Leitsatz (amtlich)

1. Zur Frage des Umfangs der Bindungswirkung eines Rentenbescheids.

2. Die in einem bindend gewordenen Rentenbescheid festgestellte Rentenhöhe darf auch für die Vergangenheit selbst dann nicht zu Ungunsten des Berechtigten verändert werden, wenn der Versicherungsträger von einer Rückforderung der errechneten Überzahlung absieht.

3. Bei der Rentenanpassung oder ihrer Berichtigung dürfen die bisherigen Berechnungsfaktoren zu Ungunsten des Berechtigten nicht verändert werden, wenn sie nur möglicherweise, nicht aber offensichtlich, eindeutig oder unzweifelhaft unrichtig sind (Anschluß an BSG 1967-05-23 11 RA 280/65 = BSGE 26, 267).

 

Normenkette

SGG § 77 Fassung: 1953-09-03; RAG 14 § 2 Fassung: 1971-08-10, § 14 Fassung: 1971-08-10

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 12.05.1976; Aktenzeichen L 14 Ar 1/75)

SG München (Entscheidung vom 08.10.1974; Aktenzeichen S 2 Ar 1429/72)

 

Tenor

Die Revisionen der Beklagten und der Beigeladenen gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 12. Mai 1976 werden in der Hauptsache zurückgewiesen.

Im übrigen wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 12. Mai 1976 dahin geändert, daß die Beklagte und die Beigeladene dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten haben.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Höhe des dem Kläger gewährten Altersruhegeldes.

Die Beklagte gewährte dem Kläger mit Bescheid vom 8. April 1968 für die Zeit vom 1. August 1967 an das Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres, das sie mit Bescheid vom 20. Juli 1970 von Beginn an neu und höher feststellte. Bei der Rentenberechnung berücksichtigte sie die Zeiten vom 3. April 1949 bis zum 16. Juli 1949 und vom 1. Januar 1951 bis zum 28. März 1952 nach der Leistungsgruppe C Ia 1 der Anlage 1 zu § 22 des Fremdrentengesetzes (FRG).

Der Kläger reichte mit Schreiben vom 4. Mai 1972 eine "Bescheinigung" der Bundesknappschaft vom 26. April 1972 über die Bewertung der Zeiten vom 3. April 1949 bis zum 16. Juli 1949 und vom 1. Januar 1951 bis zum 31. März 1952 nach dem FRG ein und beantragte die Neuberechnung seiner Rente. Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 3. Juli 1972 das Altersruhegeld des Klägers für die Zeit vom 1. August 1967 an neu fest. Dabei berücksichtigte sie die genannten Zeiten entsprechend der "Bescheinigung" der Bundesknappschaft nach der Leistungsgruppe C Ia 3 statt - wie bisher - nach der Leistungsgruppe C Ia 1 der Anlage 1 zu § 22 FRG. Sie errechnete für die Zeit vom 1. August 1967 bis zum 31. August 1972 eine Überzahlung von 885,80 DM und setzte die inzwischen angepaßte laufende Rente mit Wirkung vom 1. September 1972 von monatlich 735,10 DM auf 720,50 DM herab. Nach Klageerhebung teilte die Beklagte dem Kläger mit, daß sie den überzahlten Betrag nicht zurückfordere.

Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte mit Urteil vom 8. Oktober 1974 unter Klageabweisung im übrigen und unter Abänderung des Bescheides vom 3. Juli 1972 verpflichtet, das Altersruhegeld des Klägers in Höhe von 735,10 DM monatlich weiter zu gewähren, bis der Zahlbetrag der neu festgestellten Rente infolge der Rentenanpassungen das monatliche Altersruhegeld von 735,10 DM überschreitet. Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung des Klägers am 12. Mai 1976 das Urteil des SG und den Neufeststellungsbescheid der Beklagten vom 3. Juli 1972 aufgehoben. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, die Beklagte habe die Rente mit Bescheid vom 20. Juli 1970 bindend festgestellt. Von der Bindungswirkung nach § 77 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) seien nicht nur der Rentenzahlbetrag, sondern auch die Elemente erfaßt worden, die den im Rentenbewilligungsbescheid nach § 1631 der Reichsversicherungsordnung (RVO) festgestellten Rentenanspruch der Höhe nach stützen. Zu diesen Elementen gehöre insbesondere auch die Zuordnung eines Versicherten zu einer bestimmten Leistungsgruppe. Die Beklagte habe den bindend gewordenen Bescheid deshalb auch hinsichtlich der Bewertung der streitigen Zeiten nicht zu Ungunsten des Klägers ändern dürfen. Insbesondere lägen die Voraussetzungen des § 1744 Abs 1 Nr 6 RVO nicht vor, denn die Bescheinigung der Bundesknappschaft vom 26. April 1972 sei erst nach Erlaß des bindend gewordenen Bescheides hergestellt worden.

Die Beklagte und die beigeladene Bundesknappschaft haben dieses Urteil mit der - vom LSG zugelassenen - Revision angefochten. Sie sind der Ansicht, die Bindungswirkung eines Rentenfeststellungsbescheides erstrecke sich lediglich auf den Verfügungssatz und damit auf Art, Dauer und Höhe der Rente, nicht aber auf die Berechnungselemente, insbesondere also nicht auf die Bewertung von Versicherungszeiten nach dem FRG. Der Beklagten sei daher nicht verwehrt gewesen, die streitigen Zeiten entsprechend den gesetzlichen Vorschriften neu zu bewerten. Die in dem bindend gewordenen Bescheid festgestellte Rentenhöhe sei infolge der Rentenanpassungen nicht unterschritten worden. Es komme daher nicht darauf an, ob die Voraussetzungen des § 1744 RVO für eine Neufeststellung der Rente vorliegen.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage gegen den Neufeststellungsbescheid vom 3. Juli 1972 abzuweisen, soweit das Begehren über das Erkenntnis des Sozialgerichts in Ziffer I seines Urteils hinausgeht.

Die Beigeladene beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil im Ergebnis und in der Begründung für richtig, und ist der Ansicht, die Revisionen der Beklagten und der Beigeladenen seien unbegründet.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässigen Revisionen der Beklagten und der Beigeladenen haben keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zutreffend den angefochtenen Bescheid der Beklagten vom 3. Juli 1972 aufgehoben. Die Beklagte war nicht berechtigt, das mit Bescheid vom 20. Juli 1970 festgestellte Altersruhegeld mit Wirkung vom 1. August 1967 an neu und niedriger festzustellen.

Der Bescheid der Beklagten vom 20. Juli 1970 ist - da er nicht angefochten worden ist - gemäß § 77 SGG in der Sache bindend geworden. Das bedeutet, daß die Beklagte durch einen neuen Verwaltungsakt die Rechtsposition, die der Kläger infolge der Bindungswirkung erlangt hatte, nicht verschlechtern durfte (vgl BSG SozR Nr 22 zu § 77 SGG). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) erstreckt sich die Bindungswirkung jedoch nicht auf den gesamten Bescheid, sondern nur auf seinen Verfügungssatz (Entscheidungssatz) und nicht auf die ihn tragenden Gründe. Jedoch kann ein Bescheid mehrere Verfügungssätze enthalten (vgl BSGE 27, 22, 23). Bei Rentenfeststellungsbescheiden gehört nach der Rechtsprechung des BSG zu dem der Bindung fähigen Verfügungssatz die Entscheidung über die Art, die Dauer (Beginn und Ende) und die Höhe der Rente, nicht aber die Rentenberechnung und die ihr zugrundegelegten Versicherungszeiten (vgl SozR Nr 24, 64 und 75 zu § 77 SGG sowie Urteil vom 15. Dezember 1977 - 11 RA 2/77 -). Es kann dahingestellt bleiben, ob dieser Rechtsprechung uneingeschränkt gefolgt werden kann. Bedenken ergeben sich aus dem Urteil des erkennenden Senats vom 26. September 1974 (SozR 2200 Nr 1 zu § 1631) und aus folgenden Erwägungen:

Die Bindungswirkung des § 77 SGG entscheidet das Spannungsverhältnis zwischen materieller Gerechtigkeit einerseits und Rechtssicherheit andererseits im Interesse des Bedürfnisses nach Vertrauensschutz zugunsten der Rechtssicherheit, die nur in ganz besonders gelagerten Fällen (§ 1744 RVO, § 1286 RVO, § 1300 RVO) hinter die materielle Gerechtigkeit zurücktritt. In allen der Sozialgerichtsbarkeit unterliegenden Rechtsgebieten ist das Bedürfnis, das Vertrauen eines Rentenempfängers auf die Richtigkeit des ihm erteilten Rentenbescheides zu schützen so stark, daß die Rechtsprechung - abweichend von den für die Bindungswirkung eines Bescheides von der zivilprozeßrechtlichen Rechtskrafttheorie übernommenen Kriterien - nicht nur die Entscheidung über Art, Dauer und Höhe der Rente, sondern auch andere Teile des Rentenbescheides an der Bindungswirkung teilnehmen läßt. So hat die Rechtsprechung zum Recht der Kriegsopferversorgung (KOV) und der Unfallversicherung zum Beispiel die im Rentenbescheid enthaltene Feststellung der Schädigungsfolgen bzw Unfallfolgen als der Bindung fähig anerkannt (vgl BSGE 9, 80; 12, 25; 27, 22; SozR Nrn 20, 37, 59 zu § 77 SGG; SozR 1500 Nr 18 zu § 77). Ferner sind in dem Recht der KOV und der Unfallversicherung die in dem Rentenbescheid enthaltene Feststellung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit (SozR 3100 Nr 8 zu § 30; BSGE 5, 96, 100; SozR Nr 1 zu § 570 RVO und SozR 2200 Nr 1 zu § 581), in der KOV die Eingruppierung in eine bestimmte Besoldungsgruppe beim Schadensausgleich (SozR 3100 Nr 4 zu § 40a) und in der Unfallversicherung die Feststellung des Jahresarbeitsverdienstes (vgl SozR Nr 1 zu § 570 RVO) dem entscheidenden Teil des Bescheides zugerechnet und damit der Bindung für fähig erklärt worden. Schließlich hat in der Rentenversicherung die Rechtsprechung den Ausspruch im Rentenbescheid über das Ruhen der Rente für bindungsfähig gehalten (vgl SozR Nr 10 zu § 1278 RVO; SozR Nrn 56 und 75 zu § 77 SGG). Überall dort, wo die Rechtsprechung ein Bedürfnis gesehen hat, das Vertrauen des Rentenempfängers an die Feststellungen im Rentenbescheid zu schützen, hat sie einen besonderen Entscheidungssatz angenommen, der an der Bindungswirkung teilnimmt. Das müßte auch für die Feststellung der Versicherungszeiten gelten, zumal die Versicherungsunterlagen-Verordnung (VuVO) vom 3. März 1960 in § 11 eine besondere Feststellung von Versicherungszeiten außerhalb des Leistungsverfahrens vorsieht, die den Versicherungsträger bei der Rentenfeststellung bindet (vgl BSG SozR Nr 1 zu § 11 VuVO). Die Rechtsprechung hat darüber hinaus die Möglichkeit bejaht, bereits vor Eintritt des Versicherungsfalles durch Verwaltungsakt Ersatz- und Ausfallzeiten verbindlich zu klären (vgl BSG SozR Nr 1 zu § 1412 RVO). Wenn aber die Feststellung solcher Zeiten außerhalb des Leistungsfeststellungsverfahrens möglich und der Bindung fähig ist, so drängt sich die Frage auf, warum ihre Feststellung im Rentenfeststellungsbescheid anders zu behandeln sein sollte. Die bisherige Unterscheidung hinsichtlich der Tragweite der Bindungswirkung je nachdem, ob der Versicherungsträger über Beitragszeiten, Ersatzzeiten und Ausfallzeiten außerhalb oder während des Leistungsfeststellungsverfahrens entscheidet, führt zu einer Benachteiligung derjenigen Versicherten, die - und das ist bis dato der Regelfall - gleich einen Rentenantrag stellen, gegenüber denjenigen Versicherten, die sich vorher über ihren "Versicherungsverlauf" förmliche Verwaltungsakte erteilen lassen. Auf längere Sicht müßte dies zu der im Urteil des 1. Senats des BSG vom 27. März 1974 (SozR 2200 § 1254 Nr 1) angedeuteten Konsequenz führen, daß sich die Versicherten künftig regelmäßig bereits vor Eintritt eines Versicherungsfalles veranlaßt sehen könnten, einen bindenden Bescheid über die Anerkennung der genannten Zeiten zu erhalten. Ein derartiges Vorgehen wäre nicht nur mit einem erheblichen zusätzlichen Verwaltungsaufwand verbunden, sondern könnte auch - worauf Tannen in SGb 1975, S. 167f hinweist - unter Berücksichtigung des neuen elektronischen, datenverarbeitenden Beitragseinzugsverfahrens keinen ausreichenden Vertrauensschutz des Versicherten gewährleisten. Aus diesen Erwägungen trägt auch Tannen unter Hinweis auf das Urteil des erkennenden Senats vom 26. September 1974 aaO keine Bedenken, wenn jedenfalls nach Einführung des elektronischen Datenverarbeitungsverfahrens ein Versicherungsträger an das von ihm selbst ermittelte, jedoch nur im Rentenzahlbetrag zum Ausdruck gelangte und nicht förmlich festgestellte Beitragsbild gebunden ist. Zu berücksichtigen ist darüber hinaus, daß bei der Anfechtung von Rentenfeststellungsbescheiden hinsichtlich der festgestellten Rentenhöhe oft rechtskräftige Urteile ergehen, in denen der Versicherungsträger verpflichtet wird, die Rente unter Berücksichtigung bestimmter Versicherungszeiten zu gewähren. Wird damit aber in einem Streit über die Rentenhöhe die Feststellung dieser Versicherungszeiten rechtskräftig, so müßte der im Verwaltungsverfahren bereits ausgetragene Streit über die Anrechenbarkeit bestimmter Versicherungszeiten ebenso zu behandeln sein. Ließe man die Feststellung der Versicherungszeiten nicht an der Bindungswirkung teilnehmen, so würde das Vertrauen des Versicherten in diese Feststellung enttäuscht, zumal dem Versicherten unter Umständen die Möglichkeit genommen wird, die vorher vorhanden gewesenen Beweise beizubringen. Diesem Bedürfnis nach Vertrauensschutz tragen auch die Rentenanpassungsgesetze Rechnung, die vorschreiben, daß bei der Rentenanpassung die bisherigen Berechnungsfaktoren unverändert bleiben, wenn sie nicht offensichtlich, eindeutig oder unzweifelhaft unrichtig sind (vgl hierzu BSGE 26, 266, 271). Es spricht daher vieles dafür, alle Elemente eines Bescheides an der Bindungswirkung teilnehmen zu lassen, die außerhalb des Leistungsfeststellungsverfahrens gesondert durch einen der Bindung fähigen Verwaltungsakt geregelt werden können, also auch die Feststellung von Versicherungszeiten. Zumindest aber sollte sich der Vertrauensschutz darauf erstrecken.

Diese Frage braucht aber im vorliegenden Fall nicht weiter vertieft und abschließend entschieden zu werden. Selbst wenn man mit der bisherigen Rechtsprechung davon ausgeht, daß die Feststellung von Versicherungszeiten im Rentenbescheid nicht der Bindung fähig ist und auch keines besonderen Vertrauensschutzes bedarf, so ist der angefochtene Neufeststellungsbescheid der Beklagten gleichwohl rechtswidrig. Die Beklagte hat in dem angefochtenen Bescheid nicht nur die vorher festgestellten Versicherungszeiten, sondern auch den Entscheidungssatz über die Rentenhöhe verändert. Sie hat mit Wirkung vom 1. August 1967 das Altersruhegeld des Klägers neu und niedriger festgestellt als dies im bindend gewordenen Bescheid vom 20. Juli 1970 geschehen war. Daran ändert die Tatsache nichts, daß die Beklagte den errechneten Überzahlungsbetrag nicht zurückgefordert hat. Die Feststellung einer Überzahlung setzt die Herabsetzung des Rentenzahlbetrages voraus und greift daher in den bindend gewordenen Entscheidungssatz über die Rentenhöhe ändernd ein. Mit der Veränderung der Rentenhöhe hat die Beklagte also auch den Verfügungssatz des bindend gewordenen Bescheides zu Ungunsten des Klägers in unzulässiger Weise geändert. Das gilt zunächst jedenfalls für die Zeit bis zum 31. Dezember 1970, für die der bindend festgestellte Rentenbetrag unterschritten wurde.

Für die spätere Zeit hat die Beklagte im angefochtenen Neufeststellungsbescheid zwar einen höheren Rentenbetrag festgestellt, der jedoch unter den Zahlbeträgen nach den inzwischen durchgeführten Rentenanpassungen lag. Die Bindungswirkung des Bescheides vom 20. Juli 1970 erstreckt sich allerdings nicht auf die Höhe der seit dem 1. Januar 1971 angepaßten Rente. Es mag dahingestellt bleiben, ob der angepaßte Rentenbetrag dann bindend wird, wenn nicht die Rentenanpassung, sondern die vorherige Rentenfeststellung fehlerhaft war. Nach § 14 Abs 2 Satz 4 des 13. Rentenanpassungsgesetzes war die Berichtigung einer durchgeführten Rentenanpassung nur bis zum 31. Dezember 1971 zulässig. Da die Beklagte in dieser Frist eine Berichtigung nicht vorgenommen hat, war jedenfalls die nach diesem Gesetz angepaßte Rente weiterzuzahlen.

Die Beklagte durfte aber auch die nach dem 14. Rentenanpassungsgesetz angepaßte Rente von 735,10 DM nicht herabsetzen. Der angefochtene Bescheid vom 3. Juli 1972 enthält keine zulässige Berichtigung der Rentenanpassung im Sinne des § 14 Abs 2 des 14. Rentenanpassungsgesetzes. Zwar ist der angefochtene Bescheid vom 3. Juli 1972 innerhalb der Berichtigungsfrist dieser Vorschrift erlassen worden, so daß er als rechtzeitige Berichtigung der durchgeführten Rentenanpassung angesehen werden könnte. Die sonstigen Voraussetzungen für eine zulässige Berichtigung liegen aber nicht vor. Ob unter Fehlern bei der Rentenanpassung im Sinne der genannten Vorschrift nur solche Fehler zu verstehen sind, die bei der Anwendung des Anpassungsgesetzes geschehen sind, nicht aber Fehler bei der der Anpassung zugrundeliegenden Rentenberechnung, kann zweifelhaft sein. Nach Wortlaut und Sinn des § 2 Abs 1 des 14. Rentenanpassungsgesetzes und der entsprechenden Vorschriften späterer Anpassungsgesetze sollen die festgestellten Renten "ohne Änderung der übrigen Berechnungsfaktoren" durch Anpassung erhöht werden. Das Ziel der Rentenanpassungen - eine der Lohnentwicklung entsprechende Rentenerhöhung - sollte also nicht durch Veränderung der Berechnungsfaktoren vereitelt werden können. Allerdings schließen § 2 Abs 1 und § 14 Abs 2 des 14. Rentenanpassungsgesetzes und die entsprechenden Vorschriften der späteren Anpassungsgesetze nicht aus, daß auch anläßlich der Rentenanpassung oder ihrer Berichtigung offenbare Unrichtigkeiten korrigiert werden, denn selbst ein Urteil ist in einem solchen Falle zu berichtigen (vgl § 138 SGG und § 319 der Zivilprozeßordnung). Nach der Rechtsprechung des BSG ist der Versicherungsträger bei der Rentenanpassung nur an solche bisherige Berechnungsfaktoren nicht gebunden, die unzweifelhaft, eindeutig oder offensichtlich falsch sind (vgl BSGE 26, 266, 271). Nach der zitierten Entscheidung ist die Anpassung ihrem Wesen nach keine völlige Neufeststellung der Rente; die Berechnungsfaktoren dürfen daher nicht bei jeder Anpassung fortlaufend infrage gestellt werden. Berechnungsfaktoren, die nur möglicherweise, nicht aber unzweifelhaft, offensichtlich oder eindeutig falsch festgestellt sind, dürfen nicht ersetzt oder verändert werden.

Im vorliegenden Fall steht aber nicht einmal fest, daß die im bindend gewordenen Rentenbescheid festgestellten Berechnungsfaktoren falsch sind. Noch weniger läßt sich feststellen, daß sie eindeutig, unzweifelhaft oder offensichtlich unrichtig sind. Die dem angefochtenen Neufeststellungsbescheid zugrundeliegende "Bescheinigung" der Bundesknappschaft vom 26. April 1972 beruht lediglich auf einer anderen rechtlichen Bewertung der bereits dem bindend gewordenen Bescheid zugrundeliegenden Tatsachen. Unter Berücksichtigung der damaligen Verhältnisse in der DDR ist es auch nicht völlig ausgeschlossen, daß der Kläger trotz fehlender bergmännischer Vorbildung im Gedinge gearbeitet hat, so daß seine Beschäftigungszeit in dem bindend gewordenen Rentenbescheid möglicherweise richtig nach der Leistungsgruppe C Ia 1 der Anlage 1 zu § 22 FRG bewertet worden ist. Zwar mag dies unter den in der Bundesrepublik Deutschland in normalen Zeiten herrschenden Verhältnissen ungewöhnlich erscheinen, jedoch läßt das keinen zwingenden Schluß auf die andersartigen Verhältnisse in der DDR zu einer anderen Zeit zu.

Daß die Voraussetzungen des § 1744 RVO, insbesondere des Abs 1 Nr 6 für eine Änderung des bindend gewordenen Rentenbescheides zuungunsten des Klägers nicht vorliegen, bedarf keiner näheren Begründung. Auch die Beklagte und die Beigeladene vertreten nicht mehr die Ansicht, bei der "Bescheinigung" der Bundesknappschaft vom 26. April 1972 handele es sich um eine bereits früher vorhanden gewesene Urkunde, zu deren Benutzung die Beklagte erst nach Zustellung des Rentenbescheides vom 20.Juli 1970 in der Lage war.

Das Berufungsgericht hat danach den angefochtenen Bescheid der Beklagten vom 3. Juli 1972 im Ergebnis mit Recht aufgehoben, so daß die Revisionen der Beklagten und der Beigeladenen unbegründet sind und daher zurückzuweisen waren.

Bei der Kostenentscheidung nach § 193 SGG hat der Senat berücksichtigt, daß nicht nur das Verhalten der Beklagten, sondern auch das der Beigeladenen Anlaß zur Klageerhebung gegeben hat. Dabei ist die Verpflichtung zur Kostenerstattung als gesamtschuldnerische Haftung zu verstehen.

 

Fundstellen

BSGE, 236

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