Leitsatz (amtlich)

Ein Anspruch auf Leistungen aus der knappschaftlichen KVdR besteht für solche Rentner nicht, deren knappschaftliche Rente ins Ausland gezahlt wird.

 

Leitsatz (redaktionell)

Versicherungspflicht und Leistungsanspruch in der knappschaftlichen Rentnerkrankenversicherung bei Auslandsaufenthalt - Folgenbeseitigungsanspruch bei unrichtiger Auskunft des Versicherungsträgers - Beitragszuschuß nach RVO § 381 Abs 4:

1. Personen, die eine Rente aus der knappschaftlichen Rentenversicherung beziehen und sich gewöhnlich im Ausland aufhalten, haben - vorbehaltlich etwa bestehender Sozialversicherungsabkommen - nach KVdRV § 20 Abs 1 iVm KnVdRV § 2 Abs 1 keinen Anspruch auf Leistungen aus der knappschaftlichen Rentnerkrankenversicherung; dabei kann dahingestellt bleiben, ob diese Vorschriften auch die Versicherungspflicht in der knappschaftlichen Rentnerkrankenversicherung generell ausschließen oder ob die im Ausland wohnenden Rentner schon nach den Grundsätzen des die deutsche Sozialversicherung beherrschenden Territorialprinzips nicht der Versicherungspflicht unterliegen.

2. Hat der Versicherungsträger einem Versicherten eine unrichtige Auskunft über das Bestehen eines Leistungsanspruchs erteilt, so ist der Versicherungsträger an deren Inhalt jedenfalls dann nicht gebunden, wenn die unrichtige Auskunft nicht zu erkennbaren negativen Auswirkungen für den Versicherten geführt hat.

3. Der Bezug einer Rente aus der knappschaftlichen Rentenversicherung begründet keinen Anspruch auf den Beitragszuschuß nach RVO § 381 Abs 4.

 

Normenkette

KVdRV § 20 Abs. 1; KnKVdRV § 2 Abs. 1; RVO § 381 Abs. 4; SGG § 77

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 20. April 1971 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger gegen die Beklagte Anspruch auf Leistungen aus der knappschaftlichen Krankenversicherung der Rentner (knKVdR) hat.

Der Kläger, der im Jahre 1949 nach Brasilien ausgewandert ist, bezieht von der Beklagten das Knappschaftsruhegeld. Die Beklagte teilte ihm mehrfach - zuletzt am 14. Februar 1968 - mit, der Versicherungsschutz nach der Reichsversicherungsordnung (RVO) und dem Reichsknappschaftsgesetz (RKG) erstrecke sich grundsätzlich nur auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (BRD). Außerdem ergebe sich aus § 20 der Verordnung über die Krankenversicherung der Rentner (VO KVdR) vom 4. November 1941 (RGBl I, 689), daß solche Rentner nicht der knKVdR unterlägen, deren Rente ins Ausland gezahlt werde. Ein abweichendes Sozialversicherungsabkommen bestehe mit Brasilien nicht. Ein Beitragszuschuß nach § 381 Abs. 4 RVO könne nicht gewährt werden, denn diese Vorschrift gelte nicht für Bezieher einer Rente von einem knappschaftlichen Rentenversicherungsträger. Eine Beitragserstattung nach § 120 Abs. 3 RKG komme nicht in Betracht, weil eine Beitragskürzung an der Rente nicht stattfinde. Der Widerspruch des Klägers blieb ohne Erfolg.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage mit Urteil vom 18. November 1969 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers mit Urteil vom 20. April 1971 zurückgewiesen. Nach seiner Ansicht stehen dem Kläger Leistungen aus der knKVdR nicht zu, solange er sich in Brasilien aufhält. Nach § 2 Abs. 1 der Verordnung über die knKVdR vom 8. Juni 1942 (RGBl I, 409) in Verbindung mit § 20 Abs. 1 der VO KVdR gelte die letztere Verordnung nicht für solche Rentner, deren Rente ins Ausland gezahlt werde. Diese Vorschriften seien auch jetzt noch anzuwenden. Ob bei einem nur vorübergehenden Aufenthalt des Klägers in Brasilien etwas anderes gelten würde, könne unerörtert bleiben, denn der Kläger lebe seit 1949 ständig in Brasilien und habe sich lediglich in den Jahren 1965 und 1966 für weniger als ein halbes Jahr in der BRD aufgehalten. Von einem vorübergehenden Auslandsaufenthalt, für den der Versicherungsschutz nach § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO bestehen bleibe, könne nach § 1320 RVO nur bei einem Aufenthalt bis zu 12 Monaten die Rede sein. Eine den Anspruch des Klägers stützende zwischenstaatliche Vereinbarung zwischen der BRD und Brasilien für den Bereich der knappschaftlichen Krankenversicherung bestehe nicht. Die Behauptung des Klägers, im Jahre 1965 sei ihm bei der Hannoverschen Knappschaft gesagt worden, die Ruhrknappschaft zahle auch Leistungen aus der knKVdR ins Ausland, könne den Anspruch des Klägers nicht stützen, denn es fehle an einer verbindlichen Zusage des Versicherungsträgers. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf einen Beitragszuschuß nach § 381 Abs. 4 RVO, den er im übrigen nicht einmal ausdrücklich geltend gemacht habe, denn diese Vorschrift gelte nur für solche Personen, die die Voraussetzungen für den Bezug einer Rente aus den Rentenversicherungen der Arbeiter oder Angestellten erfüllten.

Der Kläger hat dieses Urteil mit der - vom LSG zugelassenen - Revision angefochten. Er ist der Ansicht, ihm ständen die Leistungen der knKVdR zu, da auch das Knappschaftsruhegeld ins Ausland gezahlt werde. Im übrigen halte er sich weder ständig noch freiwillig in Brasilien auf; sein zweimaliger Versuch einer Rückwanderung in die BRD sei aus Gründen gescheitert, die er nicht zu vertreten habe. Inzwischen sei ihm eine Rückkehr in die BRD wegen seines Alters nicht mehr zumutbar.

Der Kläger beantragt,

ihm die Leistungen aus der knappschaftlichen Krankenversicherung zuzusprechen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil im Ergebnis und in der Begründung für richtig und ist der Ansicht, die Revision des Klägers sei unbegründet.

II

Die zulässige Revision des Klägers hat keinen Erfolg, denn das LSG hat mit der Zurückweisung der Berufung das die Klage abweisende Urteil des SG mit Recht bestätigt. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Leistungen aus der knKVdR.

Der 3. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hat in seinem Urteil vom 19. Januar 1971 (BSG 32, 174 = SozR Nr. 64 zu § 165 RVO) entschieden, daß solche Rentner, die sich gewöhnlich im Ausland aufhalten, nicht für den Fall der Krankheit nach § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO versichert sind. Er hat die Entscheidung im wesentlichen damit begründet, auch ohne ausdrückliche Normierung ergebe sich aus dem allgemeinen die deutsche Sozialversicherung- und damit auch die gesetzliche Krankenversicherung - beherrschenden Territorialprinzip, daß Rentner mit Wohnsitz im Ausland nicht krankenversicherungspflichtig seien. Der Versicherungszwang finde grundsätzlich seine Schranken an den Grenzen der inländischen Staatsgewalt. Das gelte auch für die Pflichtkrankenversicherung der Rentner. Wenn sie auch keine Beitragspflicht für den Rentner auslöse, so würde sie doch in jedem Fall Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt über die Staatsgrenzen hinaus darstellen, die die Gefahr der Kollision mit der Staatsgewalt des fremden Territoriums in sich trüge. Ein solches Übergreifen des Versicherungszwanges über die Grenzen des inländischen Herrschaftsbereichs hinaus sei daher nur unter weitgehenden sachlichen und zeitlichen Beschränkungen zulässig, wenn es nicht kraft supranationalen Rechts oder auf Grund zwischenstaatlicher Vereinbarungen gestattet sei. Die Gründe dieser Entscheidung könnten - wollte man sich ihnen anschließen - nicht auf die Versicherungspflicht nach § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO beschränkt bleiben, sondern müßten ebenso für die Versicherungspflicht in der knKVdR nach § 19 Abs. 1 RKG gelten. Der Große Senat des BSG hat jedoch in seinem Beschluß vom 21. Dezember 1971 (BSG 33, 280 = SozR Nr. 13 zu § 1302 RVO) die Bedeutung des Territorialitätsprinzips wesentlich abgeschwächt und darauf hingewiesen, daß der Leistungsausschluß bei Auslandsaufenthalt nicht mit dem Territorialitätsprinzip begründet werden könne. Allerdings ging es in der zitierten Entscheidung des 3. Senats auch nicht um den Ausschluß von Leistungsansprüchen, sondern um die Frage nach der Versicherungspflicht im Ausland lebender Personen, für die auch der Große Senat die Bedeutung der Territorialitätsprinzips nicht völlig verneint hat. Immerhin kann zweifelhaft sein, ob dieses Prinzip - seine Gültigkeit unterstellt - die Versicherungspflicht in der KVdR und damit den Versicherungsschutz der im Ausland lebenden Rentner verhindert. Man könnte nämlich fragen, ob angesichts der bestehenden Beitragsfreiheit in der KVdR durch die Versicherungspflicht überhaupt ein nach dem Territorialitätsprinzip unzulässiger Zwang außerhalb der Staatsgrenzen ausgeübt wird oder ob nicht nur den im Ausland lebenden Rentnern der Versicherungsschutz und damit eine Vergünstigung gewährt wird.

Diese Frage braucht im vorliegenden Fall jedoch nicht vertieft und entschieden zu werden, denn unabhängig davon sind für die knKVdR - anders als für die allgemeine KVdR - Leistungsansprüche für im Ausland lebende Rentner kraft ausdrücklicher Vorschrift ausgeschlossen. Nach § 2 Abs. 1 der VO über die knKVdR vom 8. Juni 1942 ist § 20 Abs. 1 der VO KVdR vom 4. November 1941 entsprechend anzuwenden. Zwar ist die letztere Vorschrift für die allgemeine KVdR durch das Gesetz über die KVdR vom 12. Juni 1956 (RGBl I, 500) außer Kraft gesetzt worden. Das gilt jedoch nach Art. 2 § 12 und Art. 4 Abs. 2 Nr. 2 dieses Gesetzes nicht für die knKVdR. Auch die Änderung des RKG durch das Finanzänderungsgesetz (FinÄndG) haben die entsprechende Anwendbarkeit des § 20 Abs. 1 VO KVdR über § 2 Abs. 1 VO knKVdR unberührt gelassen, wie sich aus dem in § 20 RKG enthaltenen Hinweis auf die Vorschriften über die knKVdR ergibt. Da also § 20 Abs. 1 der VO KVdR für die knKVdR auch jetzt noch anwendbares Recht ist, gilt die VO KVdR nicht für solche Rentner, deren knappschaftliche Rente ins Ausland gezahlt wird. Es mag dahingestellt bleiben, ob diese Vorschrift auch die Versicherungszugehörigkeit der dort genannten Rentner zur knKVdR ausschließt; jedenfalls ist die Gewährung von Leistungen an den aufgeführten Personenkreis ausgeschlossen. Mit der in § 20 Abs. 1 VO KVdR angeordneten Unanwendbarkeit der gesamten Verordnung war auch die Anwendbarkeit ihres § 9 über die Gewährung von Leistungen und damit jeder Leistungsanspruch ausgeschlossen. Zwar galt der inzwischen außer Kraft getretene § 9 der VO KVdR vom 4. November 1941 auch vor 1956 nicht für die knKVdR, deren Leistungsansprüche gesondert geregelt waren. Die fortbestehende entsprechende Anwendbarkeit des § 20 Abs. 1 und die damit vorgeschriebene Unanwendbarkeit der gesamten VO KVdR vom 4. November 1941 kann aber auch für die knKVdR nur den Sinn haben, daß Leistungsansprüche für den genannten Personenkreis für die knKVdR ebenso ausgeschlossen sind, wie es zur Zeit der Geltung des § 20 Abs. 1 der VO KVdR vom 4. November 1941 für die allgemeine KVdR der Fall war.

