Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachkur von der Arbeitsgemeinschaft für Krebsbekämpfung im Land Nordrhein-Westfalen. Übergangsgeld von der AOK im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft zu Lasten der LVA
Leitsatz (redaktionell)
1. Soweit es um die unmittelbare Durchführung solcher Maßnahmen geht, muß der Träger der RV nicht selbst und ausschließlich Durchführender sein, er kann sich zur Erreichung des erstrebten Zwecks einer Arbeitsgemeinschaft bedienen.
2. Eine Nachkur im Anschluß an eine stationäre Krebsbehandlung kann sowohl Rehabilitationsmaßnahme als auch zusätzliche Leistung sein. War die Nachkur eine zusätzliche Leistung aus der RV, so durfte die als Übergangsgeld bezeichnete Leistung für die Zeit der Kur als Vorauszahlung auf eine etwaige Rente charakterisiert und auf diese Weise mit der Belastung der Anrechenbarkeit versehen werden.
Normenkette
RVO § 1305 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 28. September 1965 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Es ist streitig, ob bestimmte an den Versicherten gewährte Barleistungen, die als "Übergangsgeld" bezeichnet worden sind, auf die Versichertenrente des - inzwischen verstorbenen - früheren Klägers angerechnet werden durften.
Der Versicherte beantragte im September 1960 Versichertenrente, nachdem festgestellt worden war, daß er an Blasenkrebs litt. Diesem Antrag gab die beklagte Landesversicherungsanstalt (LVA) durch Bescheid vom 28. November 1960 statt; sie bewilligte Rente wegen Erwerbsunfähigkeit vom 1. Juli 1960 an in Höhe von monatlich 338,60 DM. Die bis zum Beginn der laufenden Rentenzahlungen - am 1. Januar 1961 - zu leistende Nachzahlung von 2031,60 DM wurde "für evtl. Ersatzansprüche vorerst einbehalten".
Für die Zeit vom 4. November bis 16. Dezember 1960 war dem Versicherten, nachdem er zuvor unter operativer Öffnung der Blase stationär untersucht und behandelt worden war, von der Arbeitsgemeinschaft für Krebsbekämpfung im Lande Nordrhein-Westfalen (ArbG) eine "Nachkur" in einer Kurklinik zu Lasten der Beklagten bewilligt worden. Während dieser Zeit erhielt der Versicherte von der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) im Auftrag der ArbG, aber ebenfalls zu Lasten der Beklagten, ein - so bezeichnetes - Übergangsgeld in Höhe von täglich 9,80 DM, insgesamt von 421,40 DM. Am 12. November 1960 hatte der Versicherte eine Erklärung folgenden Inhalts unterschrieben:
"Ich bin darüber unterrichtet, daß das mir von der Allgem. Ortskrankenkasse im Auftrage der "Arbeitsgemeinschaft der Träger der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherungen im Lande NRW" zu Lasten der Arbeitsgemeinschaft ab 4.11.1960 bewilligte Hausgeld - Übergangsgeld - als Vorauszahlung auf die zu erwartende Rente gilt. Im Falle der Rentengewährung bin ich damit einverstanden, daß die mir oder meinen Angehörigen gewährte Leistung gegen den für den gleichen Zeitraum zur Verfügung stehenden Rentenbetrag aufgerechnet wird."
Mit Bescheid vom 31. Januar 1961 verrechnete die Beklagte das dem Versicherten gezahlte Übergangsgeld mit der einbehaltenen Rentennachzahlung; den Rest von 1610,20 DM zahlte sie ihm aus.
Gegen diesen Bescheid hat der Versicherte Klage erhoben und zu deren Begründung vorgetragen: Das Übergangsgeld dürfe ihm nur für die Zeit vom 7. Dezember 1960 an - von diesem Tage an war er aus der AOK ausgesteuert - auf seine Rente angerechnet werden, nicht aber für die vorangegangenen 33 Tage (33 x 9,80 = 323,40 DM). Andernfalls wäre er durch die Annahme der Nachkur benachteiligt. Wäre nämlich die Kur nicht durchgeführt worden, so würde er vom 4. November bis 6. Dezember 1960 neben der Rente Krankengeld bekommen haben. - Am 10. August 1961 - während des Verfahrens vor dem Sozialgericht (SG) - ist der Versicherte gestorben. Seine Witwe setzt das Verfahren fort. Sie hat zusätzlich vorgetragen: Die AOK habe ihrem Ehemann zugesagt, daß sein Krankengeldanspruch durch das Heilverfahren nicht beeinträchtigt werde; im Vertrauen hierauf habe er die Erklärung vom 12. November 1960 unterschrieben.
Das SG Dortmund hat die Beklagte durch Urteil vom 27. Februar 1963 verpflichtet, der Klägerin die Rente des Versicherten für die Zeit bis zum 6. Dezember 1960 ohne Anrechnung des von der AOK gezahlten Übergangsgeldes zu gewähren und ihr einen entsprechenden Bescheid zu erteilen. Auf die - vom SG zugelassene - Berufung hin hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen unter Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: Für die Dauer der Nachkur habe dem Ehemann der Klägerin nur Übergangsgeld zugestanden, nicht aber Übergangsgeld und Rente nebeneinander. Es könne dahinstehen, ob es sich bei dem Heilverfahren in Form einer Nachkur um eine Regelleistung (§ 1235 Nr. 1, § 1236 Abs. 1, § 1237 Abs. 1, 2 und 4 Buchst. a der Reichsversicherungsordnung - RVO -) oder - wie die Beteiligten übereinstimmend im Berufungsverfahren vorgetragen haben - um eine zusätzliche Leistung aus der Rentenversicherung (§ 1305 RVO) gehandelt habe. In beiden Fällen seien die Vorschriften der §§ 1241 Abs. 3, 1242 RVO über den Ausschluß von Doppelleistungen aus der Rentenversicherung während der Durchführung von gesundheitsfördernden Maßnahmen - unmittelbar oder entsprechend - anzuwenden. Für die Dauer seiner Nachkur - und für die davor liegende Zeit - habe der Versicherte nur Anspruch auf Übergangsgeld gehabt, weil ihm die Rente nicht schon vor Beginn der Kur bewilligt gewesen sei (§ 1242 RVO; BSG in SozR Nr. 1 zu § 1242 RVO). Wenn die Beklagte ihm trotzdem auch für diese Zeit die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit - täglich 11,28 DM, also mehr als das Übergangsgeld von täglich 9,80 DM - gewährt habe, so sei sie jedenfalls berechtigt gewesen, den Rentenbetrag um den Betrag des Übergangsgeldes zu kürzen. Dem stehe nicht entgegen, daß der Versicherte nicht von der Beklagten selbst, sondern von der ArbG im Auftrage und für Rechnung der Beklagten zur Kur einberufen und daß ihm das Übergangsgeld nicht unmittelbar von der Beklagten, sondern von der für ihn zuständigen AOK im Auftrage der ArbG und für Rechnung der Beklagten gezahlt worden sei; Träger der gewährten Leistung sei die Beklagte geblieben. Mit der Übertragung der Durchführung von Maßnahmen nach §§ 1235 ff, 1305 RVO auf die ArbG habe die Beklagte von einer ihr im Gesetz eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht, ohne daß damit ihre Verantwortlichkeit und demgemäß auch ihre Leistungsverpflichtungen gegenüber dem Versicherten entfallen seien (§ 1238 Abs. 1, § 1244 Abs. 1 RVO). Die ArbG sei kein eigenständiger Versicherungsträger i.S. der RVO. Die von ihr für Rechnung des zuständigen Trägers der Rentenversicherung erbrachten Leistungen seien ihrer Rechtsnatur nach Leistungen eben dieses Versicherungsträgers. Deshalb seien die Vorschriften über den Ausschluß von Doppelleistungen hier anzuwenden. Die Beklagte sei deshalb berechtigt gewesen, einen Teil der Rentennachzahlung zur Verrechnung mit dem Übergangsgeld einzubehalten. - Unrichtig sei die Meinung der Klägerin, daß es sich bei den ihrem Ehemann während der Kur gezahlten Geldbeträgen nicht um Übergangsgeld, sondern um eine an sich der Krankenversicherung obliegende Leistung gehandelt habe, die deshalb nicht mit der Rente habe verrechnet werden dürfen. Dem Ehemann der Klägerin sei tatsächlich Übergangsgeld, nicht aber eine Leistung anderer Art gewährt worden. Das ergebe sich ua auch aus der Erklärung vom 12. November 1960. - Schließlich könne die Klägerin sich nicht darauf berufen, daß die Beklagte an die mit Bescheid vom 28. November 1960 enthaltene Rentenbewilligung gebunden sei und infolgedessen das Übergangsgeld nicht mehr nachträglich mit der Rente habe verrechnen dürfen. Der Bescheid enthalte den ausdrücklichen Zusatz, daß die Rentennachzahlung zunächst für eventuelle Ersatzansprüche einbehalten werde. Die Beklagte habe sich also wegen der Verwendung der Nachzahlung noch nicht binden, sondern die Regelung dieser Frage dem Verwendungsbescheid vorbehalten wollen.
Das LSG hat die Revision zugelassen, die Klägerin das Rechtsmittel eingelegt und mit folgenden Ausführungen begründet:
Soweit dem Versicherten für die Zeit vor dem 17. Dezember 1960 Rente bewilligt worden sei, sei dies zu Unrecht geschehen; ihm habe nur Übergangsgeld zugestanden. Für die Nachkur habe § 1236 RVO keine gesetzliche Grundlage geboten; im vorliegenden Fall habe es sich vielmehr um eine "allgemeine Maßnahme" nach § 1305 RVO gehandelt. Die Beklagte habe dafür ihre Mittel der ArbG "en bloc" zur Verfügung gestellt. Die der ArbG überwiesenen Gelder seien in deren Vermögen so übergegangen, daß "jede Einflußnahme auf deren Verwendung, geschweige denn späteren Verrechnung mit Einzelmaßnahmen ausgeschlossen" sei. Es fehle an einer Rechtsgrundlage, die Grundsätze des § 1241 RVO auf die Vorschrift des § 1305 RVO zu übertragen. Auch entfalle der auf § 119 RVO gestützte Anspruch der Beklagten, auf Grund der Abtretungserklärung eine Verrechnung vornehmen zu dürfen; denn eine der Gesetzmäßigkeit entbehrende Abtretung binde nicht.
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Dortmund vom 27. Februar 1963 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie begegnet dem Revisionsvorbringen mit folgenden Ausführungen: Es sei richtig, daß es sich bei der Nachkur des Versicherten um eine Maßnahme des § 1305 RVO gehandelt habe. In einem solchen Falle sei der Versicherungsträger nicht verpflichtet, auch den Lebensunterhalt des Versicherten und seiner Familienangehörigen sicherzustellen. Es stehe in seinem Ermessen, welche Leistungen er zu diesem Zweck erbringe. Innerhalb dieses Ermessensspielraums werde in der Regel eine Barleistung in Höhe des Übergangsgeldes gewährt. Diese Leistung habe aber nicht zur Folge, daß - wie es in § 1242 RVO für Maßnahmen nach § 1236 ff RVO vorgesehen sei - neben ihr der Anspruch auf Rente entfalle. Jedoch habe in entsprechender Anwendung des § 1241 Abs. 3 RVO die Rente auf diese Barleistung angerechnet werden müssen. - Bei der Nachkur habe es sich nicht - wie die Klägerin meine - um eine "allgemeine Maßnahme", sondern um eine "Einzelmaßnahme" nach § 1305 RVO gehandelt. Die Auffassung der Klägerin, daß die Versicherungsträger als Mitglieder der ArbG jede Einflußnahme auf die Verwendung der vorschußweise geleisteten Beträge verloren hätten, entspreche weder der Sach- noch der Rechtslage. Die Beklagte sei dem Versicherten gegenüber der allein verantwortliche Betreuer geblieben.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Die Revision ist zulässig, aber unbegründet.
Der Senat stimmt der Auffassung beider Beteiligten zu, daß es sich bei der dem Versicherten gewährten Nachkur - unter Zahlung einer "Übergangsgeld" genannten Barleistung - um eine zusätzliche Leistung nach § 1305 RVO gehandelt hat. Nach dieser Vorschrift kann der Träger der Rentenversicherung Mittel der Versicherung aufwenden, um allgemeine Maßnahmen oder Einzelmaßnahmen zur Erhaltung oder zur Erlangung der Erwerbsfähigkeit der Versicherten und ihrer Angehörigen oder zur Hebung der gesundheitlichen Verhältnisse der versicherten Bevölkerung zu fördern oder durchzuführen. Soweit es um die unmittelbare Durchführung solcher Maßnahmen geht, muß der Träger der Rentenversicherung nicht selbst und ausschließlich Durchführender sein; er kann sich zur Erreichung des erstrebten Zweckes - wie im vorliegenden Falle - einer Arbeitsgemeinschaft bedienen, wie das Gesetz sie in § 1244 Abs. 1 Satz 3 RVO zur Durchführung von Regelleistungen nach § 1236, 1237 RVO ausdrücklich empfiehlt. Dementsprechend obliegt es der hier für den Versicherten tätig gewordenen ArbG, auf dem Gebiet der Krebsbekämpfung sowohl Maßnahmen zur Erhaltung, Besserung und Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit durchzuführen als auch zusätzliche Leistungen gemäß § 1305 RVO zu erbringen. Unter beide Arten von Maßnahmen kann eine Nachkur im Anschluß an eine stationäre Krebsbehandlung, wie sie im vorliegenden Falle stattgefunden hat, fallen. Daß die dem Ehemann der Klägerin gewährte Nachkur als Leistung nach § 1305 RVO gedacht war, ergibt sich aus folgendem: Nachdem 1960 bei dem damals im 61. Lebensjahr stehenden Versicherten ein Blasenkarzinom festgestellt worden war, konnte mit einer Wiederherstellung seiner Erwerbsfähigkeit - darüber sind die Beteiligten sich einig - nicht mehr gerechnet werden. Dies entsprach offenbar auch der Meinung des Versicherten selbst; denn er beantragte Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Für eine Rehabilitationsmaßnahme nach § 1236 RVO hat es also an einer wesentlichen Voraussetzung - voraussichtliche Wiederherstellbarkeit der Erwerbsfähigkeit - gefehlt.
War hiernach die Nachkur eine zusätzliche Leistung aus der Rentenversicherung nach § 1305 RVO, so durfte die als Übergangsgeld bezeichnete Leistung für die Zeit der Kur als Vorauszahlung auf eine etwaige Rente charakterisiert und auf diese Weise mit der Belastung der Anrechenbarkeit versehen werden. Eine solche - den Richtlinien der ArbG vom 1. Januar 1958 und des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger vom 18. August 1960 entsprechende - Einschränkung der Leistung lag im Ermessen der bewilligenden ArbG, mag diese dabei im fest umrissenen Auftrag der Beklagten gehandelt oder - wie die Klägerin meint - über ihr "en bloc" zur Verfügung gestellte Mittel frei verfügt haben. Die Anrechenbarkeit des Übergangsgeldes hat die ArbG in ihren Mitteilungen an den Versicherten, die AOK und die Beklagte deutlich hervorgehoben. Darin heißt es ua: "... wurde von der ArbG zu Lasten der LVA Westfalen eine Nachkur für die Dauer von sechs Wochen ... bewilligt .... Das für die Dauer der Nachkur ggf. zu zahlende Übergangsgeld nach den Richtlinien und Tabellen des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger vom 28. Juni 1957 gelangt durch die Krankenkasse zur Auszahlung. Etwaige, für den Zeitraum der Nachkur aufgelaufene Rentenbeträge sind in der Regel bis in Höhe des gezahlten Übergangsgeldes einzubehalten und aufzurechnen". Daß der Versicherte über die hierin zum Ausdruck gekommene Eigenschaft des sogenannten Übergangsgeldes als einer Vorauszahlung auf die Rente unterrichtet war, hat er mit seiner Erklärung vom 12. November 1960 bestätigt. Diese Erklärung hat die Anrechenbarkeit dieser Leistung nicht erst begründet, sondern vorausgesetzt.
Die Klägerin hat demnach keinen Anspruch auf den mit der Klage verlangten Betrag von 323,40 DM; insoweit war der Rentenanspruch des Versicherten bereits durch die in dem Übergangsgeld für die Zeit vom 4. November bis 6. Dezember 1960 liegende Vorauszahlung erfüllt. Die Revision unterliegt somit der Zurückweisung (§ 170 Abs. 1 SGG).
Die Kostenentscheidung ergeht in Anwendung des § 193 Abs. 1 und 4 SGG.
Fundstellen