Leitsatz (amtlich)
1. Das Landessozialgericht darf nicht wegen eines Mangels des Verwaltungsverfahrens den Rechtsstreit nach SGG § 159 Abs 1 Nr 2 an das Sozialgericht zurückverweisen.
2. Der Grundsatz, daß im Rechtsstreit das Gericht - nicht die Verwaltung - den Sachverhalt zu erforschen hat, gilt auch in den Streitigkeiten um eine Neufeststellung nach RVO § 1300.
3. In diesen Streitigkeiten ist die Notwendigkeit einer Sachaufklärung vom sachlich-rechtlichen Standpunkt des Versicherungsträgers aus zu beurteilen, wenn dessen Rechtsstandpunkt nicht offensichtlich unvertretbar ist.
Normenkette
RVO § 1300 Fassung: 1957-02-23; AVG § 79 Fassung: 1957-02-23; SGG § 103 Fassung: 1958-08-23, § 159 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1958-08-23
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 24. Oktober 1967 aufgehoben.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 24. Februar 1965 wird zurückgewiesen.
Kosten sind im gesamten Rechtsstreit nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten zunächst um die Statthaftigkeit der von der Beklagten eingelegten nichtzugelassenen Revision; dabei geht es um die Frage, ob das Landessozialgericht (LSG) den Rechtsstreit an das Sozialgericht (SG) zurückverweisen durfte. In der Sache selbst ist streitig, ob der Klägerin eine sog. Geschiedenenwitwenrente zusteht.
Die Klägerin war mit G D (D.) verheiratet. Die Ehe wurde im April 1939 aus Verschulden von D. geschieden. D. wurde später zum Wehrdienst eingezogen. Wann das geschah und wie lange der Wehrdienst dauerte, ist nicht festgestellt. Nach der Entlassung aus dem Wehrdienst ist D. am 15. Januar 1943 verstorben.
Durch rechtskräftig gewordenen Bescheid vom 20. Februar 1943 hatte die Reichsversicherungsanstalt für Angestellte (RfA) den ersten Antrag der Klägerin auf die Geschiedenenwitwenrente abgelehnt. Die Akten sind nicht mehr vorhanden. Nach den Feststellungen des LSG war die Ablehnung damit begründet worden, daß mit den aus der Versicherung von D. anrechenbaren 51 Beitragsmonaten die Wartezeit nicht erfüllt sei.
Am 19. August 1960 stellte die Klägerin einen neuen Rentenantrag. Die Beklagte lehnte ihn durch Bescheid vom 17. Februar 1961 ab. Ausgehend von den zum Zeitpunkt des Todes maßgebenden Anwartschaftsvorschriften sah sie keine Möglichkeit, den Bescheid vom 20. Februar 1943 zu ändern; aus versicherungsrechtlichen Gründen unterließ sie daher die Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 42 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) nF vorlägen.
Die Klage führte im ersten Rechtsgang zunächst zu einem Urteil des SG Nürnberg vom 25. Januar 1962, das die Klage als unbegründet abwies, und sodann zu dem rechtskräftig gewordenen Urteil des Bayerischen LSG vom 22. September 1964, welches den Rechtsstreit - zum ersten Male - an das SG zurückverwies. Das LSG führte zur Begründung aus, der Antrag der Klägerin vom 19. August 1960 sei nicht als Antrag auf Nachprüfung im Sinne des Art. 2 § 43 Satz 2 und 3 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG), sondern als Antrag auf Neufeststellung nach § 79 AVG zu behandeln; daher sei ein Vorverfahren erforderlich, das vom SG noch nachgeholt werden müsse (BSG 20, 199).
Während des neuen Rechtszuges vor dem SG erteilte die Beklagte den Widerspruchsbescheid vom 24. November 1964. Sie wies den Widerspruch zurück, weil die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Rente fehlten. Dabei äußerte sich die Beklagte auch zur Frage, ob die Wartezeit gemäß § 1263 a der Reichsversicherungsordnung (RVO) aF als erfüllt gelte (Wartezeitfiktion); sie verneinte das, weil diese Vergünstigung entsprechend einer Stellungnahme des Reichsversicherungsamts (RVA) vom 29. April 1942 nur den Personen zugute komme, die als Soldaten gestorben oder invalide (berufsunfähig) geworden seien.
Durch Urteil vom 24. Februar 1965 wies das SG Nürnberg die Klage wiederum als unbegründet ab. Es konnte keinen Mangel in der Überzeugungsbildung des Versicherungsträgers erkennen, auch nicht bei der Frage, ob die Wartezeit nach "§ 1263 a RVO i. d. F. des § 17 Abs. 1 des Gesetzes vom 15. Januar 1941" als erfüllt gelte. Der Versicherte sei nicht als Soldat gestorben. Ein zwingender Schluß, daß er noch während des Wehrdienstes berufsunfähig geworden sei, lasse sich ebenfalls nicht ziehen; im übrigen seien die Anspruchsvoraussetzungen beim Versicherungsfall des Todes unabhängig vom früheren Versicherungsfall der Berufsunfähigkeit zu prüfen.
Durch Urteil vom 24. Oktober 1967 verwies das LSG den Rechtsstreit zum zweiten Mal an das SG zurück. Das LSG vermißte eine Auseinandersetzung des SG mit der Frage, ob die Beklagte ohne neue tatsächliche Ermittlungen den Widerspruch habe zurückweisen dürfen. Es sei nicht ausreichend geklärt, ob der Klägerin die Wartezeitfiktion des § 17 Abs. 1 des Gesetzes vom 15. Januar 1941 (RGBl I S. 1033) zugute komme. Die Beklagte habe noch - vom LSG näher bezeichnete - Ermittlungen darüber anstellen müssen, ob der Versicherte infolge einer Beschädigung bei besonderem Einsatz oder einer Wehrdienstbeschädigung noch als Soldat berufsunfähig geworden sei. Wenn nämlich die Anwartschaft beim Eintritt der Berufsunfähigkeit erhalten gewesen sei, habe sie nicht mehr erlöschen können. Da die Beklagte die gebotenen Ermittlungen unterlassen habe, habe das SG auf Grund eines unzureichend aufgeklärten Sachverhalts entschieden. Damit beruhe das Urteil des SG mittelbar auf einem wesentlichen Verfahrensmangel. In den Fällen des § 79 AVG, in denen es - wie hier - auf bestimmte Tatsachen entscheidend ankomme, dürfe nicht auf eine umfassende Beweiserhebung und Beweiswürdigung verzichtet werden. Daher sei § 103 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) entsprechend anzuwenden. Die Vorschrift sei auch dann verletzt, wenn das Gericht in Fällen dieser Art trotz unterlassener Sachaufklärung entscheide. Das SG werde die Durchführung der Ermittlungen durch die Beklagte zu veranlassen haben.
Mit der vom LSG nicht zugelassenen Revision beantragt die Beklagte,
das Urteil des LSG vom 24. Oktober 1967 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG vom 24. Februar 1965 zurückzuweisen.
Verfahrensrechtlich rügt die Beklagte eine Verletzung des § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG; ein etwaiger Mangel des Verwaltungsverfahrens könne kein wesentlicher Verfahrensmangel im Sinne dieser Vorschrift sein. Sachlich-rechtlich hält die Beklagte die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die begehrte Rente nach wie vor nicht für gegeben.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zu verwerfen.
Sie meint, das SG habe seine Aufklärungspflicht verletzt; in diesem Sinne seien die Ausführungen des LSG zu verstehen.
II
Die Revision der Beklagten ist zulässig und begründet.
Die Revision ist nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG statthaft, weil die Beklagte frist- und formgerecht einen wesentlichen Verfahrensmangel des LSG gerügt hat, der auch vorliegt. Das LSG hat die Sache nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG in dem angefochtenen zweiten Urteil an das SG zurückverwiesen. Dazu war das LSG nicht berechtigt.
Eine Zurückverweisung des Rechtsstreits gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG setzt nach dem Gesetzeswortlaut voraus, daß "das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet". Mit dem Verfahren ist allein das Verfahren des SG gemeint. Das ergibt sich aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Sie ermächtigt das LSG, den Rechtszug erster Instanz bei einem Verfahrensmangel wiederholen zu lassen, um die Entscheidung der ersten Instanz auf eine verfahrensrechtlich einwandfreie Grundlage zu stellen. Sinnvoll ist das nur, wenn gerade das Verfahren der ersten Instanz mit dem Verfahrensfehler behaftet war, der auf diese Weise behoben werden soll. Das bestätigt die entsprechende Vorschrift in § 539 der Zivilprozeßordnung, die ausdrücklich "vom Verfahren des ersten Rechtszuges" spricht. Der Begriff des Verfahrens in § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG ist somit der gleiche wie in der Vorschrift des § 150 Abs. 1 Nr. 2 SGG (vgl. SozR Nr. 95 zu § 162 SGG). Der Beklagten ist deshalb zuzustimmen, daß das LSG den Rechtsstreit nicht wegen eines Mangels des Verwaltungsverfahrens an das SG zurückverweisen durfte. Die Annahme eines solchen Mangels war für das LSG jedoch nur der Ausgangspunkt seiner Betrachtung; es hat auch das Verfahren des SG als fehlerhaft angesehen. Entgegen der Auffassung der Klägerin beanstandet das LSG freilich nicht, daß das SG nicht selbst Ermittlungen durchgeführt habe. Das LSG meint aber offenbar, das SG habe noch vor der Entscheidung über die Klage die Beklagte durch eine gerichtliche Aufforderung oder Auflage zur Durchführung der Ermittlungen veranlassen müssen.
Für ein derartiges Vorgehen des SG fehlt indessen die verfahrensrechtliche Grundlage; sie läßt sich insbesondere nicht durch eine entsprechende Anwendung des § 103 SGG gewinnen. § 103 SGG verlangt im Gegenteil von dem Gericht eine eigene Sachaufklärung, wenn eine solche zur Entscheidung des Rechtsstreits erforderlich ist. Das Gericht darf die Sachaufklärung nicht der Verwaltung übertragen. Das hat das Bundessozialgericht (BSG) schon mehrfach entschieden (BSG 2, 94, 96; 9, 277, 280 und 285, 288; SozR Nr. 119 zu § 54 SGG). Dabei hat das BSG zugleich klargestellt, daß Versäumnisse der Verwaltung das Gericht nicht von der eigenen Sachaufklärung entbinden. Die bisherigen Entscheidungen betrafen zwar nicht Streitigkeiten um eine Neufeststellung nach § 79 AVG; die dargelegten Grundsätze gelten jedoch auch dann. Das LSG hat für seine abweichende Auffassung keine Gründe genannt; möglicherweise war es der Meinung, daß diese Streitigkeiten Besonderheiten aufweisen. Der Senat kann hier dahingestellt lassen, ob und welche Besonderheiten die Streitigkeiten um eine Neufeststellung nach § 79 AVG haben. In der Durchführung einer erforderlichen Sachaufklärung weisen sie jedenfalls keine Besonderheit auf; von dem Grundsatz, daß im Rechtsstreit das Gericht den Sachverhalt erforscht, ist somit auch bei ihnen keine Ausnahme gerechtfertigt.
Das LSG hat deshalb zu Unrecht einen Verfahrensmangel des SG darin erblickt, daß dieses die Beklagte nicht zu Ermittlungen veranlaßt hat. Die Zurückverweisung an das SG läßt sich auch nicht aus anderen Gründen aufrechterhalten. Ob das BSG die vom LSG für eine Zurückverweisung an das SG gegebene Begründung überhaupt durch eine andere ersetzen dürfte, kann offenbleiben; die Möglichkeit einer anderen Begründung ist jedenfalls nicht erkennbar. Die Zurückverweisung könnte insbesondere nicht damit begründet werden, daß das SG seine eigene Aufklärungspflicht verletzt habe. Denn nach dem sachlich-rechtlichen Standpunkt des SG, der insoweit maßgebend ist (vgl. BSG 2, 245, 253), waren die vom LSG bezeichneten Ermittlungen zur Entscheidung des Rechtsstreits nicht erforderlich.
Der Senat kann in der Sache abschließend entscheiden (§ 170 Abs. 2 Satz 1 SGG). Da das im ersten Rechtsgang ergangene Urteil des LSG vom 22. September 1964 rechtskräftig geworden ist, ist die rechtliche Beurteilung, die der damaligen Aufhebung des vorangegangenen ersten Urteils des SG zugrundelag, im jetzigen zweiten Rechtsgang für alle Instanzen, auch für das BSG, bindend (SozR Nr. 6 zu § 159 SGG). Der Antrag der Klägerin vom 19. August 1960 ist deshalb als Neufeststellungsantrag nach § 79 AVG zu behandeln. Nach dieser Vorschrift hat die Beklagte eine Leistung neu festzustellen, wenn sie sich bei erneuter Prüfung davon überzeugt, daß die Leistung zu Unrecht abgelehnt worden ist. Entgegen dem Wortlaut kommt es allerdings nicht nur auf die (subjektive) Überzeugung der Beklagten an. Die Beklagte hat eine Neufeststellung vielmehr auch dann vorzunehmen, wenn die Rechtswidrigkeit der früheren Ablehnung auf Grund der objektiv vorliegenden Umstände offensichtlich ist, in diesem Falle muß sie sich als von der Unrechtmäßigkeit der früheren Ablehnung überzeugt behandeln lassen (BSG 19, 38, 43 f; 20, 199, 201).
Ob die frühere Ablehnung der Geschiedenenwitwenrente rechtmäßig oder rechtswidrig gewesen ist, darf dabei allein nach dem Rechtszustand zur Zeit des Bescheides vom 20. Februar 1943 beurteilt werden. Infolgedessen können nur solche Rechtsvorschriften berücksichtigt werden, die zur Zeit der früheren Bescheiderteilung gegolten haben. Das haben die Vorinstanzen zum Teil nicht beachtet. Vorschriften, die erst später in Kraft getreten sind - z. B. die Vereinfachungs-VO vom 17. März 1945 und das AnVNG - müssen schon deshalb außer Betracht bleiben, selbst wenn sie ab ihrem Inkrafttreten auf frühere Versicherungsfälle - hier: auf einen am 15. Januar 1943 eingetretenen Versicherungsfall - anwendbar wären. Hierdurch unterscheidet sich die Nachprüfung nach § 79 AVG von der nach Art. 2 § 43 Satz 2 AnVNG. Im letzten Falle bilden die - neuen günstigeren - Vorschriften des AnVNG die Grundlage der Nachprüfung; bei § 79 AVG ist dagegen allein die Rechtslage zur Zeit der früheren Bescheiderteilung maßgebend. Rechtsgrundlage für die Geschiedenenwitwenrente war zur Zeit der Bescheiderteilung vom 20. Februar 1943 § 28 Abs. 3 AVG i. V. m. § 1256 Abs. 4 RVO, beide in der Fassung der VO vom 22. Juni 1942 zur Anpassung der Reichsversicherungsgesetze an das 2. Gesetz über die Verbesserung der Leistungen in der Rentenversicherung (RGBl I 411). Danach konnte der geschiedenen Frau eines Versicherten mit Zustimmung des Reichsarbeitsministers oder einer von ihm beauftragten Stelle Witwenrente gewährt werden, sofern ihr der Versicherte zur Zeit des Todes nach dem Ehegesetz von 1938 Unterhalt zu leisten hatte. Daneben mußten die damaligen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Hinterbliebenenrenten erfüllt sein (vgl. BSG 3, 197, 199).
Im vorliegenden Rechtsstreit sind bisher nur die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen näher erörtert worden. Darauf kann sich auch der Senat beschränken. Auf die sonstigen Voraussetzungen der Geschiedenenwitwenrente (Unterhaltspflicht nach dem Ehegesetz, Zustimmung des Reichsarbeitsministers bzw. einer sonstigen Stelle, Ermessensausübung der Beklagten) wäre nur einzugehen, wenn die Beklagte von dem Vorhandensein der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen überzeugt sein müßte. Diese Überzeugung ist von ihr nicht zu verlangen.
Die Beklagte hat dargelegt, daß nach den zur Zeit der Bescheiderteilung vom 20. Februar 1943 anzuwendenden Vorschriften über die Wartezeit und die Erhaltung der Anwartschaft (vor allem §§ 28, 31 AVG, 1262, 1263 RVO damaliger Fassung) die für die Hinterbliebenenrenten erforderliche Wartezeit von 60 Monaten mit anrechenbaren Zeiten nicht erfüllt gewesen ist. Anhaltspunkte für das Gegenteil sind von der Klägerin nicht vorgebracht worden und auch nicht ersichtlich. Streitig und entscheidend ist daher nur die Frage, ob die Wartezeit kraft einer gesetzlichen Fiktion als erfüllt zu gelten hat. In Betracht kommt dafür allein die Wartezeitfiktion des § 17 Abs. 1 des Gesetzes über weitere Maßnahmen in der Rentenversicherung aus Anlaß des Krieges vom 15. Januar 1941 (RGBl I S. 37). Nach dieser Vorschrift gilt die Wartezeit als erfüllt bei Versicherten, die während des Krieges als Soldaten gestorben oder infolge einer Beschädigung bei besonderem Einsatz oder einer Wehrdienstbeschädigung invalide (berufsunfähig) geworden sind. Zu dieser Bestimmung hatte sich das RVA in einem Erlaß vom 29. April 1942 (AN 1942, 298) dahin geäußert, daß die Vergünstigung des § 17 Abs. 1 absichtlich auf Soldaten beschränkt worden sei; sie gelte also nur für Personen, die als Soldaten gestorben oder als Soldaten infolge einer Beschädigung bei besonderem Einsatz oder einer Wehrdienstbeschädigung invalide (berufsunfähig) geworden seien; die Vorschrift gelte nicht für Versicherungsfälle, die zwar ihre Ursache in einer solchen Beschädigung hätten, aber erst nach der Entlassung aus dem Wehrdienst eingetreten seien.
Der Versicherte (D.) ist ohne Zweifel nicht als Soldat gestorben. Fraglich ist dagegen, ob er noch als Soldat berufsunfähig geworden ist. Diese Frage ist für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits aber nicht erheblich. Eine Klärung, ob und wann D. berufsunfähig geworden ist, wäre nur von einem bestimmten Rechtsstandpunkt aus erforderlich, nämlich dann, wenn man davon ausgeht, daß eine nach § 17 Abs. 1 des Gesetzes vom 15. Januar 1941 beim Versicherungsfall der Berufsunfähigkeit eingetretene Wartezeitfiktion beim folgenden Versicherungsfall des Todes erhalten bleibt, obgleich bei diesem Versicherungsfall die Wartezeitfiktion an sich nicht zum Zuge käme. Das ist offenbar der Rechtsstandpunkt des LSG gewesen; es hat ihn unter Hinweis auf §§ 32 AVG, 1264 Abs. 3 Satz 1 RVO früherer Fassung damit begründet, daß eine beim Eintritt der Berufsunfähigkeit erhaltene Anwartschaft nicht mehr habe erlöschen können.
Das LSG hat dabei aber nicht berücksichtigt, daß die Beklagte einen anderen Rechtsstandpunkt vertritt, den sie im Revisionsverfahren nochmals klargestellt hat. Nach der Meinung der Beklagten gilt die Wartezeit auf Grund des § 17 Abs. 1 des Gesetzes vom 15. Januar 1941 beim Tode eines Versicherten, der nicht als Soldat gestorben ist, in keinem Falle als erfüllt, also auch dann nicht, wenn der Versicherte noch während des Wehrdienstes als Soldat infolge einer Beschädigung bei besonderem Einsatz oder Wehrdienstbeschädigung berufsunfähig geworden ist.
Dieser Rechtsstandpunkt der Beklagten darf nicht unberücksichtigt bleiben. Da es sich um die Nachprüfung eines früheren Bescheides nach § 79 AVG handelt, ist grundsätzlich von der Überzeugung der Beklagten auszugehen. Das gilt für Tat- und Rechtsfragen gleichermaßen. Die rechtliche Überzeugung der Beklagten wäre nur dann unbeachtlich, wenn ihre Rechtsauffassung offensichtlich unvertretbar ist (vgl. Urteil des 4. Senats vom 28. Juni 1968, 4 RJ 35/67). Das ist hier nicht der Fall.
Die Beklagte beruft sich auf den Wortlaut des § 17 Abs. 1 des Gesetzes vom 15. Januar 1941, auf die Stellungnahme des RVA vom 29. April 1942 und ferner darauf, daß bei der Prüfung der Wartezeit auf den jeweiligen Versicherungsfall abzustellen ist; der Versicherungsfall des Todes sei gegenüber dem Versicherungsfall der Berufsunfähigkeit ein neuer Versicherungsfall. Diese Begründung läßt sich nicht als offensichtlich unhaltbar bezeichnen. Das LSG hat für seine gegenteilige Auffassung keine stichhaltigen Gründe angeführt, der Hinweis auf die §§ 32 AVG, 1264 Abs. 3 Satz 1 RVO aF betrifft die Erhaltung der Anwartschaft, die mit der Erhaltung einer Wartezeitfiktion unmittelbar nichts zu tun hat. Der Senat verkennt zwar nicht, daß sich in Rechtsprechung und Schrifttum auch Stellungnahmen finden, die für die Auffassung des LSG sprechen könnten (Bayerisches Landesversicherungsamt, Breithaupt 1953, S. 1064, Verbandskommentar 5. Aufl., § 1263 a RVO Anm. 8, 6. Aufl. § 1252 Anm. 3; Koch/Hartmann, AVG, 2. Aufl., Band I Anm. 5 zu §§ 31 AVG, 1263 a RVO; Band III § 29 AVG, A I e; Elsholz/Theile, Die gesetzliche Rentenversicherung Rd. Nr. 35 Anm. 2 d; LSG Rheinland-Pfalz, Breithaupt 1958, 740). Diese Äußerungen müssen die Beklagte aber nicht zur Aufgabe ihrer abweichenden Auffassung veranlassen, zumal das BSG die Frage des Fortwirkens einer Wartezeitfiktion bei späteren Versicherungsfällen bisher noch nicht entschieden hat. Unter diesen Umständen kann die Rechtsauffassung der Beklagten nicht als offensichtlich unvertretbar angesehen werden.
Das hat zur Folge, daß die Notwendigkeit tatsächlicher Ermittlungen vom Rechtsstandpunkt der Beklagten aus zu beurteilen ist. Nach ihrem Rechtsstandpunkt kommt es aber auf die vom LSG für erforderlich gehaltenen Ermittlungen nicht an. Infolgedessen bedarf es dieser Ermittlungen auch nicht. Denn nach welchen Gesichtspunkten in den Streitigkeiten um eine Neufeststellung nach § 79 AVG die Notwendigkeit von Ermittlungen auch immer zu beurteilen ist, in keinem Fall brauchen Ermittlungen über Tatsachen durchgeführt zu werden, die vom maßgebenden Rechtsstandpunkt aus nicht rechtserheblich sind; Ermittlungen über solche Tatsachen sind vielmehr unzulässig.
Da die Wartezeit beim Tode des Versicherten somit auch nicht auf Grund des § 17 Abs. 1 des Gesetzes vom 15. Januar 1941 als erfüllt zu gelten hat, muß die Beklagte die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der Geschiedenenwitwenrente nicht für gegeben halten. Der angefochtene Bescheid vom 17. Februar 1961 und der Widerspruchsbescheid vom 24. November 1964 sind deshalb rechtmäßig. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Das Urteil des LSG vom 24. Oktober 1967 ist deshalb aufzuheben. Die Berufung der Klägerin gegen das die Klage abweisende Urteil des SG vom 24. Februar 1965 ist zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
BSGE, 179 |
DVBl. 1969, 281 |