Beteiligte
Kläger und Revisionskläger |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I
Streitig ist ein Anspruch des Klägers aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen eines beruflichen Hautleidens.
Der 1910 geborene Kläger war nach der Schulentlassung zunächst zwei Jahre in einer Bäckerei beschäftigt. Anschließend arbeitete er etwa 14 Jahre bei verschiedenen Unternehmen als Anstreicher. Während einer Tätigkeit im Jahre 1938 bei der Gebrüder M… GmbH, die Mitglied der Beigeladenen war, trat bei ihm ein nässendes Ekzem an beiden Händen auf. Nach zehntägiger Arbeitsunfähigkeit nahm er seine Beschäftigung bei demselben Unternehmen wieder auf, worauf die Hauterscheinungen erneut auftraten. Der behandelnde Hautarzt Dr. M… wollte eine Anzeige über eine Berufskrankheit erstatten, sah aber davon ab, nachdem der Kläger ihm erklärt hatte, er werde eine Beschäftigung aufnehmen, bei der er nicht mit Farben in Berührung komme. Der Kläger arbeitete danach als Fahrzeugkontrolleur; 1939 wurde er zum Wehrdienst einberufen. Nach dem Kriege arbeitete er zunächst in der Landwirtschaft, dann als Fahrer, schließlich kurzfristig als Vertreter oder Kraftfahrer bei verschiedenen Unternehmen. In den Jahren 1956 und 1957 arbeitete er wieder als Anstreicher und Lackierer bei der S… H… und T… GmbH und anschließend bei der A… P… GmbH. Erstere ist Mitglied der Beklagten. Während der Tätigkeit bei der H… und T… GmbH trat im Juli 1956 eine Dermatitis an den Händen und im Gesicht auf. Dr. M…, der den Kläger wieder behandelte, nahm gegenüber der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der Landesversicherungsanstalt für das Saarland (LVA), Abteilung Allgemeine Arbeitsunfallversicherung, eine Berufskrankheit nach Nr. 19 der Anlage 1 zur 6. saarländischen Berufskrankheitenverordnung (BKVO) vom 2. Juni 1954 an. Die Aufforderung der LVA, persönlich bei ihr vorzusprechen, ließ der Kläger unbeachtet. Am 2. September 1957 und 8. April 1958 richtete die Beklagte an den Kläger formlose Schreiben ohne Rechtsmittelbelehrung, worin sie ihm zur Vorlage bei dem Arbeitsamt und dem Gewerbeamt bestätigte, daß er hautgefährdende Tätigkeiten nicht mehr ausüben dürfe. Es handele sich jedoch zur Zeit noch nicht um eine entschädigungspflichtige Berufskrankheit. Einwendungen erhob der Kläger hiergegen nicht.
Nach verschiedenen kurzfristigen Beschäftigungen verkaufte der Kläger einige Jahre Möbel nach Katalog. Anschließend war er fast zwei Jahre arbeitslos. Während seiner Tätigkeit vom 10. Juni bis 31. Juli 1969 bei Möbel-L… trat erneut eine Ekzemerkrankung auf, die Dr. M… am 1. September 1969 als Berufskrankheit meldete. Nach einem auf Ersuchen des staatlichen Gewerbearztes von Dr. M… am 15. Dezember 1970 erstatteten Gutachten ist die Hauterkrankung des Klägers durch berufliche Einflüsse verursacht; es bestehe eine Überempfindlichkeit gegen Terpentinersatz sowie Kunstharz und Nitroverdünnung, die auch dann schon zu Hautentzündungen führe, wenn sich der Kläger in Räumen aufhalte, in denen frisch lackierte und polierte Möbel abgestellt seien. Nach Abheilen der äußeren Hauterscheinungen trat der Kläger am 6. April 1970 bei dem Malermeister W… ein, der Mitglied der Beklagten ist, und war als "technischer Kaufmann" mit dem Aufmaß der geleisteten und zu leistenden Arbeiten betraut. Dort erlitt er am 27 September 1970 einen Arbeitsunfall; ihm fiel ein Brett auf den Kopf. Danach ist er keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgegangen.
Mit Bescheid vom 27. November 1972 lehnte es die Beklagte ab, dem Kläger eine Entschädigung aus der Unfallversicherung zu gewähren.
Das Sozialgericht für das Saarland (SG) hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab 16. Oktober 1970 eine Rente wegen Berufskrankheit nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 30 v.H. zu gewähren. Auf die Berufung der Beklagten, der sich der Kläger dahin angeschlossen hat, ihm die Verletztenrente bereits ab 1. Januar 1958 zu gewähren, hat das Landessozialgericht für das Saarland (LSG) die Klage abgewiesen und die Anschlußberufung zurückgewiesen (Urteil vom 17. Januar 1978),
Der Kläger hat die von dem erkennenden Senat nachträglich zugelassene Revision eingelegt. Er rügt, das LSG habe die Grundsätze über die Verwirkung verkannt, wodurch er Artikel 12 des Grundgesetzes (GG) für verletzt hält.
Der Kläger beantragt,unter Abänderung des Urteils des Landessozialgerichts für das Saarland vom 17. Januar 1978 die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger eine Rente wegen einer Berufskrankheit ab 16. Oktober 1970 nach einer MdE von 30 v.H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,die Revision zurückzuweisen.
Die Beigeladene beantragt sinngemäß,die Revision zurückzuweisen,hilfsweise,die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-)
II
Die Revision des Klägers ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben. Der Rechtsstreit ist zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen, weil die tatsächlichen Feststellungen keine abschließende Entscheidung über den streitigen Anspruch erlauben.
Im Revisionsverfahren macht der Kläger nur noch einen Entschädigungsanspruch wegen einer beruflichen Hauterkrankung seit dem 16. Oktober 1970 geltend.
Als entschädigungspflichtiger Arbeitsunfall gilt auch eine Berufskrankheit, die in den Anlagen zu der BKVO in der jeweils geltenden Fassung bezeichnet ist (§ 551 der Reichsversicherungsordnung -RVO-; § 545 RVO a.F.).
Bei dem Kläger trat erstmals 1938 eine Hauterkrankung auf, die nach den Feststellungen des LSG ursächlich auf schädigende Einwirkungen zurückzuführen ist, denen der Kläger bei seiner langjährigen Beschäftigung als Anstreicher ausgesetzt war. Diese Erkrankung trat nach kurzfristiger Unterbrechung der Beschäftigung wieder auf, so daß der Kläger diese Beschäftigung endgültig aufgab. Hierdurch ist die Allergieschwelle des Klägers so weit herabgesetzt worden, daß bei erneuter Berührung mit den entsprechenden Schadstoffen nach immer kürzerer Zeit wieder akute Hauterscheinungen auftreten. Der Kläger kann deshalb seine frühere berufliche Beschäftigung als Anstreicher nicht mehr ausüben. In der 1938 geltenden Nr. 15 der Anlage zur 3. BKVO vom 16. Dezember 1936 (RGBl. I 1117) war eine schwere oder wiederholt rückfällige berufliche Hauterkrankung, die zum Wechsel des Berufs oder zur Aufgabe jeder Erwerbstätigkeit zwingt, als Berufskrankheit bezeichnet. Diese Voraussetzungen waren bei dem Kläger 1938 erfüllt, so daß der Versicherungsfall eingetreten war. Der Kläger hatte einen "Beruf" im Sinne der Nr. 15 a.a.O. aufgegeben. Zwar hatte er keine handwerkliche Lehre mit einer Abschlußprüfung durchlaufen, sich aber während seiner 14jährigen Beschäftigung als Anstreicher besondere Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten angeeignet, die zumindest denen eines angelernten Facharbeiters entsprechen und ihn dadurch zu einer brauchbaren speziellen Arbeitskraft für Unternehmen gleicher Art gemacht hatten (BSG SozR 5677 Anl. 1 Nr. 46 Nr. 2 S. 8). Ob es sich um eine schwere Hauterkrankung im Sinne der genannten Vorschrift gehandelt hat, hat das LSG nicht festgestellt. Jedenfalls war sie wiederholt rückfällig (SozR 5675 Anl. 19 Nr. 2).
Entgegen der Ansicht des LSG begründet dieser Versicherungsfall den geltend gemachten Entschädigungsanspruch seit dem 16. Oktober 1970. Allerdings war nach § 1546 RVO in der vor dem Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz (UVNG) vom 30. April 1963 geltenden Fassung der Anspruch zur Vermeidung des Ausschlusses spätestens zwei Jahre nach dem Unfall bei dem Versicherungsträger anzumelden, wenn die Unfallentschädigung nicht von Amts wegen festgestellt wurde. Verspätet angemeldete Ansprüche waren danach aber nur ausgeschlossen, wenn die verspätete Anmeldung die Feststellung des Sachverhalts unmöglich oder unzumutbar machte, nicht aber, wenn der Anspruch einwandfrei geklärt war (vgl. BSGE 10, 88; 14, 246). Hier ist der Entschädigungsanspruch des Klägers aber nicht deshalb abgelehnt worden, weil die Aufklärung des Sachverhaltes wegen der vergangenen Zeit unzumutbar sei. Im Gegenteil hat das LSG den ursächlichen Zusammenhang zwischen versicherter Tätigkeit und der Hauterkrankung des Klägers festgestellt. Dem Anspruch des Klägers steht also § 1546 RVO a.F. nicht deshalb entgegen, weil er ihn seinerzeit nicht angemeldet und dadurch das Tätigwerden des Versicherungsträgers verhindert hat. Nach § 1546 RVO n.F. beginnt die Leistung mit dem 1. des Antragsmonats, wenn die Unfallentschädigung nicht von Amts wegen festgestellt und der Anspruch spätestens zwei Jahre nach dem Unfall angemeldet war. Die verspätete Anmeldung hat danach nur noch den späteren Rentenbeginn zur Folge. Nach dem bis zum Inkrafttreten des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil -SGB 1- (1. Januar 1976) geltenden § 29 Abs. 1 RVO verjährten Ansprüche auf Rückstände von Leistungen in zwei Jahren. Der Kläger begehrt die Leistung aber erst seit dem 16. Oktober 1970. Da er am 8. Dezember 1972 die Klage erhoben hat, ist die Verjährung unterbrochen (§ 208 des Bürgerlichen Gesetzbuches -BGB-).
Die Beklagte kann nicht einwenden, mit den Schreiben vom 2. September 1957 und 8. April 1958, die im Zusammenhang mit der ersten ärztlichen Unfallmeldung im Jahre 1957 ergingen, seien die Ansprüche des Klägers bindend abgelehnt worden. Diese Schreiben sind keine Verwaltungsakte. Sie enthalten zunächst eine Bescheinigung für das Arbeits- oder Gewerbeamt, sagen dann, daß es sich versicherungsrechtlich zur Zeit noch nicht um eine entschädigungspflichtige Berufskrankheit handele und weisen darauf hin, daß nach einer gutachtlichen Äußerung der Kläger bestimmte Arbeiten nicht mehr leisten dürfe. Hierin liegt allenfalls die Äußerung einer Rechtsansicht, aber keine Regelung eines Einzelfalles, von der eine unmittelbare rechtliche Außenwirkung ausgeht, wie dies für einen Verwaltungsakt erforderlich wäre.
Dem streitigen Anspruch steht auch nicht entgegen, daß der Kläger, wie die Beklagte meint, sich passiv verhalten hat und einer Aufforderung des Versicherungsträgers zu einer Rücksprache nicht nachgekommen sei. Schon nach § 606 RVO i.d.F. vor dem UVNG konnte dem Verletzten, wenn er eine Anordnung nicht befolgt, der Schadenersatz auf Zeit ganz oder teilweise nur versagt werden, sofern er auf diese Folgen hingewiesen worden ist (später ebenso § 624 RVO, jetzt § 66 Abs. 3 SGB 1). Ein solcher Hinweis ist an den Kläger nicht ergangen. Damit ist erst recht die Möglichkeit ausgeschlossen, Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung dem Kläger für alle Zeit zu versagen.
Dennoch ist eine abschließende Entscheidung nicht möglich. Da der Grad der MdE bei einer beruflichen Hauterkrankung u.a. davon abhängt, in welchem Umfang dem Erkrankten das allgemeine Arbeitsfeld verschlossen ist, andererseits ein Entschädigungsanspruch aber entfallen kann, wenn sich dem Erkrankten neue Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten erschlossen haben, die denen des früheren Berufs gleichwertig sind (BSGE 39, 49; SozR 2200 § 622 Nrn. 7 und 10; Urteil vom 22. Februar 1979 8a RU 32/78 -), müssen hierzu entsprechende Feststellungen getroffen werden. Bedeutsam ist insofern die zuletzt vor dem Antrag des Klägers ausgeübte Beschäftigung in dem Malergeschäft W…. Für die Feststellung der MdE kann u.a. wesentlich sein, daß nach Ansicht des Sachverständigen Dr. M… der Kläger wegen seiner Allergie sich auch nicht in Räumen aufhalten darf, in denen frisch lackierte und polierte Möbel abgestellt sind.
Das LSG wird auch darüber zu befinden haben, welche Berufsgenossenschaft (BG) gegebenenfalls für die Entschädigung des Klägers zuständig ist. Hierfür kommt die Vereinbarung über die Zuständigkeit und Lastenverteilung bei Berufskrankheiten vom 8. Februar 1973 (abgedruckt bei Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung § 551 Anm. 24, S. 296/3 ff.) in Betracht. Nach § 4 Abs. 1 a.a.O. ist diejenige BG für die Feststellung und Entschädigung der Berufskrankheit zuständig, auf die die letzte gefährdende Beschäftigung entfällt. Nach § 2 Satz 1 a.a.O. gelten als gefährdende Beschäftigung im Sinne dieser Vereinbarung alle Arbeiten in einem Unternehmen, die ihrer Art nach geeignet sind, die Berufskrankheit zu verursachen. Verursacht worden ist die Berufskrankheit des Klägers durch die Tätigkeit in dem Unternehmen M… GmbH, für das die Beigeladene zuständiger Versicherungsträger ist.
Die Kostenentscheidung bleibt dem das Verfahren abschließenden Urteil vorbehalten.8a RU 94/78
Bundessozialgericht
Fundstellen