Verfahrensgang
Hessisches LSG (Urteil vom 29.08.1991) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 29. August 1991 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten um das Ende der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Studenten (KVdS).
Die am 5. September 1957 geborene Klägerin absolvierte nach Erlangung der Hochschulreife bis März 1979 eine Ausbildung zur Industriekauffrau und war im Anschluß hieran von April 1979 bis Juni 1981 bei einem Makler für Immobilien in der Schweiz, von Juli 1981 bis September 1982 bei einem Sachverständigen für Grundstücke, Mieten und Pachten, von Oktober 1982 bis Juni 1985 bei einer Versicherung und von Juli 1985 bis September 1988 bei der Universitätsklinik F. …, Abteilung für Medizinische Psychologie, berufstätig. Von Oktober 1988 an studierte sie Architektur, von Oktober 1989 an Psychologie.
Die Klägerin war während des Studiums in der KVdS versicherungspflichtig. Mit Bescheid vom 12. Dezember 1988 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. April 1989 stellte die Beklagte das Ende der Versicherungspflicht zum 31. März 1989 fest, weil die Klägerin das 30. Lebensjahr vollendet habe und Gründe für ein Fortbestehen der Versicherungspflicht nicht vorlägen.
Das Sozialgericht (SG) hat der Klage mit Urteil vom 14. September 1989 stattgegeben, das Landessozialgericht (LSG) sie auf die Berufung der Beklagten mit Urteil vom 29. August 1991 abgewiesen und im wesentlichen ausgeführt: Die Überschreitung der Altersgrenze sei bei der Klägerin nicht gerechtfertigt. Die von ihr geltend gemachten persönlichen bzw familiären Lebensverhältnisse seien kein Grund, der sie zwischen dem Abitur und der Altersgrenze gehindert habe, ein ihrer Neigung und Eignung entsprechendes Studium durchzuführen.
Mit der Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 5 Abs 1 Nr 9 des Sozialgesetzbuchs – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V).
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des LSG vom 29. August 1991 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG vom 14. September 1989 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das LSG hat zutreffend entschieden, daß der angefochtene Bescheid rechtmäßig ist. Die Klägerin ist aus der Versicherungspflicht der Studenten ausgeschieden.
Die Versicherungspflicht der Klägerin als Studentin begann vor 1989 nach den damals noch geltenden Vorschriften des Zweiten Buchs der Reichsversicherungsordnung (RVO). Dieses war durch das Gesetz über die Krankenversicherung der Studenten (KVSG) vom 24. Juni 1975 (BGBl I 1536) um die KVdS erweitert worden. Nach § 165 Abs 1 Nr 5 RVO wurden – unabhängig von ihrem Alter – eingeschriebene Studenten der staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschulen für den Fall der Krankheit versichert. Zu diesen Studenten gehörte auch die Klägerin, als sie vom Wintersemester 1988/89 an das Studium aufnahm.
Die Versicherungspflicht hat bei der Klägerin jedoch nach dem zum 1. Januar 1989 in Kraft getretenen Gesundheits-Reformgesetz (GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I 2477) geendet. Seither sind Studenten nach § 5 Abs 1 Nr 9 Halbs 1 SGB V grundsätzlich nur noch bis zum Abschluß des 14. Fachsemesters, längstens bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres versicherungspflichtig. Die 1957 geborene Klägerin hatte bei Inkrafttreten des neuen Rechts das 30. Lebensjahr vollendet. Gleichwohl blieb sie nach der Übergangsregelung in Art 56 Abs 6 GRG noch bis zum Ende des Wintersemesters 1988/89 (31. März 1989) versicherungspflichtig. Über diesen Zeitpunkt hinaus hat jedoch Versicherungspflicht in der KVdS nicht mehr bestanden. Der Fortbestand der Versicherungspflicht kommt nur nach § 5 Abs 1 Nr 9 Halbs 2 SGB V in Betracht. Nach dieser Vorschrift sind Studenten nach Abschluß des 14. Fachsemesters oder nach Vollendung des 30. Lebensjahres nur noch versicherungspflichtig, wenn die Art der Ausbildung oder familiäre sowie persönliche Gründe die Überschreitung der Altersgrenze oder eine längere Fachstudienzeit rechtfertigen.
In seinem Urteil vom 30. September 1992 (12 RK 40/91, zur Veröffentlichung bestimmt) führt der Senat unter Darlegung der Entwicklung und der Motive für die gesetzliche Regelung aus, daß die Begrenzung der KVdS nicht auf die Abwehr einer mißbräuchlichen Begründung dieser Versicherung beschränkt, sondern allgemein nach einer Höchstdauer der Fachstudienzeit und dem Alter vorgenommen worden ist. Die familiären oder persönlichen Gründe müssen nach dieser Entscheidung, wenn der Ausnahmecharakter des § 5 Abs 1 Nr 9 Halbs 2 SGB V erhalten bleiben soll, im allgemeinen von solcher Art und solchem Gewicht sein, daß sie nicht nur aus der Sicht des Einzelnen, sondern auch bei objektiver Betrachtungsweise die Aufnahme des Studiums oder seinen Abschluß verhindern oder als unzumutbar erscheinen lassen (Hinderungsgründe). Das Studium aufzuschieben, weil dieses als zweckmäßig oder sinnvoll erscheint, reicht demgegenüber nicht aus. Unter Anwendung dieser Grundsätze liegt nach dem Urteil in jenem anderen Verfahren ein anzuerkennender Hinderungsgrund im allgemeinen nicht vor, wenn nach dem Abitur eine Berufsausbildung und eine Berufstätigkeit (dort von insgesamt fast acht Jahren) ausgeübt worden ist, bevor das Studium begonnen hat. Dieses gilt auch, wenn der Eintritt ins Berufsleben Erfahrungen in der Arbeitswelt vermittelt, die in einem Studium nützlich sein und später die Aussichten auf dem Arbeitsmarkt verbessern können. Hiernach ist grundsätzlich die von der Klägerin des vorliegenden Verfahrens zwischen dem Abitur und dem Beginn des Studiums liegende ungefähr zehnjährige Berufsausbildung und -tätigkeit ebenfalls nicht als Hinderungsgrund anzuerkennen.
Auch mögliche Ausnahmen, die der Senat erwogen hat, lassen es bei der Klägerin nicht zu, die genannte Zeit als Hinderungszeit anzusehen. Bei ihr war die Berufstätigkeit nicht dadurch bedingt, daß sie nicht zum Studium zugelassen worden war und mit einer Berufsausbildung die Wartezeit überbrücken wollte (vgl hierzu das Urteil vom 30. September 1992 – 12 RK 50/91, zur Veröffentlichung bestimmt). In dem Urteil zu dem vorher genannten Verfahren 12 RK 40/91 hat der Senat schließlich die Aufnahme einer Berufstätigkeit dann als möglichen Hinderungsgrund bezeichnet, wenn sie durch besonders schwierige familiäre oder persönliche Verhältnisse erzwungen worden ist. Insofern macht die Klägerin geltend, daß ihre Eltern gegen ein Studium gewesen seien und sie sich auch aus finanziellen Erwägungen heraus nicht getraut habe, sich dem Drängen ihrer Eltern zu widersetzen, Sekretärin zu werden. Ob dieses Vorbringen geeignet ist, wenigstens für einige Zeit nach dem Abitur einen Hinderungsgrund darzustellen, ist mit dem LSG zu bezweifeln, zumal die Klägerin möglicherweise Ausbildungsförderung nach den §§ 36, 37 Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) hätte in Anspruch nehmen können. Jedenfalls könnte mit der angegebenen Begründung allenfalls eine kurze Berufstätigkeit als Hinderungszeit anerkannt werden, nicht aber eine Berufstätigkeit von vielen Jahren. Dagegen sprechen auch die vom LSG getroffenen Feststellungen, nach denen ua der Klägerin nach ihrem Vorbringen die kaufmännische Ausbildung wider Erwarten große Freude ob ihrer Vielseitigkeit und guten Erfolge bereitet und sie Tätigkeiten bei verschiedenen Arbeitgebern aufgenommen hat. Wenn sich bei ihr schließlich nach der Revisionsbegründung durch ständige Unterforderung im kaufmännischen Beruf psychosomatische Beschwerden eingestellt haben, so war sie nicht wegen solcher Beschwerden an der Aufnahme des Studiums gehindert, sondern die Beschwerden wurden erst durch die Nichtaufnahme des Studiums verursacht und können daher nicht ihrerseits die Aufnahme des Studiums verhindert haben.
Selbst wenn die Klägerin nach dem Abitur eine gewisse Zeit an der Aufnahme eines Studiums gehindert gewesen sein sollte, könnte deswegen bei ihr die Altersgrenze von 30 Jahren nicht um die gleiche Zeit hinausgeschoben werden. Hierzu führen die Hinderungsgründe iS des § 5 Abs 1 Nr 9 Halbs 2 SGB V vielmehr nur, wenn sie die Überschreitung der Altersgrenze rechtfertigen, sie mithin für das Studium noch nach Vollendung des 30. Lebensjahres ursächlich sind. Diese Ursächlichkeit muß jeweils geprüft und festgestellt werden. Hiermit ist es nicht vereinbar, die Altersgrenze in der KVdS ohne weiteres um die Zeit anzuheben, für die nach dem Abitur Hinderungsgründe vorgelegen haben, weil dann die Kausalität nicht geprüft, sondern als gegeben unterstellt würde. Die gebotene konkrete Untersuchung der Ursächlichkeit ergibt bei Sachverhalten wie dem vorliegenden, in dem nach dem Abitur allenfalls eine gewisse Hinderungszeit vorliegt, der jedoch eine weit längere Zeit der Nichtverhinderung folgt, daß für die Überschreitung der Altersgrenze nicht der Hinderungsgrund, sondern die lange Berufstätigkeit maßgebend gewesen ist. Ob sich in der Kausalitätsfrage eine Übereinstimmung mit der Rechtsprechung der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit zur Ausbildungsförderung herstellen läßt (§ 10 Abs 3 BAföG), kann offen bleiben.
Die Überschreitung der Altersgrenze war bei der Klägerin auch nicht durch die „Art der Ausbildung” gerechtfertigt. Darunter können eine Berufsausbildung und eine Berufsausübung nach dem Abitur, die keinen fachlichen Bezug zu dem aufgenommenen Studium haben, nicht verstanden werden. Die Klägerin will auch, indem sie sich auf die Art der Ausbildung beruft, erkennbar nur geltend machen, sie werde hinsichtlich der Berufstätigkeit gegenüber den in § 5 Abs 1 Nr 9 Halbs 2 SGB V angesprochenen Absolventen des Zweiten Bildungswegs benachteiligt, bei denen das Überschreiten der Altersgrenze trotz der früheren Berufstätigkeit als gerechtfertigt angesehen werde. Eine sachlich nicht gerechtfertigte Benachteiligung der Klägerin liegt jedoch nicht vor. Bei Studenten, die die Zugangsvoraussetzungen zum Studium in einer Ausbildungsstätte des Zweiten Bildungswegs erworben haben, ist nach dem Urteil vom 30. September 1992 (12 RK 3/91, zur Veröffentlichung bestimmt) nur die in einer solchen Ausbildungsstätte verbrachte Zeit als Hinderungszeit anzuerkennen, in der Regel jedoch nicht die Zeit der Berufstätigkeit vor dem Beschreiten des Zweiten Bildungswegs, es sei denn, dieser setzt seinerseits die Berufstätigkeit voraus. Bei einer solchen Anwendung des § 5 Abs 1 Nr 9 Halbs 2 SGB V auf Absolventen des Zweiten Bildungswegs liegt eine verfassungswidrige Benachteiligung von Studenten wie der Klägerin, die nach dem Schulbesuch im Alter von 19 oder 20 Jahren das Abitur abgelegt haben und dann zunächst berufstätig gewesen sind, nicht vor (vgl das Urteil in dem Verfahren 12 RK 40/91). Auch im übrigen bestehen gegen die Neuregelung keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.
Hiernach erwies sich die Revision der Klägerin als unbegründet. Sie war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen