Leitsatz (amtlich)
Für die Rücknahme von Rentenbescheiden über die Gewährung von Altersgeld für Landwirte gelten nach GAL 1957 § 21 die Vorschriften der Unfallversicherung entsprechend. Danach kann ein wegen rechtsirriger Gesetzesauslegung fehlerhafter Bescheid über die Bewilligung von Altersgeld nicht nach den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts über die Rücknahme fehlerhafter Verwaltungsakte aufgehoben werden.
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Grundsätze des allgemeinen Verwaltungsrechts über die Rücknahme fehlerhafter begünstigender Verwaltungsakte finden in der gesetzlichen Unfallversicherung keine Anwendung.
2. Der nach GAL 1957 § 8 Abs 4 wegen Bezugs einer Rente von der Beitragspflicht zur Altershilfe für Landwirte befreite landwirtschaftliche Unternehmer gehört nicht zum Kreise der beitragspflichtigen Unternehmer iS des GAL 1957 § 25 Abs 1.
Normenkette
SGG § 77 Fassung: 1953-09-03; GAL § 8 Abs. 4 Fassung: 1957-07-27; GAL 1957 § 8 Abs. 4 Fassung: 1957-07-27; GAL § 21 Fassung: 1957-07-27; GAL 1957 § 21 Fassung: 1957-07-27; GAL § 25 Abs. 1 Fassung: 1957-07-27; GAL 1957 § 25 Abs. 1 Fassung: 1957-07-27
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 17. Mai 1960 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Der am 12. März 1893 geborene Kläger hat von 1926 bis November 1957 in H... einen landwirtschaftlichen Betrieb von 6,6 ha Größe bewirtschaftet. Danach verpachtete er ihn vom 1. Dezember 1957 an auf die Dauer von neun Jahren an seine Tochter.
Im Januar 1958 - also kurz vor Vollendung seines 65. Lebensjahres - beantragte er bei der Beklagten die Gewährung von Altersgeld nach § 25 des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte (GAL). Dabei gab er an, daß er seit 1955 eine Rente aus der Arbeiterrentenversicherung bezog.
Durch eine "Mitteilung" vom 10. April 1958, die keine Rechtsmittelbelehrung enthielt, bewilligte ihm die Beklagte das begehrte Altersgeld vom 1. März 1958 an, und zwar mit Rücksicht auf die bereits gewährte Invalidenrente gemäß § 25 Abs. 3 GAL in Höhe von monatlich 30,-- DM.
Durch einen mit vollständiger Rechtsmittelbelehrung versehenen "Bescheid" vom 30. Juni 1959 erklärte die Beklagte ihre Mitteilung vom 10. April 1958 für ungültig und lehnte den Antrag auf Altersgeld ab. Zur Begründung führte sie aus, wegen des Rentenbezuges sei der Kläger im Zeitpunkt der Entäußerung seines Betriebes kein "beitragspflichtiger" hauptberuflicher landwirtschaftlicher Unternehmer im Sinne des § 25 GAL gewesen, das Altersgeld sei ihm daher zu Unrecht gewährt worden; von einer Rückforderung der seit dem 1. März 1958 bis 30. Juni 1959 gezahlten Beträge sah die Beklagte vorerst ab.
Gegen den Bescheid vom 30. Juni 1959 erhob der Kläger Klage vor dem Sozialgericht (SG) Gießen. Durch Urteil vom 14. Dezember 1959 wurde der Bescheid aufgehoben und die Beklagte zur Weiterzahlung der entzogenen Rente verurteilt, weil der Widerruf des Bewilligungsbescheides gesetzlich nicht zulässig gewesen sei. Derselben Auffassung war das Hessische Landessozialgericht (LSG), das in seinem die Berufung der Beklagten zurückweisenden Urteil vom 17. Mai 1960 die Revision zuließ.
Gegen das ihr am 13. Juni 1960 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 2. Juli 1960 Revision eingelegt und diese nach Verlängerung der Begründungsfrist am 13. September 1960 begründet. Sie rügt Verkennung des § 77 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Nach den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts, vor allem nach der Lehre vom Widerruf fehlerhafter Verwaltungsakte, sei in Fällen der vorliegenden Art, in denen einem Landwirt aus Rechtsgründen das Altersgeld zu Unrecht bewilligt worden sei, die Aufhebung des begünstigenden Verwaltungsaktes möglich. Rechtswidrige, begünstigende Verwaltungsakte dürften zurückgenommen werden, wenn das allgemeine öffentliche Interesse an der Beseitigung des rechtswidrigen Zustandes das Interesse des Begünstigten an dem Bestand des Verwaltungsaktes überwiege.
Die Beklagte und Revisionsklägerin beantragt,
das Urteil des LSG vom 17. Mai 1960 und das Urteil des SG vom 14. Dezember 1959 aufzuheben und die Klage gegen ihren Bescheid vom 30. Juni 1959 abzuweisen.
Der Kläger und Revisionsbeklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er ist der Auffassung, das Altersruhegeld sei ihm zu Recht bewilligt worden. § 8 Abs. 4 GAL beziehe sich nur auf landwirtschaftliche Unternehmer, die nach Vollendung des 51. Lebensjahres erstmalig beitragspflichtig werden. Er erfasse damit nicht Landwirte, die bereits bei Inkrafttreten des GAL über 51 Jahre alt und Rentenbezieher waren und damit zu diesem Zeitpunkt an sich nach § 8 Abs. 1 GAL "beitragspflichtig" waren. § 8 GAL unterscheide zwischen von der Beitragspflicht befreiten landwirtschaftlichen Unternehmern und solchen, die - wie z.B. nach § 8 Abs. 6 - nicht beitragspflichtig seien. Die von der Beitragspflicht befreiten landwirtschaftlichen Unternehmer fielen ebenfalls unter § 25 GAL. Abgesehen hiervon sei der Widerruf auch deswegen unzulässig gewesen, weil der frühere Bewilligungsbescheid bindend geworden sei.
II
Die form- und fristgerecht eingelegte und rechtzeitig begründete Revision ist nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthaft, jedoch nicht begründet.
Die Vorinstanzen sind zutreffend davon ausgegangen, daß dem Kläger das Altersgeld zu Unrecht bewilligt worden ist. Nach § 25 GAL erhalten unter bestimmten weiteren Voraussetzungen Altersgeld "ehemalige hauptberufliche landwirtschaftliche Unternehmer sowie nach diesem Gesetz beitragspflichtige Unternehmer". Ehemaliger hauptberuflicher landwirtschaftlicher Unternehmer war der Kläger nicht, weil er seinen Hof erst nach dem Inkrafttreten des GAL, d.h. nach dem 1. Oktober 1957, seiner Tochter übergeben hat. Er war aber auch nicht "nach diesem Gesetz beitragspflichtiger Unternehmer". Hierzu hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 8. April 1960 - 3 RLw 2/59 - (BSG 12, 85) ausgeführt, daß derjenige, der nach § 8 Abs. 4 GAL wegen des Bezuges einer Rente von der Beitragspflicht zur Altershilfe der Landwirte befreit ist, nicht zum Kreis der beitragspflichtigen Unternehmer im Sinne des § 25 Abs. 1 GAL gehört. Hieran ist festzuhalten. Diese Auslegung entspricht allein dem Sinn und Zweck des Gesetzes. Es wollte die in § 8 Abs. 4 genannten Unternehmer von der Beitragspflicht befreien, weil ihre Alterssicherung bereits durch die Rente aus der Rentenversicherung gewährleistet erschien. § 25 GAL regelt sodann die Übernahme der sogenannten alten Last, d.h. die Gewährung von Altersgeld ohne oder bei lediglich teilweiser Erfüllung der Wartezeit. Nur bei einer Einbeziehung der alten Last konnte neben dem sozialpolitischen auch das erstrebte agrarpolitische Ziel erreicht werden, die frühzeitige Hofübergabe an die gegenwärtige junge Generation zu fördern. Es bestand jedoch nicht die Absicht, das Altersgeld auch denjenigen beitragslosen Landwirten zuzubilligen, die bereits auf Grund der Rentenversicherung eine Sicherung - wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß - genießen (Schewe-Zöllner, Altershilfe der Landwirte, § 8 GAL zu III 3). Mit Rücksicht hierauf können daraus, daß § 8 Abs. 4 GAL von landwirtschaftlichen Unternehmern spricht, die "erstmalig beitragspflichtig werden", nicht die von der Revision vorgetragenen Folgerungen gezogen werden. Insbesondere kann § 8 Abs. 4 GAL nicht dahin verstanden werden, daß hierunter nur landwirtschaftliche Unternehmer fallen, die deshalb erst nach Vollendung des 51. Lebensjahres erstmalig beitragspflichtig werden, weil sie erst in diesem Alter eine Tätigkeit als hauptberufliche landwirtschaftliche Unternehmer beginnen. Das kann schon deswegen nicht richtig sein, weil über 50 jährige, aber noch nicht 65 jährige Personen im allgemeinen Renten nur wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit beziehen können. Berufs- und Erwerbsunfähigkeit schließen es aber in der Regel aus, daß der in seiner Erwerbsfähigkeit schon erheblich geminderte Rentenempfänger erst nach Eintritt dieses Zustandes noch hauptberuflicher landwirtschaftlicher Unternehmer wird. Wer jedoch wirklich erst während des Rentenbezuges, oder weil er die Voraussetzungen des § 1229 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 der Reichsversicherungsordnung (RVO) erfüllt, in die Lage versetzt wird, hauptberuflicher landwirtschaftlicher Unternehmer zu werden, soll nach der gesetzlichen Regelung nicht den Vorzug haben, von der Beitragspflicht völlig befreit zu sein, gleichwohl aber später nach Veräußerung seines landwirtschaftlichen Unternehmens ohne jede Beitragsleistung einen Anspruch auf Altersgeld nach § 25 GAL zu erwerben. Hiermit im Einklang steht im übrigen § 8 Abs. 2 des Entwurfes eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte (BT-Drucks. 1110 vom 21. Mai 1959). Er bezeichnet ua die landwirtschaftlichen Unternehmer, die eine Rente aus den gesetzlichen Rentenversicherungen beziehen, nunmehr ausdrücklich als "nicht beitragspflichtig".
Auf die vom Kläger vertretene Ansicht, für die Altersgeldzahlung nach § 25 GAL könne es nicht darauf ankommen, daß die Beitragspflicht vom 1. Oktober 1957 an ununterbrochen bis zur Übergabe oder Entäußerung bestanden habe (so Schewe-Zöllner aaO Anm. II 2a), braucht hier nicht eingegangen zu werden. Sie hat für die Auslegung des Begriffs des "beitragspflichtigen Unternehmers" im Sinne des § 25 GAL keine Bedeutung.
War somit dem Kläger das Altersgeld zu Unrecht bewilligt worden, so hängt die Rechtmäßigkeit der Rücknahme des Bewilligungsbescheides davon ab, ob die Bindung der Beklagten an den Bescheid nach § 77 SGG seine Rücknahme ausschließt. Nach dieser Vorschrift wird ein Verwaltungsakt, gegen den ein gegebener Rechtsbehelf nicht oder erfolglos eingelegt ist, für die Beteiligten bindend, "soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist". Um einen solchen Verwaltungsakt handelte es sich bei der "Mitteilung" vom 10. April 1958; denn durch sie war dem Kläger die begehrte Leistung, das Altersgeld nach § 25 GAL, bewilligt worden. Auf die fehlende Rechtsmittelbelehrung würde es selbst dann nicht ankommen, wenn man annehmen wollte, daß die Bindung des Versicherungsträgers ... an seinen Verwaltungsakt nach § 77 SGG auch für ihn erst mit dem Ablauf der Anfechtungsfrist eintritt (vgl. dazu Haueisen, DÖV 1961, 121, 125), denn das Fehlen der Rechtsmittelbelehrung hat nur zur Folge, daß der Bewilligungsbescheid mit Rücksicht auf § 66 SGG erst im April 1959 - also auch noch vor dem Rücknahmebescheid vom 30. Juni 1959 - unanfechtbar wurde.
Für von Anfang an fehlerhafte, aber unanfechtbar gewordene begünstigende Verwaltungsakte hat der 11. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) in den Urteilen vom 12. März und 17. Juli 1958 sowie vom 11. Juni 1959 (BSG 7, 51; 8, 11 und 10, 72) die Auffassung vertreten, daß die Frage, ob sie zurückgenommen werden können, beim Fehlen einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung nach den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts zu beantworten sei; hiernach sei die Rücknahme eines rechtswidrigen Bescheides zulässig, wenn das öffentliche Interesse an der gleichmäßigen Gewährleistung eines dem Gesetz entsprechenden Zustandes das Interesse des Begünstigten an dem Schutz seines Vertrauens auf den Bestand behördlicher Verfügungen überwiege. Eine solche Prüfung sei trotz des letzten Halbsatzes des § 77 SGG möglich, weil "Gesetz" im Sinne dieser Bestimmung nicht nur die im Gesetzgebungsverfahren verfassungsgemäß zustandegekommenen Rechtsnormen seien, sondern - wie schon Art. 2 EGBGB für das BGB und das Einführungsgesetz bestimme - jede Rechtsnorm, mithin auch das Gewohnheitsrecht und die anerkannten Rechtsgrundsätze des allgemeinen Verwaltungsrechts (ebenso Haueisen im Deutschen Verwaltungsblatt -DVBl- 1960, 913, 919).
Der erkennende Senat braucht nicht zu entscheiden, ob - wie in den angeführten Urteilen angenommen wird - auch den sog. "anerkannten Rechtsgrundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts" Normencharakter und damit Rechtsquelleneigenschaft zukommt; Bedenken dagegen hat neuerdings Zimmer vorgebracht (Wege zur Sozialversicherung 1961 S. 33 ff.). Die Grundsätze des allgemeinen Verwaltungsrechts über die Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte können jedenfalls nicht, wie der erkennende Senat bereits in BSG 11, 226, 229 dargelegt hat, auf das Gebiet der Sozialversicherung einschließlich der Altershilfe für Landwirte übertragen werden, wenn fehlerhafte Bewilligungsbescheide zu Ungunsten des Versicherten zurückgenommen werden sollen; denn hier gelten besondere gesetzliche Regelungen. Nach § 21 GAL finden für das Verwaltungsverfahren und die Auszahlung des Altersgeldes die für die landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften geltenden Bestimmungen entsprechende Anwendung. Hierunter fallen insbesondere § 1744 RVO über die "Anfechtung endgültiger Bescheide der Versicherungsträger" (so die Überschrift zu IV des Dritten Abschnitts des sechsten Buches der RVO) sowie alle weiteren einschlägigen Vorschriften des 1., 3. und 6. Buches der RVO (vgl. Schieckel § 21 GAL Anm. 1). Für diese weite Auslegung des § 21 GAL spricht im Hinblick auf seine Begründung auch der bereits genannte Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte. Nach § 23a dieses Entwurfs finden, soweit das Gesetz nichts anderes vorschreibt, die für die landwirtschaftliche Unfallversicherung jeweils geltenden Vorschriften des 1., 3. und 6. Buches der RVC, des Selbstverwaltungsgesetzes und des SGG nebst den Vorschriften zu ihrer Durchführung mit Ausnahme der Strafvorschriften sinngemäß Anwendung. Nach der Begründung des Entwurfs soll dadurch jedoch nicht eine Änderung der Rechtslage herbeigeführt werden, vielmehr hätten die Erfahrungen gezeigt, daß es zweckmäßig sei, die anzuwendenden Verfahrensvorschriften zum Ausschluß von Zweifeln im Gesetz festzulegen, wobei generelle Verweisungen nicht zu entbehren seien, weil Einzelverweisungen stets der Gefahr der Unvollständigkeit unterlägen. Die Frage der Zulässigkeit der Rücknahme eines von Anfang an fehlerhaften Rentenbescheides der Altershilfe für Landwirte ist somit nach den für Rentenbescheide der Unfallversicherung maßgebenden Vorschriften zu beurteilen. Nach den im Recht der Unfallversicherung und auch in anderen Zweigen der Sozialversicherung geltenden Vorschriften ist jedoch die Abänderung oder Aufhebung rechtswidriger, eine Leistung zubilligender Verwaltungsakte grundsätzlich ausgeschlossen und nur auf ganz bestimmte Ausnahmefälle beschränkt (so auch der 1. Senat, BSG 2, 188, 190, 191). Das ergibt sich für die Unfall- und die Rentenversicherung schon aus Vorschriften wie §§ 608, 1293 Abs. 1 RVO aF und § 1286 RVO nF bezw. § 63 AVG nF. Danach können einmal bewilligte Renten wegen Fehlens von Invalidität oder Berufsunfähigkeit oder wegen unrichtiger Feststellung der Unfallentschädigung nur dann herabgesetzt oder entzogen werden, wenn eine Änderung der Verhältnisse vorliegt. Vor allem bestätigt dies für das geltende Recht der erneute ersatzlose Wegfall des nach 1945 wieder in Kraft gesetzten § 1293 Abs. 2 RVO aF, wonach die Entziehung einer Invalidenrente auch ohne Feststellung einer wesentlichen Änderung in den Verhältnissen des Berechtigten zulässig war, wenn eine erneute Überprüfung ergab, daß er nicht invalide ist (BSG 2, 188; 3, 209; 7, 85). Damit ist eindeutig klargestellt, daß insbesondere eine unrichtige ärztliche Beurteilung des Gesundheitszustandes kein Grund zur Herabsetzung oder Entziehung einer Rente sein sollte.
Allerdings ergibt sich aus diesen Vorschriften noch nicht zwingend, daß die Rücknahme eines begünstigenden Rentenbescheides auch dann unzulässig ist, wenn die Herabsetzung oder Entziehung der Rente aus anderen als den in den genannten Vorschriften erwähnten Gründen erfolgen solle, so wenn es etwa an der Erfüllung der Wartezeit oder der Erhaltung der Anwartschaft oder an der Erfüllung sonstiger Voraussetzungen für einen Rentenanspruch fehlt, oder wenn die Bewilligung der Rente nicht auf der irrtümlichen Annahme des Bestehens tatsächlicher Anspruchsvoraussetzungen, sondern auf einem Rechtsirrtum, also auf der unrichtigen Auslegung einer gesetzlichen Vorschrift beruht, wie es im vorliegenden Streit der Fall war. Daß indes der Versicherungsträger selbst dann nicht zu einem Widerruf berechtigt ist, wenn er zu Unrecht die beitragsmäßigen oder sonstigen Voraussetzungen für einen Rentenanspruch angenommen hat, folgt aus § 1744 RVO, der, wie seine Stellung im 6. Buche der RVO ergibt, vom Gesetz als verfahrensrechtliche Vorschrift (vgl. § 21 GAL) angesehen wird, und der in genauer Spezifizierung - und damit grundsätzlich erschöpfend - die Tatbestände anführt, die gegenüber einem bindenden begünstigenden Verwaltungsakt eine erneute Prüfung der Anspruchsberechtigung erlauben. Es war daher jedenfalls bis zum Inkrafttreten des SGG herrschende Lehre, Rechtsprechung und Praxis, daß auch ein auf Rechtsirrtum beruhender, unanfechtbar gewordener Rentenbewilligungsbescheid der Unfallversicherung nur in den Fällen des § 1744 RVO zurückgenommen werden konnte (vgl. BSG 5, 96 mit näheren Hinweisen, ferner Zimmer aaO S. 44).
Gegen die Fortgeltung dieses Rechtszustandes nach dem Inkrafttreten des SGG kann nicht eingewendet werden (so Haueisen, DVBl 1960, 913, 920), § 1744 RVO habe lediglich deshalb die Voraussetzungen für die "Anfechtung endgültiger Bescheide der Versicherungsträger" entsprechend den Vorschriften der §§ 580, 581 der Zivilprozeßordnung (ZPO) über die Wiederaufnahme des Verfahrens geregelt, weil früher in der Sozialversicherung begünstigenden Bescheiden materielle Rechtskraftwirkung wie den gerichtlichen Urteilen zugekommen sei (RVA, GE Nr. 4512, AN 1933, 19; BSG 5, 96, 98; 7, 275; 13, 86); da aber jetzt § 77 SGG den Verwaltungsakten nur noch materielle Bindungswirkung zuerkenne, dürfe nicht mehr geschlossen werden, die Rücknahme von Anfang an fehlerhafter Bescheide zu Ungunsten der Versicherten sei auch heute nur im Rahmen des § 1744 RVO möglich; bei der veränderten Grundauffassung über die rechtliche Bedeutung der Bescheide in der Sozialversicherung sei ein solcher Schluß nicht mehr zwingend. Eine solche Argumentation könnte nur überzeugen, wenn Anhaltspunkte dafür vorlägen, daß beim Erlaß des SGG versehentlich eine Änderung oder sogar völlige Aufhebung jener Vorschrift unterblieben wäre. Das Sozialgerichtsgesetz vom 3. September 1953 hat jedoch in § 220 Nr. 18 eine Neufassung des § 1744 RVO gebracht und damit dessen Fortgeltung trotz der veränderten verfahrensmäßigen Bedeutung der Rentenbescheide und trotz der neuen Regelung der Bindung an nicht mehr anfechtbare Verwaltungsakte in § 77 SGG bestätigt, (so ausdrückl. die amtliche Begründung zu § 26 des Entwurfs eines Gesetzes über das Verfahren in der Sozialgerichtsbarkeit, der dem § 77 SGG entspricht, BT-Drucks. Nr. 4357, 1. Wahlperiode). Es besteht jetzt auch der Wortfassung nach Übereinstimmung zwischen § 1744 RVO und § 77 SGG, indem beide von bindenden Verwaltungsakten handeln. § 1744 RVO ist damit eine der gesetzlichen Vorschriften, welche die Bindungswirkung nach § 77 SGG einschränken. Es wäre überdies auch der Sache nach nicht gerechtfertigt, aus der durch das SGG veränderten Form der Rechtskontrolle gegenüber Verwaltungsakten schwerwiegende Folgerungen für die Bindungswirkung von Rentenbescheiden zu ziehen. Nach wie vor ergehen die Rentenbescheide in einem ein gehend geregelten förmlichen Verwaltungsverfahren (vgl. §§ 1545 ff., bes. §§ 1568 ff. RVO, mit Änderungen und Ergänzungen in § 220 SGG), und ihre Rechtmäßigkeit kann nach wie vor gerichtlich nachgeprüft werden. Daß diese Rechtskontrolle früher durch "Berufung" gegenüber dem Bescheid und jetzt durch Klage herbeigeführt wird, vermag das Gewicht dieser Bescheide im Rechtsleben und die Schutzwürdigkeit des ihnen von den Versicherten entgegengebrachten Vertrauens in ihren Bestand nicht zu mindern.
Daß die Bindungswirkung nach § 77 SGG auch rechtsirrtümliche, d.h. auf Grund falscher Gesetzesauslegung ergangene Bescheide erfaßt, ergeben besonders deutlich die Vorschriften des § 619 und des § 1300 RVO sowie des § 79 AVG und § 93 Abs. 1 RKG. Danach dürfen bezw. müssen die Versicherungsträger die Leistung neu feststellen, wenn sie sich bei erneuter Überprüfung davon überzeugen, daß sie zu Unrecht abgelehnt, entzogen oder zu niedrig festgestellt war. Es erscheint nicht zweifelhaft, daß diese Vorschriften auch die Fälle einer unrichtigen Auslegung der Gesetze bei Ablehnung oder zu niedriger Festsetzung von Renten betreffen; der Gesetzgeber hat es mithin hier im Hinblick auf die Bindungswirkung des Verwaltungsaktes für erforderlich gehalten, in diesen Fällen die Erteilung eines neuen Bescheides ausdrücklich zuzulassen, jedoch nur in Fällen, in denen der fehlerhafte Bescheid zu Ungunsten des Versicherten ergangen ist. Wenn aber im Gesetz die Rücknahme eines fehlerhaften Bescheides ohne Änderung der Verhältnisse nur zu Gunsten des Berechtigten, nicht aber zu seinen Ungunsten vorgesehen ist, so kann daraus, wie der Senat bereits in BSG 11, 226, 230 dargelegt hat, nur geschlossen werden, daß die Bindung der Verwaltung an einen Verwaltungsakt zuungunsten des Versicherten - soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt (vgl. § 1744 RVO) - nicht durchbrochen werden darf.
