Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 22.05.1990)

SG Mannheim (Urteil vom 16.08.1989)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin werden die Urteile des Landessozialgericht Baden-Württemberg vom 22. Mai 1990 und des Sozialgericht Mannheim vom 16. August 1989 aufgehoben. Die Beklagte wird unter Änderung des Bescheides vom 27. Januar 1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Mai 1989 verurteilt, die Zeit vom 12. Juni bis zum 31. August 1985 als Anrechnungszeit vorzumerken.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Streitig ist die Vormerkung einer Ausfallzeit (Anrechnungszeit).

Die am 12. Februar 1966 geborene Klägerin beantragte im Dezember 1988 im Rahmen des Kontenklärungsverfahrens die Vormerkung des zwischen Abitur (11. Juni 1985) und Beginn einer (versicherungspflichtigen) Banklehre (1. September 1985) liegenden Zeitraumes vom 12. Juni bis zum 31. August 1985 als Ausfallzeit. Die beklagte Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) merkte die Zeit der Schulausbildung vom 12. Februar 1982 bis zum 11. Juni 1985 vor, lehnte aber die Anerkennung der genannten Zwischenzeit mit der Begründung ab, es liege keine Lehrzeit, Schul-, Fachschul- oder Hochschulausbildung iS des § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) vor (Bescheid vom 27. Januar 1989). Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 8. Mai 1989).

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen (Urteile des Sozialgerichts ≪SG≫ vom 16. August 1989 und des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 22. Mai 1990). Das LSG hat im wesentlichen ausgeführt: Der streitige Zeitraum könne nicht mehr als Ausfallzeit der Schulausbildung iS des § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4b AVG qualifiziert werden, sei aber auch noch keine Beitragszeit, wie später die Lehre aufgrund der Versicherungspflicht. Allerdings habe das Bundessozialgericht (BSG), losgelöst vom Gesetzeswortlaut, in erweiternder Auslegung oder Ergänzung den Anwendungsbereich des § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 AVG auf zwischen zwei anrechenbare Ausbildungsausfallzeiten unvermeidbare Zeitabschnitte erstreckt. Der notwendige enge Zusammenhang aufeinander bezogener Ausbildungszeiten ermögliche es, auch die kurzen, häufig und typischerweise auftretenden Zeitabschnitte an dem gleichen Rechtscharakter sowohl der vorangehenden wie auch der nachfolgenden Zeit teilnehmen zu lassen (Hinweis auf BSG SozR 2200 § 1259 Nrn 66, 81, 97). Im vorliegenden Fall stehe auch aufgrund der Auskunft der Industrie- und Handelskammer Rhein-Neckar in Mannheim vom 6. März 1990 fest, daß zumindest eine Banklehre in der Regel erst nach den Sommerferien mit Beginn des Berufsschuljahres angetreten werden könne, so daß ein weniger als drei Monate dauernder ausbildungsfreier Zwischenabschnitt typischerweise anzunehmen sei. Dieser Sachverhalt erlaube aber nicht, einen eine Einheit begründenden Zusammenhang zwischen Schule und Lehre anzunehmen. In dieser Zeit habe die Klägerin eine zwar kurzfristige, aber gleichwohl versicherungspflichtige Beschäftigung aufnehmen können. Eine andere Beurteilung rechtfertige sich auch nicht im Hinblick auf die Rechtsprechung des BSG zur Kindergeldberechtigung (§ 2 Abs 2 Satz 4 Bundeskindergeldgesetz ≪BKGG≫) bei zwangsweiser Unterbrechung der Berufsausbildung (vgl BSG SozR 5870 § 2 Nr 20 mwN) sowie auf diejenige zur Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten bei der Gewährung von Waisenrenten und Kinderzuschüssen (vgl zusammenfassend BSG, Urteil vom 22. Februar 1990, SozR 3-2200 § 1267 Nr 1). Die insoweit maßgeblichen sozialrechtlichen Bestimmungen seien bereits ihrem Wortlaut nach weiter gefaßt als die Ausfallzeittatbestände des § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 AVG und somit nicht vergleichbar.

Die Klägerin hat die – vom erkennenden Senat zugelassene – Revision wie folgt begründet: Zur Vermeidung einer Ungleichbehandlung iS des Art 3 Grundgesetz (GG) müsse § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 AVG wegen der veränderten Lebensverhältnisse auch auf diejenigen Abiturienten angewendet werden, die an Stelle eines Hochschulstudiums nach Ende der Sommerferien eine versicherungspflichtige Lehrzeit begännen. Die Zeit zwischen Schulabschluß und Berufsausbildung sei als notwendige Ferienzeit der vorangegangenen Schulzeit mit zuzurechnen. Auch sei eine Ungleichbehandlung darin zu erblicken, daß man einem Studienanfänger nicht zumuten wolle, zur Überbrückung der Zwischenzeit eine beitragspflichtige Beschäftigung aufzunehmen, während man dies von der Klägerin verlange. Nicht einschlägig sei im übrigen die vom LSG zitierte höchstrichterliche Rechtsprechung zur Verweigerung der Anrechnung einer Ausfallzeit zwischen dem Ende einer Fachhochschulausbildung und dem Beginn einer versicherungspflichtigen Lehrzeit als Ausfallzeit (Hinweis auf BSG SozR 2200 § 1259 Nr 66), da in dieser Zeit ein Auszubildender mit Abitur eher die Ausnahme dargestellt habe.

Die Klägerin beantragt,

die Urteile des Sozialgerichts Mannheim vom 16. August 1989 und des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22. Mai 1990 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 27. Januar 1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Mai 1989 zu verurteilen, die Zeit vom 12. Juni 1985 bis zum 31. August 1985 als Ausfallzeit vorzumerken.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidungen der Vorinstanzen für zutreffend. Es dürfe nicht übersehen werden, daß der Gesetzgeber in den in § 36 Abs 1 AVG Nrn 1 bis 6 aufgeführten beitragslosen Zeiten einen festumrissenen Kreis benannt habe. Die Norm sei insofern restriktiv auszulegen und keiner weiteren Analogie fähig. Ein Blick auf das ab dem 1. Januar 1992 geltende Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) zeige, daß auch in Zukunft die Zahl der nunmehr „Anrechnungszeiten” genannten Ausfallzeittatbestände möglichst gering gehalten werden solle und von zur Zeit neun auf sieben Jahre verringert worden sei (§ 58 Abs 1 SGB VI).

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Klägerin ist begründet. Die Beklagte hat auch den zwischen Abitur und Beginn der Lehre liegenden Zeitraum vom 12. Juni bis 31. August 1985 vorzumerken, und zwar – wie noch auszuführen sein wird – entsprechend dem neuen Recht als Anrechnungszeit.

Zutreffend hat das LSG die Zulässigkeit der von der Klägerin erhobenen kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage bejaht (vgl § 54 Abs 1 SGG).

Rechtsgrundlage für die Vormerkung ist § 149 Abs 5 SGB VI. Grundsätzlich sind die Vorschriften dieses Gesetzbuches, das (im wesentlichen und mit allen hier anzuwendenden Vorschriften) am 1. Januar 1992 in Kraft getreten ist und das AVG ersetzt hat (Art 1, 83 Nr 1, 85 Abs 1 des Rentenreformgesetzes 1992 ≪RRG 1992≫ vom 18. Dezember 1989 ≪BGBl I S 2261≫ idF des Rentenüberleitungsgesetzes ≪RÜG≫ vom 25. Juli 1991 ≪BGBl I S 1106≫, dieses idF durch das Gesetz zur Änderung des RÜG ≪RÜG-ÄndG≫ vom 18. Dezember 1991, ≪BGBl I S 2207≫), hier anzuwenden. Gemäß § 300 Abs 1 SGB VI finden die Vorschriften dieses Gesetzbuches von dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an auf einen Sachverhalt oder Anspruch auch dann Anwendung, wenn bereits vor diesem Zeitpunkt der Sachverhalt oder Anspruch bestanden hat (vgl hierzu Urteil des Senats vom 25. Februar 1992 – 4 RA 34/91, zur Veröffentlichung bestimmt). Von Abs 1 aaO abweichende Regelungen über den Beginn der Anwendbarkeit neuen Rechts greifen nicht ein; §§ 300 Abs 3, 301 bis 308 SGB VI setzen nämlich einen schon bestehenden Sozialleistungsanspruch voraus, während im vorliegenden Fall nur über die Vormerkung rechtserheblicher Tatbestände für einen erst in der Zukunft liegenden Leistungsfall gestritten wird. Der Anwendung neuen Rechts durch das Revisionsgericht steht auch nicht entgegen, daß das Berufungsgericht das SGB VI noch nicht anwenden durfte. Denn im Revisionsverfahren ist neues Bundesrecht, das nach dem Erlaß des Urteils des Berufungsgerichts in Kraft getreten ist, zu beachten, wenn es das Streitverhältnis erfaßt (vgl Urteil des Senats vom 25. Februar 1992 über Hinweis auf BVerwG in: BVerwGE 1, 291, 298 ff; BVerwGE 41, 227, 230 ff mwN; Meyer-Ladewig, SGG, 4. Aufl 1991, § 162 RdNr 8).

Nicht nur die Vormerkung, sondern auch das, was vorgemerkt werden soll, beurteilt sich nach neuem Recht. Mit dem 1. Januar 1992 ist § 36 AVG – die Vorschrift über Ausfallzeiten – außer Kraft und gleichzeitig § 58 iVm § 252 SGB VI in Kraft getreten (Art 83 Nr 1, 85 Abs 1 RRG 1992). Dabei soll der neue Begriff

„Anrechnungszeiten” verdeutlichen, daß diese Zeit nicht „ausfällt”, sondern auf die Rente angerechnet wird, zumal die bisherigen Anrechnungsvoraussetzungen, wie das Erfordernis der sog Halbdeckung, gegenstandslos geworden sind (vgl BT-Drucks 11/4124 zu Art 1 § 58 S 167).

Funktionell und hinsichtlich der Auflistung der einzelnen Zeiten entsprechen aber die §§ 58, 252 SGB VI weitgehend dem bisherigen Recht. Nach § 58 Abs 1 Nr 4a SGB VI sind Anrechnungszeiten ua Zeiten, in denen Versicherte nach dem vollendeten 16. Lebensjahr eine Schule besucht haben. Gleiches regelt die Sonder-, Ergänzungs- und Übergangsvorschrift des § 252 Abs 4 Satz 1 SGB VI hinsichtlich vor dem 1. Januar 1992 zurückgelegter Zeiten; Abweichungen von § 58 aaO betreffen die im vorliegenden Rechtsstreit nicht interessierende Höchstdauer der Anrechnung des Schul-, Fachschul- und Hochschulbesuchs. Außerdem erfaßt § 252 SGB VI ua auch Zeiten, in denen Versicherte „nach dem vollendeten 16. Lebensjahr als Lehrling nicht versicherungspflichtig oder versicherungsfrei waren und die Lehrzeit abgeschlossen haben, längstens bis zum 28. Februar 1957” (aaO Abs 1 Nr 3). Dies sind sämtliche Zeiten, die schon nach bisherigem Recht – als Ausbildungs-Ausfallzeiten iS von § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 AVG – unter fast denselben Voraussetzungen vorgemerkt werden konnten.

Die im anhängigen Verfahren streitige Zeit liegt zwischen dem Schulabschluß (Reifeprüfung am 11. Juni 1985) und dem Beginn der Banklehre (1. September 1985), fällt demnach an sich unter keinen der in §§ 58, 252 SGB VI umschriebenen Gesetzestatbestände – ebensowenig wie nach dem bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Recht. Indessen hat die Rechtsprechung des BSG seit langem die zwischen zwei Ausbildungszeiten liegende „unvermeidliche Zwischenzeit” noch der vorangegangenen Ausbildungszeit zugerechnet (soweit ersichtlich, erstmals im Urteil vom 16. Februar 1966 – 1 RA 310/63 = BSGE 24, 241 im Falle eines Schülers, der nach dem am 8. Juli 1913 abgelegten Abitur im Anschluß an die bis zum 15. September, dem Ende des Schuljahres, dauernden großen Ferien zum 1. Oktober 1913 das Studium aufgenommen hatte). Später ist dies dann von der Rechtsprechung weiter konkretisiert worden.

Das betrifft zum einen die Dauer der Zwischenzeit (Übergangszeit). So ist entsprechend § 2 Abs 2 Satz 4 des BKGG (idF der Bekanntmachung vom 21. Januar 1982 ≪BGBl I S 13≫) zunächst im Zusammenhang mit den Vorschriften für die Waisenrente (§ 1269 Reichsversicherungsordnung ≪RVO≫ = § 44 AVG) eine Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten (nur) als unschädlich angesehen worden, wenn der nächste Ausbildungsabschnitt spätestens im vierten auf die Beendigung des vorherigen Ausbildungsabschnittes folgenden Monat beginnt (BSGE 56, 154 = SozR 2200 § 1267 Nr 13; dem folgend SozR 3-2200 § 1267 Nr 1), danach aber auch im Rahmen des § 36 AVG (vgl BSGE 56, 148, 150 = SozR 2200 § 1259 Nr 81). Daneben muß die Zwischenzeit, wie bereits erwähnt, „generell unvermeidbar” sowie darüber hinaus „durch die Organisation des Unterrichtswesens bedingt” typisch und in diesem Sinne häufig sein (vgl BSGE 56, 148 = SozR 2200 § 1259 Nr 81; SozR aaO Nrn 58, 66 und 97). Dieser Rechtsprechung schließt sich der erkennende Senat an.

Die von der Klägerin geltend gemachte Zwischenzeit bleibt unter dem Limit von drei bis vier Monaten. Das LSG hat auch ungerügt und daher für den Senat bindend festgestellt (§ 163 SGG), „daß zumindest die von der Klägerin absolvierte Banklehre in der Regel erst mit Beginn des Berufsschuljahres, dh nach den Sommerferien beginnt”. Daraus folgt und wird von der Beklagten auch nicht in Frage gestellt, daß die Zwischenzeit generell unvermeidbar, schulorganisatorisch bedingt typisch ist und deshalb auch jedenfalls bei einer solchen Lehre häufig vorkommt.

Soweit allerdings der 11. Senat des BSG im Urteil vom 12. August 1982 – 11 RA 66/81 (SozR 2200 § 1259 Nr 66) entschieden hat, die Zeit zwischen dem Ende einer Schulausbildung (dort: Fachschulausbildung) und dem Beginn einer versicherungspflichtigen Lehrzeit könne auch nicht in erweiternder Auslegung des § 36 Abs 1 Nr 4 AVG als Ausfallzeit (nach neuem Recht, wie dargelegt, gleichbedeutend mit Anrechnungszeit iS von § 58 Abs 1 Nr 4 iVm § 252 Abs 4 Satz 1 SGB VI) angesehen werden (im Grundsatz bestätigt im Urteil vom 17. Dezember 1986 – 11a RA 39/85 = SozR 2200 § 1259 Nr 97, wo es um die Zeit zwischen Fachschulausbildung und Berufspraktium ging), vermag der Senat dem nicht zu folgen. Das vorgenannte Urteil (aaO Nr 66) stellt entscheidend darauf ab, daß erst die gemeinsame „Umschließung” durch Ausfallzeiten iS des § 36 Abs 1 Nr 4 AVG es habe rechtfertigen können, auch die unvermeidliche Zwischenzeit an dem beiderseits gleichen Rechtscharakter der vorangehenden und der nachfolgenden Zeit teilnehmen zu lassen; es erscheine aber nicht zulässig, die Vorschrift auch auf Fälle zu erstrecken, in denen zwar eine Zeit von Ausbildungszeiten umschlossen werde, die nachfolgende Zeit (Lehrzeit) aber eine Beitragszeit sei. Der erkennende Senat hält diese Abgrenzung für zu formal und zu eng; sie differenziert, wo eine Gleichbehandlung angezeigt erscheint:

Die nach Vollendung des 16. Lebensjahres liegende abgeschlossene nicht versicherungspflichtige oder versicherungsfreie Lehrzeit ist erst durch das Rentenversicherungs-Änderungsgesetz (RVÄndG) vom 9. Juni 1965 (BGBl I S 476) als Ausfallzeit eingeführt worden. Das geschah auf Initiative des Bundesrates, der darauf hingewiesen hatte, daß nach der ursprünglichen Fassung der Vorschrift versicherungsfreie Lehrlingszeiten nicht als Ausfallzeiten angerechnet werden könnten, obwohl die Lehre zumindest in gleichem Maße der Vorbereitung auf den späteren Beruf diene wie der Schulbesuch (BT-Drucks IV/2572 S 33). Wenn die Gesetz gewordene Fassung dann mit den Worten „nicht versicherungspflichtige oder versicherungsfreie Lehrzeit” an die frühere Rechtssituation anknüpfte und eine Klarstellung bezweckte, „weil Lehrverhältnisse ohne Entgelt nicht versicherungspflichtig und solche ohne Barlohn aber mit Kost und Logie, versicherungsfrei gewesen seien”, so stand dahinter selbstverständlich der Gedanke, andererseits eine versicherungspflichtige Lehrzeit nicht einzubeziehen; denn (obgleich Beitragszeiten – auch Pflichtbeitragszeiten – das gleichzeitige Zurücklegen von Ausfallzeiten nicht grundsätzlich ausschließen, vgl SozR 2200 § 1259 Nrn 82, 90) insoweit ist keine Lücke im Versicherungsverlauf entstanden, die geschlossen werden müßte. Anders verhält es sich aber hinsichtlich der Zeit zwischen Schulabschluß und Beginn der Lehre. Hier entsteht eine Lücke, und zwar gleichgültig, ob nun die folgende Lehrzeit nicht versicherungspflichtig oder versicherungsfrei, also Ausbildungs-Ausfallzeit (jetzt: Ausbildungs-Anrechnungszeit) oder versicherungspflichtig und somit „bloße” Ausbildungszeit ist, wobei freilich auch im letzteren Fall erst mit dem Lehrabschluß „der Weg in das Berufsleben eröffnet” wird (vgl SozR 2200 § 1259 Nr 102 S 277). Es wäre nach der Ansicht des Senats nicht sachgerecht, beide Fallkonstellationen ungleich zu behandeln.

Nichts anderes ergibt ein Vergleich mit einer Übergangszeit zwischen Schulabschluß und (weiteren) Fachschul- oder Hochschulbesuch. Aus dem Personenkreis der Fach- und Hochschulabsolventen geht – das darf als generelle Tatsache festgehalten werden -eine weitaus größere Anzahl derjenigen hervor, die später (zB als Freiberufler, selbständig Tätige, Beamte) nicht mehr der gesetzlichen Rentenversicherung angehören, als dies bei (versicherungspflichtigen) Lehrlingen der Fall ist. Deshalb sollte erst recht bei der letzteren Personengruppe, auch im Hinblick auf die Interessen der Solidargemeinschaft der Versicherten, die Lücke im Versicherungsverlauf zwischen Ende des Schulbesuchs und Beginn der Lehre als einer gegenüber der Ausfallzeit (Anrechnungszeit) stärkeren Beitragszeit geschlossen werden, sofern – wie jedenfalls hier hinsichtlich der Banklehre – die Zwischenzeit generell unvermeidbar und typisch ist, einmal abgesehen davon, daß nicht selten eine solche Lehre die Vor- oder Zwischenstufe zum späteren Studium ist. Daher kann aber auch entgegen BSG SozR 2200 § 1259 Nrn 66, 97 und der Vorinstanz nicht der Vergleich gezogen werden zu denjenigen, die nach Schulabschluß ohne Lehre sofort in das Arbeitsleben eintreten, jedoch nicht sogleich einen Arbeitsplatz finden. Denn hier fehlt es an der „generellen” Unvermeidbarkeit der Zwischenzeit und an der Typik hinsichtlich des Beginns der (Bank-)Lehre, also an den Kriterien, mit denen sich die „Honorierung” der Übergangszeit rechtfertigen läßt.

Im übrigen hat auch schon die frühere Rechtsprechung, anders als es nach SozR 2200 § 1259 Nrn 66, 97 den Anschein haben könnte, unter den genannten Voraussetzungen eine Zwischenzeit nicht nur berücksichtigt, wenn sie von zwei Ausbildungs-Ausfallzeiten umrahmt gewesen ist. Nachdem der 11. Senat des BSG entschieden hatte, daß bei einem zum Not- und Kriegsdienst einberufenen Schüler, der die Schule nach dem Kriege fortsetzte, auch die schulfreie Zeit zwischen kriegsbedingter Schließung und Wiedereröffnung der Schule als Ausfallzeit anzuerkennen sei (BSGE 48, 193 = SozR 2200 § 1259 Nr 39), des weiteren, daß auch die Zeit zwischen dem Ende der Schulausbildung und dem Beginn des Wehrdienstes als Ausfallzeit zu qualifizieren sei, wenn wegen des Wehrdienstes die Hochschulausbildung nicht zum frühest möglichen Zeitpunkt habe begonnen werden können (SozR aaO Nr 51), ist dem der 1. Senat bei einer ähnlich liegenden Fallgestaltung gefolgt. Er hat im Urteil vom 9. Dezember 1981 – 1 RA 43/80 (SozR aaO Nr 58) darauf hingewiesen, daß auch in seinem Fall die Übergangszeit keine verschiedenen Ausbildungsabschnitte verbinde, sondern zwischen einer nicht abgeschlossenen Hochschulausbildung und einer Ersatzzeit liege und kein einleuchtender Grund erkennbar sei, allein die zwischen zwei Ausbildungsabschnitten sich ergebende Übergangszeit unter dem Gesichtspunkt einer einheitlichen Ausbildung zu sehen (aaO S 158). An anderer Stelle aaO heißt es, in die Kette mehrerer unmittelbar aufeinanderfolgender Ausfallzeiten (§ 36 Abs 1 Satz 2 AVG; jetzt bzgl Anrechnungszeiten: § 252 Abs 7 Satz 2 SGB VI) sei die Ersatzzeit gleichsam als weiteres Glied einzubeziehen (Hinweis auf SozR aaO Nr 23), und es sei weiterhin für die Entscheidung maßgebend gewesen, „daß die umfassendere Rechtsqualität der Ersatzzeit im Verhältnis zur Ausfallzeit für den Versicherten nicht nachteilig sein kann”.

Ausgehend von diesem überzeugenden dogmatischen Ansatz kann für die hier gegebene Konstellation nichts anderes gelten. Denn wenn es für die Annahme einer rentenrechtlich relevanten Übergangszeit ausreicht, daß sich an die (Hochschul-)Ausbildung ein Wehrdienst (als Ersatzzeit) anschließt, dann muß – argumentum a minore ad majus – erst recht eine Übergangszeit zwischen der Schulentlassung und der Lehre – als einer „klassischen” Ausbildungszeit, die obendrein Beitragszeit ist – berücksichtigungsfähig sein.

Beitragsrechtliche Gesichtspunkte stehen der Vormerkung der streitigen Zeit als Anrechnungszeit nicht entgegen. Zwar mag es sein, daß der hier noch anwendbare § 4 Abs 1 Nr 4 AVG (jetzt inhaltlich übereinstimmend: § 5 Abs 3 SGB VI), wonach versicherungsfrei ist, wer während der Dauer seines Studiums gegen Entgelt beschäftigt wird, in entsprechender Anwendung auch auf Zeiten zwischen Schul- und Hoch- oder Fachschulausbildung angewandt werden kann, während andererseits die für den künftigen Lehrling nur in Betracht kommende Vorschrift des § 8 Abs 1 Nr 2 SGB IV selbst bei einer im voraus auf zwei Monate begrenzten Beschäftigung Versicherungspflicht nach sich zieht, sofern die Beschäftigung (neben dem Überschreiten der Geringfügigkeitsgrenze) „berufsmäßig ausgeübt wird”. Indessen braucht hierauf nicht näher eingegangen zu werden. Denn maßgebend bleibt, daß die Zwischenzeit „generell unvermeidbar” ist und der vorangegangenen Schulzeit mit Blick auf die weitgehend gleichzeitigen Schulferien gleichgestellt wird (vgl oben unter Hinweis auf BSGE 24, 241, 242). Würden ausnahmsweise gleichwohl in der Zeit zwischen Schulabschluß und Beginn der Lehre Beiträge aufgrund einer versicherungspflichtigen Beschäftigung entrichtet, so hätte dies lediglich die – selbstverständliche – Folge, daß insoweit keine Anrechnungszeit zurückgelegt worden sein kann.

Mit seiner Entscheidung weicht der erkennende Senat zwar von dem oben genannten Urteil des 11. Senats des BSG vom 12. August 1980 (SozR 2200 § 1259 Nr 66) ab, zumindest inhaltlich auch vom Urteil des 11a Senats vom 17. Dezember 1986 (SozR aaO Nr 97). Einer Anfrage an den 11. Senat gemäß § 41 Abs 3 Sätze 1 und 2 SGG idF des Rechtspflege-Vereinfachungsgesetzes vom 17. Dezember 1990 (BGBl I S 2847) bedarf es aber nicht, weil der 11. Senat seit 1988 für die Angestelltenversicherung nicht mehr, der erkennende Senat dagegen seit 1991 gerichtsintern ausschließlich zuständig ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1173831

BSGE, 220

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