Leitsatz (amtlich)
Ein nicht abgeschlossenes Hochschulstudium kann einer Fachschulausbildung nicht deshalb zugerechnet werden, weil es die Entscheidung über die Aufnahme in die Fachschule günstig beeinflußt hat.
Normenkette
AVG § 36 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 Buchst. b Fassung: 1957-02-23
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 24. April 1973 aufgehoben.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 27. September 1972 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist die Erhöhung des Altersruhegeldes durch Anrechnung von Hochschulausbildungszeiten als Ausfallzeiten.
Der 1904 geborene Kläger studierte vom 30. April 1924 bis 31. März 1925 Wirtschafts- und Sozialwissenschaften und hörte in der Zeit vom 29. April 1925 bis 5. September 1926 kunstgeschichtliche, theaterwissenschaftliche, literarische und literarhistorische Vorlesungen. Ein Examen legte er aufgrund dieser Studien nicht ab. Vom 6. September 1926 bis 31. Juli 1928 besuchte er eine Schauspielschule. Anschließend war er als Schauspieler, Dramaturg und Regisseur tätig. Die Beklagte berücksichtigte bei der Berechnung des ihm mit Bescheid vom 5. März 1970 ab 1. Januar 1970 gewährten Altersruhegeldes als Ausfallzeiten seine nach Vollendung des 16. Lebensjahres durchlaufene weitere Schulausbildung, die Hochschulausbildung vom 29. April 1925 bis 5. September 1926 und die Ausbildung an der Schauspielschule. Während des auf Anrechnung auch des ersten Studienabschnittes gerichteten Klageverfahrens berechnete die Beklagte das Altersruhegeld neu; sie ließ jetzt die gesamte Studienzeit unberücksichtigt, weil es sich nicht um eine abgeschlossene Hochschulausbildung handele. Das Verfahren endete in zweiter Instanz mit einem Vergleich: Der Kläger verzichtete auf Anrechnung der geltend gemachten Ausfallzeit vom 30. April 1924 bis 31. März 1925; die Beklagte verpflichtete sich, ihm das Altersruhegeld zunächst nach dem ersten Rentenbescheid weiterzugewähren und ihm mit Inkrafttreten des nächsten Rentenanpassungsgesetzes ab 1. Januar 1972 einen rechtsbehelfsfähigen Bescheid darüber zu erteilen, ob die Ausfallzeit vom 29. April 1925 bis zum 5. September 1926 weiterhin anzurechnen ist.
In Ausführung dieses Vergleichs berechnete die Beklagte mit Bescheid vom 23. November 1971 das Altersruhegeld ab 1. Januar 1972 neu; sie ließ die Zeit vom 29. April 1925 bis 5. September 1926 unberücksichtigt, weil keine abgeschlossene Hochschulausbildung vorliege. Die Klage hatte in zweiter Instanz Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) meint, bei der im Zusammenhang mit einer Rentenanpassung durchgeführten Rentenneuberechnung könnten nur unzweifelhaft falsche Berechnungsfaktoren ersetzt werden. Solche seien hier nicht vorhanden. Eine nicht abgeschlossene Hochschulausbildung könne einer abgeschlossenen Fachschulausbildung dann zugerechnet werden, wenn sie die Aufnahme oder die Dauer der Fachschulausbildung beeinflußt habe. Zwar sei nicht zu erkennen, daß die Fachschulzeit wegen des vorangegangenen Hochschulstudiums des Klägers abgekürzt wurde. Es sei jedoch nicht auszuschließen, daß die Aufnahme des Klägers in die Schauspielschule durch dieses Studium günstig beeinflußt worden ist. Die Anerkennung der Studienzeit als Ausfallzeit sei mithin nicht zweifelsfrei unrichtig.
Mit der zugelassenen Revision beantragt die Beklagte,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts (SG) zurückzuweisen.
Sie meint, die Berechnungsfaktoren des Ausgangsbescheides seien unzweifelhaft falsch gewesen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet.
Entgegen der Auffassung des LSG war die Anrechnung der Studienzeit des Klägers als Ausfallzeit zweifelsfrei unrichtig. Nach § 36 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) in seiner hier maßgebenden, bis zum 18. Oktober 1972 gültig gewesenen Fassung sind Zeiten einer nach Vollendung des 16. Lebensjahres liegenden weiteren Schulausbildung sowie einer abgeschlossenen Fachschul- oder Hochschulausbildung in gewissem Umfang unter anderem dann Ausfallzeiten, wenn im Anschluß daran innerhalb von fünf Jahren eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit aufgenommen worden ist. Wie das Bundessozialgericht (BSG) wiederholt entschieden hat, ist hier unter einer "abgeschlossenen" Hochschulausbildung nicht die nur zeitmäßige, sondern vielmehr eine qualitative, d.h. erfolgreiche Beendigung des Studiums zu verstehen. Das Studium kann deshalb sowohl durch das Bestehen einer dafür vorgesehenen Hochschul- oder Staatsprüfung als auch durch eine Promotion "abgeschlossen" werden; dabei beendet schon der erste dieser möglichen Studienabschlüsse den als Ausfallzeit in Betracht kommenden Zeitraum, so daß schon mit ihm die für die Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit maßgebende Fünfjahresfrist beginnt (BSG SozR Nrn. 9, 59 und 61 zu § 1259 RVO). Von einer "abgeschlossenen" Hochschulausbildung kann also grundsätzlich nur dann gesprochen werden, wenn eine Abschlußprüfung abgelegt worden ist. Der Kläger hat eine solche Prüfung aber nicht abgelegt. Er hat auch nicht promoviert.
Der erkennende Senat hat allerdings zur Vermeidung unbilliger Härten in einem derartigen Fall ein Hochschulstudium ausnahmsweise dennoch im Sinne der genannten Vorschrift als "abgeschlossen" angesehen (SozR Nr. 61 zu § 1259 RVO), wenn zur fraglichen Zeit auf dem in Betracht kommenden Fachgebiet ein selbständiges Studium möglich und als ordnungsgemäßes Studium anerkannt gewesen ist, ohne daß eine Abschlußprüfung oder auch nur die Erteilung eines Abschlußzeugnisses vorgesehen waren, und hinsichtlich des Studienablaufs und der Studienzeit gewisse Mindestbedingungen erfüllt werden mußten. Auch ein solcher Ausnahmefall liegt beim Kläger nicht vor. Entgegen der Auffassung des LSG kann aber auch eine nicht abgeschlossene Hochschulausbildung, die sich auf die Aufnahme in eine Fachschule - in dem vom LSG hier für möglich gehaltenen Sinne - förderlich ausgewirkt hat, in keinem Fall als Fachschulausbildung im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 4 AVG angerechnet werden. Das Gegenteil läßt sich insbesondere nicht - wie das LSG meint - dem Urteil des 1. Senats des BSG vom 17. Februar 1970 (SozR Nr. 28 zu § 1259 RVO) entnehmen. Der 1. Senat hat in jenem Falle die (teilweise) Zurechnung zur Fachschulausbildung einmal deshalb verneint, weil die nicht abgeschlossene Hochschulausbildung weder die Aufnahme noch die Dauer der Fachschulausbildung beeinflußt habe, zum anderen aber auch deshalb, weil es sich bei der Zeit des Hochschulstudiums nicht um eine Zeit der Ausbildung gehandelt habe, die an der Fachschule verbracht worden ist. Der letzte Grund macht dabei die vorausgegangenen Erwägungen sogar entbehrlich; er steht schlechthin jeder Zurechnung zur Fachschulausbildung entgegen. Der erkennende Senat würde allerdings demgegenüber die Zurechnung einer nicht abgeschlossenen Hochschulausbildung zur Fachschulausbildung zur Vermeidung unbilliger Härten immerhin für möglich halten, wenn die Fachschulausbildung nachweislich wegen des vorausgegangenen Hochschulstudiums abgekürzt worden ist; in diesem Falle könnte eine Zurechnung zur Fachschulausbildung im Umfang der Kürzung in Betracht kommen. Ein solcher Fall liegt beim Kläger aber nicht vor. Ein nicht abgeschlossenes Hochschulstudium läßt sich dagegen in keinem Fall der Fachschulausbildung bloß deshalb zurechnen, weil es die Entscheidung über die Aufnahme in die Fachschule günstig beeinflußt hat. Einen Fall dieser Art hat auch der 1. Senat nicht im Auge gehabt; denn seine Ausführungen betrafen die Feststellung, daß die "Voraussetzungen für den Besuch" der dortigen Fachschule bei Hochschülern und Abiturienten (Nichthochschülern) die gleichen waren, wie das überdies auch hier zutraf. Würde man die Beeinflussung der Aufnahmeentscheidung genügen lassen, so wären die Folgen zudem nicht auf die Zurechnung vorausgegangener Hochschulzeiten zu beschränken; auch andere Beschäftigungs- und Ausbildungszeiten können sich günstig auf die Aufnahme in eine Fachschule auswirken; es entspräche jedoch nicht dem Willen des Gesetzgebers, auf eine solche Weise die Anrechnung von Ausfallzeiten über die von ihm genau festgelegten Ausbildungszeiten hinaus auszuweiten.
Nach alledem kann die Hochschulzeit des Klägers nicht als Ausfallzeit berücksichtigt werden. Auf die Revision der Beklagten sind deshalb das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das klagabweisende Urteil des SG zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen