Leitsatz (amtlich)
Teilnahme am Streik unterbricht die versicherungspflichtige Beschäftigung im Sinne des AVAVG 1927 § 99 Abs 1 S 3 idF des Änderungsgesetzes 1953-08-24 § 1 (BGBl 1 1953, 1022) jedenfalls dann, wenn die Dauer des Streiks nicht absehbar ist.
Normenkette
AVAVG § 99 Abs. 1 S. 3 Fassung: 1953-08-24; RVO § 165 Fassung: 1952-08-13; AVAVG § 69
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Celle vom 15. Februar 1955 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander Kosten nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I. Die Klägerin war nach der Arbeitsbescheinigung der Buntspinnerei und Weberei ... P. & Co. in Nordhorn bei dieser vom 6. Oktober 1948 bis zum 10. Juli 1953 als Fadenbruchzählerin beschäftigt. Am Entlassungstage meldete sie sich arbeitslos und beantragte Arbeitslosenunterstützung (Alu). Durch Verfügung des Arbeitsamts Nordhorn wurde ihr diese für 26 Wochen bewilligt. Ihr Antrag auf die verlängerte Bezugsdauer gemäß § 1 des Gesetzes vom 24. August 1953 wurde abgelehnt, da sie vom 28. Januar bis zum 13. März 1953 am Textilarbeiterstreik teilgenommen habe und dadurch ihre versicherungspflichtige Beschäftigung unterbrochen worden sei. Der Widerspruch, den sie erhob, wurde durch Bescheid vom 11. März 1954 als unbegründet zurückgewiesen. Dagegen erkannte das Sozialgericht Osnabrück durch Urteil vom 2. September 1954, daß die beklagte Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung Alu für weitere 19 Wochen zu zahlen habe. Es ging davon aus, daß "eine Unterscheidung nach arbeitsrechtlicher Seite einerseits und im sozialversicherungsrechtlichen Sektor andererseits" nicht anerkannt und deshalb die Frage der Unterbrechung nur nach den allgemeinen Grundsätzen des bürgerlichen und des Arbeitsrechts behandelt werden könne. Danach bestehe aber das Arbeitsverhältnis auch bei Teilnahme an einem Streik fort, soweit weder von der einen noch von der anderen Seite gekündigt worden sei. Dies sei hier nicht geschehen. Die Klägerin habe deshalb Anspruch auf Alu für 45 Wochen, da ihre versicherungspflichtige Beschäftigung ununterbrochen mindestens 208 Wochen vor der Arbeitslosmeldung gedauert habe.
II. Gegen dieses Urteil legte der Präsident des Landesarbeitsamts Niedersachsen für die Bundesanstalt Berufung ein. Das Landessozialgericht Celle hob durch Urteil vom 15. Februar 1955 das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück auf und wies die Klage ab. Maßgebend für die Beurteilung sei nicht das privatrechtliche Arbeitsverhältnis, sondern das öffentlich-rechtliche Sozialversicherungsverhältnis. Der Begriff der versicherungspflichtigen Beschäftigung bestimme sich nach den §§ 69 ff. des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG). Danach sei die Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung davon abhängig, daß eine krankenversicherungspflichtige Beschäftigung bestehe. Dies sei nach § 165 RVO nur dann der Fall, wenn die dort genannten Arbeitnehmer gegen Entgelt beschäftigt seien. Bei Ausstand lägen diese Voraussetzungen nicht vor, da die Arbeitnehmer nicht beschäftigt würden. Es gehöre zum Wesen des Ausstandes, daß die Streikenden ihre Arbeitskraft dem Arbeitgeber nicht zur Verfügung stellen Wollten, um ihn dadurch zur Gewährung besserer Lohn- und Arbeitsbedingungen gefügig zu machen. Das Beschäftigungsverhältnis sei zwar nicht immer gleichbedeutend mit wirklicher Arbeitsleistung. Bei Arbeitsunfähigkeit, z.B. infolge Erkrankung, verrichte der Beschäftigte keine Arbeit, trotzdem solle das Beschäftigungsverhältnis nach dem Willen der Parteien weiter bestehen bleiben. In solchen Fällen habe der Arbeitgeber aber weiter die Verfügungsgewalt über den Arbeitnehmer, möge sie auch - wie im Falle der Erkrankung - eingeschränkt sein oder gar völlig ruhen. Das Vorhandensein der Verfügungsgewalt sei jedoch die unerläßliche Voraussetzung für den Bestand eines Beschäftigungsverhältnisses im Sinne der Sozialversicherung. Bei Ausstand ende sie, der Arbeitnehmer sei nicht mehr dienstbereit, sein Wille gehe auf Begründung eines neuen Beschäftigungsverhältnisses zu günstigeren Arbeitsbedingungen. Mit dem Wegfall der Verfügungsgewalt des Arbeitgebers sei das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis erloschen. Auch der Schiedsspruch und die Wiedereinstellung hätten daran rückwirkend nichts ändern können. Das Landessozialgericht stützt sein Urteil auf die Grundsätzliche Entscheidung des früheren Reichsversicherungsamts (RVA.) Nr. 2766 vom 29. September 1922. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage hat es die Revision zugelassen.
III. Das Urteil ist der Klägerin am 7. April 1955 zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 18. April 1955 - beim Bundessozialgericht eingegangen am 19. April - hat sie Revision eingelegt und beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts aufzuheben und die beklagte Bundesanstalt zu verurteilen, für weitere 19 Wochen Arbeitslosenunterstützung zu zahlen. Sie rügt Verletzung materiellen Rechts.
Mit Schriftsatz vom 21. April 1955 - beim Bundessozialgericht eingegangen am 23. April - hat die Klägerin die Revision damit begründet, die Auffassung des Landessozialgerichts, das Fehlen der Verfügungsmacht des Arbeitgebers allein sei geeignet und ausreichend, eine Unterbrechung des Versicherungsverhältnisses herbeizuführen, sei unzutreffend. Wenn die Rechtsprechung bei bezahltem und unbezahltem Urlaub, Krankheit und sogar bei Aussperrung annehme, daß die Einschränkung der Verfügungsmacht des Arbeitgebers nicht rechtserheblich sei, solange der Wille der Parteien auf Fortsetzung der Beschäftigung nach Wegfall des Hinderungsgrundes gerichtet sei, so müsse dies auch für den Streik gelten. Zudem sei zu berücksichtigen, daß Streik und Aussperrung nach Art. 9 des Grundgesetzes (GG) die zulässigen Kampfmittel der Koalitionen seien. Eine unterschiedliche Würdigung würde gegen Art. 3 GG verstoßen. Außerdem verletze die Bundesanstalt die im Gesetz geforderte Neutralität, weil bei Anerkennung ihrer Rechtsauffassung eine mittelbare Auswirkung auf den Arbeitskampf zuungunsten der Arbeitnehmer unvermeidbar sei.
Die Bundesanstalt hat mit Schriftsatz vom 2. August 1955 beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Sie setzt sich mit dem Begriff der versicherungspflichtigen Beschäftigung auseinander und bezeichnet - gestützt auf die Grundsätzliche Entscheidung des RVA. Nr. 2766 - als ausschlaggebend das Erlöschen der Verfügungsmacht des Arbeitgebers. Sie bestreitet, daß der Grundsatz der Gleichbehandlung verletzt werde, und weist darauf hin, daß der Schiedsspruch nur arbeitsrechtliche, aber keine sozialversicherungsrechtlichen Wirkungen habe; er binde nur die Tarifparteien, nicht die Parteien des Einzelvortrags.
Im einzelnen wird auf die beiden Schriftsätze Bezug genommen.
IV. Die Revision ist statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden; sie konnte aber keinen Erfolg haben.
Nach § 99 Abs. 1 Satz 3 AVAVG i.d.F. des § 1 des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung von Vorschriften auf dem Gebiete der Arbeitslosenversicherung und der Arbeitslosenfürsorge vom 24. August 1953 (BGBl. I S. 1022) kann über die höchste Normalbezugsdauer der versicherungsmäßigen Arbeitslosenunterstützung von 26 Wochen hinaus Arbeitslosen, die Renten aus den Rentenversicherungen wegen Alters, Invalidität oder Berufsunfähigkeit nicht beziehen, nach ununterbrochener versicherungspflichtiger Beschäftigung von mindestens 104 bis 260 Wochen in bestimmter Abstufung die Alu für eine verlängerte Bezugsdauer gewährt werden. Die eingangs erwähnte Zeitspanne vom 6. Oktober 1948 bis zum 10. Juli 1953 umfaßt mehr als 208 Wochen und würde, wenn sie als ununterbrochen anzusehen wäre, zu einer Alu-Bezugsdauer von 45 Wochen berechtigen. Der Senat hatte deshalb zu prüfen, ob die Beschäftigung der Klägerin dadurch unterbrochen worden ist, daß sie sich an dem 45-tägigen Streik der Textilarbeiter in N vom 28. Januar bis zum 13. März 1953 beteiligt hat.
§ 99 Abs. 1 Satz 3 a.a.O. macht die längere Bezugsdauer von einer ununterbrochenen "versicherungspflichtigen Beschäftigung" abhängig. Was hierunter im Sinne der Arbeitslosenversicherung zu verstehen ist, ergibt sich über § 69 AVAVG. Danach ist, soweit es sich, wie im vorliegenden Falle, um Arbeiter handelt, für den Fall der Arbeitslosigkeit versichert, wer auf Grund der Reichsversicherungsordnung (RVO) für den Fall der Krankheit pflichtversichert ist. Diese Versicherung wird im § 165 RVO geregelt. Voraussetzung ist, daß die Arbeiter gegen Entgelt beschäftigt werden.
Der Begriff der versicherungspflichtigen Beschäftigung deckt sich nicht mit dem des Arbeitsvertrages. Dieser stellt ein zweiseitiges privatrechtliches Rechtsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer dar und regelt die privatrechtlichen Beziehungen zwischen den beiden Parteien. Die versicherungspflichtige Beschäftigung dagegen beruht auf einem dreiseitigen öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnis zwischen Arbeitgeber, Arbeitnehmer und der Sozialversicherung und regelt die Zugehörigkeit zur Pflichtversicherung für schutzbedürftige Arbeitnehmer. Beide Rechtsverhältnisse fallen, rein äußerlich gesehen, meist zusammen. Doch irrt das Sozialgericht Osnabrück, wenn es meint, es bestünde kein rechtlicher Unterschied. Die Rechtsschicksale beider Rechtsverhältnisse können vielmehr völlig verschieden sein.
Ihrer unterschiedlichen Rechtsnatur entsprechen auch ihr andersgearteter Ausgangspunkt und Inhalt. Zutreffend führt Dersch in seinem Aufsatz über "Wechselwirkungen zwischen Sozialversicherung und Arbeitsrecht in der neueren Entwicklung" (in "Gegenwartsfragen sozialer Versicherung" - Schriften der Hochschule für Arbeit, Politik und Wirtschaft, Wilhelmshaven-Rüstersiel 1950 - S. 35) aus: "Die Sozialversicherung hat von jeher nicht den zivilrechtlichen Arbeitsvertrag, sondern das Beschäftigungsverhältnis, von der tatsächlichen Seite aus gesehen, zur Grundlage der Pflichtversicherung gemacht" (vgl. auch Hueck-Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 6. Aufl., 1. Bd. S. 33 ff., hier S. 38 Anm. 13). Wie der Große Senat des RVA. in seiner Grundsätzlichen Entscheidung vom 29. November 1927 (EuM. Bd. 22 S. 238, hier S. 241) dargelegt hat, haben Schrifttum und Rechtsprechung bereits seit der Geltung des früheren Krankenversicherungsgesetzes i.d.F. vom 15. Juni 1883 unter "Beschäftigung" das rein tatsächliche Vorhandensein eines solchen Verhältnisses verstanden. Die "tatsächliche Seite" ist das Entscheidende für die versicherungspflichtige Beschäftigung. Ihre charakteristischen Merkmale sind, daß ein Arbeitnehmer fremdbestimmte Arbeit für einen Arbeitgeber leistet und dafür entlohnt wird, und daß auf Grund dieses Beschäftigungsverhältnisses Arbeitgeber und Arbeitnehmer Beiträge zur Sozialversicherung zu entrichten haben, wofür dann beim Eintritt des Schadensfalles der Arbeitnehmer die Leistungen der Sozialversicherung erhält. Bei fremdbestimmter Arbeit hat der Arbeitgeber über den Arbeitnehmer bzw. dessen Arbeitskraft insofern die "Verfügungsmacht", als er zu bestimmen hat, wie die Arbeit im einzelnen durchgeführt werden soll, selbstverständlich ohne daß dadurch an der gleichberechtigten Vertragspartnerschaft des Arbeitnehmers etwas geändert wird. Der Verfügungsmacht des Arbeitgebers entspricht auf der anderen Seite als ebenso wesentliches Erfordernis der versicherungspflichtigen Beschäftigung die Dienstbereitschaft des Arbeitnehmers.
Die hier in Betracht kommenden Probleme spielten in der Sozialversicherung von Anbeginn eine gewichtige Rolle. Deshalb hatte sich auch das RVA. in seiner Rechtsprechung mit der Feststellung und Entwicklung der zugehörigen Rechtsmerkmale laufend zu beschäftigen. Als grundsätzlich maßgebend hat es das Schutzbedürfnis der Versicherten erklärt, das während der Dauer des Beschäftigungsverhältnisses gewährleistet sein muß. Soweit als möglich soll der Versicherungsschutz selbst bei "Unterbrechungen" der Beschäftigung aufrechterhalten werden. Unter diesem Gesichtspunkt hat das RVA. in der Grundsätzlichen Entscheidung Nr. 2789 vom 26. Januar 1924 (AN. 1924 S. 84) in Übereinstimmung mit der sonstigen Rechtsprechung und mit dem Schrifttum festgestellt, daß eine Beschäftigung im Sinne des § 165 RVO nicht unbedingt gleichbedeutend mit wirklicher Arbeitsleistung ist, und in Fällen, in denen die versicherungspflichtige Beschäftigung durch eine Zeit von Nichttätigkeit unterbrochen wird, das Beschäftigungsverhältnis gleichwohl als fortbestehend angesehen, so bei bezahltem oder unbezahltem Urlaub, bei "Bummeltagen" und bei Krankheit, ferner auch z.B. bei vorübergehender Betriebsruhe. In allen Fällen hat es aber vorausgesetzt, daß das Ende der Unterbrechung voraussehbar ist, die Beteiligten den Willen haben, das Beschäftigungsverhältnis nach Wegfall der Unterbrechung fortzusetzen, der Arbeitnehmer grundsätzlich dienstbereit ist und der Arbeitgeber grundsätzlich die Verfügungsmacht über den Arbeitnehmer behält. Nicht als unbedingtes Erfordernis hat es bezeichnet, daß während der Zeit der Unterbrechung Entgelt gezahlt wird, wohl aber, daß vor oder nach der Unterbrechung Lohnzahlungen erfolgen, aus denen die Versicherungsbeiträge geleistet werden können.
Im einzelnen wird u.a. auf folgende Grundsätzlichen Entscheidungen des RVA. verwiesen zum Grundsätzlichen auf Nr. 2233 (AN.1916 S. 589 - mit weiteren Fundstellen -), zur Frage des Versicherungsschutzes auf Nr. 2789 v. 26.1.1924 (AN.1924 S. 84), zur Behandlung des unbezahlten Urlaubs einschließlich sog. Bummeltage und der Lohnzahlung vor und nach der Unterbrechung auf Nr. 5406 vom 18.12.1940 (AN. 1941 II S. 86) und Nr. 5419 vom 12.2.1941 (AN. 1941 II S. 148; vgl. hierzu auch Bescheid des RVA. vom 18.7.1941 - AN. 1941 II S. 323).
Wenn das RVA. vor allem gefordert hat, daß während der Unterbrechung der Arbeitnehmer dienstbereit, d.h. dienstwillig, bleibt und der Arbeitgeber die Verfügungsmacht behält, so ist zwar zuzugeben, daß diese Bedingungen bei den vielfältigen Unterbrechungsformen verschiedenartig erfüllt sein können; grundsätzlich müssen sie aber vorhanden sein. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist Kies z.B. bei Urlaub oder Krankheit der Fall. Die Dienstwilligkeit hat sich hier ohnehin nicht gewandelt. Die Verfügungsmacht des Arbeitgebers ist zwar eingeschränkt oder gehemmt, aber nicht weggefallen. Stets kann der Arbeitgeber die Dienste des Arbeitnehmers, von dem er von Anfang an nach dem regelmäßigen Lauf der Dinge annimmt und annehmen darf, daß er zurückkehrt, für die Zukunft miteinplanen. Je nach Art und Schwere der Krankheit kann er sogar z.B. seinen fehlenden Buchhalter veranlassen, sich zu Geschäftsvorkommnissen zu äußern, eine Aufstellung zu prüfen usw. Einen Urlauber kann er im Notfall zurückrufen. Auf jeden Fall wird die Verfügungsmacht des Arbeitgebers nicht etwa dadurch beeinträchtigt, daß der Arbeitnehmer sich der Verfügungsmacht des Arbeitgebers bewußt entziehen will.
V. Was das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis im Falle des Streiks betrifft, so hat das RVA. die Lage niemals anders beurteilt als in seiner Grundsätzlichen Entscheidung Nr. 2766 vom 29. September 1922 (AN. 1923 S. 273). Darin hat es erklärt, daß die gemeinsame Arbeitsniederlegung der Arbeiter eines Betriebes die Beendigung des die Krankenversicherungspflicht begründenden Beschäftigungsverhältnisses zur Folge habe, wobei lediglich am Schluß der Urteilsgründe eine gewisse Ausnahme für ganz kurzfristige Streiks angedeutet wird. Durch den Streik entziehe sich der Arbeitnehmer der Verfügungsmacht des Arbeitgebers, die damit ihr Ende erreiche. Da das Beschäftigungsverhältnis als solches die Verfügungsmacht des Arbeitgebers über den Arbeitnehmer voraussetze, erlösche mit ihrem Wegfall auch das Beschäftigungsverhältnis und damit die Pflichtversicherung.
VI. Aufgabe des Senats war es zu prüfen, ob diese vom RVA. entwickelten Grundsätze auch unter den zum Teil veränderten Verhältnissen der Gegenwart noch aufrechtzuerhalten sind.
Der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts hat in seinem Beschluß vom 28. Januar 1955 (Nachschlagewerk des BAG: AP Nr. 1 zu Art. 9 GG und BAG Bd. 1 S. 291 ff.) den Grundsatz aufgestellt, daß der legitime gewerkschaftliche Streik als kollektive Arbeitskampfmaßnahme den Arbeitgeber nicht mehr zu einer Einzelkündigung des streikenden Arbeitnehmers wegen Vertragsverletzung berechtige. Beim Streik handelten nicht die einzelnen Arbeitnehmer, sondern die Streikenden als Gruppe. Streik (und Aussperrung) werden also durch diesen Beschluß auf die Ebene von Nur-Kollektivmaßnahmen gehoben.
Es fragte sich für das Bundessozialgericht, ob diese Entwicklungstendenzen auch im Bereiche der Sozialversicherung neuerdings so stark zu bewerten sind, daß davon die Beurteilung des versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses mit erfaßt wird, indem möglicherweise durch eine kollektiv-rechtliche Arbeitskampfmaßnahme nicht nur das privatrechtliche Arbeitsverhältnis, sondern mittels Reflexwirkung auch das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis mit seinen Merkmalen, hier also vor allem mit der Dienstbereitschaft des Arbeitnehmers und der Verfügungsmacht des Arbeitgebers, für die Dauer des Arbeitskampfes verändert bezw. in der Schwebe gehalten würde.
"Der Streik will", wie das Bundesarbeitsgericht (Abschnitt I 6) mit Recht ausführt, "die Arbeitsverhältnisse unterbrechen, um dadurch einen Druck auf den anderen Sozialpartner auszuüben und eine günstigere tarifliche Regelung der Arbeitsbedingungen herbeizuführen. Die Streikenden wollen keine Lösung der Arbeitsverhältnisse, sie wollen die Arbeitsverhältnisse nur suspendieren, sie aber später nach Erreichung ihrer Ziele, aber auch nach einer Niederlage, fortsetzen."
Die Ausführungen des Bundesarbeitsgerichts betreffen jedoch - und das ist das Wesentliche - allein das Arbeitsvertragsrecht. Im Sozialversicherungsrecht dagegen ist kein Raum für Kollektivmaßnahmen seitens der Sozialpartner. Seine Auswirkungen betreffen stets das einzelne Beschäftigungsverhältnis, das, wie schon das RVA. zutreffend immer wieder hervorgehoben hat, von der Seite des Tatsächlichen zu sehen ist. Deshalb kommt es auf diesem Gebiet entscheidend darauf an, ob bei dem einzelnen Arbeitnehmer die Begriffsmerkmale der versicherungspflichtigen Beschäftigung auch während des Streikes vorliegen.
Wie bereits ausgeführt, sind hierfür unabdingbare Voraussetzungen, daß der Arbeitnehmer dienstbereit ist und der Arbeitgeber die Verfügungsmacht über ihn hat. Beide Merkmale fallen aber beim Streik weg. Sicherlich ist der Wille der Streikenden nicht auf eine dauernde Lösung der bestehenden Arbeitsbeziehungen und damit an sich auch nicht auf eine Lösung des versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses gerichtet, wenngleich hier schon mehr oder weniger stark die Frage mitberührt wird, aus welchen Mitteln die dann ebenfalls weiter fälligen Beiträge zur Sozial- und Arbeitslosenversicherung aufgebracht werden sollen. Wenn aber die Klägerin behauptet, sie sei auch während des Streiks genau wie zuvor dienstbereit geblieben, so ist dies eine reine Fiktion. Fiktionen sind zwar auf dem Gebiete des Rechts möglich; sie sind aber logisch ausgeschlossen, soweit es sich um Tatsachen handelt. Diese sind entweder vorhanden oder nicht vorhanden. Im Bereich des Tatsächlichen kann also nicht fingiert werden, daß objektiv Dienstbereitschaft weiter besteht; es kann auch nicht unterstellt werden, daß sie, wie etwa der Arbeitsvertrag selbst, in der Schwebe gehalten wird. Beides würde ihrem Wesen als rein tatsächliche Erscheinungsform widersprechen.
Wie das Bundesarbeitsgericht des Näheren ausgeführt hat, ist der Streik eine Kampfmaßnahme, um den Arbeitgeber zur Bewilligung besserer Arbeitsbedingungen gefügig zu machen. Hierfür ist, worauf neuerdings wieder Hoeniger im "Betriebs-Berater" (1955 S. 37) zutreffend hinweist, entscheidend, ob die Produktion des Arbeitgebers im wesentlichen lahmgelegt werden kann oder nicht. Deshalb würde, um mit den Worten des Bundesarbeitsgerichts (Abschnitt I 6) zu sprechen, "das Schwert des Streikes" bei tatsächlicher Dienstbereitschaft "stumpf". Gerade aus dieser Erkenntnis heraus verurteilen auch die Streikenden die Handlungsweise der als "Streikbrecher" bezeichneten Arbeitswilligen.
Allerdings werden je nach Art des bestreikten Betriebes während des Streiks vielfach gewisse "Erhaltungsarbeiten" durchgeführt, einmal weil die Arbeitnehmer kein Interesse daran haben können, daß der Produktionsapparat zusammenbricht und ihnen dadurch die Arbeitsplätze für unabsehbare Zeit verloren gehen, zum anderen wegen etwaiger Schadensersatzpflichten, die sich aus der Nichterfüllung dieser Erhaltungsarbeiten ergeben könnten. Aber diese "Ausnahme" - Dienstleistung ändert nichts daran, daß bei den Streikenden - einschließlich derjenigen, welche die Erhaltungsarbeiten ausführen und nur insoweit, nicht aber im Sinne ihrer arbeitsvertraglichen Verpflichtungen, dienstbereit sind - eine echte Dienstbereitschaft nicht besteht. Der Wille des Streikenden geht zwar dahin, sich den Arbeitsplatz zu erhalten, aber er will dem bestreikten Arbeitgeber die Arbeitskraft nicht weiter zu den bisherigen Lohn- und Arbeitsbedingungen zur Verfügung stellen, sondern das Arbeitsverhältnis unter günstigeren Bedingungen später erneuern. Nur, wenn der Streik erfolglos zusammenbricht - also erst später - ist der Streikende allenfalls bereit, zu den bisherigen Bedingungen die Arbeit wiederaufzunehmen.
Aber diese und ebenso etwaige sonstige Beweggründe des Streikenden sind für den Fortbestand des versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses letzten Endes ohne Bedeutung. Ausschlaggebend ist, daß die Dienstbereitschaft während der Streikdauer fehlt und dadurch auch die tatsächliche Verfügungsmacht des Arbeitgebers wegfällt. Sie wird nicht, wie in den oben angegebenen Fällen von Krankheit, unbezahltem Urlaub usw. nur eingeschränkt oder gehemmt, sie ist überhaupt nicht mehr vorhanden. Wenn der Arbeitgeber den einzelnen Streikenden auffordert, seinen Arbeitsplatz wieder einzunehmen, so hat er entweder keinen Erfolg, oder der Streik ist für diesen Arbeitnehmer beendet.
Wieweit sogar bei den Erhaltungsarbeiten die Verfügungsmacht des Arbeitgebers weggefallen ist, ergibt sich daraus, daß meist nicht er die Arbeitnehmer bestimmen kann, die diese Arbeiten ausführen sollen. Nach Hoeniger (a.a.O. S. 38) hat sich "gewohnheitsmäßig" ein Verfahren zur Durchführung dieser Verpflichtung der Streikenden entwickelt. "Der Arbeitgeber oder der Arbeitgeberverband verhandelt auch während des Streikes entweder mit der Gewerkschaft oder der örtlichen Streikleitung, ggf. unter Zuziehung des Betriebsrats, über die Ausgabe von Passierscheinen an diejenigen Arbeitnehmer, die die notwendigen "Erhaltungsarbeiten" auszuführen haben. ... Die Auswahl dieser Arbeitnehmer, die Passierscheine erhalten, liegt bei der Gewerkschaft oder Streikleitung" (vgl. dazu auch BAG Abschnitt II 3).
Wenn aber weder eine wirkliche Dienstbereitschaft des Arbeitnehmers noch die Verfügungsmacht des Arbeitgebers vorliegt, kann von einem auf das Tatsächliche abgestellten Beschäftigungsverhältnis nicht mehr gesprochen werden, und es braucht nicht noch untersucht zu werden, ob die weiter notwendigen Merkmale, insbesondere dasjenige des Entgelts, gegeben sind. Insoweit ist es auch bedeutungslos, wenn der Arbeitgeber die Arbeitspapiere der Klägerin nicht herausgegeben hat. Denn auch dies berührt nur das arbeitsrechtliche Verhältnis.
VII. Eine Fortsetzung des bisherigen Beschäftigungsverhältnisses kann auch dann nicht unterstellt werden, wenn - wie meist und wie auch hier - die Streikenden nach Beendigung des Arbeitskampfes durch den früheren Arbeitgeber wieder eingestellt werden. Ziffer 6 des Schiedsspruches vom 11.3.1953, mit dem der Nordhorner Textilarbeiterstreik beendet wurde, sah u.a. vor:
"Die Teilnahme am Streik als solche soll weder als Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch als Grund für solche Maßregelungen angesehen werden."
Zutreffend weist diese Wiedereinstellungsklausel nur darauf hin, daß die Arbeitsverhältnisse fortdauern sollen-diese Klausel hat demnach Bedeutung nur für die Tarifpartner (vgl. BAG Abschnitt II 3) -. Sie berührt dagegen nicht die versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse, über die als öffentlich-rechtliche Normen die Streikparteien nicht verfügungsberechtigt wären, bei deren etwaigen Fortbestand während des Streiks sich im übrigen aber auch starke Beitragsbelastungen ergeben müßten. Außerdem gilt auch hier das oben über die Fiktion Gesagte. Tatsachen können nicht beliebig und erst recht nicht rückwirkend geschaffen werden (vgl. auch die Grundsätzliche Entscheidung des RVA. Nr. 5250 vom 3.11.1938 in AN. 1939 S. 22 und Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung Bd. 1 S. 309).
Dieser Auffassung steht auch nicht etwa die Grundsätzliche Entscheidung Nr. 3102 vom 7.12.1926 (AN. 1927 S. 581) entgegen. Darin hat der Große Senat des RVA dahin erkannt, daß das die Krankenversicherungspflicht begründende Beschäftigungsverhältnis auch nach Beendigung der tatsächlichen Beschäftigung nicht erlischt, solange das der Beschäftigung zugrundeliegende Dienst- oder Arbeitsverhältnis und der sich daraus ergebende Anspruch des Arbeitnehmers auf die Gewährung des vertragsmäßigen Entgelts weiterbesteht, - aber mit der entscheidenden Einschränkung, daß der Arbeitnehmer nach wie vor dienstbereit sein müsse. Es sollte dem Arbeitgeber nicht gestattet sein, dem Arbeitnehmer dadurch den Schutz der Sozialversicherung zu entziehen, daß er seine Verfügungsmacht, die er bis zum Ende des Vertragsverhältnisses jederzeit noch betätigen kann, willkürlich nicht ausübt. Im Streitfalle dagegen hat die Verfügungsmacht gegen den Willen des Arbeitgebers ihr Ende gefunden, und wenn die Arbeitnehmer nach Beendigung des Streiks wieder eingestellt werden, wird auf der Grundlage ihrer nunmehrigen Dienstbereitschaft die Verfügungsmacht des Arbeitgebers und damit das Beschäftigungsverhältnis neu begründet (ebenso das RVA. in der Entscheidung Nr. 2766).
VIII. Gestützt wird die Auffassung des Senats übrigens auch durch die Stellung, die das AVAVG überall einnimmt, wo es vom Streik spricht. Indem § 94 Abs. 1 AVAVG die Gewährung von Arbeitslosenunterstützung untersagt, wenn die Arbeitslosigkeit durch einen inländischen Arbeitskampf verursacht ist, setzt er logisch voraus, daß der Streikende "arbeitslos" geworden, daß also das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis beendet ist. Nur wenn das Gesetz einen solchen Arbeitsplatz als frei ansieht, kann auch die im § 90 Abs. 1 Nr. 3 AVAVG bejahte Frage auftauchen, ob ein Arbeitsuchender ihn ohne Nachteil für seinen Unterstützungsbezug (Sperrfrist) ausschlagen darf. Ebenso ist es nur dann sinnvoll, im § 63 Abs. 2 und 3 AVAVG Vorschriften über die Arbeitsvermittlung in bestreikte Betriebe oder von ausständischen Arbeitnehmern zu geben. Aus § 98 a AVAVG, wonach Arbeitstage, an denen ein Arbeitnehmer wegen zeitweiliger Arbeitsunfähigkeit nicht gearbeitet hat, obschon die versicherungspflichtige Beschäftigung fortbestand, zum Erwerb einer Anwartschaft dienen, sofern für sie das Arbeitsentgelt weitergezahlt wurde, kann kein Gegenargument hergeleitet werden; die Vorschrift bestätigt nur die Auffassung, daß das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis nicht in jedem Falle eine wirkliche Arbeitsleistung erfordert.
IX. Schließlich ist festzustellen, daß die Klägerin auch mit ihren sonstigen Einwendungen nicht durchdringen kann.
Ihre Annahme, die Versagung der Alu für eine verlängerte Bezugsdauer stelle eine Verletzung der Art. 3 Abs. 1 und 9 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) dar, ist irrig.
Wie hinreichend ausgeführt, besteht zwischen den verschiedenen Arten von Unterbrechungen der versicherungspflichtigen Beschäftigung insofern ein erheblicher Unterschied, als im Gegensatz zu den durch Krankheit, Urlaub usw. herbeigeführten Zeiten von Untätigkeit beim Streik die Dienstbereitschaft des Streikenden und die Verfügungsmacht des Arbeitgebers fehlen. Diese Verschiedenheit schließt eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes des Art. 3 GG aus.
Die Klägerin hält allerdings noch einen zweiten Verstoß gegen diese Vorschrift für gegeben, indem das RVA. bei Aussperrung den Fortbestand des versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses anerkannt habe; sie meint, dasselbe müsse auch für den Streik gelten. Doch auch diese Rüge hält einer näheren Nachprüfung nicht stand. In der Grundsätzlichen Entscheidung Nr. 4395 vom 11. März 1932 (AN. 1932 IV S. 249) hat zwar das RVA. - übrigens zu einem anderen Tatbestand, nämlich dem der Wartezeit nach § 110 b Abs. 3 AVAVG - anerkannt, daß nach Maßgabe der bereits erwähnten Grundsätzlichen Entscheidung Nr. 3102 das Beschäftigungsverhältnis auch während einer Aussperrung andauert. Aber es hat - und das ist wieder die entscheidende Einschränkung - die Fortdauer auf die Zeit bis zum Wirksamwerden der Kündigung beschränkt. Erst mit diesem Zeitpunkt verliert der Arbeitgeber seine Verfügungsmacht, und der Arbeitnehmer ist nicht mehr zur Arbeitsleistung oder Arbeitsbereitschaft verpflichtet.
Auch die Meinung der Klägerin, aus dem nach ihrer Ansicht durch das Grundgesetz zuerkannten Streikrecht dürfe ihr kein Nachteil erwachsen, ist unzutreffend. Einmal sieht Art. 9 Abs. 3 GG ein, solches Streikrecht nicht vor. Gewährleistet ist nur das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, also nur die Koalitionsabrede; dagegen werden die Koalitionsmittel durch diese Vorschrift nicht geschützt (herrschende Lehre; ebenso Beschluß des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts - Abschnitt I 2 - und die dort angeführte Rechtsprechung und Literatur; vgl. ferner Hueck-Nipperdey a.a.O. Bd. 2 S. 101). Auch die für Nordhorn einschlägige Verfassung des Landes Niedersachsen enthält keine Vorschrift, die das Streikrecht anerkennt (GVBl. 1951 S. 103).
Wenn die Klägerin schließlich meint, durch die oben entwickelte Rechtsauffassung sei eine mittelbare Auswirkung auf den Arbeitskampf zuungunsten der Arbeitnehmer unvermeidbar, so handelt es sich hier um eine in die politische Sphäre hineinreichende Frage, die das Gericht bei seiner Entscheidung nicht zu würdigen hatte.
X. Aus allen diesen Erwägungen sah der Senat im Rahmen der Entscheidung über den vorliegenden Fall keine Veranlassung, von den Grundsätzen abzugehen, die - gegen wenige Gegenstimmen - ... in Rechtsprechung und Schrifttum für das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis, diesen in der Sozial-, hauptsächlich in der Krankenversicherung verankerten, über § 69 AVAVG jedoch auch in der Arbeitslosenversicherung maßgeblichen Begriff, entwickelt worden sind. Jedenfalls gilt dies für einen Streik, dessen Dauer bei seinem Beginn nicht absehbar war und der sich tatsächlich über 45 Tage erstreckt hat. Ob die Sachlage bei einem von vornherein zeitlich überblickbaren, z.B. bei einem kurzfristigen Sympathiestreik, bei dem die tatsächlichen Beziehungen zwischen den Parteien bedeutend weniger betroffen werden, anders zu beurteilen ist, steht dahin.
Der Senat mußte auch berücksichtigen, daß § 99 Abs. 1 Satz 3 a.a.O. als Ausnahmebestimmung gegenüber der normalen Höchstbezugsdauer der Sätze 1 und 2 nach allgemeiner Rechtsregel eng auszulegen ist. Weiter sprach mit, daß die Vorschrift, mag sie sich auch auf eine Reihe von Einzelfällen auswirken, doch nur einen verhältnismäßig kleinen Ausschnitt aus dem Gesamtbereich der Sozialversicherung betrifft, eine Änderung im Inhalt des Begriffs der versicherungspflichtigen Beschäftigung trotzdem aber weitreichende und schwer abschätzbare Auswirkungen auch zuungunsten der schutzbedürftigen Arbeitnehmerkreise haben könnte, mindestens im Beitragsrecht. Die gegenwärtige Fassung des § 99 Abs. 1 Satz 3 bietet hierzu jedenfalls keinen berechtigten Anlaß, dies umso weniger, als der Wille des Gesetzgebers bei Erlaß des Änderungsgesetzes vom 24.8.1953 nur darauf gerichtet war, eine die langjährigen und pausenlosen Beitragszahler belohnende längere Bezugsdauer zu schaffen. Diese bewußt einschränkende Haltung, die nicht einmal eine leicht mögliche Härteklausel vorsah, ist erst in der Regierungsvorlage für die Große Novelle zum AVAVG, die zur Zeit die parlamentarischen Körperschaften beschäftigt, aufgegeben. Dort wird nicht mehr die ununterbrochene Beschäftigung gefordert, sondern nur eine gestaffelte Mindestzahl von zusammenzählbaren Beschäftigungswochen. Dieser Vorgang zeigt zugleich, daß im Rahmen des § 99 selber nicht mit der dem Gericht zustehenden Gesetzesauslegung, sondern nur mit Gesetzesänderung geholfen werden kann. Noch mehr trifft das aber für das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis überhaupt zu, falls man an Hand der im arbeits- und damit privatrechtlichen Sektor sichtbar gewordenen Entwicklungstendenzen eine entsprechende Umgestaltung des - öffentlich-rechtlichen - Sozialversicherungsrechts in Erwägung ziehen will. Aus diesem Grunde hielt der Senat auch die von der Klägerin beantragte Anrufung des Großen Senats des Bundessozialgerichts nicht für ein Mittel, mit dem ein Fortschritt hätte erzielt werden können.
XI. Nach allem mußte die Revision gemäß § 170 Abs. 1 SGG als unbegründet zurückgewiesen werden.
Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus § 193 SGG.
Fundstellen