Entscheidungsstichwort (Thema)
Bauherr. vertragliche Nebenpflicht. Vertragsbeziehungen
Orientierungssatz
1. Der auch im Rahmen vom § 539 Abs 2 RVO erforderliche innere Zusammenhang zwischen der unfallbringenden Tätigkeit und dem betreffenden Betrieb ist nicht schon dadurch gegeben, daß die Tätigkeit auch den Zwecken oder Interessen des anderen Unternehmens dient. Vielmehr muß diese Beziehung - darüber hinaus - rechtlich wesentlich sein. Ob dies der Fall ist, richtet sich, wenn vertragliche Beziehungen vorhanden sind, nach deren Inhalt (vgl BSG 19.5.1983 2 RU 55/82 = USK 8366).
2. Zur Frage des Unfallversicherungsschutzes eines Bauherrn, der beim Freischaufeln eines Lieferfahrzeuges Hilfe leistet.
Normenkette
RVO § 539 Abs 2 Fassung: 1963-04-30
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 23.08.1983; Aktenzeichen L 6 U 130/83) |
SG Lüneburg (Entscheidung vom 17.01.1983; Aktenzeichen S 2c U 139/82) |
Tatbestand
Die Beklagte ist im sozialgerichtlichen Verfahren verurteilt worden, der Klägerin im gesetzlichen Rahmen die Kosten zu erstatten, welche sie für den Beigeladenen zu 2) (St.) aus Anlaß seines Unfalles am 8. August 1979 aufgewendet hat (Urteil des Sozialgerichts -SG- vom 17. Januar 1983; Urteil des Landessozialgerichts -LSG- vom 23. August 1983). Hiergegen wendet sie sich mit der vom LSG zugelassenen Revision.
St., von Beruf Maurer, war Bauherr eines Anbaus am elterlichen Wohnhaus. Am Unfalltage lieferte ein Unternehmen, das bereits den Erdaushub durchgeführt und sonstige Materialien geliefert hatte, 18 cbm Betonkies. Bei der Abfahrt vom Grundstück des St. fuhr das Kippfahrzeug sich im losen Sand fest. Anders als am Vortage holte der Fahrer kein Fahrzeug seiner Arbeitgeberin zur Hilfe; vielmehr half ua St., den LKW flottzumachen. Dabei ereignete sich der Unfall, für welchen die Beklagte DM 18.422,86 erstatten soll.
Das SG hat die Beklagte zur Kostenerstattung verurteilt. In den Urteilsgründen heißt es ua, das Freischaufeln des Lieferfahrzeugs habe nicht mehr zu den Vertragspflichten des St. gehört; vielmehr sei er wie ein Beschäftigter für das Unternehmen des Lieferbetriebes tätig geworden.
Das LSG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen, weil St. ähnlich einem angestellten Beifahrer Hilfe geleistet habe. Die unfallbringende Tätigkeit habe nicht zu seinem Aufgabenkreis als Käufer bzw Bauherr gehört. Der Betonkies habe - anders als in den Lieferungs- und Zahlungsbedingungen festgelegt - frei Baustelle geliefert und nach näherer Anweisung des St. abgeladen werden müssen. Die Hilfe beim Freischaufeln des LKW habe St. entsprechend einer allgemeinen Übung, jedoch nicht als vertragliche Nebenpflicht übernommen.
Demgegenüber geht die Revision davon aus, daß St. im Unfallzeitpunkt Aufgaben als Bauherr erfüllt habe. Er sei es beruflich gewohnt gewesen, in ähnlichen Fällen zuzufassen. Im vorliegenden Falle habe er entgegen dem Willen des Inhabers der Lieferfirma das Abladen des Materials auf dem Baustellengrundstück veranlaßt. Daher sei die Anfuhr des Kies an die von St. bestimmte Stelle allein in seinem Interesse erfolgt, so daß auch das Freifahren bzw die Mithilfe dazu im Interessenbereich des St. gelegen habe.
Das LSG habe seine Verpflichtung zur Erforschung des Sachverhalts (§ 103 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) verletzt. Es hätte den Willen und etwaige Anweisungen des Unternehmers des Lieferbetriebes ebenso feststellen müssen wie den Beitrag des St. zum Festfahren des LKW.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 17. Januar 1983 und das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 23. August 1983 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Nach ihrer Meinung hat das Verhalten des St. dem Willen und dem wirtschaftlichen Interesse des Lieferbetriebes gedient, so daß das LSG richtig entschieden habe.
Die Beigeladenen stellen keine Anträge.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Das LSG ist fehlerfrei und mit zutreffenden Gründen zu dem Ergebnis gekommen, daß St. seinen Unfall im Betriebe der Lieferfirma erlitten hat.
SG, LSG und die Verfahrensbeteiligten haben von Anfang an zutreffend geprüft, ob St. als Bauherr - und damit als Unternehmer - oder wie ein im Betriebe des Kieslieferanten Beschäftigter (§ 539 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung -RVO-) verunglückte. Verunglückte er nämlich bei der Erledigung von Aufgaben als Unternehmer, war eine Versicherung nach § 539 Abs 2 RVO ausgeschlossen; denn eine nach § 539 Abs 2 RVO versicherte Tätigkeit erfordert, daß sie unter solchen Umständen geleistet wird, daß sie einer Tätigkeit aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses (§ 539 Abs 1 Nr 1 RVO) ähnlich ist (vgl zB BSG SozR 2200 § 539 Nr 2; Urteil vom 31. Mai 1978 - 2 RU 27/76 -; Urteil vom 4. November 1981 - 2 RU 93/80 -; Urteil vom 19. Mai 1983 - 2 RU 55/82 -).
Danach kommt das Bestehen eines Versicherungsverhältnisses unter den Voraussetzungen des § 539 Abs 2 RVO nur in Betracht, wenn St. wie ein Versicherter im fremden Unternehmen tätig geworden ist (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 9. Aufl, S 476u). Hierzu genügt allerdings nicht, daß die Tätigkeit des St. dem Interesse dieses Unternehmens gedient hat, weil sie erforderlich oder nützlich war. Dieser Gesichtspunkt reicht nicht aus, um den notwendigen inneren Zusammenhang zwischen der unfallbringenden Tätigkeit des St. und dem anderen Betrieb anzunehmen. Der Senat hat von Anfang an entschieden, daß nicht jede Arbeit, die zugleich den Zwecken eines anderen Unternehmens dient, auch in diesem Unternehmen verrichtet zu werden braucht (BSGE 5, 168, 174; 7, 195, 198; Urteil vom 4. November 1981 - 2 RU 53/81 -; Urteil vom 19. Mai 1983 - 2 RU 55/82 -). Vielmehr ist es, insbesondere beim Zusammenwirken mehrerer Unternehmer, sehr wohl möglich, daß eine für mehrere nützliche Tätigkeit nur im Rahmen eines der Betriebe geleistet wird (Brackmann, aaO, S 475q, 476h). Dies gilt nicht nur, wenn ein Unternehmer tätig wird und dabei gleichzeitig den Zweck eines anderen Unternehmens fördert (etwa bei der Errichtung eines Baues oder in der Landwirtschaft). Der Senat hat entschieden, daß auch ein abhängig Beschäftigter, welcher die Interessen eines weiteren Unternehmens fördert, ausschließlich in seinem Stammbetrieb tätig sein kann (BSGE 43, 65, 67; Urteil vom 4. November 1981 - 2 RU 53/81).
Infolgedessen ist der auch im Rahmen von § 539 Abs 2 RVO erforderliche innere Zusammenhang zwischen der unfallbringenden Tätigkeit und dem betreffenden Betrieb nicht schon dadurch gegeben, daß die Tätigkeit auch den Zwecken oder Interessen des anderen Unternehmens dient. Vielmehr muß diese Beziehung - darüber hinaus - rechtlich wesentlich sein (Brackmann, aaO, S 476e). Ob dies der Fall ist, richtet sich, wenn vertragliche Beziehungen vorhanden sind, nach deren Inhalt (BSGE 7, 195, 197; BSG SozR 2200 § 539 Nr 25 = SGb 1977, 312, 313 mit zustimmender Anmerkung von Freitag, Urteil vom 4. November 1981 aaO; Urteil vom 19. Mai 1983 aaO; Brackmann, aaO, S 476h f). Hiervon ist das LSG zutreffend ausgegangen. Es hat die Vertragsbeziehungen der beiden Unternehmer - St. und Transportunternehmer - untersucht und danach die Frage - richtig - beantwortet, ob St. versichert war.
Das LSG hat, ohne daß dagegen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind (§ 163 SGG), festgestellt, daß die Lieferung des Betonkies frei Baustelle vereinbart war. Dabei geht das LSG davon aus, daß St. im Rahmen des Zumutbaren unter verantwortlicher Mitwirkung des Fahrers die Abladestelle für das Material zu bestimmen hatte. Insoweit ist die Rüge, das LSG hätte prüfen müssen, ob St. das Abladen auf der Baustelle - mit - veranlaßte, unbegründet. Das LSG ist nämlich erkennbar (Seiten 8/9) hiervon ausgegangen. Für die Annahme, daß der LKW-Fahrer gegen den geäußerten oder mutmaßlichen Willen seines Arbeitgebers handelte und dies St. bekannt war, haben sich jedenfalls bis zur Entscheidung des LSG auch aus dem Vorbringen der Beklagten keine Anhaltspunkte ergeben. Hinsichtlich des Versicherungsschutzes nach § 539 Abs 2 RVO genügt es, daß derjenige, welcher wie ein Beschäftigter tätig wird, aus seiner Sicht annimmt, er entspreche bei seinem Vorgehen dem - mutmaßlichen - Willen des Unternehmers (BSG SozR 2200 § 539 Nrn 58 und 67). Daß der Inhaber der Lieferfirma insoweit mit dem Zupacken der anderen Personen nicht einverstanden war, nimmt auch die Revision nicht an.
Das LSG hat folglich fehlerfrei festgestellt, der Betonkies habe frei Baustelle geliefert werden müssen. Die weitere Annahme des LSG, St. sei bei dem Flottmachen des Fahrzeugs nicht in Erfüllung einer vertraglichen Nebenverpflichtung tätig geworden, ist von der Revision im Grunde nicht angegriffen worden. Es ist auch nicht ersichtlich, woraus sich die Verpflichtung des Käufers einer Sache ergeben könnte, bei der Beseitigung von Hindernissen für das Lieferfahrzeug einzugreifen.
Danach ist St. nicht als Unternehmer bzw Bauherr - nämlich bei der Vertragsdurchführung - verunglückt. Infolgedessen ist entgegen der Auffassung der Beklagten der Versicherungsschutz nach § 539 Abs 2 RVO gegeben.
Die Revision war zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen