Entscheidungsstichwort (Thema)
Gleichwertige Schulausbildung bei künstlerischen Berufen
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage einer der Mittelschulbildung gleichwertigen Schulausbildung (hier: Ausbildung eines jetzt freischaffenden Künstlers an einer Staatlichen Akademie für Kunstgewerbe).
Leitsatz (redaktionell)
Die Rechtsprechung des BSG hat bisher für die Gleichwertigkeit einer Schulausbildung mit der Mittelschulbildung als entscheidend die Vermittlung von Allgemeinbildung im Gegensatz zu reiner Fachausbildung angesehen (vergleiche BSG 1970-05-05 9 RV 212/68 = VdKMitt 1970, 303). Ist aber - wie hier bei der Staatlichen Akademie für Kunstgewerbe in Dresden - aus der Qualität einer Weiterbildung zu schließen, daß diese Kenntnisse und Fähigkeiten von gleichem Rang voraussetzt, dann bedarf die bisherige Rechtsprechung der Erweiterung. Dies gilt jedenfalls für die künstlerischen Berufe, die sich bei der Bewertung des Entwicklungsganges einer schematisierenden Betrachtung weitgehend entziehen. In solchen Fällen müssen neben dem Gradmesser der Allgemeinbildung ergänzende Gesichtspunkte berücksichtigt werden, wie der künstlerische oder wissenschaftliche Rang einer weiterbildenden höheren Fachschule, die Dauer der Ausbildung und die Qualifikation des Bildungsabschlusses. Der erfolgreiche Besuch einer höheren Lehranstalt, die der Ausbildung auf dem Gebiet künstlerischer Befähigung dient, darf nicht geringer bewertet werden als die Ausbildung auf den Gebieten technischen Könnens, wie es durch die früher sogenannten Ingenieurschulen vermittelt wird.
Normenkette
BVG § 30 Abs. 3 Fassung: 1964-02-21, Abs. 4 Fassung: 1964-02-21, Abs. 3 Fassung: 1966-12-28, Abs. 4 Fassung: 1966-12-28; BVG § 30 Abs. 3 DV § 5 Abs 1 Fassung: 1964-07-30; BVG § 30 Abs. 3 DV § 5 Abs 1 Fassung: 1968-02-28
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 18. November 1971 aufgehoben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 15. Dezember 1970 zurückgewiesen.
Die Revision des Beklagten wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des 2. und 3. Rechtszuges zu erstatten.
Tatbestand
Der 1906 geborene Kläger bezieht Versorgungsrente wegen "nervöser Beschwerden nach Schädelbruch und Hirnprellung mit Nasenbeinbruch" nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 60 v. H. unter Berücksichtigung eines besonderen beruflichen Betroffenseins. Er machte nach der Volksschule eine dreijährige Lehrzeit als Bildhauer durch, die er mit der Gesellenprüfung abschloß; nach der Lehre besuchte er die Berufsschule, nach dem vorgelegten Zeugnis mit besonders gutem Erfolg. Sodann war er 1 1/2 Jahre als Holzbildhauergeselle tätig und besuchte anschließend 6 Semester die Staatliche Akademie für Kunstgewerbe in D (Abteilung Holzbildhauer); die Abschlußprüfung bestand er mit der Note "gut". Von 1929 bis 1939 war er freischaffender Künstler in D, seit 1947 ist er in S als selbständiger Holzbildhauer tätig; er erhält seit Januar 1952 Berufsunfähigkeitsrente aus der Angestelltenversicherung. Dies ergibt sich aus den nicht angegriffenen Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) und dem von ihm in Bezug genommenen Inhalt der Akten.
Das Versorgungsamt gewährte dem Kläger auf den Antrag vom Februar 1965 mit Bescheid vom 11. März 1968 ab 1. Januar 1964 ua Berufsschadensausgleich unter Berücksichtigung eines Durchschnittseinkommens aus selbständiger Tätigkeit gemäß § 5 Abs. 1 Durchführungsverordnung (DVO) nach der Besoldungsgruppe A 7 des Bundesbesoldungsgesetzes (BBesG).
Der Widerspruch, mit dem der Kläger die Einstufung nach der Besoldungsgruppe A 11 begehrte, wurde zurückgewiesen (Bescheid vom 28. Januar 1969). Das Sozialgericht (SG) Stade verurteilte den Beklagten dem Grunde nach, dem Kläger Berufsschadensausgleich antragsgemäß zu gewähren, weil der erfolgreiche Besuch der Staatlichen Akademie für Kunstgewerbe einer Mittelschulbildung gleichwertig sei (Urteil vom 15. Dezember 1970).
Auf die Berufung des Beklagten änderte das LSG das Urteil des SG ab und verurteilte den Beklagten, bei der Berechnung des Berufsschadensausgleichs als Durchschnittseinkommen das Endgrundgehalt der Besoldungsgruppe A 9 zugrunde zu legen; im übrigen wies es die Klage ab und die Berufung zurück (Urteil vom 18. November 1971). Es hörte den Kunsterzieher i. R. Fritz B als Sachverständigen und führte aus: Der Besuch der Kunstgewerbeschule sei einem Mittelschulbesuch nicht gleichwertig, weil er nicht der Hebung der allgemeinen Bildung gedient und nicht zu einem dem Mittelschulabschluß gleichwertigen Bildungsstand geführt habe. Eine im wesentlichen nur "Berufs- oder Fachwissen" vermittelnde Ausbildung könne grundsätzlich nicht als eine dem Besuch einer Mittelschule gleichwertige Schulausbildung angesehen werden. Der Lehr- und Unterrichtsplan der Fachschule sei auf das Berufsziel "Holzbildhauer" mit herausgehobener Stellung im Beruf ausgerichtet gewesen ("schöpferisches Schaffen, nachschaffende Gestaltung, angewandte Kunst, Modellieren, Zeichnen, anatomisches Zeichnen"), habe jedoch allgemeinbildende Fächer vermissen lassen. Der Erwerb einer Fachschulreife reiche aber für eine dem erfolgreichen Besuch einer Mittelschule gleichwertige Schulbildung nicht aus. § 5 Abs. 1 Satz 4 DVO 1968 setze ein "Berufsziel" voraus, das eine Fachschulausbildung erfordere, bei der anstelle des Mittelschulabschlusses die Fachschulreife treten könne, und finde deshalb nur Anwendung, wenn jemand mit der Fachschulreife - anstelle eines Mittelschulabschlusses - zum Besuch einer Ingenieurschule zugelassen worden sei. Deshalb könne dahinstehen, ob der Besuch der Kunstgewerbeschule dem Erwerb einer Fachschulreife entspreche, denn der Kläger habe diese Ausbildung nicht durch den Besuch einer Ingenieurschule oder gleichwertigen Schule fortgesetzt. Er habe aber Anspruch auf Einstufung in die Besoldungsgruppe A 9, weil das hierfür maßgebende Merkmal "mit abgelegter Meisterprüfung" einer ausdehnenden Auslegung zugänglich sei. Zwar gebe es im Beruf des Holzbildhauers keine Meisterprüfung, nach der Aussage des Sachverständigen B komme aber die Abschlußprüfung auf einer Kunstgewerbeakademie nicht nur der Meisterprüfung in einem Handwerk gleich, sondern bedeute wesentlich mehr. Der Kläger besitze auf Grund seiner Erfahrung die besonderen Kenntnisse, wie sie bei einem Handwerker durch die Ablegung der Meisterprüfung unter Beweis gestellt werden. Deshalb sei es gerechtfertigt, den Kläger so zu behandeln, als hätte er die Meisterprüfung abgelegt.
Mit der zugelassenen Revision rügt der Beklagte die Verletzung des § 5 DVO vom 30. Juli 1964 bzw. 28. Februar 1968. Maßgeblich sei, daß es in dem Beruf des Klägers keine Meisterprüfung gebe, weshalb eine ausdehnende Auslegung des § 5 Abs. 1 DVO hier nicht in Betracht komme. Lediglich in den Fällen, die einen Vergleich der Erwerbschancen eines Selbständigen ohne Meisterprüfung mit denen eines Selbständigen des gleichen Berufs mit "abgelegter Meisterprüfung" zuließen, könne eine Gleichstellung gerechtfertigt sein, nicht aber in solchen, bei denen es keine Meisterprüfung gebe oder früher oder später nicht gegeben habe.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts abzuändern und die Klage im vollen Umfang abzuweisen.
Der Kläger hat Anschlußrevision eingelegt und die Verletzung des § 5 DVO und der §§ 103, 106, 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gerügt.
Er beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts abzuändern und die Berufung sowie die Revision des Beklagten zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Sache an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Er führt aus: Das LSG hätte nicht dahinstehen lassen dürfen, ob der Besuch der "Kunstgewerbeschule in D" einer "Fachschulreife" entspreche. Den Studierenden an der Staatlichen Akademie für Kunstgewerbe als einer "höheren Lehranstalt" sei beim Abgang ein "Reifezeugnis" ausgestellt worden. Die Bezeichnung "Fachklasse" bedeute nur, daß an der Akademie verschiedene Studienrichtungen gelehrt worden seien, die auch allgemein bildende Vorlesungen umfaßten. Das LSG hätte versuchen müssen, ehemalige Lehrkräfte der Kunstakademie über Einzelheiten der Studiengänge des Unterrichtsstoffes und des wissenschaftlichen Ranges zu befragen.
Der Beklagte beantragt zusätzlich,
die Anschlußrevision des Klägers zurückzuweisen.
Er führt ergänzend aus, nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG seien in der Kunstgewerbeschule keine allgemein bildenden Fächer gelehrt worden; es habe sich höchstens um Randgebiete des Fachwissens gehandelt.
Der Senat hat eine Auskunft des Pädagogischen Zentrums B vom 23. Januar 1973 eingeholt; danach hat die "Staatliche Akademie für Kunstgewerbe" in D im Range einer Fachschule gestanden und kann im Hinblick auf die Ausbildungsdauer etwa mit einer Ingenieurschule verglichen werden. Außerdem liegen dem Senat Berichte der Staatlichen Akademie für Kunstgewerbe in D über die Jahre 1914 bis 1930 und "Bestimmungen" der mit ihr identischen Staatlichen Kunstgewerbeschule zu D vom Mai 1919 vor.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten ist zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164, 166 SGG). Auch die innerhalb der Revisionsbegründungsfrist beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangene - sogenannte unselbständige - Anschlußrevision des Klägers ist zulässig (§§ 202 SGG, 556 der Zivilprozeßordnung - ZPO -; BSG 8, 24, 28, 29); sie erweist sich auch als begründet. Die Revision des Beklagten ist unbegründet.
Streitig ist, ob der Berufsschadensausgleich des Klägers, der als freischaffender Künstler - Holzbildhauer - tätig ist, auf der Grundlage der Besoldungsgruppe A 7, A 9 oder A 11 BBesG zu berechnen ist.
Nach § 5 Abs. 1 der DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) vom 30. Juli 1964 (BGBl I 574) und nach § 5 Abs. 1 letzter Satz der DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG vom 28. Februar 1968 (BGBl I 194), die auch auf Sachverhalte anzuwenden ist, die in den zeitlichen Geltungsbereich der DVO 1964 fallen (SozR Nr. 40 zu § 62 BVG und Urteil vom 8. Oktober 1969 - 9 RV 164/69 -), kommt für die Berechnung des Durchschnittseinkommens (Vergleichseinkommens) eines selbständig Tätigen mit Volksschulbildung und abgeschlossener Berufsausbildung die Besoldungsgruppe A 7 in Betracht. Hat der selbständig Tätige zusätzlich eine Meisterprüfung abgelegt, dann ist er in A 9 einzustufen, während der Selbständige, der außer der Volksschul- und abgeschlossenen Berufsausbildung mindestens das Zeugnis über den erfolgreichen Besuch einer Mittelschule oder eine gleichwertige Schulausbildung nachweisen kann, in A 11 einzustufen ist. Dabei ist einer Mittelschulbildung eine andere Schulbildung nur dann gleichwertig, wenn Abschlußzeugnisse dieses Bildungsganges allgemein und ohne zusätzliche Bedingungen mindestens für das Berufsziel in einem Beruf, der die Grundlage für die selbständige Tätigkeit bildet, wie Abschlußzeugnisse von Mittelschulen gewertet werden. Für die Berechnung des Berufsschadensausgleichs kommt es deshalb darauf an, ob der Bildungsgang des Klägers, der mit dem Zeugnis ("Reifezeugnis") über den dreijährigen Besuch der Staatlichen Akademie für Kunstgewerbe in Dresden (1926 bis 1929) abgeschlossen worden ist, dem Besuch einer Mittelschule gleichwertig ist. Der Senat hat dies im Ergebnis übereinstimmend mit dem SG bejaht.
Nach den vom Senat beigezogenen Unterlagen wurde der ehemaligen Königlichen Kunstgewerbeschule in D - 1919 als Staatliche Kunstgewerbeschule zu Dresden bezeichnet - am 1. Oktober 1920 die Bezeichnung "Staatliche Akademie für Kunstgewerbe" verliehen. Sie förderte als Staatsanstalt 1. die Ausbildung von Mitarbeitern (Gehilfen, Werkstattleitern, Zeichnern, Modelleuren) für Handwerk und Industrie, 2. die Ausbildung von Künstlern auf der Grundlage der handwerklichen Techniken. Die Ausbildungszeit betrug einschließlich praktischer Lehre bei dem Endziel zu Nr. 1 (Feingefühl für Technik, Form und Farbe im handwerklichen Sinne) drei bis fünf Jahre, bei dem Endziel zu Nr. 2 (selbstschöpferische Tätigkeit bei starker Begabung) fünf bis acht Jahre. Die Schule umfaßte im wesentlichen berufliche Fachklassen und eine Zeichenlehrer-Abteilung. Voraussetzung für die Aufnahme in eine berufliche Fachklasse war in der Regel eine praktische Vorbildung, welche die Gesellenprüfung zum Ziel hatte, die Freiheit von der Fortbildungsschule (Berufsschule) und - oder - die Vollendung des 16. Lebensjahres, der Nachweis einer entsprechenden Vorbildung (gute allgemeine Bildung) und Begabung und in Ausnahmefällen eine besondere Prüfung. Abgangszeugnisse ("Reifezeugnisse") enthielten die Semesterzahl und Beurteilungen über erworbene Fähigkeiten. Unterrichtet haben an der Kunstgewerbeschule nahezu ausschließlich Professoren, unter ihnen ist auch der vom Kläger als Lehrer angegebene Professor W (für das Fachgebiet "angewandte Plastik") aufgeführt. Nach den vom SG vorgelegten Bescheinigungen der jetzigen Hochschule für bildende Künste Dresden vom 9. Oktober 1968 und 15. April 1969 gehörte die Akademie zu den höheren staatlichen Lehranstalten. Sie stand nach der Auskunft des Pädagogischen Zentrums Berlin vom 23. Januar 1973 im Rang einer Fachschule und konnte im Hinblick auf die Ausbildungsdauer etwa mit einer Ingenieurschule verglichen werden; dieses Zentrum ist nach dem Beschluß der Kultusministerkonferenz vom 26. November 1971 (GMBl 1972, 47) dann gutachtlich zu hören, wenn Personen, die eine Abschlußprüfung ua an einer Werkkunstschule oder deren Rechtsvorgängerin abgelegt haben, eine Graduierung beantragen, seiner Auskunft kommt deshalb besondere Bedeutung zu. Brauchbare Anhaltspunkte für die Wertung des Bildungsganges der vom Kläger besuchten Akademie gibt schließlich auch der von Muthesius-Busch (vgl. Handbuch für das Berufs- und Fachschulwesen, herausgegeben von A. Kühne, 2. Aufl. 1929, S. 354) erwähnte Erlaß des Preußischen Ministers für Handel und Gewerbe vom September 1926 "über die Einrichtung von Fachabteilungen mit geordneten Lehrplänen und Abschlußprüfungen an den Handwerker- und Kunstgewerbeschulen" (HMBl 1926, 308), in dem neben den Aufnahmebedingungen ua der Rahmen-Lehrplan und Lehrstoff für Modelleure und Bildhauer aufgeführt ist; danach wurde neben dem reinen Fachwissen auch Geschäftsbriefwechsel, Buchführung, Kalkulation, Staatsbürgerkunde und Gesetzeskunde vermittelt. Auch aus den vom Senat zum Vergleich herangezogenen einschlägigen Erlassen über die Verfassung der Kunstgewerbeschule M (Ministerialerlaß vom 8. April 1924) und die Aufnahmebedingungen der Kunstgewerbeschule N (Ministerialerlaß vom 3. Juli 1924) kann entnommen werden, daß sich diese Schulen als zentraler Oberbau der Fachschulen ansahen, für deren Besuch ua auch das Abgangszeugnis einer Fachschule dienen konnte.
Der Kläger hat bei Aufnahme in die Akademie die genannten Aufnahmebedingungen nach den nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen insoweit erfüllt, als er damals bereits 20 Jahre alt gewesen ist und eine abgeschlossene Berufsausbildung sowie weitere praktische Tätigkeit hinter sich hatte; für seine gute Allgemeinbildung spricht das besonders gute Berufsschulzeugnis. Obwohl weitere Unterlagen nicht vorhanden sind und der Kläger das ihm nach der Feststellung des LSG erteilte Zeugnis nicht mehr in Händen hat, ist damit der Schluß gerechtfertigt, daß der Kläger schon bei Aufnahme in die Staatliche Akademie den Aufnahmebestimmungen dieser Schule als einer höheren Fachschule entsprochen und seine Vorbildung damals den Anforderungen genügt hat, die an Absolventen der im Rundschreiben des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (BMA) vom 13. Juni 1967 (BVBl 1967, 87), ergänzt durch das Rundschreiben vom 18. August 1967 (BVBl 1967, 106) genannten Schulen gestellt werden. Während nämlich niedere oder auch vorbereitende Fachschulen grundsätzlich auf der Volksschule aufbauten und keine andere und höhere schulische Vorbildung voraussetzten, gleichgültig, ob die Fachschule unmittelbar an die Absolvierung der Volksschule anschloß oder noch eine praktische Tätigkeit verlangte, setzten höhere und auch weiterführende Fachschulen in der Regel eine andere und höhere Schulbildung als die der Volksschule oder eine praktische Berufstätigkeit bestimmten Umfanges voraus (vgl. v. Brauchitsch, Verwaltungsgesetze für Preußen, neu herausgegeben von Drews und Lassar 1933, 6. Bd., 2. Halbbd. S. 869/870). Auch die Bezeichnung "Akademie" wurde im allgemeinen nur einzelnen höheren Fachschulen sozial- und wirtschaftspädagogischer oder kunstgewerblicher Richtung verliehen, die für die Aufnahme ein höheres Lebensalter und damit eine gehobene Allgemein- und vertiefte Fachausbildung voraussetzten (vgl. Wefelmeyer, Lexikon der Berufsausbildung und Berufserziehung 1959, S. 3). Zwar gilt die Kunstgewerbeschule bzw. Akademie in Dresden nicht als höhere technische Lehranstalt im Sinne von § 27 der Verordnung über die Vorbildung und die Laufbahnen der deutschen Beamten vom 28. Februar 1939 (RGBl I 371) und auch nicht im Sinne von § 22 Abs. 3 der Bundeslaufbahnverordnung - BLV - (GMBl 1964, 214; BGBl I 1173); sie ist daher auch nicht in der Zusammenstellung von Schulen bis 1945 enthalten, an denen ein staatliches Ingenieurzeugnis erworben werden konnte (zusammengestellt aus früheren Reichslisten und ihren Ergänzungen in GMBl 1969, 432). Der Besuch dieser Schulen wurde als Einstellungsvoraussetzung für den mittleren gehobenen Dienst genannt, weil sie das Abschlußzeugnis einer anerkannten Bau- oder Ingenieurschule oder höheren technischen Lehranstalt forderten. Aus den nach 1945 erstellten Verzeichnissen über die staatlich anerkannten höheren Fachschulen ist jedoch ersichtlich, daß in zunehmendem Umfange auch Lehranstalten mit künstlerischer Ausrichtung aufgenommen wurden, ua zum Beispiel die Staatliche Bau- und Kunstschule M, die Staatlichen Akademien für angewandte Technik in C, M und N, die Staatliche Werkkunstschule S, die Staatliche Kunst- und Werkschule P, die Staatliche Akademie für Graphik, Druck und Werbung, B (vgl. GMBl 1950/51, 89; 1952, 309; 1960, 431; 1964, 147; 1972, 511). Daraus ergibt sich, daß die durch höhere Fachschulen der genannten Art vermittelte Bildung, die zunächst in erster Linie auf die Betätigung in Wirtschaftsberufen ausgerichtet war und ihrem Wesen nach nicht die Berechtigung für bestimmte Beamtenberufe oder für ein weitergehendes Studium erstrebte, zunehmend höher bewertet und anderen Bildungsgängen gleichgestellt worden ist (vgl. Kühne aaO S. 317/318). Dieser Entwicklung ist durch den Begriff der "gleichwertigen Schulausbildung" in § 5 Abs. 1 der DVO zu § 30 Abs. 3 u. 4 BVG Rechnung getragen, sie ist bei der Auslegung dieses Begriffs zu beachten. Im vorliegenden Fall muß die Gleichwertigkeit mindestens deshalb bejaht werden, weil der Kläger, obwohl er bei Aufnahme in die Schule keine "Fachschulreife" gehabt hat, den Besuch der Akademie nach dreijährigem Studium erfolgreich abgeschlossen hat. Auch der BMA hat im Rundschreiben vom 18. April 1967 ausdrücklich betont, es sei nicht erforderlich, daß die Vorbildung für sämtliche Berufsziele, bei denen Mittelschulbildung gefordert werde, gleichwertig sein müsse.
Die Rechtsprechung des BSG hat bisher für die Gleichwertigkeit einer Schulausbildung mit der Mittelschulbildung als entscheidend die Vermittlung von Allgemeinbildung im Gegensatz zu reiner Fachausbildung angesehen (vgl. SozR Nr. 3 zu § 5 DVO 1961; SozR Nr. 3 zu § 5 DVO 1964 und die Urteile des erkennenden Senats vom 8. Oktober 1969 - 9 RV 164/69 - und vom 5. Mai 1970 - 9 RV 2212/68 -). Ist aber - wie bei dem hier vorliegenden Sachverhalt - aus der Qualität einer Weiterbildung zu schließen, daß diese Kenntnisse und Fähigkeiten von gleichem Rang wie eine Mittelschulbildung voraussetzt, dann bedarf die bisherige Rechtsprechung der Erweiterung. Dies gilt jedenfalls für künstlerische Berufe, die sich bei der Bewertung des Entwicklungsganges einer schematisierenden Betrachtung weitgehend entziehen. In solchen Fällen müssen neben dem Gradmesser der Allgemeinbildung ergänzende Gesichtspunkte berücksichtigt werden, wie der künstlerische oder wissenschaftliche Rang einer weiterbildenden höheren Fachschule, die Dauer der Ausbildung und die Qualifikation des Bildungsabschlusses. Nur eine solche Gesamtschau kann in Sonderfällen der hier vorliegenden Art zu dem richtigen Einstufungsergebnis führen. Eine ausschließlich auf die Allgemeinbildung abgestellte Wertung würde die Besonderheiten des auf nicht technische, vor allem künstlerische Berufe bezogenen Bildungswesen außer acht lassen. Der erfolgreiche Besuch einer höheren Lehranstalt, die der Ausbildung auf dem Gebiet künstlerischer Befähigung dient, darf nicht geringer bewertet werden als die Ausbildung auf Gebieten technischen Könnens, wie es durch die früher sogenannten "Ingenieurschulen" und die ihnen nunmehr gleichwertigen Lehranstalten vermittelt wird. Noch eher als im Falle eines auf künstlerischem Gebiet freischaffenden Modelleurs bzw. Keramikers, der nach der praktischen Ausbildung in den Jahren 1901 - 1905 eine keramische Fachschule (spätere Staatliche Werkschule für Keramik) besucht hat (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 5. Mai 1970 - 9 RV 608/69 -), ist deshalb bei dem Kläger als den Absolventen einer höheren Fachschule bzw. Akademie die einer Mittelschulausbildung gleichwertige Schulausbildung anzunehmen.
Das SG hat deshalb im Ergebnis zutreffend entschieden, daß für die Berechnung des Berufsschadensausgleichs des Klägers von der Besoldungsgruppe A 11 auszugehen ist. Damit konnte das Urteil des LSG, das die Besoldungsgruppe A 9 zu Grunde gelegt hat, keinen Bestand haben - ohne daß es auf die vom LSG hierfür gegebene Begründung ankam -. Die vom LSG getroffenen tatsächlichen Feststellungen reichen in Verbindung mit den vom Senat noch beigezogenen Unterlagen für eine Sachentscheidung aus (§ 170 Abs. 2 Satz 1 SGG). Auf die Anschlußrevision des Klägers war aus den dargelegten Gründen das Urteil des LSG aufzuheben; die Berufung und die Revision des Beklagten waren zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1669498 |
BSGE, 169 |