Leitsatz (amtlich)
Es ist auch im Rahmen des AnVNG Art 2 § 49a Abs 1 (= ArVNG Art 2 § 51a Abs 1) nicht zulässig, bereits entrichtete Beiträge nachträglich "aufzustocken".
Leitsatz (redaktionell)
Nachentrichtung (Aufstockung, Umwandlung) von bereits entrichteten freiwilligen Rentenversicherungsbeiträgen im Nachentrichtungsverfahren nach AnVNG Art 2 § 49a:
1. Ein Recht auf Nachentrichtung freiwilliger Rentenversicherungsbeiträge nach AnVNG Art 2 § 49a besteht innerhalb des gesetzlich festgelegten Rahmens nur für solche Zeiten, die nicht bereits mit Pflicht- oder freiwilligen Beiträgen belegt sind. Dies gilt nicht nur für die Nachentrichtung nach Abs 2 sondern auch für die nach Abs 1 der genannten Vorschrift, denn aus der Tatsache, daß in AnVNG Art 2 § 49a Abs 1 ein entsprechender Hinweis wie in Abs 2 fehlt, kann nicht gefolgert werden, daß nach Abs 1 eine Aufstockung (Umwandlung) der bereits entrichteten freiwilligen Beiträge möglich ist.
2. Die Vorschrift des AnVNG Art 2 § 49a verstößt in dieser Auslegung nicht gegen den Gleichheitssatz des GG Art 3 Abs 1.
Normenkette
AnVNG Art. 2 § 49a Abs. 1 Fassung: 1972-10-16, Abs. 2 Fassung: 1972-10-16; ArVNG Art. 2 § 51a Abs. 1 Fassung: 1972-10-16, Abs. 2 Fassung: 1972-10-16; AVG § 129 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1957-02-23, § 140 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1407 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1957-02-23, § 1418 Fassung: 1957-02-23; GG Art. 3 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 30. Juni 1976 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger berechtigt ist, seine bereits für einen früheren Zeitraum entrichteten freiwilligen Beiträge zur Rentenversicherung der Angestellten (AV) auf die jeweiligen Höchstbeiträge aufzustocken.
Der Kläger entrichtete von Juni 1948 an freiwillige Beiträge zur AV. Vom 1. April 1965 an war er als Selbständiger erwerbstätig. Von diesem Zeitpunkt ab bis einschließlich Dezember 1970 und im Jahr 1972 sind alle Monate mit freiwilligen Beiträgen belegt.
Mit Bescheid vom 9. November 1973 nahm die Beklagte den Kläger auf dessen Antrag vom Oktober 1973 als Selbständigen in die Pflichtversicherung der Angestellten auf. Gleichzeitig lehnte sie die vom Kläger begehrte Aufstockung der entrichteten freiwilligen Beiträge auf die Höchstbeiträge ab. Widerspruch und Klage blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 7. März 1974, Urteil des Sozialgerichts - SG - Düsseldorf vom 12. November 1975). Das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 30. Juni 1976). Zur Begründung hat das LSG im wesentlichen ausgeführt: Ein Recht zur Nachentrichtung freiwilliger Beiträge bestehe innerhalb des gesetzlich festgelegten Rahmens nur für solche Zeiten, die nicht bereits mit Pflicht- oder freiwilligen Beiträgen belegt seien. Dies gelte für Art 2 § 49 a Abs 1 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) ebenso wie für Abs 2 dieser Vorschrift. Aus der Tatsache, daß Abs 2 die Beschränkung der Nachentrichtung auf nicht mit Beiträgen belegte Zeiten ausdrücklich enthalte, rechtfertige sich nicht der Umkehrschluß, daß diese Einschränkung für die Personengruppe des Art 2 § 49 a Abs 1 AnVNG nicht gelte. Auch diese Berechtigten könnten Beiträge nur für nicht bereits mit Beiträgen belegte Zeiten nachentrichten und dürften rechtsgültig entrichtete freiwillige Beiträge nicht nachträglich erhöhen. Denn mit der rechtsgültigen Entrichtung eines freiwilligen Beitrages in einer bestimmten Beitragsklasse habe der Berechtigte sein Beitragsklassenwahlrecht verbraucht. Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes (GG) liege nicht vor.
Der Kläger hat - die vom LSG zugelassene - Revision eingelegt. Er rügt eine Verletzung des Art 2 § 49 a Abs 1 AnVNG und des Art 3 GG. Nach seiner Auffassung ist der Umkehrschluß aus Art 2 § 49 a Abs 2 AnVNG zulässig und geboten. Nach dem Wortlaut der Vorschrift sei das Recht zur Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen für bereits belegte Zeiten nur in Abs 2 ausgeschlossen. Aus dem Hintergrund der Neuregelung des § 49 a AnVNG sei es zu verstehen, daß der Gesetzgeber in Abs 1 eine dem Abs 2 entsprechende Regelung nicht aufgenommen habe. Sinn und Zweck der Neuregelung sei es nämlich gewesen, so viele Selbständige wie nur irgend möglich in die gesetzliche Pflichtversicherung einzubeziehen. Während die Selbständigen als Pflichtversicherte und damit fast immer zu Höchstbeiträgen eintreten sollten, sei der Gesetzgeber gar nicht daran interessiert gewesen, freiwillig versicherte Mitglieder in größerem Umfange zu erhalten. Bei diesen sei nämlich nicht abzusehen, wieviele Beiträge und in welcher Höhe sie entrichten würden. Die bisherigen Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) zur Frage der Aufstockung von Beiträgen stünden nicht entgegen, da sie andere Fälle behandelten. Bei der Abwägung nach Art 3 GG komme es allein darauf an, wie der von der gesetzlichen Regelung betroffene Personenkreis, also die pflichtversicherten Selbständigen, hinsichtlich zurückliegender Zeiten behandelt würden. Bei der vom LSG vorgenommenen Auslegung des Art 2 § 49 a Abs 1 AnVNG sei aber eine unterschiedliche Behandlung danach gegeben, ob diese Personen vorher das Recht zur freiwilligen Versicherung ausgeübt hätten oder nicht.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Urteils des LSG und des Bescheides vom 9. November 1973 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. März 1974 zu verurteilen, die Aufstockung der von ihm für die Zeit vom 1. Januar 1968 bis zum 31. Dezember 1972 entrichteten freiwilligen Beiträge auf die jeweiligen Höchstbeträge zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Sie ist zurückzuweisen.
Das LSG hat zu Recht entschieden, daß der Kläger nicht berechtigt ist, seine früher entrichteten freiwilligen Beiträge durch Nachentrichtung auf die jeweiligen Höchstbeiträge aufzustocken. Es hat sich hierbei zutreffend auf die Rechtsprechung des BSG bezogen, die zur Frage der nachträglichen Änderung bereits wirksam entrichteter freiwilliger Beiträge ergangen ist.
Das BSG hat in ständiger Rechtsprechung - zu anderen Nachentrichtungsvorschriften in der gesetzlichen Rentenversicherung - die nachträgliche Aufstockung, Aufspaltung, Zusammenlegung oder Verschiebung bereits entrichteter Beiträge für unzulässig gehalten (BSG SozR Nr 10 zu Art 2 § 52 ArVNG; BSG Urteil vom 22. August 1967 - 11 RA 338/64 - DAngVers 1968, 67; BSG SozR Nr 38 zu Art 2 § 42 ArVNG; BSG SozR Nr 8 zu § 1418 RVO; BSG SozR Nr 3 zu § 1407 RVO; BSGE 35, 178 = SozR Nr 4 zu § 1407 RVO).
Mit diesen Entscheidungen hat das BSG einen dem Versicherungsverhältnis in der gesetzlichen Rentenversicherung eigenen Wesenszug herausgestellt, wonach dieses Verhältnis grundsätzlich nachträglich nicht mehr geändert werden kann. Ausfluß dieses Prinzips ist sowohl die Vorschrift des § 140 AVG (= § 1418 RVO), nach dessen Abs 1 Pflichtbeiträge und freiwillige Beiträge unwirksam sind, wenn sie nicht innerhalb der vorgesehenen Fristen entrichtet werden, als auch die Vorschrift des § 129 Abs 2 Satz 1 AVG (= § 1407 Abs 2 Satz 1 RVO), wonach für jeden Kalendermonat nur ein Beitrag entrichtet werden kann. Von diesen grundsätzlichen Regelungen ist auch der Gesetzgeber bei der Schaffung der Ausnahmevorschrift des Art 2 § 49 a AnVNG (= Art 2 § 51 a ArVNG) ausgegangen. Er mußte daher erst die generelle Sperrwirkung des § 140 AVG (= § 1418 RVO) für die neugeschaffenen Nachentrichtungsmöglichkeiten aufheben, was sowohl in Abs 1 als auch in Abs 2 des Art 2 § 49 a AnVNG geschehen ist. Indem er außerdem in Art 2 § 49 a Abs 2 AnVNG darauf hinwies, daß sich die Nachentrichtung nur auf noch nicht mit Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung belegte Zeiten erstrecken kann, hat er den schon in § 129 Abs 2 Satz 1 AVG enthaltenen Grundsatz lediglich noch einmal ausdrücklich betont. Dem Argument des Klägers, aus der Tatsache, daß in Art 2 § 49 a Abs 1 AnVNG ein solcher Hinweis nicht enthalten ist, sei im Wege des Umkehrschlusses zu folgern, daß sich nach dieser Vorschrift die Nachentrichtung auch auf bereits mit Beiträgen belegte Zeiten erstrecken könne, kann nicht gefolgt werden. Hierbei wird nämlich verkannt, daß es sich bei Art 2 § 49 a Abs 1 und 2 AnVNG um Vorschriften handelt, die das Recht zur Nachentrichtung freiwilliger Beiträge ausnahmsweise anders regeln als nach den allgemeinen Nachentrichtungsvorschriften des AVG. Dem Charakter einer Ausnahmevorschrift entsprechend, bedarf es daher einer ausdrücklichen Beseitigung oder Abänderung der allgemeinen Vorschriften oder der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale in der jeweiligen Ausnahmevorschrift. Das ist aber hinsichtlich des in § 129 Abs 2 Satz 1 AVG normierten allgemeinen Grundsatzes des Doppelbelegungs- und Aufstockungsverbotes in Art 2 § 49 a Abs 1 AnVNG nicht geschehen. Eine nochmalige Erwähnung dieses Verbotes in Abs 2 dieser Vorschrift wäre an sich gar nicht erforderlich gewesen. Sie erscheint jedoch im Hinblick darauf verständlich, daß Abs 2 - im Gegensatz zu Abs 1 - die Art und Weise der Nachentrichtung genau regelt.
Die Vorschrift des Art 2 § 49 a AnVNG verstößt - wie das LSG richtig erkannt hat - in der ihr gegebenen Auslegung auch nicht gegen den Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG. Der Gesetzgeber hat, indem er mit der Zulassung der Nachentrichtung von Beiträgen nicht gleichzeitig auch die Aufstockung bereits entrichteter freiwilliger Beiträge zugelassen hat, die ihm im Rahmen des Art 3 Abs 1 GG zukommende Gestaltungsfreiheit nicht überschritten. Wie das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seinem Beschluß vom 27. September 1978 - 1 BvL 31/76 - (DB 1978, 2416) inzwischen ausdrücklich entschieden hat, konnte der Gesetzgeber die Nachentrichtung von Beiträgen im Rentenreformgesetz 1972 für bisher nicht belegte Zeiten und die Erhöhung bereits entrichteter Beiträge ("Aufstockung") als rechtlich verschiedene Sachverhalte bewerten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen