Entscheidungsstichwort (Thema)
Maurer. angelernter Maurer. Anlernberufe. oberer Bereich der Anlernberufe. Verweisungstätigkeit. konkrete Bezeichnung
Orientierungssatz
1. Bei Versicherten, die der Gruppe mit dem Leitberuf des sonstigen Ausbildungsberufs zuzurechnen sind, ist anders als bei ungelernten Arbeitern - die konkrete Benennung zumindest einer Verweisungstätigkeit jedenfalls bei denjenigen Versicherten innerhalb der Gruppe mit dem Leitberuf des angelernten Arbeiters erforderlich, deren bisheriger Beruf ein staatlich anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildungszeit bis zu zwei Jahren gewesen ist oder wenigstens eine über eine bloße Einweisung und Einarbeitung hinausgehende echte betriebliche Ausbildung vorausgesetzt habe. Die im Vergleich zum Facharbeiter nur geringfügig kürzere Dauer der Regelausbildungszeit kann eine Gleichstellung oder ähnliche Behandlung beider Gruppen der Versicherten angezeigt erscheinen lassen (vgl BSG 15.11.1983 1 RJ 112/82 = SozR 2200 § 1246 Nr 109).
2. Bei Versicherten im oberen Bereich der Gruppe mit dem Leitberuf des Angelernten ist die Notwendigkeit der konkreten Bezeichnung mindestens einer in Betracht kommenden Verweisungstätigkeit erforderlich (vgl BSG 28.11.1985 4a RJ 51/84 = SozR 2200 § 1246 Nr 132).
Normenkette
RVO § 1246 Abs 2 S 2 Fassung: 1957-02-23
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 24.06.1985; Aktenzeichen L 9 J 1164/84) |
SG Reutlingen (Entscheidung vom 12.04.1984; Aktenzeichen S 9 J 1928/83) |
Tatbestand
Der 1927 in Jugoslawien geborene Kläger bestand dort nach einer von ihm vorgelegten Bescheinigung aus dem Jahre 1959 die Fachprüfung als Maurer und arbeitete bis zu seiner Übersiedlung in die Bundesrepublik anfangs 1969 als Bauarbeiter. In der Bundesrepublik arbeitete er als Bauhelfer und versuchsweise als Maurer. Nach vergeblichen Rentenanträgen in den Jahren 1977 und 1978 lehnte die Beklagte einen neuen Antrag durch Bescheid vom 13. Juni 1983 mit der Begründung ab, der Kläger sei nach der medizinischen Beurteilung noch fähig, leichte bis mittelschwere Arbeiten auf dem Bau zu verrichten, wenn es sich nicht um Arbeiten unter Zeitdruck, Wechsel- oder Nachtschichtarbeiten oder um lärmbelastete Arbeiten handele. Widerspruch und Klage blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 5. Oktober 1983; Urteil des Sozialgerichts Reutlingen -SG- vom 12. April 1984).
Die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) mit Urteil vom 24. Juni 1985 zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, nach den eingeholten Arbeitgeberauskünften besitze der Kläger nicht in voller Breite die praktischen und theoretischen Kenntnisse eines Maurerfacharbeiters. Er sei vielmehr allenfalls der Gruppe der Arbeiterberufe mit dem Leitbild des angelernten Arbeiters zuzuordnen und deshalb auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar. Er könne noch leichte körperliche Arbeiten in wechselnder Körperhaltung vollschichtig verrichten. Die Vermeidung ständig gebückter Arbeitshaltung oder vornübergebeugter Oberkörperhaltung bei ständigem Sitzen bedeute nicht eine schwere spezifische Leistungsbehinderung. Daher sei die konkrete Bezeichnung einer Verweisungstätigkeit nicht erforderlich.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 1246 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Er beanstandet, das LSG habe von der konkreten Bezeichnung einer Verweisungstätigkeit nur dann absehen dürfen, wenn es ihn nicht zum oberen Bereich der Gruppe der Arbeiterberufe mit dem Leitbild des angelernten Arbeiters gerechnet hätte. Ob dies zutreffe, lasse das angefochtene Urteil nicht erkennen. Das LSG habe mithin nicht die für die Entscheidung des Rechtsstreits erforderlichen Feststellungen getroffen.
Der Kläger beantragt, die Urteile der Vorinstanzen sowie den Bescheid der Beklagten vom 13. Juni 1983 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Oktober 1983 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 1. Februar 1983 Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren; hilfsweise beantragt er, die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
Die Beklagte hat keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
Die Entscheidung ergeht gemäß § 126 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) nach Aktenlage ohne mündliche Verhandlung, da die Beteiligten auf diese Möglichkeit in der Ladung hingewiesen und im Termin nicht erschienen sind.
Die Revision des Klägers ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung des Rechtsstreits an die Vorinstanz begründet. Die Feststellungen des LSG reichen zur abschließenden Entscheidung des Rechtsstreits nicht aus.
Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, daß der bisherige Beruf des Versicherten aufgrund seines qualitativen Wertes zu ermitteln und einer der in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) gebildeten Gruppen der Arbeiterberufe zuzuordnen ist. Ausgehend davon darf der Versicherte nur auf Tätigkeiten der jeweils niedrigeren Gruppe verwiesen werden, soweit sie ihn nach seinem beruflichen Können und Wissen und seinen gesundheitlichen Kräften nicht überfordern. Den Feststellungen des LSG zu dieser Einordnung und Verweisung kann entnommen werden, daß der Kläger nicht der Gruppe der Facharbeiter, sondern "allenfalls" der Gruppe der Arbeiterberufe mit dem Leitbild des angelernten Arbeiters zuzuordnen ist. Dagegen ist, wie die Revision zutreffend rügt, den Feststellungen des LSG nicht zu entnehmen, ob es den Kläger in den oberen Bereich der Gruppe mit dem Leitberuf des sonstigen Ausbildungsberufs einordnet oder aber ihn dem unteren Bereich dieser Gruppe zuweist.
Nach der neueren Rechtsprechung des BSG kommt es bei Versicherten, die der Gruppe mit dem Leitberuf des sonstigen Ausbildungsberufs zuzurechnen sind, auf diese von der Revision vermißte Feststellung an. Bereits im Urteil vom 15. November 1983 (SozR 2200 § 1246 Nr 109) hat der 1. Senat des BSG darauf hingewiesen, daß - anders als bei ungelernten Arbeitern - die konkrete Benennung zumindest einer Verweisungstätigkeit jedenfalls bei denjenigen Versicherten innerhalb der Gruppe mit dem Leitberuf des angelernten Arbeiters erforderlich sein kann, deren bisheriger Beruf ein staatlich anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildungszeit bis zu zwei Jahren gewesen ist oder wenigstens eine über eine bloße Einweisung und Einarbeitung hinausgehende echte betriebliche Ausbildung vorausgesetzt habe. Die im Vergleich zum Facharbeiter nur geringfügig kürzere Dauer der Regelausbildungszeit könne eine Gleichstellung oder ähnliche Behandlung beider Gruppen der Versicherten angezeigt erscheinen lassen. Diese Rechtsprechung hat der 4a Senat des BSG im Urteil vom 28. November 1985 dahin konkretisiert, daß aus der eingeschränkten Verweisbarkeit der Versicherten im oberen Bereich der Gruppe mit dem Leitberuf des Angelernten die Notwendigkeit der konkreten Bezeichnung mindestens einer in Betracht kommenden Verweisungstätigkeit folge (SozR aaO Nr 132). Dem hat sich der erkennende Senat im Urteil vom 9. September 1986 (SozR aaO Nr 140) angeschlossen. Für die Entscheidung des Rechtsstreits ist somit die konkrete Feststellung erforderlich, ob der Kläger innerhalb der Gruppe mit dem Leitberuf des sonstigen Ausbildungsberufs zum oberen Bereich gehört, oder ob dies nicht der Fall ist. Gelangt das LSG zu dem Ergebnis, daß der Kläger dem oberen Bereich in der Gruppe der sonstigen Ausbildungsberufe angehört, ist sein Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit nur dann zu verneinen, wenn er sich auf eine ungelernte Tätigkeit verweisen lassen muß, die nicht nur ganz geringen qualitativen Wert hat. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des BSG, Versicherte mit dem Leitberuf des sonstigen Ausbildungsberufes "im oberen Bereich" nicht auf ungelernte Tätigkeiten ganz geringen qualitativen Wertes zu verweisen. Vielmehr müssen sich deren zumutbare Verweisungstätigkeiten durch Qualitätsmerkmale - zB durch das Erfordernis einer Einweisung und Einarbeitung oder durch die Notwendigkeit beruflicher oder betrieblicher Vorkenntnisse - auszeichnen (SozR aaO Nrn 140, 132 mwN, BSG-Urteil vom 21. Juli 1987 - 4a RJ 39/86 - mwN). Wegen der hierzu bislang fehlenden Feststellungen bedarf es der Zurückverweisung an die Vorinstanz.
Die Kostenentscheidung bleibt der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Fundstellen