Leitsatz (amtlich)
Die Beitragspflicht des Übergangsgeld zahlenden Rehabilitationsträgers fällt nicht dadurch rückwirkend weg, daß dem Behinderten nach erfolglosen Rehabilitationsmaßnahmen rückwirkend anstelle des Übergangsgeldes Vollrente aus der Unfallversicherung und Rente wegen Erwerbsunfähigkeit aus der Rentenversicherung gewährt wird, weil der Behinderte von Anfang an dauernd erwerbsunfähig gewesen ist.
Normenkette
RVO § 165 Abs 6 Fassung: 1956-06-12, § 311 S 1 Nr 3 Fassung: 1974-08-07, § 315a Abs 3 Fassung: 1956-06-12, § 381 Abs 3a Nr 2 Fassung: 1974-08-07; AVG § 2 Abs 1 Nr 10a Buchst c Fassung: 1974-08-07; RVO § 1227 Abs 1 S 1 Nr 8a Buchst c Fassung: 1974-08-07
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 20.07.1979; Aktenzeichen L 4 Kr 663/78) |
SG Mannheim (Entscheidung vom 06.10.1976; Aktenzeichen S 7 Kr 2098/75) |
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darum, wie sich die rückwirkende Bewilligung der Vollrente aus der Unfallversicherung und der Erwerbsunfähigkeitsrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung auf die Beitragspflicht des Unfallversicherungsträgers als Rehabilitationsträger auf die Zeit auswirkt, in der er der Versicherten F (F.) Übergangsgeld gezahlt hat.
Die klagende Berufsgenossenschaft (BG) gewährte F. wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls vom 9. Mai 1974 Maßnahmen der Rehabilitation und Übergangsgeld. Sie entrichtete als Rehabilitationsträger wegen der Übergangsgeldzahlungen aufgrund von Beitragsforderungen vom 31. Januar, 4. März, 2. April und 20. Juni 1975 an die beklagte Kasse für die Zeit vom 1. Oktober 1974 bis zum 28. Februar 1975 Beiträge zur Krankenversicherung und Angestelltenversicherung der F. mit insgesamt 510,38 DM. Nachträglich bewilligte die Klägerin der F. rückwirkend vom 9. Mai 1974 an Vollrente aus der Unfallversicherung; außerdem bewilligte die beigeladene Bundesversicherungsanstalt (BfA) der F. rückwirkend ab 1. Juni 1974 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Das der F. gezahlte Übergangsgeld verrechnete die Klägerin mit der Rentennachzahlung an die F. Die Klägerin forderte alsdann von der Beklagten die von ihr entrichteten Beiträge als zu Unrecht entrichtet zurück, da mit der rückwirkenden Rentenbewilligung der frühere Anspruch der F. auf Übergangsgeld nachträglich weggefallen und sie daher nicht beitragspflichtig sei.
Das Sozialgericht (SG) Mannheim hat die Klage auf Rückzahlung der Beiträge abgewiesen. Auf die Widerklage der Beklagten hat es die Klägerin verurteilt, für die Zeit des Übergangsgeldbezugs vom 1. März bis 18. April 1975 die darauf entfallenden Sozialversicherungsbeiträge mit 164,74 DM an die Beklagte zu zahlen (Urteil vom 6. Oktober 1976).
Auf die Sprungrevision der Klägerin hat das Bundessozialgericht (BSG) durch Urteil vom 2. Februar 1978 (12 RK 59/76) das angefochtene Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg zurückverwiesen, da die Versicherte F. notwendig beizuladen sei. Außerdem hat das BSG darauf hingewiesen, daß die Beklagte der Klägerin Beitragsbescheide erteilt habe, die die Klägerin nicht ausdrücklich mit der Klage angefochten habe. Es sei sachdienlich, einer verbundenen Aufhebungsklage und Leistungsklage entsprechende Anträge herbeizuführen und über eine solche Klage zu entscheiden.
Das LSG ist entsprechend verfahren, hat F. beigeladen und die Klägerin veranlaßt, ihre Klage zu ändern. In der Sache hat es der Klage nicht stattgegeben. Es hat ausgeführt, das durch die Zahlung von Übergangsgeld begründete Versicherungsverhältnis könne nicht rückwirkend geändert werden (Urteil vom 20. Juli 1979).
Die Klägerin rügt mit der von dem LSG zugelassenen Revision eine Verletzung des § 381 Abs 3a Nr 2 iVm § 385 Abs 3a der Reichsversicherungsordnung (RVO) und des § 2 Abs 1 Nr 10a Buchst c des Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) iVm § 112 Abs 4 Buchst h AVG. Sie beantragt, das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 20. Juli 1979 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihrer Beitragsbescheide vom 31. Januar, 4. März, 2. April und 20. Juni 1975 zu verurteilen, an die Klägerin die gezahlten Beiträge in Höhe von 675,12 DM zurückzuerstatten.
Die Beklagte und die beigeladene BfA beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Die beigeladene Versicherte hat keinen Antrag gestellt.
Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist nicht begründet. Sie ist zurückzuweisen.
Die Beitragsbescheide, die die Klägerin mit ihrer in der Vorinstanz zulässigerweise geänderten Klage anficht, sind rechtmäßig.
Daß die Klägerin in der Zeit, auf die sich die Bescheide beziehen (1. Oktober 1974 bis 18. April 1975) zur Beitragsleistung schon deshalb verpflichtet war, weil sie Übergangsgeld zahlte, ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz und wird von ihr selbst nicht in Zweifel gezogen (§ 381 Abs 3a Nr 2 iVm § 385 Abs 3a RVO; § 2 Abs 1 Nr 10a Buchst c iVm § 112 Abs 4 Buchst h AVG; die Sieben-Wochenfrist - vgl BSG SozR 2200 § 381 Nr 24 - war nicht einzuhalten, weil das Übergangsgeld schon länger, nämlich als Verletztengeld, gezahlt worden ist). Die Beitragspflicht ist weder durch die rückwirkende Zahlung der Vollrente noch durch die rückwirkende Bewilligung der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit rückwirkend weggefallen.
Die rückwirkende Bewilligung der Vollrente könnte nur dann die Beitragspflicht der Klägerin entfallen lassen, wenn diese Pflicht an einen Anspruch auf Übergangsgeld geknüpft wäre und die Grundlage dieses Anspruchs durch den Anspruch auf Vollrente rückwirkend verdrängt worden wäre. Beides ist zu verneinen. Die Beitragspflicht ist nach dem Wortlaut des § 381 Abs 3a Nr 2 RVO und des § 2 Abs 1 Nr 10a Buchst c AVG nicht an einen Anspruch auf Übergangsgeld, sondern an "den Bezug" dieser Leistung geknüpft. Auch das Versicherungsverhältnis ist nur von der tatsächlichen Leistung von Übergangsgeld abhängig gemacht worden (vgl § 311 Satz 1 Nr 3 RVO im Unterschied zu dem Versicherungsverhältnis im Falle von Arbeitsunfähigkeit nach § 311 Satz 1 Nr 2 RVO). Aber auch wenn man daran zweifeln wollte, ob der gesetzliche Wortlaut seinem Sinn entspricht (vgl Peters, Handbuch der Krankenversicherung, 17. Aufl, Stand: Juli 1979, § 311 Anm 6) und der Anspruch auf Übergangsgeld Voraussetzung für die Beitragspflicht wäre, könnte dies zu keinem anderen Ergebnis führen. Denn die rückwirkende Bewilligung von Vollrente macht die Zahlung von Übergangsgeld nicht rechtsgrundlos. Das Übergangsgeld hat den Zweck, für eine Zeit der Ungewißheit über das Ergebnis von Rehabilitationsmaßnahmen Lohnersatz zu bieten. Dieser Zweck entfällt nicht für die Vergangenheit, wenn die Ungewißheit durch Bewilligung von Vollrente beseitigt ist. Die Gewißheit tritt erst für die Zukunft an die Stelle der Ungewißheit. Auch der 4. Senat hat in Fällen dieser Art das Übergangsgeld (damals Verletztengeld) als "nicht zu Unrecht" gezahlt angesehen (vgl BSGE 30, 42, 44).
Der die Beitragsleistung rechtfertigende Grund ist auch nicht durch rentenversicherungsrechtliche Vorgänge weggefallen.
Die rückwirkende Rentenbewilligung hat schon deshalb keinen Einfluß auf den Rechtsgrund der Beitragsleistung, weil das Unfallversicherungsrecht den Doppelbezug von Rente und Übergangsgeld grundsätzlich billigt und nur im Falle der Wiedererkrankung teilweise ausschließt (§ 562 Abs 2 RVO). Die für die Beziehung von Krankengeld und Rente geltenden Vorschriften des § 183 Abs 3 bis 5 RVO sind für das Zusammentreffen von Übergangsgeld und Rente planmäßig nicht für anwendbar erklärt worden (vgl Gesamtkommentar zur RVO; Stand: Juni 1975, § 562 Anm 2b aa); der den Doppelbezug von Übergangsgeld und Rente ausschließende § 18 Abs 3 Nr 2 des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation (RehaAnglG) ist wegen der eigenständigen Regelung der §§ 560 bis 562 RVO nicht anzuwenden (vgl Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung Stand: 1979, Bd II, S 564w).
Der die Beitragsleistung zur Krankenversicherung rechtfertigende Rechtsgrund wird auch nicht dadurch berührt, daß in der Zeit der Beitragsleistung die Voraussetzungen der Versicherung in der KVdR erfüllt waren. Denn die Konkurrenz zwischen dem Versicherungsverhältnis kraft Bezugs von Übergangsgeld und dem Versicherungsverhältnis kraft Rentenbezugs ist in der Krankenversicherung gesetzlich in § 165 Abs 6 idF vor dem Gesetz vom 27. Juni 1977 - BGBl 1069 - iVm § 315a Abs 3 RVO geregelt. Danach haben die Versicherung kraft Beschäftigung (§ 165 Abs 1 Nr 1 und 2 RVO) und die Versicherung "nach anderen gesetzlichen Vorschriften" den Vorrang vor der Versicherung kraft Rentenbezugs. Die Versicherung nach § 311 Satz 1 Nr 3 RVO ist eine solche Versicherung. Wollte man anders entscheiden, würde in der Zeit eines erfolglosen Rentenverfahrens einer fiktiven Mitgliedschaft der Vorrang vor einer realen Mitgliedschaft eingeräumt (vgl den Hinweis auf § 165 Abs 6 RVO in § 315a Abs 3 RVO). Es besteht aber kein Grund dafür, daß das juristische Hilfsmittel der Fiktion einer Mitgliedschaft auch da Platz greift, wo tatsächlich eine Mitgliedschaft besteht (vgl BSG SozR 2200 § 315a Nr 4). Entgegen der Meinung des LSG wird damit nicht von dem Urteil des 12. Senats des BSG vom 14. September 1978 - 12 RK 28/77 (SozR 2200 § 381 Nr 29 S 73) abgewichen (vgl aaO S 76).
Daraus folgte, daß die Beitragspflicht der Beklagten unabhängig von den auf BSGE 26, 120 gestützten Erwägungen des LSG zum Schutz zurückliegender Versicherungsverhältnisse bestehen geblieben ist. Im übrigen kann entgegen der Meinung des LSG nicht von dem Grundsatz ausgegangen werden, daß in zurückliegende Versicherungsverhältnisse nicht eingegriffen werden könne. Einen solchen Grundsatz hat das BSG nicht aufgestellt, und zwar auch nicht in dem oben genannten Urteil (vgl dazu Urteil des Senats vom 30. April 1979 - 8b/3 RK 20/77). Insbesondere muß grundsätzlich - dh abgesehen von ausdrücklichen Vertrauensschutzvorschriften wie zB § 213 RVO - in Versicherungsverhältnisse eingegriffen werden, wenn die Beteiligten die Voraussetzungen solcher Versicherungsverhältnisse zunächst verkannt haben (vgl BSGE 39, 235, 238). Da hier indessen die Beteiligten die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen zutreffend beurteilt haben und die rückwirkenden rechtlichen Änderungen auf diese Voraussetzungen keinen Einfluß haben, sind die angefochtenen Beitragsanforderungen zu Recht ergangen. Die bereits geleisteten Beiträge können nicht zurückverlangt werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen