Entscheidungsstichwort (Thema)
Änderung der Verhältnisse. Gesetzesänderung. Berufungsausschluß
Orientierungssatz
1. Das Inkrafttreten eines Gesetzes, stellt eine Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 145 Nr 4 SGG dar, denn hierunter ist auch eine Änderung der gesetzlichen Vorschriften über die Berechnung der Rente zu verstehen (vgl BSG 1961-09-26 2 RU 99/59 = SozR Nr 9 zu § 145 SGG).
2. Dem Ausschluß der Berufung in Fällen dieser Art kann nicht die Erwägung entgegengehalten werden, bei der Anwendung des VUVNG könnten sich Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung ergeben. Die Möglichkeit, solche Rechtsfragen der Nachprüfung durch die höheren Instanzen zugänglich zu machen, bietet § 150 Nr 1 SGG durch Zulassung der Berufung.
Normenkette
SGG § 145 Nr. 4, § 150 Nr. 1; RVO § 608; VUVNG
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 06.06.1961) |
SG Düsseldorf (Entscheidung vom 11.12.1958) |
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 6 . Juni 1961 wird aufgehoben .
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 11 . Dezember 1958 wird als unzulässig verworfen .
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten auch des Berufungs- und Revisionsverfahrens zu erstatten .
Von Rechts wegen .
Gründe
I
Der Kläger erhielt von der Beklagten für die Folgen eines Arbeitsunfalls , der ihm als Bäckerlehrling im März 1927 zustieß , eine Dauerrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 70 v . H .. Der Berechnung dieser Rente legte die Beklagte einen Jahresarbeitsverdienst (JAV) von 1125 , -- RM zugrunde . Im April 1932 erhöhte die Beklagte den JAV gemäß § 569 a der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der damals geltenden Fassung , und zwar vom 1 . Dezember 1931 an auf 2113 , -- RM , weil der Kläger an diesem Tage 21 Jahre alt geworden war , und gleichseitig mit Wirkung vom 1 . Dezember 1934 auf 2477 , --RM , weil bereits feststand , daß von diesem Zeitpunkt an der entsprechend höher tarifmäßige Verdienst zu berücksichtigen war . Diesen Erhöhungen des JAV lagen die Lohnauskünfte und sonstigen Berechnungsunterlagen zugrunde , die für das Jahr 1931 galten . Unter Berücksichtigung dieser Unterlagen überzeugte sich die Beklagte im Jahre 1945 davon , daß ein JAV von 2860 , --RM gerechtfertigt sei . Sie gewährte daher dem Kläger vom 1 . Januar 1945 an die Rente nach diesem JAV . Auf Grund des Gesetzes zur vorläufigen Neuregelung von Geldleistungen in der gesetzlichen Unfallversicherung vom 27 . Juli 1957 -BGBl . I 1071 - ( NeuberechnungsG UV) stellte die Beklagte die Rente des Klägers um . Sie setzte durch Bescheid vom 11 . Februar 1958 den JAV auf 6292 , --DM fest , indem sie den JAV von 2860 , --DM mit dem sich aus § 2 Abs . 1 und 4 des angeführten Gesetzes für das Jahr 1931 ergebenden Tabellenfaktor 2 , 2 vervielfältigte .
Mit der Klage hat der Kläger geltend gemacht , der JAV sei zuletzt für das Jahr 1934 und nicht für das Jahr 1931 festgestellt worden , so daß der Betrag von 2860 , --DM statt mit 2 , 2 mit dem für das "Unfalljahr" 1934 maßgeblichen Faktor 2 , 5 zu vervielfältigen sei . Das Sozialgericht (SG) Düsseldorf hat die Bekl . verurteilt , für die Rentenneuberechnung das Jahr 1934 als Unfalljahr anzusehen . In der Rechtsmittelbelehrung seines Urteils hat das SG ausgeführt , gegen das Urteil könne , soweit es das Klagebegehren betrifft , von den Beteiligten Berufung eingelegt werden .
Die Beklagte hat das Urteil mit der Berufung angefochten . Die Beteiligten haben vor dem Landessozialgericht (LSG) ihre gegensätzlichen Auffassungen zu der Auslegung des § 2 Abs . 2 und 4 NeuberechnungsG UV hinsichtlich der Berechnungsweise des JAV dargelegt . Das LSG hat durch Urteil vom 6 . Juni 1961 die Klage abgewiesen und die Revision zugelassen . Es hat die Berufung als statthaft angesehen (§ 143 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) , da Berufungsausschließungsgründe nach §§ 144 ff SGG nicht gegeben seien .
Gegen das am 10 . August 1961 zugestellte Urteil hat der Kläger am 6 . September 1961 Revision eingelegt und sie am 4 . Oktober 1961 begründet . Er rügt unrichtige Anwendung des § 2 Abs . 4 NeuberechnungsG UV i . V . m . §§ 565 , 566 RVO .
Der Kläger beantragt ,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ,
hilfsweise ,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten als unzulässig zu verwerfen .
Die Beklagte beantragt ,
die Revision zurückzuweisen ,
hilfsweise ,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen .
II
Die Revision ist durch Zulassung statthaft (§ 162 Abs . 1 Nr . 1 SGG) . Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden , daher zulässig . Sie hatte aus verfahrensrechtlichen Gründen auch Erfolg .
Bei einer zugelassenen Revision hat das Revisionsgericht zunächst von Amts wegen zu prüfen , ob die Prozeßvoraussetzungen für das Klage- und das Berufungsverfahren vorliegen (BSG 2 , 225 , 245; 4 , 261) . Zu den Prozeßvoraussetzungen für das Berufungsverfahren gehört die Statthaftigkeit der Berufung . Diese hat das LSG zu Unrecht bejaht . Gegenstand des Klageverfahrens ist der Anspruch des Klägers auf Erhöhung seiner Dauerrente durch Umstellung dieser Rente nach § 2 Abs . 4 NeuberechnungsG UV i . V . m .§ 565 RVO und § 569 a RVO in der vor dem Inkrafttreten des Sechsten Gesetzes über Änderungen in der Unfallversicherung vom 9. März 1942 (RGBl I 107) gültigen Fassung . Diesen Anspruch hat der Kläger auch im Berufungsverfahren verfolgt . Das LSG hat verkannt , daß die auf die angeführten Vorschriften gestützte Berufung durch § 145 Nr . 4 SGG ausgeschlossen ist .
In Angelegenheiten der Unfallversicherung ist - abgesehen von Ausnahmen , die bei einem lediglich den JAV betreffenden Rechtsstreit nicht in Betracht kommen - nach § 145 Nr . 4 SGG die Berufung nicht zulässig , soweit sie die Neufeststellung von Dauerrenten wegen Änderung der Verhältnisse betrifft . Gegenstand der Berufung der Beklagten ist die Neufeststellung der dem Kläger zustehenden Dauerrente durch den angefochtenen Bescheid vom 11 . Februar 1958 , dessen Wiederherstellung mit dem Berufungsantrag begehrt wird . Der Bescheid enthält eine Neufeststellung der Dauerrente auf Grund der Vorschriften des NeuberechnungsG UV . Das Inkrafttreten dieses Gesetzes , das den Anlaß zur Bescheiderteilung bot , stellt eine Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 145 Nr . 4 SGG dar; denn hierunter ist auch eine Änderung der gesetzlichen Vorschriften über die Berechnung der Rente zu verstehen (vgl . SozR SGG § 145 Bl . Da 1 Nr . 1 und Bl . Da 7 Nr . 9) . Dem Ausschluß der Berufung in Fällen dieser Art kann auch nicht die Erwägung entgegengehalten werden , bei der Anwendung des NeuberechnungsG UV könnten sich Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung ergeben . Die Möglichkeit , solche Rechtsfragen der Nachprüfung durch die höheren Instanzen zugänglich zu machen , bietet § 150 Nr . 1 SGG durch Zulassung der Berufung .
Das SG hat in dem vorliegenden Rechtsstreit die Berufung nicht zugelassen . Der Hinweis in der Rechtsmittelbelehrung , die Beteiligten könnten gegen das erstinstanzliche Urteil Berufung einlegen , kann nicht als Zulassung dieses Rechtsmittels aufgefaßt werden (BSG 4 , 261) . Auch aus § 150 Nr . 2 und 3 SGG ist die Statthaftigkeit der von der Beklagten eingelegten Berufung nicht herzuleiten .
Da das LSG trotz Unzulässigkeit der Berufung durch Sachurteil entschieden hat , mußte dieses aufgehoben und die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen werden .
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG .
Fundstellen