Entscheidungsstichwort (Thema)
Ersetzung des Kinderzuschusses durch Kindergeld verfassungsgemäß
Leitsatz (amtlich)
Renten erhöhen sich für ein Kind, für das der Rentenberechtigte vor dem 1.1.1984 keinen Anspruch auf Kinderzuschuß gehabt hat, auch dann nicht um den Kinderzuschuß, wenn der Rentenberechtigte nur wegen einer Wehr- oder Ersatzdienstleistung des Kindes keinen Anspruch auf Kinderzuschuß gehabt hat.
Orientierungssatz
1. § 39 Abs 1 S 1 (= § 1262 Abs 1 S 1 RVO) idF des HBegleitG 1984 vom 23.12. 1983 verstößt nicht gegen Art 3 Abs 1 GG. Die durch das HBegleitG 1984 bewirkte allgemeine Ersetzung des Kinderzuschusses in der Rentenversicherung durch das Kindergeld hat neben der Gleichbehandlung in den Leistungen für Kinder dazu dienen sollen, die Finanzentwicklung der Rentenversicherung zu stabilisieren.
2. Daß die Leistung von Wehr- und Zivildienst nicht zu Nachteilen führen soll, ist zwar ein Anliegen, dem allgemein Rechnung getragen werden sollte; zu einem bindenden Rechtsgrundsatz, den der Gesetzgeber auch bei pauschalierenden Übergangsregelungen zu beachten hätte, ist dieser Gedanke jedoch noch nicht erstarkt.
Normenkette
AVG § 39 Abs 1 S 1 Fassung: 1983-12-22; RVO § 1262 Abs 1 S 1 Fassung: 1983-12-22; GG Art 3 Abs 1 Fassung: 1949-05-23; HBegleitG 1984 Fassung: 1983-12-23; GG Art 3 Abs 1
Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 28.11.1984; Aktenzeichen L 5 A 79/84) |
SG Speyer (Entscheidung vom 09.08.1984; Aktenzeichen S 8 A 41/84) |
Tatbestand
Im Prozeß geht es um die Frage, ob der Kläger zu seinem Altersruhegeld ab Februar 1984 Kinderzuschuß für seinen Sohn erhalten kann, der bis Januar 1984 Ersatzdienst leistete.
Der Kläger bezieht aufgrund eines am 30. Juni 1983 eingetretenen Versicherungsfalles seit 1. Juli 1983 von der Beklagten Altersruhegeld nach § 25 Abs 1 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG). Im Januar 1984 beantragte er den Kinderzuschuß für seinen im Jahr 1964 geborenen Sohn Herbert. Dieser hatte vom 1. Oktober 1982 bis 31. Januar 1984 zunächst Wehr- und dann Zivildienst (Ersatzdienst) geleistet; er nahm im Sommersemester 1984 das Studium der Medizin auf. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 31. Januar 1984 den Antrag ab, weil der Kläger nicht schon vor dem 1. Januar 1984, wie das § 39 Abs 1 Satz 1 AVG verlange, Anspruch auf Kinderzuschuß für seinen Sohn gehabt habe.
Das Sozialgericht (SG) Speyer hat mit Urteil vom 9. August 1984 den Bescheid aufgehoben und die Beklagte zur Zahlung von Kinderzuschuß ab 1. Februar 1984 verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hin hat das Landessozialgericht (LSG) die Klage abgewiesen und ausgeführt: § 39 Abs 1 Satz 1 AVG stelle in der ab 1. Januar 1984 geltenden Fassung durch das Haushaltsbegleitgesetz (HBegleitG) 1984 vom 22. Dezember 1983 (BGBl I, 1532) darauf ab, ob vor 1984 ein Anspruch auf Kinderzuschuß bestanden habe, das sei hier nicht der Fall gewesen. Auf den Eintritt des Versicherungsfalles komme es nicht an; wenn in der Allgemeinen Begründung des Gesetzentwurfes (BT-Drucks 10/335 S 60) von "künftigen Versicherungsfällen" die Rede sei, so seien damit entsprechend der Besonderen Begründung (S 74) nur künftige Anspruchs- oder Leistungsfälle gemeint. Die Vorschrift verstoße nicht gegen die Art 3 und 6 des Grundgesetzes (GG).
Mit der Revision trägt der Kläger vor: Der Gesetzgeber habe den Kinderzuschuß nicht in den Fällen verweigern wollen, in denen ein Antrag wegen Wehr- oder Zivildienstes des Kindes nicht habe gestellt werden können. Anderenfalls hätte er gegen das GG verstoßen. Er beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt, daß der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheidet.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Er kann, wie das LSG zutreffend entschieden hat, für Zeiten ab Februar 1984 keinen Kinderzuschuß für seinen Sohn Herbert beanspruchen. Zwar wären ab "Sommer 1984" aufgrund des Medizinstudiums des Sohnes die Voraussetzungen des § 39 Abs 3 Satz 2 AVG erfüllt; die Gewährung von Kinderzuschuß scheitert jedoch an § 39 Abs 1 Satz 1 AVG, der hier idF des HBegleitG 1984 anzuwenden ist (Art 39 Abs 1). Nach dieser Vorschrift erhöht sich das Altersruhegeld um den Kinderzuschuß für jedes Kind, für das der Rentenberechtigte vor dem 1. Januar 1984 einen Anspruch auf Kinderzuschuß gehabt hat. Letzteres war hier nicht der Fall.
Vor 1984 kann ein Berechtigter nur dann einen "Anspruch" auf Kinderzuschuß gehabt haben, wenn er in einem damaligen Zeitraum die Voraussetzungen erfüllt hatte, von denen das damalige Recht die Gewährung des Kinderzuschusses abhängig gemacht hat. Es genügt also nicht eine Art "Stammrecht" oder ein "Anspruch dem Grunde nach", wie der Kläger meint. Das entspricht dem Sinn des Gesetzes, das Kinderzuschuß künftig nur noch gewähren will, wenn früher ein Anspruch auf Gewährung bestand.
Der Kläger hat aber vor dem 1. Januar 1984 niemals Anspruch auf Kinderzuschuß für seinen Sohn Herbert gehabt. Für die Zeit vor dem 1. Juli 1983 ergibt sich das schon aus dem Umstand, daß er damals noch keine Rente bezog, der Kinderzuschuß aber nur zu einer solchen gewährt wird. Aber auch in den Monaten Juli bis Dezember 1983 stand dem Kläger ein Kinderzuschuß für Herbert nicht zu. Denn nach § 39 Abs 3 Satz 2 AVG in der seit 1. Juni 1970 geltenden Fassung des Gesetzes vom 25. Januar 1971 (BGBl I, 65) wurde der Kinderzuschuß für ein über 18 Jahre altes Kind nur bei Vorliegen der dort bestimmten Voraussetzungen (Schul- oder Berufsausbildung uä) gewährt. Hierzu gehörten Wehr- und Ersatzdienst nicht (BSGE 34, 200, 201); sie haben nicht einmal einen nur "ruhenden" Anspruch auf Kinderzuschuß ausgelöst, so daß hier dahingestellt bleiben kann, ob bei früher "ruhenden" Ansprüchen § 39 Abs 1 Satz 1 AVG anwendbar wäre.
Dem Ergebnis steht die Gesetzesbegründung nicht entgegen. In ihr heißt es zwar in II A 7, der Kinderzuschuß solle vom 1. Januar 1984 an "für künftige Versicherungsfälle" durch das Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz ersetzt werden; die Ersetzung solle, um Eingriffe in laufende Leistungen zu vermeiden, "nur für künftige Versicherungsfälle" gelten. Dies kann jedoch nicht bedeuten, daß der Gesetzgeber damit sämtliche Fälle, in denen ein Versicherungsfall für die Rentengewährung - wie hier der Versicherungsfall des Altersruhegeldes - schon vor dem Stichtag eingetreten war, von der künftigen Ersetzung des Kinderzuschusses durch das Kindergeld habe ausnehmen wollen. In den weiteren Ausführungen und im Gesetzeswortlaut hat er nämlich für maßgebend erachtet, ob für das Kind schon vor 1984 ein Anspruch auf Kinderzuschuß bestanden hat (aaO S 74) bzw - einengend auf den Rentenberechtigten - ob der Rentenberechtigte schon vor 1984 für das Kind einen solchen Anspruch gehabt hat (BT-Drucks 10/690 S 24; § 39 Abs 1 Satz 1 AVG). Das kann nur in solchen Fällen zutreffen, in denen ein Versicherungsfall für die Rentengewährung vor 1984 eingetreten ist. Nur wenn dann der Rentenberechtigte außerdem Anspruch auf Kinderzuschuß besaß, sollte für Zeiten ab 1. Januar 1984 für ihn von einer Ersetzung des Kinderzuschusses durch das Kindergeld abgesehen werden.
Mit diesem Inhalt verstößt § 39 Abs 1 Satz 1 AVG nicht gegen Art 3 Abs 1 GG, dessen Verletzung der Kläger im Revisionsverfahren noch rügt. Die durch das HBegleitG 1984 bewirkte allgemeine Ersetzung des Kinderzuschusses in der Rentenversicherung durch das Kindergeld hat neben der Gleichbehandlung in den Leistungen für Kinder dazu dienen sollen, die Finanzentwicklung der Rentenversicherung zu stabilisieren (BT-Drucks 10/335 S 2). Diese Gründe rechtfertigten es, auch den Rentenberechtigten künftig das für das erste und zweite Kind niedrigere, vom dritten Kind aber höhere Kindergeld zu gewähren. Mit § 39 Abs 1 Satz 1 AVG hat der Gesetzgeber hierzu eine "Übergangsregelung" geschaffen. Danach ist die Weitergewährung von Kinderzuschuß an Rentenberechtigte nur vorgesehen, wenn sie irgendwann vor 1984 schon einmal Anspruch auf Kinderzuschuß gehabt haben. Auch diese Regelung erscheint sachlich einleuchtend, weil sie pauschalierend an einen vorher erreichten "Besitzstand" anknüpft. Der Gesetzgeber mußte nicht weiter danach differenzieren, aus welchen Gründen vor 1984 kein Anspruch auf Kinderzuschuß zugestanden hat. Selbst wenn es an einem solchen Anspruch nur deshalb fehlte, weil das Kind (Sohn) vor 1984 Wehr- oder Zivildienst leistete und deshalb nicht in Schul- oder Berufsausbildung stehen konnte, war der Gesetzgeber nicht verpflichtet, für diese Rentenberechtigten zusätzlich eine Sonderbestimmung im Übergangsrecht zu schaffen. Daß die Leistung von Wehr- und Zivildienst nicht zu Nachteilen führen soll, ist zwar ein Anliegen, dem allgemein Rechnung getragen werden sollte; zu einem bindenden Rechtsgrundsatz, den der Gesetzgeber auch bei pauschalierenden Übergangsregelungen zu beachten hätte, ist dieser Gedanke jedoch noch nicht erstarkt.
Die Revision war daher als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen