Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Zulässigkeit der Revision. Anforderungen an die Revisionsbegründung
Orientierungssatz
Zu den Anforderungen an die Revisionsbegründung gemäß § 164 Abs 2 S 3 SGG bei der Rüge der Verletzung materiellen Rechts.
Normenkette
SGG § 164 Abs. 2 Sätze 1, 3
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 27. Oktober 2015 wird als unzulässig verworfen.
Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger als "unständig" beschäftigter Synchronsprecher in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig war.
Der Kläger ist Mitglied der beklagten Krankenkasse und war in der Zeit vom 20.2.2006 bis zum 29.2.2008 für die zu 2. bis 8. beigeladenen Unternehmen an 16 nicht zusammenhängenden Einzeltagen als Synchronsprecher tätig. Seinen Antrag vom 4.8.2008, für diese Tage seine Versicherungspflicht als unständig Beschäftigter festzustellen, lehnte die Beklagte ab (sieben Bescheide vom 19.11.2008 und Widerspruchsbescheide vom 17.7.2009).
Das SG München hat die jeweils erhobene Klage abgewiesen (Gerichtsbescheide vom 20.7.2011 und 27.7.2011). Das Bayerische LSG hat die Berufungsverfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden (Beschluss vom 9.3.2012), die Gerichtsbescheide des SG sowie die Bescheide der Beklagten aufgehoben und festgestellt, "dass der Kläger für die Beigeladenen zu 2) bis 8) als Synchronsprecher betreffend die Rentenversicherung in der Zeit vom 20. Februar 2006 bis 29. Februar 2008 versicherungspflichtig unständig beschäftigt war". Die für die Gerichte nicht verbindliche Verlautbarung der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger zur versicherungsrechtlichen Beurteilung von Synchronsprechern sei nicht durch eine gesetzliche Grundlage gedeckt. Für die Weisungsgebundenheit des Klägers spreche der gesamte Produktionsablauf. Der Kläger sei nach zeitlichen Vorgaben in den Produktionsstudios eingesetzt und damit auch in den Betrieb der Beigeladenen zu 2. bis 8. eingegliedert gewesen. Ein Unternehmerrisiko habe er wegen seines unabhängig von der Güte der Arbeitsleistung bestehenden Anspruchs auf ein bestimmtes Arbeitsentgelt nicht getragen. Die Beschäftigung sei auch "unständig" gewesen. Die Erwerbstätigkeit des Klägers bestehe zu 75 vH aus Synchronsprecheraufträgen (Urteil vom 27.10.2015).
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte die Verletzung des § 7 Abs 1 S 1 SGB IV und des § 163 Abs 1 S 2 SGB VI. Der Kläger erfülle nicht die Kriterien der gemeinsamen Verlautbarung der Spitzenorganisationen der Sozialversicherungsträger vom 30.9.2005, die am 17.11.2006 in einer Besprechung der Beigeladenen zu 1., des AOK Bundesverbandes, der Bundesagentur für Arbeit, der Künstlersozialkasse und des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales mit dem Bundesverband deutscher Synchronproduzenten und dem Interessenverband Synchronschauspieler bestätigt worden sei. Weder sei die 50-Tagesgrenze überschritten noch eine Rahmenvereinbarung zustande gekommen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 27. Oktober 2015 aufzuheben und die Berufungen des Klägers gegen die Gerichtsbescheide des Sozialgerichts München vom 20. Juli 2011 und 27. Juli 2011 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Er hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend. Das LSG habe die Rechtsprechung des BSG zu § 7 Abs 1 SGB IV und § 163 Abs 1 S 2 SGB VI berücksichtigt.
Die Beigeladenen zu 1., 2. und 8. haben sich der Rechtsauffassung der Beklagten angeschlossen.
Die Beigeladenen zu 3. bis 7. haben sich nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist unzulässig. Das Rechtsmittel ist zwar frist- und formgerecht eingelegt worden. Allerdings entspricht die Revisionsbegründung nicht den gesetzlichen Anforderungen. Die Revision war daher zu verwerfen (§ 169 S 1 und 2 SGG).
Nach § 164 Abs 2 S 1 und 3 SGG ist die Revision fristgerecht zu begründen; die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben. Diese gesetzlichen Anforderungen hat das BSG in ständiger Rechtsprechung präzisiert. Danach muss, wenn mit der Revision - wie hier - die Verletzung einer Rechtsnorm gerügt wird, in der Begründung dargelegt werden, weshalb eine Vorschrift im materiellen Sinn von der Vorinstanz nicht oder nicht richtig angewendet worden ist (vgl § 546 ZPO). Mit diesem Erfordernis soll zur Entlastung des Revisionsgerichts erreicht werden, dass der Revisionskläger bzw sein Prozessbevollmächtigter die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels eingehend prüft und von aussichtslosen Revisionen rechtzeitig Abstand nimmt (BSG Urteil vom 31.3.2017 - B 12 KR 16/14 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4 vorgesehen; BSG Urteil vom 24.2.2016 - B 13 R 31/14 R - SozR 4-1500 § 164 Nr 4 RdNr 11 mwN). Dabei darf die Revisionsbegründung nicht nur die eigene Meinung wiedergeben, sondern muss sich - zumindest kurz - mit den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils auseinandersetzen sowie erkennen lassen, dass sich der Revisionsführer mit der angefochtenen Entscheidung befasst hat und inwieweit er bei der Auslegung der dort angewandten Rechtsvorschriften anderer Auffassung ist (BSG Urteil vom 24.3.2016 - B 12 R 5/15 R - SozR 4-1500 § 164 Nr 5 RdNr 9 mwN). Der Revisionsführer darf sich nicht darauf beschränken, die angeblich verletzte Rechtsnorm zu benennen oder auf die Unvereinbarkeit der von der Vorinstanz vertretenen Rechtsauffassung mit der eigenen hinzuweisen. Notwendig ist vielmehr eine Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung, indem dargelegt wird, dass das LSG sein Urteil auf eine Verletzung von Bundesrecht gestützt habe, und mit rechtlichen Erwägungen aufgezeigt wird, dass und weshalb die Rechtsansicht des Tatsachengerichts nicht geteilt wird. Erforderlich sind Rechtsausführungen, die aus der Sicht des Revisionsführers geeignet sind, zumindest einen der das angefochtene Urteil tragenden Gründe in Frage zu stellen (vgl BSG Urteil vom 2.12.2008 - B 2 U 26/06 R - BSGE 102, 111 = SozR 4-2700 § 8 Nr 29, RdNr 10; BSG Beschluss vom 18.6.2002 - B 2 U 34/01 R - SozR 3-1500 § 164 Nr 12 S 22 = NZS 2003, 111 mwN).
Diesen Anforderungen wird die vorliegende Revisionsbegründung nicht gerecht. Sie lässt gerade nicht erkennen, dass die Beklagte die Rechtslage durchdacht und das angefochtene Urteil im Hinblick auf einen Erfolg des Rechtsmittels überprüft hat. Zwar hat sie die "Frage nach der Auslegung" des § 7 Abs 1 SGB IV und § 163 Abs 1 S 2 SGB VI aufgeworfen und damit die als verletzt angesehenen Rechtsnormen bezeichnet. Die Beklagte hat sich jedoch nicht mit den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils auseinandergesetzt und eine Verletzung dieser Normen durch das LSG nicht schlüssig aufgezeigt.
Die Revisionsbegründung (Abschn I S 1 bis 4) erschöpft sich zunächst darin, den Streitgegenstand zu beschreiben, den zugrunde liegenden Sachverhalt darzulegen und den Inhalt der gemeinsamen Verlautbarung der Spitzenorganisationen der Sozialversicherungsträger vom 30.9.2005 wiederzugeben. Im Übrigen (Abschn II S 4 und 5) wird lediglich darauf hingewiesen, dass diese Verlautbarung am 17.11.2006 in einer Besprechung der Beigeladenen zu 1., des AOK Bundesverbandes, der Bundesagentur für Arbeit, der Künstlersozialkasse und des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales mit dem Bundesverband deutscher Synchronproduzenten und dem Interessenverband Synchronschauspieler bestätigt und in einem Schreiben der Beigeladenen zu 1. vom 1.12.2006 dargestellt worden sei, der Kläger die darin genannten Kriterien nicht erfülle, die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung von Synchronsprechern in der Vergangenheit Schwierigkeiten bereitet habe und es um eine einheitliche Rechtsauslegung gehe. Die Beklagte geht aber an keiner Stelle der Revisionsbegründung auf die rechtliche Argumentation des LSG ein. Sie deutet auch nicht ansatzweise an, weshalb die Entscheidung des LSG, die Zuordnung zum rechtlichen Typus der (abhängigen) Beschäftigung nicht anhand der gemeinsamen Verlautbarung der Spitzenorganisationen der Sozialversicherungsträger, sondern entsprechend der ständigen Rechtsprechung des BSG nach einer Gesamtabwägung aller nach Lage des Einzelfalls wesentlichen, entsprechend ihrer Tragweite gewichteten für und gegen eine Beschäftigung bzw selbstständige Tätigkeit sprechenden Indizien vorzunehmen (vgl BSG Urteil vom 24.3.2016 - B 12 R 5/15 R - SozR 4-1500 § 164 Nr 5 RdNr 13), materielles Bundesrecht verletzen soll.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 S 1 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 11347622 |
NZS 2017, 839 |