Der Umstand, daß der Kläger nach seiner Darstellung versucht hat, in die BRD zurückzukehren, ist für den Leistungsausschluß ohne Bedeutung, denn hierfür kommt es auf die Freiwilligkeit des Auslandsaufenthaltes nicht an; für den Leistungsausschluß genügt es, daß die Rente ins Ausland gezahlt wird. Da zwischen der BRD und Brasilien ein abweichendes Sozialversicherungsabkommen, das den Anspruch begründen könnte, nicht besteht, hat der Kläger keinen Anspruch auf Leistungen aus der knKVdR.

Sollte die von dem Kläger in der Berufungsinstanz aufgestellte Behauptung zutreffen, die Hannoversche Knappschaft habe ihm im Jahre 1965 die Auskunft erteilt, die Ruhrknappschaft gewähre auch Leistungen aus der knKVdR ins Ausland, so kann das eine dem Kläger günstige Entscheidung nicht rechtfertigen. Zwar kann eine unrichtige Auskunft des Versicherungsträgers unter Umständen einen Folgenbeseitigungsanspruch begründen (vgl. BSG 34, 124 = SozR Nr. 25 zu § 29 RVO). Eine unrichtige Auskunft des Versicherungsträgers führt aber nicht in jedem Fall dazu, daß der Versicherungsträger entgegen dem geltenden Recht an ihrem Inhalt festgehalten wird; dafür ist vielmehr Voraussetzung, daß die unrichtige Auskunft schädliche Folgen hat. Die vom Kläger behauptete unrichtige Auskunft der Hannoverschen Knappschaft, die keinesfalls als bindenden Verwaltungsakt angesehen werden kann, hat aber für den Kläger keine erkennbaren negativen Auswirkungen gehabt, die von der Beklagten als Rechtsnachfolgerin dadurch zu beseitigen wären, daß sie - entgegen dem geltenden Recht - die Leistungen der knKVdR zu erbringen hätte.

Wenn der Kläger auch nur die Leistungen aus der knKVdR beantragt hat, so ist doch anzunehmen, daß er mindestens hilfsweise auch die übrigen in dem Schreiben der Beklagten vom 14. Februar 1968 abgelehnten Leistungen begehrt, zumal davon auszugehen ist, daß der Kläger diesen Bescheid in vollem Umfang angefochten hat. Es mag dahingestellt bleiben, ob § 20 Abs. 1 der VO KVdR vom 4. November 1941 auch den Anspruch auf Beitragszuschuß oder Beitragserstattung ausschließt, denn diese Ansprüche bestehen schon aus anderen Gründen nicht.

Das RKG und die nach seinem § 20 geltenden Verordnungen über die knKVdR sehen einen Anspruch auf Beitragszuschuß nicht vor. Zwar könnte man die Ansicht vertreten, daß § 381 Abs. 4 RVO, in dem der Anspruch auf Beitragszuschuß geregelt ist, über § 20 RKG auch für die knKVdR gilt. Nach § 381 Abs. 4 RVO ist der Anspruch auf Beitragszuschuß jedoch auf Personen beschränkt, welche die Voraussetzungen für eine Rente aus den Rentenversicherungen der Arbeiter oder Angestellten erfüllen. Für Bezieher einer knappschaftlichen Rente ist die Gewährung eines Beitragszuschusses nicht vorgesehen (vgl. hierzu BSG in SozR Nr. 28 zu § 381 RVO).

Ein Anspruch auf Beitragserstattung nach dem am 1. Januar 1970 außer Kraft getretenen § 120 Abs. 3 RKG besteht schon deshalb nicht, weil die Beklagte wegen des Leistungsausschlusses in der knKVdR auch in der Zeit vom 1. Januar 1968 bis zum 31. Dezember 1969 an dem Knappschaftsruhegeld des Klägers keinen Beitrag zur knKVdR einbehalten hat. Es bedarf keiner näheren Begründung, daß nicht einbehaltene Beiträge auch nicht erstattet werden können.

Der Senat hat die danach unbegründete Revision des Klägers zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1648207

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