Beteiligte
Kläger und Revisionskläger |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob bei Forstarbeitern tarifliche Lohnerhöhungen, die nach Eintritt der Arbeitslosigkeit für die Zeit vorher vereinbart wurden, für die Höhe des Arbeitslosengeldes zu berücksichtigen sind und welche Abrechnungszeiträume bei einer Vergütung nach Stücklöhnen zugrunde gelegt werden müssen.
Der Kläger war in der Zeit vom 21. Februar 1972 bis 13. Februar 1973 als Waldfacharbeiter bei einem staatlichen Forstamt des Landes Rheinland-Pfalz beschäftigt. Er hat zuletzt im wesentlichen im Stücklohn gearbeitet.
Am 14. Februar 1973 meldete er sich arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Diesem Antrag wurde stattgegeben (Bescheid vom 2. März 1973). Der Berechnung des Arbeitslosengeldes wurde der vom Arbeitgeber bescheinigte Durchschnittsverdienst des Klägers im Forstwirtschaftsjahr 1972 (10,61 DM) zuzüglich Familienzulage (1,01 DM), allgemeiner Zulage (0,38 DM) und Wegegeld (0,15 DM), insgesamt 12,15 DM je Stunde zugrunde gelegt. Diese Berechnung geht zurück auf den Runderlaß 370/71.4 des Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit (BA) vom 21. September 1971 - III a 4 - 7112 - (Dienstblatt A 1971 S. 994). Darin ist vorgesehen, daß von dem Stundenlohn auszugehen ist, den der Forstarbeiter im Krankheitsfalle als Krankenlohn (§ 2 des Lohnfortzahlungsgesetzes) nach dem Manteltarifvertrag für die staatlichen Forstbetriebe erhalten hätte. Der Krankenlohn wird nach §§ 46, 13 des Manteltarifvertrages für die Waldarbeiter des Staates und der Gemeinden in Rheinland-Pfalz vom 16. Juli 1970 nach dem Durchschnittsverdienst im vergangenen Forstwirtschaftsjahr berechnet.
Mit seinem Widerspruch gegen den Bescheid der Beklagten machte der Kläger zunächst geltend, daß eine durch Lohntarifvertrag vom 17. Februar 1973 mit Rückwirkung ab 1. Januar 1973 vereinbarte Tariferhöhung zu berücksichtigen sei (Lohnerhöhung um 15%). Der Widerspruch wurde zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 14. Mai 1973).
Auf die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, Arbeitslosengeld unter Berücksichtigung der Tariferhöhung zu gewähren (Urteil vom 15. Oktober 1973). Auf die zugelassene Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 29. April 1974). Es hat die Auffassung vertreten, daß die Beklagte zu Recht das Arbeitslosengeld nach dem Erlaß vom 21. September 1971 bemessen habe. Das besondere Abrechnungsverfahren für Forstarbeiter, die im Stücklohn arbeiten, kenne außer dem Forstwirtschaftsjahr keine Lohnabrechnungszeiträume. Um aus den Stücklohnabrechnungen die Verdienste zu ermitteln, die der in einem bestimmten Zeitraum tatsächlich geleisteten Arbeit entsprechen, seien umfangreiche Ermittlungen erforderlich. Das widerspreche dem Sinn des § 112 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG), durch die Bezugnahme auf abgerechnete Lohnabrechnungszeiträume eine rasche Feststellung der Höhe des Arbeitslosengeldes zu ermöglichen. Das Gesetz sei lückenhaft. Die Gesetzeslücke müsse nach Sinn und Zweck des § 112 AFG geschlossen werden. Der Erlaß habe diese Lücke geschlossen; es sei nicht ersichtlich, auf welche Art und Weise dem § 112 AFG besser entsprochen werden könne. Rückwirkende Lohnerhöhungen durch Tarifverträge, die erst nach Eintritt der Arbeitslosigkeit abgeschlossen worden seien, könnten nicht berücksichtigt werden. Dies sei für die regelförmige Berechnung des Arbeitslosengeldes vom Bundessozialgericht (BA) und auch schon vom Reichsversicherungsamt (WA) klargestellt worden. Es bestehe kein Anhalt, bei Forstarbeitern hiervon abzugehen.
Mit der - zugelassenen - Revision macht der Kläger nunmehr geltend, daß das im Erlaß vom 21. September 1971 vorgesehene Verfahren, von dem Durchschnittslohn des vorangegangenen Forstwirtschaftsjahres auszugehen, insgesamt rechtswidrig sei. Es komme nach § 112 AFG nicht auf geschlossene Lohnabrechnungszeiträume an. Deshalb könne der besonderen Form der Stücklohnabrechnung dadurch Rechnung getragen werden, daß man eine Stücklohnabrechnung daraufhin untersuche, ob in der betreffenden Periode auch andere Arbeiten verrichtet wurden und diese hinzurechne. Seien hingegen in dieser Zeit Arbeiten verrichtet worden, die noch nicht abgerechnet worden seien, so seien diese Zeiten auszuklammern. Das LSG habe versäumt, festzustellen, ob sich bei einem derartigen Verfahren im Falle des Klägers Abrechnungsschwierigkeiten ergeben hätten, die ein Ausweichen auf den Erlaß vom 21. September 1971 hätten geboten erscheinen lassen. Im übrigen sei bei der Beurteilung der Frage, welcher Berechnungsmethode man sich anschließe, nicht generell der Einfachheit der Abrechnung der Vorzug vor der Aktualität der Lohnabrechnung zu geben. Das vom Präsidenten der BA vorgesehene Verfahren führe jedenfalls dazu, daß u.U. noch mehr als ein Jahr zurückliegende Lohnverhältnisse zugrundegelegt werden müßten.
Der Kläger beantragt,das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,die Revision zurückzuweisen.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) einverstanden erklärt.
II
Die Revision ist nicht begründet. Das Arbeitslosengeld des Klägers ist von der Beklagten zutreffend berechnet worden.
Das LSG hat zu Recht entschieden, daß § 112 AFG bei Abrechnungsverfahren, wie sie nach dem Manteltarifvertrag für Arbeiter in der Forstwirtschaft des Landes Rheinland-Pfalz praktiziert werden, nicht anwendbar ist. Der Tarifvertrag kennt lediglich Lohnzahlungszeiträume (§ 19 Abs. 3 MTV). Die Abrechnung für diese Zeiträume umfaßt nur die im Zeitlohn geleisteten Stunden und die fertiggestellten Stücklohnarbeiten. Nicht erfaßt werden Stücklohnarbeiten, die vor dem Beginn des abgerechneten Zeitraums begonnen aber noch nicht beendet oder abgenommen wurden. Außerdem werden Arbeiten, die vor Beginn der Abrechnungsperiode für die abgerechneten "Stücke" geleistet wurden, nicht ausgeklammert. Das LSG hat hierzu festgestellt, daß deshalb aus diesen Abrechnungen nicht der Verdienst für die in dem abgerechneten Zeitraum tatsächlich geleistete Arbeit entnommen werden kann, und daß für diese Feststellung umfangreiche Ermittlungen in den Unterlagen des Arbeitgebers erforderlich wären. Ob im Einzelfall einmal ohne Schwierigkeiten der Verdienst innerhalb eines Lohnzahlungszeitraumes festgestellt werden könnte, ist in diesem Zusammenhang nicht entscheidend, weil es sich in keinem Fall um einen "abgerechneten" Lohnabrechnungszeitraum handelt. Das Gesetz enthält insoweit eine Lücke.
Das LSG hat auch zutreffend entschieden, daß das Abrechnungsverfahren nach dem Erlaß vom 21. September 1971, mit dem die Bundesanstalt die Lücke des Gesetzes schließt, nicht zu beanstanden ist, soweit es für den vorliegenden Fall bedeutsam wird.
§ 112 AFG selbst bietet keine Anhaltspunkte für eine Weiterentwicklung (Gesetzesanalogie), die die Einbeziehung auch dieser Fälle ermöglicht. Die beiden Ziele des § 112 AFG - einfach feststellbare Berechnungsgrundlagen und zeitnahes Lohnniveau - lassen sich bei dem im Rahmen der Forstwirtschaft praktizierten Abrechnungsverfahren nicht gleichzeitig erreichen.
Auch andere Vorschriften des AFG oder anderer Bundesgesetze enthalten keine Regelung, aus der im Wege der Rechtsanalogie geschlossen werden könnte, wie derartige Fälle geregelt werden sollten. Es bleibt danach nur die Möglichkeit, im Wege der freien Rechtsfindung eine Lösung zu finden, die der Verwirklichung der Ziele des § 112 AFG möglichst nahe kommt. Hierfür bietet sich an, einen längeren Zeitraum über mehrere Stücklohnabrechnungsperioden zu wählen. Dann fallen die Lohnzahlungen, die nicht einer in der Abrechnungsperiode geleisteten Arbeit entsprechen, oder geleistete Arbeitsstunden, die noch nicht abgerechnet wurden, bei der Durchschnittsberechnung nicht wesentlich ins Gewicht. Bei der Bestimmung dieses längeren Zeitraumes ist es sachgerecht, auf den Zeitraum zurückzugreifen, der von den besonders sachkundigen Tarifpartnern der Forstwirtschaft bei einer ähnlichen Problemlage, der Berechnung des Krankenlohns, im Rahmen des MTV zugrunde gelegt wird. Das ist das Forstwirtschaftsjahr.
Allerdings muß die notwendige Aktualität des Lohnniveaus durch die Berücksichtigung von Tariferhöhungen sichergestellt werden. Das bedeutet, daß Tariferhöhungen, die im Laufe des der Berechnung zugrunde liegenden Jahres eintreten, zusätzlich mit einem gewissen Prozentsatz berücksichtigt werden müssen, und zwar um so stärker, je näher sie am Jahresende liegen. Tariferhöhungen, die nach dem Ende des Forstwirtschaftsjahres eintreten, müssen in der Weise berücksichtigt werden, daß der Durchschnittsverdienst des vergangenen Forstwirtschaftsjahres um den vollen Prozentsatz der tariflichen Erhöhung aufgestockt wird.
Entgegen der Auffassung des Klägers sind allerdings tarifliche Lohnerhöhungen, die rückwirkend nach Eintritt der Arbeitslosigkeit beschlossen werden, für die Bemessung des Arbeitslosengeldes nicht mehr von Bedeutung. Es ist ein feststehender Rechtsgrundsatz des Sozialversicherungsrechts, daß aus Gründen der Übersichtlichkeit und der Zügigkeit der Abwicklung von Ansprüchen rückwirkende Lohnveränderungen frühestens von dem Zeitpunkt berücksichtigt werden können, in dem sie vereinbart worden sind. Das gilt nicht nur für das Beitragsrecht (BSGE 22, 162; 24, 262), sondern auch für das Leistungsrecht sowohl im Bereich der Krankenversicherung (BSGE 36, 59) als auch für die Gewährung von Kurzarbeitergeld (BSGE 28, 231) und die Gewährung von Arbeitslosengeld (RVA AN 1930, 48; EuM 20, 432; BSGE 12, 55). Die Vorschrift des § 112 AFG enthält gegenüber dem bisherigen Recht keine Änderungen, die zu einer anderen Betrachtung Anlaß geben könnten.
Dieser Grundsatz ist auch zu beachten, wenn § 112 AFG nicht unmittelbar angewendet wird, sondern - wie hier - im Wege der freien Rechtsfindung eine seinem Sinn und Zweck entsprechende Regelung gefunden werden soll. Die Berücksichtigung nachträglicher Tariferhöhungen führt nicht dazu, die vor Eintritt der Arbeitslosigkeit bestehenden Einkommensverhältnisse aktueller widerzuspiegeln, sondern führt zur Berücksichtigung von Einkommen, das in dieser Zeit tatsächlich noch nicht erzielt, keinesfalls aber abgerechnet worden ist. Ein solches Verfahren würde nicht den Grundsätzen des § 112 AFG entsprechen. Auch bei direkter Anwendung des § 112 AFG könnten sogar Tariferhöhungen, die zwar vor Eintritt des Versicherungsfalles beschlossen wurden aber noch nicht abgerechnet worden sind, nicht berücksichtigt werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.12/7 RAr 57/74
Bundessozialgericht
Fundstellen