er vermutete, daß es sich um ein Kreislaufversagen oder eine Herzstörung handelte. Die BG erfuhr von der Witwe, daß diese Hinterbliebenenrente beantragen werde und mit einer Obduktion des M. einverstanden sei. Daraufhin wandte sich die BG am 15. April 1958 fernmündlich an den Magistrat der Stadt Darmstadt - Amt für öffentliche Ordnung - und wies auf die erforderliche Unfalluntersuchung durch die Ortspolizeibehörde gemäß §§ 1559 ff der Reichsversicherungsordnung (RVO) hin, wozu auch die Leichenöffnung gehöre, wenn ohne sie nicht entschieden werden könne, ob ein Unfall vorliege. Nachdem der Sachbearbeiter beim Ordnungsamt zunächst - auf Grund einer Auskunft des Versicherungsamts - die Bereitschaft zur Kostenübernahme erklärt und dem Pathologischen Institut den Sektionsauftrag erteilt hatte, widerrief er auf Weisung seines Dezernenten noch an demselben Tage seine Erklärungen, worauf die BG entgegnete, sie werde nunmehr die Obduktion auf Kosten des Ordnungsamts veranlassen. Die Leiche des M. wurde daraufhin am 16. April 1958 für Rechnung der BG obduziert. Nach dem Obduktionsbericht des Pathologisch-Bakteriologischen Instituts der Städtischen Krankenanstalten Darmstadt war Todesursache eine Thrombose der Herzkranzarterie auf der Grundlage allgemeiner Atherosklerose mit multiplen, zum Teil älteren Infarkten und Schwielen der Herzmuskulatur. Die BG lehnte unter Bezugnahme auf diesen Bericht den Entschädigungsanspruch der Witwe ab. Klage und Berufung der Witwe blieben ohne Erfolg, nachdem in beiden Rechtszügen Pathologen als Sachverständige gehört worden waren, die - gestützt auf den Obduktionsbefund - die Frage verneint hatten, ob die Lebenserwartung des M. durch die Arbeitsbelastung am 14. April 1958 um mindestens ein Jahr verkürzt worden sei.
Die BG bat mit Schreiben vom 15. Juni 1961 den Magistrat der Stadt Darmstadt um Erstattung der verauslagten Kosten von 131.- DM für die Durchführung der Sektion. Mit Schreiben vom 26. Juni 1961 und 18. Juli 1962 entgegnete der Magistrat - Rechtsamt -, der Anspruch der BG werde nicht anerkannt; nach dem Sprachgebrauch könne von einem "Unfall", durch den ein Versicherter "getötet" werde, doch nur die Rede sein, wenn äußere Ursachen auf ihn eingewirkt hätten, daran fehle es im Fall des M. aber vollständig; außerdem mache die BG jetzt erstmalig einen solchen Anspruch geltend, nachdem sie bisher jahrzehntelang Obduktionen selbst veranlaßt habe, ohne die Ortspolizeibehörde einzuschalten.
Am 24. November 1962 erhob die BG Klage gegen die Stadt Darmstadt, vertreten durch den Magistrat - Rechtsamt -, mit dem Antrag auf Zahlung von 131,-- DM. Sie begründete ihr Klagbegehren mit dem Hinweis auf die gesetzliche Verpflichtung der Ortspolizeibehörde gemäß § 1559 RVO und auf Geschäftsführung ohne Auftrag im Sinne der §§ 677, 679, 683 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Die Beklagte erwiderte, zur Entscheidung über den Klaganspruch sei nicht das Sozialgericht (SG), sondern das ordentliche Gericht berufen; in der Sache selbst sei der Anspruch unbegründet, denn es hätten keinerlei Anzeichen für einen Arbeitsunfall des M. vorgelegen, so daß eine Obduktion offenbar unnötig gewesen sei; im übrigen gehe die Verpflichtung der Ortspolizeibehörde aus § 1559 RVO nur so weit, wie sie mit eigenen Mitteln Feststellungen treffen könne; eine Obduktion überschreite den Rahmen der polizeilichen Ermittlungen.
Das SG Frankfurt hat am 29. November 1963 die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 131,-- DM zu zahlen: Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Sozialrechtswegs nach § 51 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) seien gegeben. Der von der Klägerin verfolgte Anspruch auf Geschäftsführung ohne Auftrag sei nicht dem bürgerlichen Recht, sondern dem öffentlich-rechtlichen Bereich zuzurechnen (BSG 6, 197), da die Klägerin bei der Begleichung der Obduktionskosten im Rahmen ihres öffentlich-rechtlichen Pflichtenkreises tätig gewesen sei; der Rechtsstreit betreffe auch eine Angelegenheit der Sozialversicherung, denn er beziehe sich auf Handlungen, die auf dem Gebiet der Unfallversicherung vorgenommen worden seien. Da es sich - angesichts der Gleichordnung beider Beteiligten - um eine echte Leistungsklage im Sinne des § 54 Abs. 5 SGG handele, komme es auf die Einhaltung einer Klagefrist hier nicht an.
Die hiernach zulässige Klage sei auch begründet, da die Klägerin ein Geschäft der Beklagten besorgt habe. Gegen die Heranziehung der Vorschriften über die auftragslose Geschäftsführung (§§ 677, 683 BGB) bestünden keine Bedenken. Zu der von der Ortspolizeibehörde auf ihre Kosten vorzunehmenden Unfalluntersuchung (§§ 1559 ff RVO) gehöre die Feststellung aller Tatsachen, die für die Beurteilung der Leistungspflicht von Bedeutung seien. Ob eine Leichenöffnung im Rahmen dieser Aufklärungspflicht liege, könne nur von Fall zu Fall entschieden werden. Im vorliegenden Fall sei die Notwendigkeit hierfür zu bejahen. Die Untersuchung des verstorbenen M. durch den Amtsarzt habe kein eindeutiges Ergebnis gezeitigt, auch die Untersuchung des M. durch den Hausarzt drei Monate zuvor habe keine ernstlichen krankhaften Herzveränderungen ergeben. Als letztes Mittel zur Klärung der Todesursache habe somit nur noch eine Obduktion zur Verfügung gestanden. Da die Beklagte nach der ständigen Rechtsübung des Reichsversicherungsamts (RVA in EuM 17, 165; 19, 164) einen etwaigen Unfall - erforderlichenfalls auch durch Veranlassung einer Leichenöffnung - aufzuklären habe, sei sie verpflichtet gewesen, die Leiche des M. obduzieren zu lassen. Die hierdurch entstandenen Kosten habe sie zu tragen, da es sich nicht um einen Akt. der Rechtshilfe im Sinne der §§ 115 ff, 1564 Abs. 2 RVO handele. Indem die Klägerin die Sektion selbst durchführen ließ, habe sie mithin ein Geschäft der Beklagten besorgt; der entgegenstehende Wille der Beklagten komme gemäß § 679 BGB nicht in Betracht. Nach § 683 BGB könne die Klägerin den Ersatz ihrer Aufwendungen verlangen, der durch Rechnungen belegte Betrag von 131.- DM sei nicht bestritten. Die Ersatzforderung sei auch nicht verjährt. Das SG hat die Berufung zugelassen.
Gegen das am 10. Januar 1964 zugestellte Urteil hat die Beklagte - unter Beifügung der Einwilligungserklärung der Klägerin - am 6. Februar 1964 Sprungrevision eingelegt mit dem Antrag, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen. Die Revisionsschrift ist von Bürgermeister Dr. H unterzeichnet, in ihr wird dem Leiter des Rechtsamts der Stadt Darmstadt, Obermagistratsrat Sch, Vollmacht zur Prozeßvertretung der Beklagten erteilt. Obermagistratsrat Sch hat die am 7. März 1964 beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangene Revisionsbegründung unterzeichnet, in der die Beklagte folgendes geltend macht: Das angefochtene Urteil beruhe auf unrichtiger Anwendung der §§ 115, 117, 1559 und 1564 ff RVO. Der von der Klägerin erhobene Erstattungsanspruch verstoße gegen allgemeine Grundsätze des Rechts- und Amtshilfeverkehrs, insbesondere gegen die Prinzipien der Zumutbarkeit und Zweckmäßigkeit sowie der regelmäßigen Kostentragungspflicht der ersuchenden Behörde; schon früher habe das RVA den BGen eine zurückhaltende Inanspruchnahme der unteren Verwaltungs- und Gemeindebehörden nahegelegt (AN 1909, 596; 1924, 93; 1929, 248; ferner 1914, 802 Nr. 2768). Demgegenüber sei die Rechtsprechung des RVA zu einschlägigen Fällen (AN 1911, 487 Nr. 2498; EuM 17, 165) nicht überzeugend, denn sie berücksichtige einseitig nur das Interesse der BGen, nicht dagegen die unzumutbare Kostenbelastung der - abgesehen von der Rechtshilfepflicht - doch unbeteiligten Gemeinde, welcher ohne innere Rechtfertigung Lasten des Versicherungsträgers aufgebürdet würden. Der wahre Sinn der §§ 1559, 1564, 1565 RVO liege darin, daß - im Hinblick auf die Plötzlichkeit des Unfallereignisses und den raschen Verlust von Beweismitteln - in Ergänzung der üblichen Rechtshilfemaßnahmen die Gemeinde von sich aus eingreifen solle, ohne erst ein Rechtshilfeersuchen der BG abzuwarten; dieses Tätigwerden der Gemeinde von Amts wegen umfasse aber nur die zur Feststellung des Sachverhalts erforderlichen Maßnahmen, d. h. Ermittlungen über Ursache, Zeit, Ort und Hergang des Unfalls, Feststellung der Beweismittel, Aufnahme der erforderlichen Protokolle sowie unverzügliche Benachrichtigung der BG. In diesem regelmäßigen Ablauf der Ermittlungen sei es aber nicht Aufgabe der Gemeinden, von sich aus auch noch Sachverständige heranzuziehen (§§ 117, 1564 Abs. 2 RVO) und z. B. durch qualifizierte medizinische Sachverständige eine Sektion vornehmen zu lassen. Nach dem Grundsatz, daß Rechtshilfe abzulehnen sei, wenn die betreffende Handlung von der ersuchenden Dienststelle selbst mit einem im wesentlichen gleichen Erfolg vorgenommen werden könne (AN 1914, 802), sei das Klagebegehren nicht gerechtfertigt; denn die Klägerin hätte fernmündlich unmittelbar den Städtischen Krankenanstalten den Sektionsauftrag ebensogut erteilen können wie auf dem Umweg über den Magistrat; unstreitig sei ja die BG auch zu eigenen Ermittlungen verpflichtet (§ 1571 RVO). Die Klägerin habe auch bis zum vorliegenden Fall stets Unfallobduktionen auf eigene Kosten in den Städtischen Krankenanstalten Darmstadt vornehmen lassen. Erst in letzter Zeit sei die Klägerin - auch bei Todesfällen in benachbarten Städten - dazu übergegangen, sich von den Obduktionsaufwendungen auf Kosten der Gemeinden zu entlasten. Schließlich sei auch nicht einzusehen, weshalb im Fall einer Beauftragung des Versicherungsamts mit der Aufklärung des Sachverhalts (§ 1572 RVO) die Obduktionskosten die BG träfen, nicht dagegen im vorliegenden Fall. Eine unterschiedliche Regelung wäre sachlich nicht gerechtfertigt.
Die Klägerin beantragt Zurückweisung der Revision. Sie bezweifelt unter Bezugnahme auf das Hessische Gemeindeverfassungsrecht die Postulationsfähigkeit des Bürgermeisters Dr. H und des Obermagistratsrats S. In der Sache selbst pflichtet die Klägerin den Gründen des angefochtenen Urteils bei und hebt im einzelnen hervor: § 1564 Abs. 2 RVO stehe dem Klagebegehren nicht entgegen, weil die darin auf Kosten der Versicherungsträger vorgesehene Zuziehung von Sachverständigen sich auf einen späteren Abschnitt des Ermittlungsverfahrens, nämlich die wissenschaftliche Begutachtung des Obduktionsbefundes beziehe; die Vornahme der Obduktion selbst und der Bericht über den dabei erhobenen Befund gehörten dagegen - als reine Spurensicherung - ohne weiteres zu der von Amts wegen durchzuführenden Unfalluntersuchung, auf die nur § 1564 Abs. 1 Satz 1 RVO, nicht aber Abs. 2 dieser Vorschrift Anwendung finde. Die Vorschriften über die eigene Ermittlungspflicht der BG bzw. die Einschaltung des Versicherungsamts (§§ 1571, 1572 RVO) gäben der Ortspolizeibehörde keinen Freibrief dafür, ihre Untersuchungsverpflichtungen gemäß §§ 1559 Abs. 1, 1564 Abs. 1 RVO nur unvollständig zu erfüllen. Die ortspolizeiliche Unfalluntersuchung bleibe - schon wegen der bei ihr am besten gewährleisteten Objektivität - stets das Primäre.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (§ 124 Abs. 2 SGG) einverstanden erklärt.
II
Das SG hat die - an sich gemäß § 149 SGG unzulässige - Berufung ausdrücklich zugelassen (§ 150 Nr. 1 SGG). Damit sind die gesetzlichen Voraussetzungen für die Statthaftigkeit der Sprungrevision (§ 161 SGG) erfüllt. Die Revision ist fristgerecht unter Beifügung der Einwilligungserklärung der Rechtsmittelgegnerin eingelegt worden. Ihre Einlegung und Begründung erfolgte auch - entgegen der von der Klägerin vertretenen Ansicht - formgerecht; insbesondere bestehen auf Grund des § 71 der Hessischen Gemeindeordnung in der Fassung vom 1. Juli 1960 (GVBl 103) keine Bedenken gegen die Vertretungsbefugnis der städtischen Amtsträger, von denen die Revisionsschriftsätze unterzeichnet worden sind. Die hiernach zulässige Revision hatte jedoch keinen Erfolg.
Die noch im Klageverfahren umstritten gewesene Frage, ob im vorliegenden Streitfall der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gegeben sei, ist zwar von der Revision nicht wieder aufgegriffen worden; der Senat hat indessen diese Frage von Amts wegen vorab zu prüfen, da sie eine Prozeßvoraussetzung betrifft (BSG 2, 23, 26, 245, 253). Wie das SG zutreffend ausgeführt hat, liegen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 SGG hier vor. Daß es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit handelt, unterliegt bei dem öffentlich-rechtlichen Gepräge des anspruchsbegründenden Rechtsverhältnisses keinem Zweifel. Die "Geschäftsführung ohne Auftrag", aus der die Klägerin ihren Anspruch herleitet, bezieht sich auf die Vornahme einer Leichenöffnung als Bestandteil der der Ortspolizeibehörde gemäß §§ 1559 ff RVO obliegenden Unfalluntersuchung. Obschon die Unfalluntersuchung nicht einem Versicherungsträger, sondern einer Behörde der allgemeinen Verwaltung zugewiesen ist und nach der schon von jeher vom RVA vertretenen Ansicht eine "rein polizeiliche" Maßnahme darstellt (AN 1887, 52 Nr. 314), gehört sie doch ihrem Wesen nach zum verwaltungsmäßigen Vollzug der gesetzlichen Unfallversicherung; soweit daher die Verpflichtung der Ortspolizeibehörde zur Vornahme der Obduktion - bzw., als Folge ihrer Unterlassung, ein daraus hergeleiteter Ersatzanspruch des Versicherungsträgers - den Gegenstand des Rechtsstreits bildet, kann es sich nur um eine "Angelegenheit der Sozialversicherung" im Sinne des § 51 Abs. 1 SGG handeln (ebenso offenbar auch BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 1959, NJW 1960, 1409 f).
Die Gesichtspunkte, die von der Beklagten gegen ihre Verurteilung zur Erstattung der Obduktionskosten vorgetragen worden sind, greifen nicht durch. Bei ihren Hinweisen auf allgemeine Grundsätze des Rechts- und Amtshilfeverkehrs und die seinerzeit vom RVA den BGen empfohlene zurückhaltende Inanspruchnahme der Gemeindebehörden verkennt die Revision den grundlegenden Unterschied zwischen den Maßnahmen der in §§ 115 bis 117, 1571 Abs. 2 bis 4, 1572 RVO geregelten Rechtshilfe und der amtlichen Unfalluntersuchung, die der Polizeibehörde als ein Inbegriff eigener Amtshandlungen durch § 1559 Abs. 1 RVO aufgetragen worden ist. Die Pflicht zur Vornahme der hierzu gehörenden Amtshandlungen obliegt der Ortspolizeibehörde von sich aus in eigener Verantwortung, ohne daß es auf Erklärungen der BG ankäme; in einer Anregung der BG an die Ortspolizeibehörde, die amtliche Unfalluntersuchung durch bestimmte Ermittlungen zu vollziehen, ist nicht etwa ein Ersuchen um Leistung von Rechts- oder Amtshilfe zu erblicken (vgl. RVA-Rundschreiben vom 18. Oktober 1887, AN 1887, 336; § 4 des RVA-Rundschreibens vom 15. November 1904, AN 1904, 643, 645; Preußischer Ministerialerlaß vom 3. Oktober 1903, AN 1903, 606; RVA in EuM 17, 165; 19, 164; Bundesversicherungsamt, Bescheid vom 19. November 1962, II 3-4302-923/62, Nr. 4704 der Unfallversicherungskartei Lauterbach zu § 1559 RVO). Daß im vorliegenden Fall die Klägerin das Ordnungsamt der Beklagten lediglich angeregt hat, im Zuge der amtlichen Unfalluntersuchung über den Tod des M. eine Leichenöffnung zu veranlassen, und daß die fernmündlichen und schriftlichen Äußerungen der Klägerin vom 15. und 18. April 1958 keinesfalls als Antrag auf Vornahme der Obduktion unter Verantwortung und Kostentragung der Klägerin aufzufassen sind, wird auch von der Revision nicht in Zweifel gezogen.
Welche Amtshandlungen im einzelnen bei einer Unfalluntersuchung vorzunehmen sind, hat die Ortspolizeibehörde nach den Umständen des jeweiligen Falles unter Beachtung der gesetzlichen Anhaltspunkte (§§ 1564 Abs. 1, 1565 RVO) zu prüfen. Zu Unrecht meint die Beklagte, hierbei kämen von vornherein nur die mit den üblichen polizeieigenen Hilfsmitteln zu bewerkstelligenden Maßnahmen - also insbesondere Vernehmungen und Anfertigungen von Niederschriften - in Betracht. Da nach § 1565 RVO u. a. die "Art der Verletzung" festzustellen ist, kann die amtliche Unfalluntersuchung grundsätzlich nicht auf derartige Maßnahmen beschränkt sein. Sie umfaßt vielmehr alle Ermittlungen, die erforderlich sind, um die Fragen zu klären, ob ein Arbeitsunfall vorliegt und ob die vorgefundene Verletzung bzw. der Tod durch einen Arbeitsunfall verursacht wurde (vgl. u. a. Sächsisches OVG in BG 1917, 128; Regierungspräsident Düsseldorf, Bescheid vom 20. Oktober 1911, BG 1912, 124). Dabei geht es nicht an, unter einer "Verletzung" in diesem Sinne nur eine äußerlich am Körper sichtbare Wunde und unter einem "Unfall" nur eine von außen auf den Körper gerichtete Gewalteinwirkung zu verstehen; dies wäre nämlich mit dem in der Unfallversicherung anerkannten Prinzip unvereinbar, daß ein Arbeitsunfall auch dann gegeben sein kann, wenn z. B. eine betriebliche Tätigkeit durch die mit ihr verbundene Überanstrengung gesundheitsschädigend im Wege akuter Verschlimmerung eines bis dahin latenten inneren Leidens wirksam geworden ist und so eine wesentliche Teilursache für den - evtl. nur beschleunigten - Eintritt des Todes bildet (vgl. SozR RVO § 542 aF Nr. 10).
In einem solchen Fall, bei dem die Art der (inneren) "Verletzung" sowie die eigentliche Todesursache und damit die Frage, ob ein Arbeitsunfall vorliegt, durch sonstige Ermittlungen - Zeugenvernehmungen, Befragung der behandelnden Ärzte, Besichtigung der Unfallstelle und dgl. - nicht ausreichend geklärt werden kann, darf sich die Ortspolizeibehörde der Anordnung einer Obduktion nicht mit dem Hinweis darauf entziehen, eine Leichenöffnung gehöre nicht mehr zu den im Rahmen der Unfalluntersuchung vorzunehmenden polizeilichen Feststellungen (ebenso auch BVerwG aaO unter Billigung der vom RVA vertretenen Ansicht; ferner Bayer. LVAmt, Breith. 1952, 760). Die Vornahme der Obduktion als solche, die zwar nur durch ärztliche Sachverständige erfolgen kann, stellt jedenfalls noch nicht eine "Zuziehung" von Sachverständigen auf Kosten des Versicherungsträgers (§ 1564 Abs. 2 RVO) dar, soweit die Obduktion zur hinreichenden Feststellung des Sachverhalts (§ 1564 Abs. 1 Satz 1 RVO) unerläßlich ist. Es kann hierbei offenbleiben, inwieweit dem vom Sächsischen Oberverwaltungsgericht (aaO, desgleichen RVA EuM 19, 164) vertretenen Standpunkt beizupflichten ist, daß die Ortspolizeibehörde in Verfolg der ihr gesetzlich obliegenden Unfalluntersuchung sogar auch noch ärztliche Gutachten einzuholen habe. Gegen diese Auffassung könnte der von der Klägerin selbst mit Recht hervorgehobene Gesichtspunkt angeführt werden, daß der Sinn der Unfalluntersuchung in einer "Spurensicherung" zu erblicken ist, deren Rahmen die Einholung ärztlicher Zusammenhangsgutachten deutlich überschreiten würde, da solche Gutachten in der Regel noch beliebig lange Zeit nach dem Todesfall angefordert werden können. Im Gegensatz hierzu sind jedoch eine Leichenöffnung und das über den Obduktionsbefund anzufertigende Protokoll Maßnahmen, die in der Regel nur kurze Zeit nach dem Tode mit Aussicht auf Erfolg durchführbar sind; sie sind daher - falls nach den jeweiligen Umständen geboten - zweifelsfrei als Bestandteil der amtlichen Unfalluntersuchung anzusehen.
In dem hier gegebenen Streitfall war, wie das SG zutreffend angenommen hat, die Obduktion des an der Arbeitsstätte tot zusammengebrochenen M. unerläßlich, um die Frage zu klären, ob die im Augenblick des Todes gerade verrichtete Betriebstätigkeit als wesentliche Teilursache für den Tod in Betracht kam. Ohne den bei der Obduktion rechtzeitig gewonnenen Befund wären die Entschädigungsansprüche der Witwe voraussichtlich nicht mit hinreichender Sicherheit zu beurteilen gewesen. Die Klägerin hat als Teil der von der Beklagten vorzunehmenden Unfalluntersuchung mit Recht jedenfalls die Durchführung der Obduktion an sich, nicht mehr dagegen die spätere Einholung der - auf den gesicherten Obduktionsbefund gestützten - ärztlichen Gutachten angesehen.
Von der Beurteilung der Streitfrage nach geltendem Recht zu trennen ist die - dem Gesetzgeber obliegende - Prüfung, ob etwa künftig eine Entlastung der Ortspolizeibehörde von den ihr nach §§ 1559 ff RVO zugewiesenen Aufgaben anzustreben ist (vgl. hierzu Dersch/Knoll/Schröter, RVO-Gesamtkommentar, § 1559 Anm. 4 mit weiteren Nachweisen). Ebenso unterliegt es nicht der Beurteilung des erkennenden Senats, ob eine BG zweckmäßig vorgeht, wenn sie - zumal in medizinisch schwieriger gelagerten Fällen - nicht selbst die Initiative ergreift und sich an das ihr am besten bekannte, geeignetste Pathologische Institut wendet, sondern auf der Vornahme der Leichenöffnung durch einen der Ortspolizeibehörde verfügbaren Obduzenten besteht; das RVA hat schon frühzeitig solche naheliegenden Zweckmäßigkeitserwägungen angedeutet, die jedoch an der grundsätzlich bestehenden rechtlichen Verpflichtung der Ortspolizeibehörde nichts ändern (vgl. AN 1895, 196 Nr. 1409).
Hiernach hätte also das Ordnungsamt der Beklagten in Durchführung der gesetzlich vorgeschriebenen Unfalluntersuchung über den Tod des M. die Obduktion veranlassen müssen, deren Kosten der beklagten Gemeinde zur Last fielen. Die Klägerin hat mit ihrer vorläufigen Begleichung der Obduktionskosten eine Leistung ohne Rechtsgrund erbracht. Das SG hat - entsprechend der Klagbegründung - hierin eine Geschäftsführung ohne Auftrag erblickt und aus den einschlägigen Vorschriften des BGB einen Ersatzanspruch der Klägerin hergeleitet. Der erkennende Senat hat zu den Bedenken, die gegen eine sinngemäße Heranziehung dieser bürgerlich-rechtlichen Normen (auch der Grundsätze über die ungerechtfertigte Bereicherung) sprechen, in seinem Urteil vom 30. Januar 1962 (BSG 16, 151) Stellung genommen. Wie dort im einzelnen (vgl. auch BSG 16, 222 und Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 6. Aufl., S. 558 b, 603 mit weiteren Nachweisen) dargelegt worden ist, wird in Fällen, in denen ein öffentlicher Rechtsträger an Stelle eines anderen primär oder allein verpflichteten öffentlichen Rechtsträgers Aufwendungen gemacht hat, der gebotene Ausgleich durch das allgemein anerkannte Institut des öffentlich-rechtlichen Ersatzanspruchs herbeigeführt. Die Voraussetzungen eines solchen Ersatzanspruchs hat die Klägerin mit ihrem Klagbegehren erfüllt; insbesondere ist nicht ersichtlich, daß die Klägerin den pflichtgemäßen Amtshandlungen der Ortspolizeibehörde vorgegriffen hätte und deshalb ihrem Ersatzanspruch der Einwand des Rechtsmißbrauchs entgegenstünde. Auch das öffentliche Interesse an dem von der Klägerin begehrten Vermögensausgleich in Höhe der Klagforderung ist zweifelsfrei zu bejahen.
Der Einwand des "venire contra factum proprium" kann der Klägerin schon deshalb nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, weil nach § 3 Abs. 3 der Verordnung über die Anpassung der sozialen Unfallversicherungen an den totalen Kriegseinsatz vom 9. November 1944 (RGBl I 324) seit dem 1. Oktober 1944 Unfalluntersuchungen durch die Ortspolizeibehörden von Amts wegen nicht mehr stattfinden durften und diese Suspendierung des § 1559 Abs. 1 RVO erst mit Wirkung vom 1. Juni 1949 an wieder beseitigt worden ist (§ 8 Abs. 1 Nr. 2, § 15 des Gesetzes über Verbesserungen der gesetzlichen Unfallversicherung vom 10. August 1949 - WiGBl 251); dem Verhalten der Klägerin in den knapp neun Jahren vor Entstehung des vorliegenden Streitfalles ist jedenfalls keine ausschlaggebende rechtliche Bedeutung beizumessen.
Da hiernach die Entscheidung des SG im Ergebnis zutrifft, ist die Revision der Beklagten zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 2 SGG).
Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten folgt aus § 193 Abs. 4 SGG.
Fundstellen