Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Urteil vom 19.09.1996) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 19. September 1996 insoweit aufgehoben, als es den Anspruch auf Gewährung von Rente wegen Berufsunfähigkeit betrifft. Insoweit wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I
Streitig ist im Revisionsverfahren nur noch, ob der Kläger einen Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit hat.
Der im Jahr 1956 geborene Kläger arbeitete nach der Tischlerlehre als Geselle bis zum 25. April 1980. Er kündigte dann das Beschäftigungsverhältnis, um den Meisterkurs zu absolvieren. Nach Bestehen der Prüfung (Zeugnis vom 20. Februar 1981) bezog er zunächst Arbeitslosengeld und war anschließend vom 24. April bis 5. Mai 1982 als Tischlermeister versicherungspflichtig beschäftigt. Dieses Beschäftigungsverhältnis endete durch Kündigung wegen Meinungsdifferenzen zum Arbeitsablauf und Unzufriedenheit des Arbeitgebers mit den Arbeitsleistungen des Klägers. Von Mai 1982 bis März 1989 bezog der Kläger Leistungen nach dem AFG und hatte gelegentlich versicherungsfreie Nebeneinkünfte als unselbständiger Taxifahrer. Ab April 1989 war er hauptberuflich als Taxifahrer versicherungspflichtig beschäftigt. Seit 1. Januar 1992 ist er als Taxifahrer selbständig erwerbstätig (1-Mann-Unternehmen).
Am 2. Februar 1994 stellte der Kläger einen Antrag auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, den er mit starker Schuppenflechte am ganzen Körper sowie Schmerzen in Schulter-, Knie-, Hand- und Hüftgelenken begründete. Nach Einholung eines ärztlichen Gutachtens lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab (Bescheid vom 3. März 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. April 1994).
Das anschließende Klageverfahren vor dem SG München war erfolglos (Urteil vom 15. Februar 1995). Im Berufungsverfahren blieb der Kläger bei seinem Vorbringen, er könne einer Erwerbstätigkeit nicht mehr vollschichtig nachgehen. Nach Beiziehung weiterer Unterlagen und Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens hat das LSG die Berufung des Klägers durch Urteil vom 19. September 1996 zurückgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: Der Kläger sei nicht erwerbsunfähig, weil er trotz der bei ihm vorliegenden Gesundheitsstörungen noch vollschichtig erwerbstätig sein könne. Ein Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit scheide ebenfalls aus. Wegen des erlernten und im Jahr 1992 zuletzt ausgeübten Tischlerberufs komme dem Kläger kein Berufsschutz zugute, weil er die Tätigkeit aufgrund Kündigung und nicht aus zwingenden gesundheitlichen Gründen aufgegeben habe. Als Taxifahrer sei er weder der Berufsgruppe der Facharbeiter noch der Gruppe der angelernten Arbeiter im oberen Bereich zuzurechnen. Folglich bedürfe es nicht der konkreten Benennung einer Verweisungstätigkeit. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sei er, wie im Rahmen der fehlenden Erwerbsunfähigkeit ausgeführt, vollschichtig einsatzfähig.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger nur noch sein Begehren auf Rente wegen Berufsunfähigkeit weiter und rügt die Verletzung materiellen und formellen Rechts (§ 43 SGB VI; §§ 103, 106 SGG). Er macht geltend: Das LSG habe verkannt, daß er sich von der Tischlertätigkeit durch die Kündigung nicht gelöst habe. Während der anschließenden Arbeitslosigkeit habe er entsprechend seiner beruflichen Qualifikation aus diesem Beruf weiterhin der Vermittlung des Arbeitsamtes zur Verfügung gestanden. Den Berufsschutz habe er auch nicht allein dadurch verloren, daß er versucht habe, seiner anschließenden Arbeitslosigkeit durch Aufnahme einer gelegentlichen (geringerwertigen) Beschäftigung zu begegnen und die Leistungen des Arbeitsamtes zu senken. Gleiches gelte hinsichtlich der Aufnahme der unselbständigen versicherungspflichtigen Beschäftigung als Taxifahrer im Jahre 1989. Da diese durch einen Eingliederungszuschuß des Arbeitsamtes an den Arbeitgeber des Klägers gefördert worden sei, habe es sich um eine Art „Ausbildung” gehandelt, die noch keine Lösung vom Tischlerberuf und Hinwendung zu einer unselbständigen (geringerwertigen) Taxifahrertätigkeit bedeutet habe. Schließlich habe er, der Kläger, sich auch nicht durch die Aufnahme der selbständigen Taxifahrertätigkeit von seinem bisherigen Beruf gelöst, weil es sich nicht um einen versicherungsrechtlich relevanten Beruf handele. Außerdem habe das LSG den medizinischen Sachverständigen nicht befragen dürfen, ob er, der Kläger, noch als Schreiner oder Taxifahrer tätig sein könne; die Beantwortung dieser Frage obliege einem berufskundlichen Sachverständigen (Hinweis auf BSG Urteil vom 8. Oktober 1992 – 13/5 RJ 24/90 – SozR 3-2200 § 1246 Nr 29). Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs werde darin gesehen, daß der Kläger nicht auf das dem Urteil zugrunde gelegte und unzutreffende Alltagswissen hingewiesen worden sei, die selbständige Tätigkeit gestatte es ihm, seine Arbeitszeit frei einzuteilen, so daß er nicht andauernd in Wechsel- und Nachtschicht tätig sein müsse und so keiner anhaltenden Streßbelastung unterliege.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung der Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 19. September 1996 und des Sozialgerichts München vom 15. Februar 1995 sowie des Bescheides vom 3. März 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. April 1994 zu verurteilen, dem Kläger unter Berücksichtigung des Datums der Antragstellung vom 2. Februar 1994 Rente wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren,
hilfsweise,
den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Bayerische Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hat von einer Stellungnahme abgesehen.
Entscheidungsgründe
II
Hinsichtlich des im Revisionsverfahren nur noch streitigen Anspruchs auf Rente wegen Berufsunfähigkeit ist die zulässige Revision in dem Sinne begründet, daß das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist. Die festgestellten Tatsachen lassen eine abschließende Entscheidung nicht zu. Das LSG wird insbesondere noch Feststellungen nachzuholen haben, welche Tätigkeit des Klägers als bisheriger Beruf anzunehmen ist. Davon abhängig sind weitere Feststellungen erforderlich, welche Tätigkeit dem Kläger sozial und gesundheitlich zumutbar ist.
Berufsunfähig nach § 43 Abs 2 Satz 1 SGB VI ist ein Versicherter, dessen Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist. Nach Satz 2 der genannten Vorschrift umfaßt der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten zu beurteilen ist, alle Tätigkeiten, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfanges seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Bisheriger Beruf iS dieser Vorschrift ist nach der Rechtsprechung des BSG in der Regel die zuletzt auf Dauer verrichtete versicherungspflichtige Tätigkeit des Versicherten.
Hiervon ausgehend wäre im Falle des Klägers auf die versicherungspflichtige Tätigkeit eines unselbständigen Taxifahrers abzustellen, wie es das LSG getan hat. Ob dies rechtens war, kann allerdings nach den Feststellungen des LSG nicht beurteilt werden. Denn die zuletzt ausgeübte Tätigkeit des Versicherten ist dann unmaßgeblich, wenn er vorher eine höherwertige Tätigkeit ausgeübt und sich davon nicht freiwillig gelöst hat. Eine derartige Lösung vom bisher ausgeübten Beruf liegt vor, wenn der Versicherte nicht nur vorübergehend eine andere (geringerwertige) Tätigkeit aufnimmt und – zB anhand der Umstände – festgestellt wird, daß die Aufgabe der höherwertigen Tätigkeit vom Willen des Versicherten getragen war. Entscheidend ist also, ob der Versicherte sich erkennbar der neuen Tätigkeit zugewandt, sich mit ihr abgefunden und nicht mehr den – realisierbaren – Willen zur Rückkehr zur früheren höherwertigeren Tätigkeit hat (vgl Niesel in Kasseler Komm, Stand: Dezember 1996, § 43 SGB VI RdNrn 32 und 33 mwN). Für die Hinwendung zu einer anderen versicherungspflichtigen Tätigkeit reicht deshalb entgegen der Ansicht des LSG nicht allein, daß objektiv die Tischlertätigkeit durch Kündigung bzw aus nicht gesundheitsbedingten Gründen beendet worden ist. Da der (innere) Lösungswille maßgebend ist, wird das LSG vielmehr anhand von äußeren Umständen einen solchen Willen feststellen müssen. Insoweit könnte aus dem beruflichen Werdegang des Klägers nach Mai 1982 auf einen Lösungswillen geschlossen werden. Dagegen könnten beispielsweise Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamtes oder private Bewerbungen des Klägers um Tischlertätigkeiten sprechen. Derartige Feststellungen sind dem Revisionsgericht verwehrt und vom LSG nachzuholen.
Wenn das LSG unter Berücksichtigung dieser Vorgaben den bisherigen Beruf des Klägers (Tischlertätigkeit bzw versicherungspflichtige Taxifahrertätigkeit) festgestellt hat, wird es unter Berücksichtigung der einschlägigen Rechtsprechung des BSG – ggf nach weiterer medizinischer Sachaufklärung unter Berücksichtigung des Einwandes des Klägers zur Fragestellung an den Sachverständigen Prof. Dr. Dr. R. … – feststellen müssen, ob der Kläger die für den bisherigen Beruf maßgebende Tätigkeit noch ausüben kann und welche Verweisungstätigkeit ihm sozial und gesundheitlich zumutbar ist. Hierbei kann allerdings grundsätzlich auch die selbständige Taxifahrertätigkeit in Betracht gezogen werden (BSG Urteile vom 24. Februar 1965 – 4 RJ 29/63 – SozR Nr 45 zu § 1246 RVO und vom 23. Juni 1981 – 1 RA 50/80 – SozR 2200 § 1246 Nr 80).
Das angefochtene Urteil kann auf der gerügten fehlerhaften Rechtsanwendung und der infolgedessen unterbliebenen weiteren Sachaufklärung beruhen, denn bei weiteren Ermittlungen wäre ein Anspruch des Klägers auf Rente wegen Berufsunfähigkeit möglicherweise anders beurteilt worden.
Da der Senat die erforderlichen Feststellungen nicht selbst treffen kann, war die Sache insoweit an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Fundstellen