Entscheidungsstichwort (Thema)

Versicherungspflicht eines Beamten in privaten Beschäftigungsverhältnis

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Frage der Versicherungs- bzw Beitragspflicht von Beamten, die unter Wegfall der Dienstbezüge von ihren Dienstherrn beurlaubt und bei einer politischen Partei (GG Art 21 Abs 1) entgeltlich beschäftigt sind.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Versicherungsfreiheit von Beamten erstreckt sich lediglich auf die Tätigkeit für den Dienstherrn, nicht aber auf eine Beschäftigung des (beurlaubten) Beamten für einen privaten Arbeitgeber.

2. Ein ohne Dienstbezüge beurlaubter Beamter unterliegt in einer Beschäftigung bei einem "privaten" Arbeitgeber auch dann der Versicherungspflicht, wenn sich der öffentlich-rechtliche Dienstherr bereit erklärt hat, die Beurlaubungszeit auf die ruhegehaltsfähige Dienstzeit anzurechnen.

3. Die Vorschriften über die Nachversicherung können auf "private" Arbeitgeber weder unmittelbar noch entsprechend angewandt werden.

 

Normenkette

AVG § 2 Fassung: 1957-02-23, § 3 Fassung: 1957-02-23, § 6 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1957-02-23; AVAVG § 56 Abs. 1; AFG § 168 Fassung: 1969-06-25, § 169 Nr. 1 Fassung: 1969-06-25; RVO § 169 Fassung: 1945-03-17; GG Art. 21 Abs. 1

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 26. November 1970 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob ein Beamter auf Lebenszeit, der ohne Dienstbezüge beurlaubt ist, in seiner Tätigkeit für einen anderen Arbeitgeber der Sozialversicherungspflicht unterliegt.

Die Beigeladenen zu 3) und 4) waren als Beamte auf Lebenszeit im Innenministerium des Saarlandes bzw. beim Bundesminister für Familie und Jugend in der Zeit vom 1. Januar 1968 bis 31. Dezember 1969 (Beigeladener zu 3) bzw. vom 7. Oktober 1968 bis zum 31. Oktober 1969 (Beigeladener zu 4) von ihren Dienstherren ohne Dienstbezüge beurlaubt. Während dieser Zeiten waren sie als Angestellte im Generalsekretariat der Klägerin gegen Entgelt beschäftigt. Für den Beigeladenen zu 3) hat sich der Ministerpräsident des Saarlandes bereit erklärt, die Beurlaubungszeit auf die ruhegehaltsfähige Dienstzeit insoweit anzurechnen, als dies erforderlich sei, um eine Schlechterstellung zu vermeiden. Der Bundesminister für Familie und Jugend hat den Beigeladenen zu 4) darauf hingewiesen, daß die Beurlaubungszeit nicht ruhegehaltsfähig sei.

Die Beklagte forderte die Klägerin auf, für die Beigeladenen zu 3) und 4) vom 1. Februar 1969 an Beiträge zur Rentenversicherung der Angestellten und zur Arbeitslosenversicherung abzuführen (Bescheid vom 5. Februar 1969, Widerspruchsbescheid vom 14. Juli 1969).

Klage und Berufung der Klägerin hatten keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) ist der Auffassung, die entgeltliche Beschäftigung der Beigeladenen zu 3) und 4) bei der Klägerin sei nach § 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) und § 56 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) bzw. vom 1. Juli 1969 an nach § 168 Abs. 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) versicherungspflichtig. Die Voraussetzungen für eine Versicherungsfreiheit nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 AVG und § 56 AVAVG bzw. § 169 Nr. 1 AFG i. V. m. § 169 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) seien nicht gegeben. Ein Beamter sei versicherungsfrei nur, solange ihm eine Anwartschaft auf beamtenrechtliche Versorgung gewährleistet sei. Ein Beamter, der bei einem privaten Arbeitgeber eine Beschäftigung aufnehme, ohne gleichzeitig seine Bezüge aus dem Beamtenverhältnis weiter zu erhalten, genieße in dieser privaten Beschäftigung nicht mehr den Schutz, den ihm die beamtenrechtliche Versorgungsanwartschaft sonst gebe. Dies zeige sich besonders deutlich im Fall der Nachversicherung. Scheide der Beamte unversorgt aus seiner Beamtentätigkeit aus, so müsse nach § 9 AVG die Zeit nachversichert werden, in der er als Beamter tätig gewesen sei und beamtenrechtliche Bezüge erhalten habe. Für die Zeit der Beschäftigung bei einem privaten Arbeitgeber werde der Beamte nicht nachversichert. Diese Zeit könne auch vom privaten Arbeitgeber nicht nachversichert werden. Sie würde daher bei einer künftigen Rentengewährung ausfallen. Der vom Gesetzgeber gewünschte volle Versicherungsschutz erfordere es, die private Beschäftigung der Beamten von der Sozialversicherung zu erfassen. Dieser Schutzgedanke verbiete es, die Entscheidung über die Versicherungspflicht davon abhängig zu machen, ob der Eintritt des Nachversicherungsfalles bei dem einzelnen Beamten mehr oder weniger wahrscheinlich sei. Ebenso komme es nicht darauf an, ob die Beigeladenen zu 3) und 4) die Absicht hätten, sich die Arbeitnehmeranteile aus den entrichteten Beiträgen erstatten zu lassen. Die Erstattung sei erst zwei Jahre nach Beendigung der Beschäftigung zulässig. Es müsse aber schon während der Beschäftigung feststehen, ob sie der Versicherungspflicht unterliege oder nicht. Schließlich vermöge auch die Tatsache, daß es sich bei der Klägerin um eine politische Partei handelt, nicht zu einer anderen Entscheidung zu führen. Die Parteien seien unbeschadet ihrer besonderen Rechtsstellung (Art. 21 Grundgesetz - GG -) den in § 6 AVG und § 169 RVO genannten öffentlich-rechtlichen Arbeitgebern nicht gleichgestellt. Nur diese könnten ihren Beschäftigten lebenslängliche Versorgung und Hinterbliebenenversorgung gewährleisten (Urteil vom 26. November 1970).

Die Klägerin hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung der §§ 6 Abs. 1 Nr. 3 AVG, 56 AVAVG bzw. 169 Nr. 1 AFG i. V. m. § 169 Abs. 1 RVO.

Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und in Änderung des Urteils des Sozialgerichts Köln vom 9. März 1970 den Bescheid der Beklagten vom 5. Februar 1969 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14. Juli 1969 aufzuheben.

Die Beklagte sowie die Beigeladenen zu 1) und 2) beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beigeladenen zu 3) und 4) sind im Revisionsverfahren nicht vertreten.

 

Entscheidungsgründe

Die durch Zulassung statthafte Revision ist nicht begründet.

Das LSG hat zu Recht angenommen, daß die Beigeladenen zu 3) und 4) während der Zeiten, in denen sie ohne Fortzahlung der Dienstbezüge von ihren Dienstherren beurlaubt und bei der Klägerin - einer trotz der besonderen Rechtsstellung der politischen Parteien den öffentlich-rechtlichen Dienstherren im Sinne von § 6 Abs. 1 Nr. 2 AVG nicht gleichgestellten, somit privaten Arbeitgeberin - entgeltlich beschäftigt worden sind, der Versicherungspflicht in der Angestelltenversicherung und der Versicherungspflicht bzw. Beitragspflicht in der Arbeitslosenversicherung unterlegen haben (§§ 2, 3 AVG und § 56 AVAVG bzw. § 168 AFG). Entgegen der Auffassung der Revision sind die für Beamte geltenden Vorschriften über Versicherungsfreiheit (§ 6 Abs. 1 Nr. 3 AVG, § 56 Abs. 1 AVAVG bzw. § 169 Nr. 1 AFG i. V. m. § 169 RVO) auf die Beschäftigungsverhältnisse der Beigeladenen zu 3) und 4) bei der Klägerin nicht anzuwenden. Die Versicherungsfreiheit erstreckt sich danach lediglich auf die Tätigkeit des Beamten für seinen Dienstherrn, nicht aber auf eine Beschäftigung des (beurlaubten) Beamten für einen privaten Arbeitgeber.

Das LSG hat diese Auslegung der Vorschriften über die Versicherungsfreiheit von Beamten zutreffend mit dem Hinweis auf die Nachteile begründet, die den beurlaubten Beamten im Falle eines späteren unversorgten Ausscheidens aus dem Beamtenverhältnis bzw. beim Verlust der Arbeitsstelle vor Ablauf der Beurlaubungszeit erwachsen können, wenn ihre Beschäftigung beim privaten Arbeitgeber nicht von der Versicherungs- bzw. Beitragspflicht erfaßt würde. Der erkennende Senat macht sich diese Auffassung, die der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) in ähnlich liegenden Streitfällen entspricht (vgl. BSG 20, 123; 31, 66), nach Prüfung der Rechtslage zu eigen. Es kann daher offen bleiben, ob die Versicherungspflicht während der Beschäftigung beim privaten Arbeitgeber auch deswegen zu bejahen ist, weil der ohne Dienstbezüge beurlaubte Beamte nach der Entscheidung des BSG vom 20. April 1972 (Az.: 1 RA 11/71 = SozR Nr. 6 zu § 17 FRG) bereits mit dem Zeitpunkt der Beurlaubung und nicht erst mit dem rechtlichen Ende des Dienstverhältnisses aus der versicherungsfreien Beschäftigung ausgeschieden ist, so daß es an einer Versicherungsfreiheit fehlt, die sich auf das private Beschäftigungsverhältnis erstrecken kann.

Das Vorbringen der Klägerin gegen die Versicherungspflicht rechtfertigt keine andere Entscheidung. Die Revision sieht es zwar nicht als sinnvoll an, die Beamten in ihrer Beschäftigung bei der Klägerin der Versicherungspflicht zu unterwerfen, weil der Beigeladene zu 3) wegen der Anrechnung der Beschäftigungszeit beim Ruhegehalt keine Nachteile in seiner Beamtenversorgung erleide und der Beigeladene zu 4) in der gesetzlichen Rentenversicherung mangels Erfüllung der Wartezeit keinen Rentenanspruch erwerben könne. Die Revision übersieht hierbei die Nachteile, die im Falle der Nachversicherung für die Beigeladenen zu 3) und 4) gleichwohl dadurch entstehen können, daß die Zeit der privaten Beschäftigung für die Nachversicherung und für den Rentenanspruch ausfüllt. Diese Nachteile können auch nicht dadurch beseitigt werden, daß gegebenenfalls die Nachversicherungsbeiträge - wie die Revision meint - gemäß § 124 AVG von der Klägerin als Arbeitgeberin zu entrichten seien. Die Verpflichtung zur Nachversicherung trifft nämlich nicht die privaten Arbeitgeber, sondern allein die in § 6 Abs. 1 Nr. 2 genannten öffentlich-rechtlichen Dienstherren. Sie haben gemäß § 9 AVG anstelle einer nicht gewährten beamtenrechtlichen Versorgung durch Entrichtung der Nachversicherungsbeiträge zur sozialen Sicherung des ausgeschiedenen Beamten beizutragen. Dieser in § 9 AVG geregelte Sachverhalt kann bei einem privaten Arbeitgeber nicht eintreten. Er ist nicht in der Lage, eine Versorgungsanwartschaft zu gewährleisten oder zu erfüllen, an deren Stelle die Nachversicherung treten könnte. Demzufolge ist § 9 AVG auf private Arbeitgeber nicht anwendbar. Bei ihnen kann es sich deshalb auch nicht um Arbeitgeber im Sinne des § 124 AVG handeln.

Wie das BSG mit Urteil vom 11. Juli 1972 (Az.: 5 RJ 112/71 = SozR Nr. 16 zu § 1232 RVO) bereits entschieden hat, ist auch eine entsprechende Anwendung der Nachversicherungsvorschriften, hier mit dem Ergebnis, daß die Klägerin Beiträge für Beschäftigungszeiten außerhalb des öffentlichen Dienstes nachentrichten könnte, nicht zulässig. Anders als bei den in § 6 Abs. 1 Nr. 2 AVG genannten öffentlich-rechtlichen Dienstherren ist bei privaten Arbeitgebern im Einzelfall nicht hinreichend sicher, daß die Nachversicherungsbeiträge geleistet werden. Hier bestünde die Gefahr, daß beim Ausfall der beamtenrechtlichen Versorgung zum Nachteil des Versicherten ein Beitragsschuldner für die Nachversicherung nicht vorhanden oder nicht zahlungsfähig ist. Außerdem würde der private Arbeitgeber zur sozialen Sicherung des beschäftigten Beamten nur im Falle der Nachversicherung einen Beitrag leisten, nicht aber, wenn sich die Aussicht des Beamten auf beamtenrechtliche Versorgung erfüllt; dann wäre er von einer Beitragspflicht frei. Solche Vorteile will das Gesetz nicht zulassen, sondern - wie die Regelung in § 113 AVG zeigt - ausschließen. Die Revision beruft sich selbst darauf, daß dies der Grund ist, weshalb bei der Beschäftigung der nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 AVG versicherungsfreien oder nach § 7 Abs. 1 AVG von der Versicherungspflicht befreiten Personen vom Arbeitgeber der für einen Versicherungspflichtigen zu zahlende Beitragsanteil zu entrichten ist (vgl. BVerfG 14, 312, 318, 320). Das Fehlen einer entsprechenden ausdrücklichen Regelung für die nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 AVG versicherungsfreien Beamten bedeutet indes nicht, daß für sie abweichend von dem genannten Normzweck des § 113 AVG etwas anderes gilt. Stattdessen zeigt sich darin, daß das Gesetz im Falle der Beschäftigung von (beurlaubten) Beamten bei privaten Arbeitgebern ohnehin von der Versicherungspflicht ausgeht, so daß es insoweit einer Erwähnung in § 113 AVG nicht bedurfte. Die Ansicht der Revision, dieser Vorschrift sei allenfalls die Beitragspflicht von Arbeitgebern zu entnehmen, geht an diesen Überlegungen vorbei.

Ob es rechtlich möglich ist, die Gewährleistung der Versorgungsanwartschaft für den Fall der Beurlaubung eines Beamten zu einem privaten Arbeitgeber in der Weise auszusprechen, daß auch die Pflicht zur Nachversicherung für die private Beschäftigung vom öffentlich-rechtlichen Dienstherrn übernommen wird - wie dies in neueren Erlassen einzelner Länderministerien festgelegt ist (veröffentlicht in: Die Beiträge 1972, S. 141, 143, 144) - kann hier dahinstehen, weil so weitgehende Gewährleistungsentscheidungen (§ 6 Abs. 2 AVG) hinsichtlich der Beschäftigung der Beigeladenen zu 3) und 4) bei der Klägerin nicht ergangen sind.

Nach alledem mußte der Revision der Erfolg versagt bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1669393

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