Die Richtigkeit der vom Senat vertretenen Auffassung wird neuerdings bestätigt durch die Regelungen in den Gesetzen über die Anpassung der Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen aus Anlaß der Veränderung der allgemeinen Bemessungsgrundlagen. Sowohl im Ersten Rentenanpassungsgesetz (1. RAG) vom 21. Dezember 1958 (BGBl I, 956) als auch im 2. RAG vom 21. Dezember 1959 (BGBl I, 765) und im 3. RAG vom 19. Dezember 1960 (BGBl I, 1013) ist jeweils in § 7 - bezw. § 6 beim 3. RAG - die Möglichkeit einer Berichtigung des Rentenbescheides vorgesehen, falls eine spätere Überprüfung ergibt, daß die Anpassung fehlerhaft war. Die Berichtigung ist aber nicht unbeschränkt, sondern nur jeweils bis zum 31. Dezember 1959 bezw. 1960 bezw. 1961 zulässig. Der ausdrücklichen Einräumung einer solchen - lediglich befristeten - Berichtigungsmöglichkeit hätte es nicht bedurft, wenn in den Rentenversicherungen ohnehin fehlerhafte, insbesondere rechtsirrtümlich ergangene Bescheide nach allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts zurückgenommen und berichtigt werden dürften.
Ist somit in den Rentenversicherungen und in der Unfallversicherung - ebenso wie im übrigen jetzt auch im Versorgungsrecht (vgl. § 41 VerwVG) - die Rücknahme fehlerhafter, eine Leistung zubilligender Rentenbescheide gesetzlich ausdrücklich geregelt und betreffen diese gesetzlichen Regelungen auch von Anfang an fehlerhafte, rechtsirrtümlich bewilligte Renten, so kann die Rücknahme eines solchen Rentenbescheides nicht, wie die Beklagte es will, auf die "anerkannten Grundsätze des allgemeinen Verwaltungsrechts" gestützt werden; selbst wenn man - trotz der angeführten Bedenken - in diesen Grundsätzen nicht nur Auslegungsregeln, sondern Rechtsnormen sehen wollte und sie damit als "Gesetz" im Sinne des § 77 SGG zu betrachten hätte, so würden doch diese allgemeinen Normen gegenüber den speziellen Regelungen des Sozialversicherungsrechts zurücktreten müssen. Daß im übrigen die allgemein anerkannten Grundsätze des Verwaltungsrechts etwa als geltendes Gewohnheitsrecht die erwähnten Vorschriften der Sozialversicherungsgesetze zurückdrängen könnten, ist schon deshalb ausgeschlossen, weil ihre Anwendung im Bereich des Sozialversicherungsrechts stark umstritten ist, so daß auf diesem Gebiet von der Bildung von Gewohnheitsrecht nicht gesprochen werden kann.
Da nach alledem im Recht der Altershilfe für Landwirte die Sonderregelungen der Unfallversicherung über die Rücknahme fehlerhafter Verwaltungsakte (insbesondere § 1744 RVO) maßgebend sind und die in diesen Vorschriften angeführten Ausnahmen von der Bindung nach § 77 SGG nicht vorliegen, konnte der dem Kläger erteilte Bescheid über die Bewilligung des Altersgeldes nicht zurückgenommen werden. Der Gesetzgeber hat bei dieser Regelung den Grundsätzen der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens als wesentlichen Bestandteilen des Rechtsstaatsprinzips (Art. 1 Abs. 3, 19 Abs. 4, 20 Abs. 3 und 28 Abs. 1 GG) den Vorrang vor dem Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung eingeräumt (vgl. hierzu BVerfG 2, 380, 403 und BVerwG, Die Öffentliche Verwaltung - DÖV - 1961, 30). Ihretwegen soll - wie es dem Recht der Sozialversicherung seit Jahrzehnten entspricht (abgesehen von der Zeit der Geltung des kurz vor dem Kriege und dann wieder von den Besatzungsmächten vorübergehend in das Gesetz eingefügten § 1293 Abs. 2 RVO aF) - eine im Einzelfall von vornherein unrichtige Entscheidung der Verwaltung grundsätzlich als unabänderlich in Kauf genommen werden, sofern nicht einer der besonderen Rücknahmegründe des § 1744 RVO vorliegt.
Ob außer in den Fällen des § 1744 RVO ein Versicherter sich auf die Bindungswirkung eines Rentenbescheides nach § 77 SGG dann nicht berufen kann, wenn er den Rentenbescheid arglistig erschlichen hat, bedarf im vorliegenden Fall keiner Erörterung. Der Kläger hat keine falschen Angaben gemacht und nichts verschwiegen. Schließlich kann auch nicht davon gesprochen werden, daß der Kläger sittenwidrig handelt, wenn er auf Erfüllung des ihm zugebilligten Anspruchs besteht. Mag auch die Rechtslage von vornherein zweifelhaft erschienen sein, so liegt jedenfalls in der Berufung des Klägers auf die Bindungswirkung der unanfechtbar gewordenen Mitteilung vom 10. April 1958 keine sittenwidrige Ausnutzung einer formalen Befugnis. Damit bedarf es keiner weiteren Erörterung, inwieweit die im Zivilrecht entwickelten Grundsätze über die Unzulässigkeit einer mißbräuchlichen Ausnutzung rechtskräftiger Urteile (vgl. Palandt, § 826 BGB Anm. 8 o; Baumbach/Lauterbach 6 B vor § 322 ZPO; Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, § 157; BGHZ 26, 391) auf bindend gewordene Verwaltungsakte übertragen werden können (vgl. GE Nr. 5374, AN 1940, 219; Schur, ZfS 1960, 113, 116).
Der Auffassung, daß in der modernen Massenverwaltung und bei den oft unklaren und lückenhaften Gesetzen der Verwaltung gewisse Korrekturmöglichkeiten zugestanden werden müßten (vgl. ua Haueisen, DÖV 1961, 121, 129), hat sich der Gesetzgeber im geltenden Recht für das Gebiet der Leistungsgewährung in der Unfall- und der Rentenversicherung und auch im Recht der Altershilfe für Landwirte - mit Ausnahme der oben erwähnten Rentenanpassungsgesetze - nicht angeschlossen. Der gesetzgeberische Grund für diese Regelung ist in dem Schutzcharakter der Sozialversicherungsgesetze zu sehen. Gerade bei der Gewährung von Renten, die wesentlich dem Lebensunterhalt im Alter und in Zeiten geminderter oder fehlender Erwerbsfähigkeit zu dienen bestimmt sind und in der Regel auf Grund langjähriger Vorsorge durch Beitragsleistung erworben werden, besteht ein besonderes Bedürfnis, dem Rentner einen gesicherten Leistungsanspruch zu gewähren und ihn nicht der Gefahr auszusetzen, daß etwa seine Alterssicherung wegen schwankender Gesetzesauslegung in Frage gestellt wird. - Ob die durch die Bindungswirkung fehlerhafter Rentenbescheide gegebene Belastung der Verwaltung und der Versichertengemeinschaft im Sinne einer Fortentwicklung des Rechts dadurch gemindert werden kann, daß der Versicherungsträger bei zweifelhafter Gesetzesauslegung sich bis zur höchstrichterlichen Entscheidung der Rechtsfrage die Rücknahme des Bescheides für die Zukunft vorbehalten darf, wird näherer Prüfung bedürfen. Der vorliegende Streitfall gibt dem Senat keinen Anlaß, diese Frage zu entscheiden.
Nach alledem war die Revision zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen