Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlagebeschluss an den Großen Senat. Kriegsopferversorgung. Maßgeblichkeit einer gerichtlichen Todeserklärung für die Hinterbliebenenversorgung. Geburt eines Kindes nach mehrjähriger Verschollenheit des Ehemanns. Status als eheliches Waisenkind
Orientierungssatz
Schließt eine gerichtliche Todeserklärung, bei der der Zeitpunkt des Todes des Verschollenen nach Art 2 § 2 Abs 3 S 1 des Verschollenheitsänderungsgesetzes vom 15. Januar 1951 (juris: VerschÄndG) ohne Ermittlungen festgestellt ist, eine Feststellung des Todeszeitpunkts durch den Versicherungsträger nach § 1260 S 1 der Reichsversicherungsordnung aF (juris: RVO) aus mit der Folge, dass allein die gerichtliche Todeserklärung für die Entscheidung über Rentenansprüche von Hinterbliebenen maßgebend ist?
Normenkette
RVO § 1260 S. 1 Fassung: 1934-05-17, § 1258 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1934-05-17, Abs. 2 Nr. 1 Fassung: 1934-05-17, § 1259 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1934-05-17; VerschG § 9 Abs. 1, § 1; VerschÄndG Art. 2 § 2 Abs. 3 S. 1 Fassung: 1951-01-15; BGB § 1592 Nr. 1, § 1593; ZPO § 292; SGG § 42
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 21.12.1955) |
SG Düsseldorf (Urteil vom 05.07.1955) |
Nachgehend
Tenor
Dem Großen Senat des Bundessozialgerichts wird folgende Frage zur Entscheidung nach § 42 des Sozialgerichtsgesetzes vorgelegt:
Schließt eine gerichtliche Todeserklärung, bei der der Zeitpunkt des Todes des Verschollenen nach Art. 2 § 2 Abs. 3 Satz 1 des Verschollenheitsänderungsgesetzes vom 15. Januar 1951 ohne Ermittlungen festgestellt ist, eine Feststellung des Todeszeitpunkts durch den Versicherungsträger nach § 1260 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung a.F. aus mit der Folge, daß allein die gerichtliche Todeserklärung für die Entscheidung über Rentenansprüche von Hinterbliebenen maßgebend ist?
Gründe
I
Dem Rechtsstreit, der zur Anrufung des Großen Senats geführt hat, liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Mutter des Klägers war seit 1942 mit dem Versicherten P. U. verheiratet. Sie hat am 20. Mai 1944 ihre Tochter U. und ... 1946 den Kläger geboren. Ihr Ehemann ist seit dem 29. Juni 1944 als Soldat im Osten vermißt. Auf ihren Antrag wurde dieser durch Beschluß des Amtsgerichts Oberhausen vom 11. Juni 1952 nach den Vorschriften des Verschollenheitsänderungsgesetzes (VerschÄndG) vom 15. Januar 1951 (BGBl. I S. 59) ohne Ermittlungen für tot erklärt. Als Zeitpunkt des Todes wurde der 31. Dezember 1945 festgestellt.
Den Waisenrentenanspruch des Kindes U. (Antrag vom 6.12.1947) hat die beklagte Landesversicherungsanstalt (LVA.) durch Beschluß vom 25. Juli 1950 für die Zeit vom 1. Juli 1944 ab anerkannt. Am 29. Juni 1953 beantragte die Mutter des Klägers, auch dem Kläger Hinterbliebenenrente zu gewähren. Die beklagte LVA. lehnte den Antrag mit Bescheid vom 2. April 1954 ab: In dem früheren Rentenverfahren für das Kind U. sei der Todestag des versicherten Vaters auf den 30. Juni 1944 festgesetzt worden. Der Kläger, der erst ... 1946 geboren sei, könne demnach nicht ein eheliches Kind des Versicherten sein.
Hiergegen erhob der Kläger beim Sozialgericht (SG.) Düsseldorf Klage mit dem Antrag,
die beklagte LVA unter Aufhebung ihres Bescheides vom 2. April 1954 zu verurteilen, dem Kläger Waisenrente vom 1. Juli 1946 an zu gewähren.
Das SG. gab der Klage statt. Das Landessozialgericht (LSG.) wies die Berufung der beklagten LVA zurück; die Revision wurde zugelassen.
II
Nach Auffassung des erkennenden Senats ist der Rechtsstreit entscheidungsreif. Er hält den Anspruch auf Waisenrente nach § 1258 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 2 Nr. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) a.F. für begründet. Dabei geht er davon aus, daß die gerichtliche Todeserklärung - wenn auch mit dem Vorbehalt der Widerlegbarkeit und Berichtigung - in jedem Falle für die Tatbestandsvoraussetzungen "Tod des Versicherten" und "eheliches Kind" bestimmend ist, selbst wenn die Feststellung des Todeszeitpunkts in der gerichtlichen Todeserklärung, wie im vorliegenden Streitfall, ohne Ermittlungen getroffen ist. Auch in diesem Falle hält der 3. Senat es für ausgeschlossen, daß der Versicherungsträger nach § 1260 Satz 1 RVO a.F. den Todestag des Verschollenen nach billigem Ermessen feststellen darf, um anhand dieser Todeszeitpunktfeststeilung den Eintritt des Versicherungsfalls oder sogar den Ehelichkeitsstatus der anspruchserhebenden Waise - wenn auch nur für den Bereich der Sozialversicherung - zu beurteilen. Der Senat steht mit dieser Auffassung in einer für seine Entscheidung wesentlichen Frage in Widerspruch zu der Meinung des 4. Senats, wie sie in den Urteilen vom 4. Juli 1957 (BSG. 5 S. 249), vom 19. September 1957 (4 RJ 150/56) und 24. Oktober 1957 (4 RJ 92/56) zum Ausdruck gekommen ist.
Der 4. Senat hat auf Anfrage hin erklärt, er halte an seiner Auffassung fest. Der erkennende Senat sah sich daher nach § 42 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) genötigt, den Großen Senat anzurufen.
III
Für die Rechtsauffassung des 3. Senats sind folgende Gründe bestimmend:
1.) Zweck und Tragweite des § 1260 Satz 1 RVO a.F., wonach der Versicherungsträger den Todestag Verschollener nach billigem Ermessen feststellen darf, werden deutlich, wenn die Aufgabe der gerichtlichen Todeserklärung richtig erkannt wird.
a) Die gerichtliche Todeserklärung ergeht nach geltendem Recht im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit (§ 13 Abs. 1 des Verschollenheitsgesetzes -VerschG- vom 4. Juli 1939 [RGBl. I S. 1186] in der Fassung des Gesetzes vom 15. Januar 1951 [BGBl. I S. 63] und des Gesetzes vom 26. Juli 1957 [BGBl. I S. 861-937]). Während sie früher formal gesehen zur streitigen Gerichtsbarkeit gehörte (vgl. die weggefallenen §§ 960 bis 976 der Zivilprozeßordnung -ZPO-), ist das Verfahren der gerichtlichen Todeserklärung nunmehr seinem Wesen besser entsprechend in die freiwillige Gerichtsbarkeit eingegliedert worden, wenn man mit Wach (Handb. des deutschen Zivilprozeßr. S. 53) das Wesen der freiwilligen Gerichtsbarkeit darin erblickt, daß sie der Gestaltung, nicht der streitigen Aufrechterhaltung der Rechtsordnung dient (vgl. auch Arnold, Komm. z. Verschollenheitsrecht Anm. 1 zu § 13). Die Todeserklärung hat rechtserzeugende Wirkung; denn erst und nur der förmliche Beschluß des Gerichts "begründet" die Rechtswirkungen des § 9 VerschG (Vogel, Verschollenheitsrecht Anm. 3 zu § 9). Allerdings sind diese Rechtswirkungen beschränkt. Die Todeserklärung begründet nur Vermutungen, nämlich, daß der Verschollene in dem im Beschluß festgestellten Zeitpunkt verstorben ist (§ 9 Abs. 1 VerschG), und daß er bis zu diesem festgestellten Todeszeitpunkt gelebt hat. Darüber hinaus knüpft das Familienrecht an die Todeserklärung als solche in bestimmten Fällen Rechtsfolgen mit der Folge, daß diese Wirkungen auch im Falle der Unrichtigkeit der Todeserklärung nicht oder nicht mit rückwirkender Kraft beseitigt werden können (vgl. z.B. § 1677 BGB: Beendigung der elterlichen Gewalt des für tot erklärten Elternteils). Eine solche über die Wirkung einer Vermutung hinausgehende Rechtsfolge hat das Gesetz der Todeserklärung für die Auflösung der Ehe nicht zuerkannt. Insoweit kann demnach die Auswirkung der Todeserklärung nur aus ihrer allgemeinen Bedeutung nach § 9 VerschG bestimmt werden.
Hat die Todeserklärung somit im allgemeinen auch nur die begrenzte Wirkung einer Vermutung, so begründet sie - mit dieser Beschränkung - doch eine absolute Vermutung, die für und gegen jedermann wirkt. Sie bindet insbesondere alle anderen Behörden (vgl. Schlegelberger FGG 7. Aufl. Anm. 10 zu § 16). Sie ist weder in zeitlicher noch in persönlicher oder sachlicher Hinsicht beschränkt; sie gilt für private und öffentliche Rechtsverhältnisse. Alle Rechtsverhältnisse, für die das Leben oder der Tod des Verschollenen von Bedeutung ist, sind so anzusehen, als ob der Verschollene tatsächlich in dem festgestellten Todeszeitpunkt verstorben wäre. Es ist demnach ausgeschlossen, den Tod des Verschollenen für verschiedene Rechtsverhältnisse als zu verschiedenen Zeitpunkten eingetreten zu vermuten (vgl. Dronke in JW. 1916 S. 632 [637 f.]; Arnold Anm. 5 zu § 9 VerschG; Hesse-Kramer, Verschollenheitsg. Anm. 13 zu § 9; Vogel Anm. 4 zu § 9 VerschG; Palandt Anm. 2 und 3 zu § 9 VerschG; Soergel Anm. 3 zu § 9 VerschG; Ermann Anm. 2 zu § 9 VerschG; OLG. Neustadt vom 30.11.1951 in NJW. 1951 S. 940 f.).
b) Die durch § 9 Abs. 1 VerschG begründete Todesvermutung ist allerdings widerlegbar (§ 292 ZPO); denn das VerschG schreibt nichts anderes vor. Der Gegenbeweis der Todeszeitpunktvermutung setzt jedoch die volle Gewißheit der Unrichtigkeit voraus. Deshalb reicht auch ein hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, daß der Verschollene zu einem anderen als dem im Beschluß festgestellten Zeitpunkt gestorben ist, nicht aus, den Beweis der Unrichtigkeit der Todeserklärung zu erbringen (Arnold Anm. 11 zu § 9 VerschG, Vogel Anm. 8 zu § 9 VerschG). Hat der Versicherungsträger die volle Gewißheit, daß der Versicherte verstorben ist, dann liegt Verschollenheit nicht vor. Verschollenheit setzt Ungewißheit über den Tod des Versicherten voraus (§ 1 Abs. 2 VerschG); so auch schon das frühere Recht: "Ein erweislich Toter ist nicht mehr verschollen" (Dronke in JW. 1916 S. 632 [636]).
c) Aus der umfassenden Wirkung der gerichtlichen Todeserklärung folgt, daß sie auch für das Versicherungsverhältnis gilt: "Es herrscht kein Zweifel darüber, daß die Todeserklärung auch öffentlich-rechtliche Wirkungen äußert; auch der Versicherungsträger muß die Todesvermutung gegen sich gelten lassen" - so führt schon Brunn (Monatsschrift für Arbeiter- und Angestelltenversicherung 1917 Sp. 713 [714]) unter Berufung auf Dronke (JW. 1916 S. 632 [637 f.]) aus. Wo das Recht der Rentenversicherung auf den Tod des Versicherten abstellt, greift die gerichtliche Todeserklärung Platz, wenn auch wie stets unter dem Vorbehalt, daß sie widerlegt und berichtigt werden kann. Ist das aber nicht der Fall, so steht damit der Eintritt des Versicherungsfalls in Gestalt des "Todes des Versicherten" (§ 1258 Abs. 1 Satz 1 RVO a.F.) fest.
d) Gleichermaßen wirkt sich die gerichtliche Todeserklärung auf dem Gebiet des Familienrechts aus. Die Ehe des Verschollenen gilt mit dem in der Todeserklärung festgestellten Zeitpunkt als aufgelöst (vgl. RGZ 60 S. 196 [198] mit dem beachtlichen Hinweis auf die Entstehungsgeschichte zum BGB: Der Abs. 1 des § 1235 des ersten Entwurfs, der aussprach, daß auch in Ansehung der Ehe die durch die Todeserklärung begründete Vermutung bestehe, ist in der zweiten Lesung als selbstverständlich gestrichen worden). Dieser Auffassung kann nicht § 38 Abs. 2 Satz 1 des Ehegesetzes (EheG) entgegengehalten werden, wonach die frühere Ehe eines Ehegatten mit einem für tot erklärten Ehegatten mit der Schließung der neuen Ehe aufgelöst wird. Diese Vorschrift soll nur verhüten, daß bei der Wiederverheiratung im Falle der Todeserklärung die Rechtsfolgen eintreten, die sonst Platz greifen, wenn sich die durch die Todeserklärung begründete Vermutung als unrichtig erweist, daß nämlich die Rechtsverhältnisse der wirklichen Sachlage entsprechend beurteilt werden, als wenn die Todeserklärung nicht erfolgt wäre (vgl. RGZ. a.a.O.). Mit § 38 Abs. 2 Satz 1 EheG wird somit nur zum Ausdruck gebracht, daß die Ehe mit dem Verschollenen durch den Eheschluß jedenfalls endgültig aufgelöst wird (Staudinger Anm. 28 zu § 9 VerschG). Die Vorschrift enthält eine Ausnahme gegenüber § 20 EheG - eine Ehe ist nichtig, wenn einer der Ehegatten zur Zeit der Eheschließung mit einem Dritten in gültiger Ehe lebte -, nicht aber gegenüber § 9 Abs. 1 VerschG, wie Soergel (Anm. 6 b zu § 9 VerschG) zutreffend ausführt.
Die durch die Todeserklärung begründete Vermutung des Todes des Verschollenen und damit der Auflösung seiner Ehe entscheidet auch über den Familienrechtsstand von Kindern aus dieser Ehe (vgl. RGZ. 60 S. 196 [198 f.]; OLG. Hamm in JZ. 1951 S. 345; OLG. Neustadt in NJW. 1952 S. 1940; BVerfG. 9 S. 201 [210]). Liegt der festgestellte Zeitpunkt des Todes mehr als 302 Tage vor der Geburt des Kindes (§ 1592 Abs. 1 BGB), dann gilt das Kind als unehelich. Seine Unehelichkeit kann von jedermann geltend gemacht werden, ohne daß eine Anfechtung der Ehelichkeit (§§ 1594, 1595a BGB) erforderlich wäre. Umgekehrt gilt ein Kind, dessen Ehelichkeit nicht angefochten ist, als ehelich, wenn es nicht später als 302 Tage nach der - durch die Todeserklärung vermutlich eingetretenen - Auflösung der Ehe geboren ist (§ 1593 BGB). Die Unehelichkeit eines Kindes, das vor dem in der Todeserklärung festgestellten Todeszeitpunkt des Ehemannes der Mutter oder innerhalb 302 Tagen nach dem Zeitpunkt geboren ist, kann ohne vorherige gerichtliche Feststellung auch nicht einredeweise geltend gemacht werden. Zwar konnte sich der Versicherungsträger nach der vom Reichsversicherungsamt (RVA.) vertretenen Auffassung (Deutsche Invaliden-Versicherung 1937 S. 185) vor der Neufassung des § 1593 BGB durch das Familienrechtsänderungsgesetz vom 12. April 1938 (RGBl. I S. 380) auf die Unehelichkeit eines Kindes berufen, wenn der Ehemann der Mutter das Anfechtungsrecht noch nicht verloren hatte. Ob diese Auffassung nach früherem Recht uneingeschränkt richtig war - insbesondere für den Fall, daß der Ehemann der Mutter noch lebte und die einjährige Anfechtungsfrist noch nicht verstrichen war -, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls ist durch die Neufassung des § 1593 BGB und die Einfügung des § 1595 a BGB ein ausschließliches Anfechtungsrecht des Ehemannes und des Staatsanwalts begründet worden mit der Folge, daß ein Dritter die Unehelichkeit nicht geltend machen kann, wenn nicht die Anfechtungsberechtigten die Ehelichkeit des Kindes angefochten haben.
2.) Steht hiernach - jedenfalls grundsätzlich - fest, daß die durch die gerichtliche Todeserklärung begründete Todesvermutung sowohl dafür, ob und wann der Versicherungsfall des Todes eingetreten ist, als auch für den Ehelichkeitsstatus eines Kindes maßgebend ist, so bleibt zu prüfen, in welchem Verhältnis hierzu die Befugnis des Versicherungsträgers nach § 1260 Satz 1 RVO a.F. steht, den Todestag Verschollener nach billigem Ermessen festzustellen.
a) Sicher ist, daß der Versicherungsträger mit einer solchen Feststellung nicht das ihm wie jedem Dritten zustehende Recht verwirklicht, die Todesvermutung der gerichtlichen Todeserklärung zu widerlegen. Vielmehr setzt der Versicherungsträger in diesem Falle der Todeszeitpunktfeststellung in der gerichtlichen Todeserklärung nur eine eigene - möglicherweise mit einem höheren Grad der Wahrscheinlichkeit - entgegen, ohne den "Beweis des Gegenteils" zu erbringen, wie ihn § 292 ZPO für die Widerlegung der Vermutung fordert.
b) Um die absolute Wirkung der durch die gerichtliche Todeserklärung begründeten Todesvermutung für den Bereich der Rentenversicherung auszuräumen, müßte demnach ersichtlich sein, daß das Sozialversicherungsrecht der Feststellung des Versicherungsträgers nach § 1260 Satz 1 RVO a.F. die Wirkung beilegt, die gerichtliche Todeserklärung für seinen engeren Bereich außer Kraft zu setzen.
In dieser Hinsicht kann nicht ausschlaggebend sein, daß § 1260 in Verbindung mit 1259 RVO a.F. gegenüber § 1 VerschG lex specialis ist. Als die RVO mit ihrem Verschollenheits-Sonderrecht eingeführt wurde, galt § 13 BGB, der den Begriff der Verschollenheit nicht definierte. Offenbar ist es im Hinblick auf den praktischen Gebrauch der Versicherungsträger für zweckmäßig erachtet worden, den Begriff der Verschollenheit naher zu erläutern, insbesondere aber, das dem Verschollenheitsbegriff innewohnende Merkmal "längere Zeit der Nachrichtenlosigkeit" durch eine genaue Zeitbestimmung: "ein Jahr" praktikabel zu machen. Im übrigen umschreibt § 1259 Abs. 1 Satz 2 RVO a.F. den Verschollenheitsbegriff durchaus in der im deutschen Rechtsgebiet herkömmlichen Weise. Sind die Unterschiede des sozialversicherungsrechtlichen Verschollenheitsbegriffs gegenüber dem des allgemeinen Verschollenheitsrechts demnach auch nicht wesentlich, so bleibt doch festzuhalten, daß der Versicherungsträger, der den Todestag des Verschollenen nach billigem Ermessen festsetzen darf, allein die Voraussetzungen des § 1259 Abs. 1 Satz 2 RVO a.F. zu prüfen hat. Das ist jedoch keine Besonderheit des Sozialversicherungsrechts. Auch auf anderen Rechtsgebieten sind die Voraussetzungen für die Leistungen an Hinterbliebene Verschollener unter mehr oder minder geringfügiger Abweichung vom allgemeinen Verschollenheitsbegriff festgesetzt. Allen diesen Fällen ist gemeinsam, daß der vermutliche Todeszeitpunkt des Verschollenen von den Leistungsverwaltungen allein nach den Merkmalen des jeweiligen Sonderrechts bestimmt wird, sofern eine solche Feststellung überhaupt zulässig ist.
Sie ist aber regelmäßig nicht mehr statthaft, wenn eine gerichtliche Todeserklärung vorliegt. So sehen die amtlichen Richtlinien zum Bundesbeamtengesetz -BBG- (Nr. 6 zu §, abgedruckt bei Fischbach, Bundesbeamtenrecht) vor, daß die Festsetzung der Verschollenheitsbezüge gegenstandslos wird, wenn nachträglich eine rechtskräftige Todeserklärung erfolgt. Nunmehr ist der in der Todeserklärung festgestellte Todeszeitpunkt für die Berechnung der ruhegehaltsfähigen Dienstzeit usw. maßgebend. Die hiernach errechneten Versorgungsbezüge werden unter Anrechnung der für den gleichen Zeitraum gezahlten Verschollenheitsbezüge nachgezahlt. Überzahlungen werden unter Beachtung des § 87 Abs. 2 BBG - nach den Grundsätzen über Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung - ausgeglichen. - Ähnliches gilt im Bundesversorgungsrecht (vgl. Nr. 2 der Verwaltungsvorschriften zu § 52 Bundesversorgungsgesetz -BVG-). Allerdings verliert die bindende Wirkung der gerichtlichen Todeserklärung durch die sachlich-rechtliche Regelung des § 52 Abs. 2 BVG an Bedeutung. Immerhin ist auch im Versorgungsrecht für eine Feststellung des mutmaßlichen Todestags des Verschollenen neben der gerichtlichen Todeserklärung kein Raum.
Zum gleichen Ergebnis ist die Rechtsprechung auch bei der Auslegung des § 180 des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) in der Fassung vom 29. Juni 1956 (BGBl. I S. 562) gekommen. Hierbei interessiert in diesem Zusammenhang weniger das Ergebnis als vielmehr der methodische Ansatzpunkt der Erwägungen des Bundesgerichtshofes (BGH.), die vor allem auf den Sinnzusammenhang der Sonderregelung des BEG mit der Gesamtrechtsordnung abstellen. Schon in seiner Entscheidung vom 3. April 1957 (Rechtspr. zum Wiedergutmachungsrecht 1957 S. 292) hatte der BGH. bemerkt, es "erscheine nicht unbedenklich, wenn die Entschädigungsorgane gegenüber einer solchen Feststellung" - gemeint ist eine Feststellung des Todeszeitpunkts nach dem VerschG oder anderen Rechtsvorschriften - "ihrerseits ebenfalls einen anderen Todeszeitpunkt feststellen könnten und eine solche Feststellung gegenüber der Feststellung nach dem VerschG oder nach anderen Rechtsvorschriften den Vorrang haben würde." In dem Urteil vom 22. Oktober 1958 (MDR. 1959 S. 29 mit zustimmender Anmerkung von Munzel in MDR. 1959 S. 198) hat der BGH. sich schließlich unter Berufung auf seine bereits früher geäußerten Bedenken dahin entschieden, eine Todeszeitpunktfeststeilung in der gerichtlichen Todeserklärung sei in jedem Falle für die Entschädigungsbehörden verbindlich, auch wenn die Feststellung nicht auf besonderen Ermittlungen beruhe.
So zeigt die vergleichende Betrachtung verwandter Rechtsgebiete: Räumt die Rechtsordnung Leistungsverwaltungen zum Zwecke der erleichterten Feststellung der Ansprüche Hinterbliebener das Recht ein, den Todeszeitpunkt Verschollener festzusetzen, so ist diese Feststellung gegenüber der gerichtlichen Todeserklärung subsidiär. Es wäre demnach eine auf das Sozialversicherungsrecht beschränkte Anomalie, wollte man der Feststellung des Todeszeitpunkts des Versicherungsträgers die Kraft beilegen, die "absolute" Wirkung der gerichtlichen Todeserklärung für den Bereich der Sozialversicherung auszuschalten. Hierfür müßten besondere Gründe ersichtlich sein.
c) Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Die Entstehungsgeschichte der §§ 1259, 1260 RVO a.F. läßt klar erkennen, daß die den Versicherungsträgern erteilte Ermächtigung, den Todestag Verschollener nach billigem Ermessen festzusetzen - wie die anderen Leistungsverwaltungen erteilten entsprechenden Ermächtigungen -, den Zweck verfolgt, subsidiär und im Interesse der Hinterbliebenen die Festsetzung von Hinterbliebenenrenten zu ermöglichen, wenn eine Todeserklärung nicht vorliegt. In der amtlichen Begründung zum Entwurf einer RVO (Reichstags-Drucks. "Zu Nr. 340", 12. Legislatur-Periode, II. Session 1909/10 S. 401) heißt es zu § 1250 (entspricht inhaltlich § 1259 RVO a.F.):
"Da nun die Todeserklärung nach §§ 13 bis 19 des Bürgerlichen Gesetzbuches im allgemeinen erst nach zehn Jahren zulässig ist, so kann die Gewährung von Hinterbliebenenbezügen nach dem Vierten Buch nicht von der Todeserklärung abhängig gemacht werden. Die Voraussetzungen müssen leichter erfüllbar sein, wenn die Hinterbliebenen rechtzeitig in den Besitz ihrer Bezüge kommen sollen."
Als die Todeserklärung von Kriegsteilnehmern durch Bundesratsverordnungen in den Jahren 1916 und 1917 gegenüber dem bisherigen Recht, insbesondere durch Abkürzung der Abwesenheitsfristen und Vereinfachung des Verfahrens, wesentlich erleichtert wurde, entstand die Frage, ob die Sondervorschriften der RVO für den Verschollenheitsfall (damals §§ 1265, 1266) dadurch ihre Bedeutung verloren hätten; v. Olshausen (NJW. 1916 S. 642 [643]) hatte der Meinung Ausdruck gegeben, daß die Versicherungsträger in Zukunft voraussichtlich erst nach erfolgter Todeserklärung Renten gewähren würden, nachdem die Todeserklärung Kriegsverschollener in so hohem Grade erleichtert worden sei. Das RVA. entschied sich in seinem Runderlaß vom 18. Mai 1916 (AN. 1916 S. 509) dafür, die Versicherungsträger anzuweisen, bei Verschollenheit des Versicherten entweder den Antragstellern anheimzugeben, die Todeserklärung des Versicherten zu erwirken, oder selbständig das Vorliegen der Verschollenheit zu prüfen. Jedenfalls geht bis zu diesem Zeitpunkt die allgemeine Rechtsüberzeugung dahin, daß der Versicherungsträger den Todeszeitpunkt des Verschollenen nur dann selbständig feststellen darf, wenn keine Todeserklärung vorliegt.
d) Eine abweichende Auffassung wird erstmals, soweit erkennbar, von Brunn vertreten (Monatsschrift für Arbeiter- und Angestelltenversicherung 1917 Sp. 713). Ausgehend von dem Gedanken der Widerlegbarkeit der Todesvermutung (§ 292 ZPO) sieht er in der Feststellung des Todeszeitpunkts durch den Versicherungsträger nach billigem Ermessen den in § 292 ZPO geforderten "Beweis des Gegenteils". Wie bereits dargelegt, ist dies irrig. Mit seiner eigenen Feststellung des - vermutlichen - Todeszeitpunkts hält der Versicherungsträger der Todeszeitpunktfestsetzung in der Todeserklärung nur eine Feststellung entgegen, die er für wahrscheinlicher als die andere hält;, erbringt aber nicht den Nachweis der Unrichtigkeit der mit der Todeserklärung begründeten Todeszeitpunktvermutung.
Das RVA. beruft sich zwar in seiner Entscheidung vom 20. Januar 1931 (EuM. 29 S. 265) auf Brunn, begründet aber seine Auffassung, daß der Versicherungsträger entgegen der Todeszeitpunktfestsetzung in der Todeserklärung eine eigene Feststellung treffen dürfe, nicht mit dessen unzulänglicher verfahrensrechtlicher Erwägung, sondern mit dem Sinn und Zweck der Sondervorschriften der RVO. Diese Vorschriften seien zugunsten der Hinterbliebenen eines verschollenen Versicherten geschaffen; die Vorteile dieser Regelung seien demnach allen Hinterbliebenen in gleicher Weise zuzuwenden; dem würde es widersprechen, wenn die Hinterbliebenen solcher Versicherten nicht daran teilhaben sollten, die im gerichtlichen Aufgebotsverfahren für tot erklärt worden seien, bevor eine Festsetzung des Todestags nach § 1265 RVO erfolgt sei. Diese Billigkeitserwägung wird besonders verständlich, wenn die konkreten Umstände des damals entschiedenen Falls deutlich werden: Letzte Quittungskarte des Verschollenen war am 3. Mai 1913 ausgestellt; als Todestag war in der Todeserklärung der 31. Dezember 1923 festgesetzt. Die Anwartschaft wäre danach längst erloschen gewesen. Das RVA. hat sich damit begnügt, diese Billigkeitserwägung herauszustellen, und sieh nicht mit der "absoluten' Wirkung der mit der Todeserklärung begründeten Todesvermutung auseinandergesetzt.
Es muß aber bezweifelt werden, ob die Billigkeitserwägung des RVA. überhaupt eine geeignete Richtschnur für das Verhalten des Versicherungsträgers darstellt. Der Gedanke, allen Hinterbliebenen müßten in gleicher Weise die Vorteile der Verschollenheitssonderregelung der RVO zugewendet werden, war in dem vom RVA. entschiedenen Fall verhältnismäßig leicht durchzuführen: Eine entsprechende Vorverlegung des Todeszeitpunkts des Verschollenen rettete für alle Hinterbliebenen gleichmäßig - durch Aufrechterhaltung der Anwartschaft - den Anspruch. Indessen können die Interessen der Hinterbliebenen in der Frage der Todeszeitpunktfeststellung auch in Widerstreit liegen. Aufschlußreich ist in dieser Hinsicht ein vom Bayer. LVA. [Breith. 1953 S.1251] entschiedener Fall: Die Witwe hatte im Hinblick auf § 21 Abs. 5 des Sozialversicherungsanpassungsgesetzes (SVAG) ein Interesse daran, daß auch der Versicherungsträger den vom sowjetzonalen Amtsgericht festgesetzten Todeszeitpunkt des Verschollenen (31. Juli 1949) in ihrem Rentenfeststellungsverfahren gelten ließ; ihr Kind erhielt unter Zugrundelegung des vom Versicherungsträger festgestellten früheren Todeszeitpunkts Waisenrente ab 1. März 1949. In diesem Falle hätte eine sachgerechte Abwägung der Interessen aller beteiligten Hinterbliebenen zum Ergebnis führen müssen, die Erlangung der Witwenrente gegenüber der Vorverlegung der Waisenrente um fünf Monate als das überwiegende Interesse anzuerkennen und selbst vom Billigkeitsstandpunkt des RVA. aus von einer eigenen Todeszeitpunktfeststellung des Versicherungsträgers abzusehen (anders das Bayer. LVA.).
Jedenfalls zeigt ein solcher Sachverhalt, wie schwierig vom Standpunkt des Vorteils der Hinterbliebenen aus die Entscheidung zu treffen ist, ob der Versicherungsträger zu einer eigenen Todeszeitpunktfeststellung schreiten soll. Dem Versicherungsträger wird damit eine Aufgabe zugemutet, die weit über die ursprüngliche Zielsetzung der besonderen Verschollenheitsregelung des Sozialversicherungsrechts hinausgeht. Deren Sinn war nicht, eine den Hinterbliebenen günstige Todeszeitpunktfeststellung zu ermöglichen. Die Gunst der Regelung war vielmehr die, daß mangels einer verbindlichen Todeszeitpunktfeststellung eine solche - möglichst wirklichkeitsnahe - Feststellung getroffen werden durfte, um überhaupt eine Rentengewährung an "Hinterbliebene" von Verschollenen zu ermöglichen. Muß der Versicherungsträger prüfen, "welche Auffassung für die Hinterbliebenen pekuniär am vorteilhaftesten ist" (so ganz scharf Brunn a.a.O. Sp. 716), so kommen damit Unsicherheitsfaktoren hinein, die die Ermittlungen vom Ergebnis her abhängig machen. Um eine derart zweifelbeladene Billigkeitsabwägung zu rechtfertigen, müßte zumindest ein dringendes Bedürfnis für die selbständige Todeszeitpunktfeststellung des Versicherungsträgers erkannt werden, wie es bei dem vom RVA. entschiedenen Fall vorlag, Gerade der für das RVA. maßgebende Gesichtspunkt - Erhaltung der Anwartschaft - ist aber für das heutige Recht fast völlig und für das bisherige Recht überwiegend (vgl. § 4 Abs. 2 SVAG und seine Vorläufer) gegenstandslos geworden. Im übrigen haben es die Hinterbliebenen in der Hand, gerichtliche Todeserklärungen, deren Todeszeitpunktfeststellung von den Beteiligten als unrichtig angesehen wird und ihren Rentenansprüchen hinderlich ist, berichtigen zu lassen. In den besonders kritischen Fällen, wo der Todestag schematisch ohne Ermittlungen über den Todeszeitpunkt festgesetzt worden ist, kann jeder, der ein rechtliches Interesse an der Feststellung einer anderen Todeszeit hat, beantragen, diese Ermittlungen nunmehr anzustellen und die Feststellung zu ändern (Art. 2 § 3 Abs. 1 VerschÄndG). In den seltenen Fällen, wo Unrichtigkeit des in der Todeserklärung festgestellten Todeszeitpunkts nachzuweisen ist, die Verschollenheit aber nach wie vor weiterbesteht, kann das Todeszeitänderungsverfahren nach § 33 a VerschG eingeleitet werden. Die beteiligten Hinterbliebenen haben somit genügend Möglichkeiten, eine möglichst wirklichkeitsnahe Todeszeitpunktfeststellung in der gerichtlichen Todeserklärung zu erreichen.
Demnach kann auf dem Boden des geltenden Rechts den die Entscheidung des RVA. vom 20. Januar 1931 tragenden Erwägungen - abgesehen davon, ob sie überhaupt ein durchschlagendes Argument gegen die absolute Wirkung der durch die gerichtliche Todeserklärung begründeten Todesvermutung darstellten - nicht die Bedeutung zuerkannt werden, die sie für das RVA. im Zeitpunkt seiner Entscheidung hatten. Auf keinen Fall bietet diese Rechtsprechung aber einen Ansatzpunkt dafür, die Möglichkeit einer von der gerichtlichen Todeserklärung abweichenden Todeszeitpunktfeststellung zu Ungunsten der Hinterbliebenen zu rechtfertigen oder gar mit dieser Feststellung den Ehelichkeitsstatus des Kindes für den Bereich der Sozialversicherung außer Kraft zu setzen. Damit würde der für das RVA. entscheidende Gesichtspunkt nicht nur verlassen, sondern geradezu in sein Gegenteil verkehrt werden.
3.) Demnach gilt grundsätzlich die in § 1260 Satz 1 RVO a.F. den Versicherungsträgern erteilte Ermächtigung, den Todestag Verschollener nach billigem Ermessen festzustellen, nur für den Fall, daß eine gerichtliche Todeserklärung nicht vorliegt. Insoweit scheint auch Übereinstimmung mit dem 4. Senat zu bestehen (vgl. BSG. 5 S. 249 [252 f.]). Nach der Auffassung dieses Senats ist aber die gerichtliche Todeserklärung im Bereich der Sozialversicherung sowohl für die Frage des Eintritts des Versicherungsfalls als auch für die bürgerlich-rechtlichen Vorfragen jedenfalls dann unbeachtlich, wenn sie nicht auf wirklicher Erforschung des Sachverhalts beruht, sondern "schematisch" - wie im vorliegenden Streitfall - festgesetzt ist: Der Versicherungsträger sei unter solchen Umständen nach dem sein Verfahren beherrschenden Amtsermittlungsgrundsatz berechtigt und verpflichtet, eine der Wahrheit möglichst nahekommende Feststellung des Todeszeitpunkts des verschollenen Versicherten zu treffen.
a) Mit der gleichen Erwägung hat sich bereits der BGH. in der schon zitierten Entscheidung vom 22. Oktober 1958 (MDR. 1959 S. 29) auseinandergesetzt, als es um die Frage ging, ob Entschädigungsbehörden an gerichtliche Todeserklärungen mit schematischer Feststellung des Todeszeitpunkts gebunden seien. Zwar sei, so meint der BGH., grundsätzlich eine Auslegung des Gesetzes zu billigen, bei der der Umfang des Schadens möglichst zutreffend ermittelt werde. Doch lasse sich das auch erreichen, wenn man die Entschädigungsbehörde an die schematisch getroffene Todeszeitpunktfeststellung der gerichtlichen Todeserklärung binde; denn sie könne jederzeit nach Art. 2 § 3 VerschÄndG - ohne die Einschränkungen des § 33 a VerschG - den Antrag stellen, Ermittlungen über den Todeszeitpunkt anzustellen und den Todeszeitpunkt mit dem Ziel der Feststellung des wahrscheinlichsten Todestages neu festzustellen.
Von diesem Gedankengang ist für unsere Fragestellung zunächst von Bedeutung, daß der BGH. das rechtliche Interesse, das Art. 2 § 3 VerschÄndG für den Abänderungsantrag verlangt, bei der Entschädigungsbehörde ohne Einschränkung als vorliegend erachtet. Die Frage, ob auch leistungsfeststellenden Behörden usw. ein rechtliches Interesse an der Todeserklärung für den Antrag auf Einleitung des Aufgebotsverfahrens (§ 16 Abs. 2 Buchst. c VerschG) oder an der Berichtigung der Todeszeitpunktfeststellung (§ 33 a Abs. 1 VerschG) zugebilligt werden kann, ist höchst umstritten. Die bisherige Tendenz der Rechtsprechung geht dahin, den Begriff des "rechtlichen Interesses" in den genannten Vorschriften eng zu fassen und gegenüber dem "berechtigten Interesse" (§ 34 FGG) oder gar einem nur wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Interesse scharf abzugrenzen. So hat der BGH. das rechtliche Interesse nur dann angenommen, wenn die schon zu Lebzeiten des Verschollenen begründeten Rechtsbeziehungen des Antragstellers durch den Tod des Verschollenen in solcher Weise berührt werden, daß ein Recht oder eine Pflicht für den Antragsteller entsteht, erlischt oder sonst verändert wird (BGHZ. Bd. 4 S. 323; vgl. auch Bd. 9 S. 111). Nicht für genügend wurde erachtet, daß der Tod nur ein Tatumstand für die Klärung einer bestimmten, durch ihn selbst nicht geänderten Rechtslage ist. Gestützt auf diese Rechtsprechung des BGH. hat daher das Oberlandesgericht Düsseldorf (Beschluß vom 25.5.1954 in JMBl. NRW. S. 163) einer LVA. das rechtliche Interesse an der Todeserklärung des verschollenen Versicherten abgesprochen: Die LVA. sei nicht an der Feststellung des Todes als solchen interessiert, sondern lediglich an der Feststellung des für sie günstigen Todeszeitpunktes; sie verfolge somit mit der Todeserklärung in erster Linie ein rein wirtschaftliches Interesse. Wie die Einschränkung der Klagebefugnis für die Anfechtung der Ehelichkeit des Kindes erkennen lasse (§§ 1594, 1595 a BGB), solle kein Dritter Einfluß darauf nehmen, ob ein nach Eingehung der Ehe geborenes Kind als ehelich gelten solle oder nicht.
In der Tat wird man dem Versicherungsträger das rechtliche Interesse an der Todeserklärung, das § 16 Abs. 2 Buchst. c VerschG für die Einleitung des Aufgebotsverfahrens voraussetzt, absprechen müssen. Ob der Verschollene für tot erklärt werden soll, ist der Entschließung der im engeren Sinne unmittelbar Beteiligten - der Hinterbliebenen (Ehegatte, Abkömmlinge, Eltern), des gesetzlichen Vertreters des Verschollenen, des Staatsanwalts als Vertreters des öffentlichen Interesses - zu überlassen. Räumte man fernerstehenden Dritten diese Gestaltungsbefugnis ein, so liefe das letztlich darauf hinaus, daß in den innersten Bereich der Familie über den Kopf derer hinweg, die es vor allem angeht, ob der Ehegatte, der Vater, der Sohn für tot erklärt werden soll, von außen eingegriffen werden konnte.
Wesentlich anders liegen die Dinge, wenn der Verschollene bereits für tot erklärt ist. Dann ist die einschneidende Vorentscheidung schon getroffen, die infolge ihrer Verflechtung mit Imponderabilien des Familienbereiches grundsätzlich den unmittelbar Beteiligten vorzubehalten ist. Unbedenklich wird man daher mit dem BGH. den Leistungsverwaltungen, die auf Grund der Todeserklärung in Anspruch genommen werden, das berechtigte Interesse an der Feststellung eines der Wahrheit möglichst nahe kommenden Todeszeitpunktes zuerkennen müssen. So gesehen erscheint die Zweiteilung des Verfahrens nach Art. 2 §§ 2 und 3 VerschÄndG durchaus sinnvoll: Zunächst wird - aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung, aber wohl auch aus der Resignation heraus, daß bei vielen Verschollenen des zweiten Weltkrieges eine der Wahrheit nahekommende Feststellung des Todeszeitpunktes gar nicht möglich ist - der Todeszeitpunkt ohne Ermittlungen festgesetzt, wenn kein dementsprechender Antrag gestellt ist; das Verfahren mit diesem vorläufigen Abschluß kann aber jederzeit auf Antrag eines Berechtigten mit dem Ziel fortgesetzt werden, einen wahrscheinlichen Todeszeitpunkt festzustellen. Damit ist auch der Gefahr begegnet, daß die Angehörigen mit der Todeszeitpunktfeststellung "manipulieren" könnten; denn sie haben nur einen vorläufigen Einfluß auf die Art der Todeszeitpunktfeststellurig und müssen es hinnehmen, daß die Todeserklärung, ist das Verfahren erst einmal in Gang gesetzt, auf die Grundlage von Ermittlungen gestellt wird. Auf diese Weise wird die Schärfe der Regelung, daß auch die gerichtliche Todeserklärung mit schematischer Todeszeitpunktfeststellung für und gegen jedermann absolut wirkt, sinnvoll aufgelockert. Vom praktischen Bedürfnis her gesehen läßt sich somit ein Selbsthilferecht des Versicherungsträgers gegen unzulängliche Todeszeitpunktfeststeilungen nicht rechtfertigen. Denn "es läßt sich wohl nicht von der Hand weisen, daß es richtiger ist, wenn die im Verschollenheitsverfahren offenbar falsch festgesetzten Todeszeitpunkte in dem hierfür vorgesehenen Wege, nämlich dem Abänderungsverfahren, richtiggestellt werden" (Münzel, MDR. S. 198 [199]).
Schon diese Erwägung zeigt, daß der vom 4. Senat bei seinen Entscheidungen über die gleiche Rechtsfrage in den Vordergrund gerückte Gesichtspunkt - das Amtsermittlungsprinzip - nicht dazu nötigt, dem Versicherungsträger ein Recht zur selbständigen Todeszeitpunktfeststellung einzuräumen, wenn die gerichtliche Todeserklärung diesen Zeitpunkt ohne Ermittlungen festgestellt hat. Dem Grundsatz der Erforschung der materiellen Wahrheit steht nicht entgegen, daß die Leistungsverwaltung für ihre Ermittlung auf einen bestimmten Weg verwiesen wird. Kommt der Versicherungsträger bei der Prüfung der Hinterbliebenenrentenansprüche zum Ergebnis, daß der "schematisch" festgesetzte Todeszeitpunkt der gerichtlichen Todeserklärung mit einem höheren Wahrscheinlichkeitsgrad festgesetzt werden könnte, so ist er allerdings verpflichtet, auf dem hierfür vorgesehenen Wege, nämlich dem Abänderungsverfahren, die Richtigstellung zu betreiben. Damit ist der Aufklärungspflicht vollauf genügt.
b) Der 4. Senat mißt jedoch dem Amtsermittlungsprinzip noch eine wesentlich weitergehende Bedeutung bei. Sieht man in der Feststellung des Todeszeitpunkts nicht mehr als den des Eintritts des Versicherungsfalles, so ist die Frage verhältnismäßig uninteressant. Ob dieser Zeitpunkt auf den 31. Dezember 19^5 oder früher gelegt wird, ist in den hier in Frage stehenden Fällen ohne Bedeutung; weder Beginn noch Höhe der Waisenrente werden davon betroffen. Die Frage wird erst bedeutungsvoll, wenn die Todeszeitpunktfeststellung des Versicherungsträgers, die von der gerichtlichen Todeserklärung mit schematischer Todeszeitpunktfeststellung abweicht, auch darüber entscheidet, ob die Waise "eheliches Kind" im Sinne des § 1258 Abs. 2 Nr. 1 RVO a.F. ist. Nach Auffassung des 4. Senats verpflichtet das Amtsermittlungsprinzip den Versicherungsträger gerade deshalb zur eigenen Feststellung des Todeszeitpunkts, weil auf Grund dieser Feststellung der Ehelichkeitsstatus des Kindes - wenn auch beschränkt auf den Bereich der Sozialversicherung - zu beurteilen sei (vgl. insbesondere das Urteil vom 19.9.1957).
Unbedenklich kann dem Ausgangspunkt dieser Erwägung zugestimmt werden, daß die Pflicht zur Erforschung der materiellen Wahrheit nicht vor Beweisregeln halt machen kann, die in anderen Zusammenhängen aufgestellt sind. So kommt es für die Frage, ob sich jemand des Vergehens der Pfandkehr (§ 289 StGB) schuldig gemacht hat, u.a. darauf an, daß dieser Betreffende "seine" Sache weggenommen hat; die "zugunsten der Gläubiger des Mannes" in § 1362 BGB a.F. aufgestellte Eigentumsvermutung ist nur in dieser Beschränkung im Privatrecht verwertbar und kann den Strafrichter nicht binden, der von den wirklichen Eigentumsverhältnissen auszugehen hat (vgl. die in BSG. 5 S. 252 zitierte Entscheidung in RGStr. 36 S. 332). Auch der Rechtsschein, der durch die gerichtliche Todeserklärung mit Wirkung für und gegen jedermann begründet wird, bildet keine undurchdringliche Schranke, wenn es auf die Blutsverwandtschaft ankommt. So ist es durchaus folgerichtig, wenn das Strafgericht für die Prüfung, ob Blutschande (§ 173 StGB) begangen wurde, bei der Ermittlung des Tatbestandsmerkmals "Verwandte auf- und absteigender Linie" die Vermutungen des bürgerlichen Rechts und § 1589 Abs. 2 BGB außer Betracht läßt; denn hier ist Tatbestandsmerkmal die Blutsverwandtschaft (Leipz. Komm. 6. Aufl. Anm. 3 a zu § 173 StGB). So muß auch das Zivilgericht aus dem gleichen Grunde bei der Prüfung vorgehen, ob eine Ehe wegen Verstoßes gegen das Verbot der Eheschließung zwischen "Verwandten in gerader Linie" (§ 4 EheG) nichtig ist (vgl. Palandt Anm. 4 zu § 4 EheG). Hinge somit der Waisenrentenanspruch nach § 1258 RVO a.F. davon ab, daß das Kind "wirklich" ehelich ist, so könnte die gerichtliche Todeserklärung den Versicherungsträger nicht daran hindern, über den Rechtsschein hinweg den wahren Sachverhalt zu ermitteln; denn das Ermittlungsthema wird durch das materielle Recht bestimmt.
Was unter einem "ehelichen Kind" im Sinne des § 1258 Abs. 2 Nr. 1 RVO a.F. zu verstehen ist, wird weder an dieser noch an anderer Stelle der RVO näher definiert. Schon dieser Umstand, daß das den Waisenrentenanspruch regelnde Gesetz auf eine eigene Deutung des Tatbestandsmerkmals des "ehelichen Kindes" verzichtet und diesen Begriff nach Art eines terminus technicus verwendet, legt die Vermutung nahe, daß die RVO den Begriff als vorgegeben ansieht mit der Folge, daß seine Inhaltsbestimmung aus einem anderen Rechtsbereich entnommen werden muß.
Dieser Rechtsbereich, aus dem der Begriff des ehelichen Kindes entlehnt ist, kann nach dem Sachzusammenhang nur das bürgerliche Familienrecht sein. Das "eheliche Kind" gehört zu dem Bereich der auf die Lebensgemeinschaft der Ehe gegründeten Familie. Die "Heimat" dieses Begriffs kann nur in dem Rechtsgebiet gefunden werden, das spezifisch die Institution der Ehe behandelt und die Beziehungen der Familienmitglieder zueinander ordnet. So ist denn auch die Rechtsprechung des RVA. (EuM. Bd. 7 S. 187 [188], Bd. 8 S. 260 [261], Bd. 22 S. 423 [424]; AN. 1936 S. 36, 1944 S. 270) und des Reichsversorgungsgerichts (RVG. Bd. 13 S. 234 [235 ff.]) immer davon ausgegangen, daß die auf familienhafte Beziehungen verweisenden Begriffe des Sozialversicherungsrechts bzw. des Versorgungsrechts wie "Ehefrau", "Witwe", "eheliches Kind", "uneheliches Kind" usf. inhaltlich durch das bürgerliche Familienrecht bestimmt werden. Im Hinblick auf das in § 1258 a.F. verwendete Tatbestandsmerkmal der "ehelichen Kinder" gründet das RVA. seine Auffassung auf die Erwägung, daß sich die Unterscheidung zwischen ehelichen und unehelichen Kindern im Sinne dieser Vorschrift nur dann durchführen läßt, "wenn man die im öffentlichen wie bürgerlichen Recht allein maßgebenden Rechtsbegriffe des Bürgerlichen Gesetzbuches zugrunde legt" (EuM. Bd. 8 S. 261, Bd. 22 S. 424). Weiter ausholend hat das RVA. in einer seiner letzten veröffentlichten Entscheidungen (Grunds.Entsch. Nr. 5577 in AN. 1944 S. II 270) noch einmal sein Festhalten an der Rechtsprechung begründet, "daß die familienrechtlichen Vorschriften des bürgerlichen Rechts auch für das Gebiet des Sozialrechts maßgebend sind und ein Abweichen von ihnen aus Billigkeitserwägungen oder zum Zwecke des Ausgleichs bestehender Härten nicht statthaft ist." Es führt ins Feld: "Wollte man derartige Abweichungen in besonderen Fällen zulassen, so würde das leicht zu einer willkürlichen Handhabung der in Frage kommenden Vorschriften führen, die geeignet wäre, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu erschüttern." Diese Erwägung ist überzeugend. Bei den hier in Rede stehenden familienrechtlichen Begriffen handelt es sich um allgemeine Rechtsbegriffe, die durch eine Fülle materieller Rechtssätze in ihrem Ursprungsbereich scharf geprägt sind. Das Sozialversicherungsrecht bietet kaum Ansatzpunkte für eine eigenständige Ausgestaltung der auf die Familie bezogenen rechtlichen Grundbegriffe. Man wäre letztlich doch genötigt, wie es auch der 4. Senat tut (vgl. Urteil vom 19.9.1957), zur Beurteilung der Ehelichkeit des Kindes auf bürgerlich-rechtliche Vorschriften - z.B. den Berechnungsmodus in §§ 1592, 1593 BGB - zurückzugreifen. Geht man aber überhaupt davon aus, daß das Sozialversicherungsrecht die von ihm verwendeten familienrechtlichen Grundbegriffe als vorgegeben voraussetzt, so muß die darin liegende Verweisung auf das bürgerliche Familienrecht uneingeschränkt gelten. Dabei werden die in Bezug genommenen Rechtsbegriffe nicht etwa in der Gestalt übernommen, wie sie bei Inkrafttreten des entsprechenden Sozialversicherungsgesetzes vorgefunden wurden, und ein für allemal auf diesen Rechtszustand festgelegt. Vielmehr setzen sich die Veränderungen, die sie nach den jeweils geltenden Vorschriften des bürgerlichen Rechts erfahren, auch im Sozialversicherungsrecht fort (vgl. BGHZ. 5 S. 385 [395]; vgl. auch BVerwG. vom 16.5.1957 in JZ. 1958 S. 356 [357] für einen ähnlichen Verweisungssachverhalt).
Daß aber das Sozialversicherungsrecht nicht nur aus rechtstechnischen Erwägungen - etwa zur Vereinfachung der Gesetzessprache -, sondern aus zwingenden inneren Gründen zur Inhaltsbestimmung des Begriffs des ehelichen Kindes auf das bürgerliche Familienrecht verweist, ergibt sich aus der institutionellen Zweckbestimmung der Waisenrente. Ihre Unterhaltsersatzfunktion erfordert, daß die Gewährung der Waisenrente grundsätzlich von der Frage der Unterhaltsberechtigung des Kindes gegenüber dem Versicherten abhängig gemacht wird. Im Prinzip tritt die Waisenrente nach dem Tode des Versicherten an die Stelle des Unterhalts, den der lebende Versicherte gewährt hatte oder zu gewähren verpflichtet war. Deshalb hat das Sozialversicherungsrecht an die Kriterien angeknüpft, die den Unterhaltsanspruch von Familienangehörigen gegenüber dem Versicherten bestimmen. Nach dem hierfür maßgeblichen Familienrecht ist es das Band der bürgerlich-rechtlichen, auf Ehelichkeit gegründeten Verwandtschaft, das den Unterhaltsanspruch des ehelichen Kindes gegenüber seinem Vater (§§ 1601 ff. BGB) auslöst. Zwar wird diesem Rechtsverhältnis regelmäßig "natürliche Verwandtschaft" (BGHZ. 5 S. 389) zugrunde liegen. Entscheidend ist aber für den Unterhaltsanspruch das bürgerlich-rechtliche Verwandtschaftsverhältnis, das innerhalb bestimmter, insbesondere durch § 1593 BGB gezogener Grenzen dem Rechtsschein gegenüber der auf dem Blutsband beruhenden "natürlichen Verwandtschaft" den Vorrang einräumt. Deshalb kann auch nicht auf die "unmittelbare persönliche Beziehung" zwischen rentenberechtigtem Kind und Versicherten abgestellt werden (so aber Schwankhart in DVZ. 1951 S. 18, Soz.Vers. 1952 S. 109, OVA. Düsseldorf vom 11.9.1951 in ZfS. 1952 S. 281). Soll die Waisenrente den durch den Tod des Versicherten untergegangenen Unterhaltsanspruch ersetzen, so kann als Tatbestandsmerkmal des Waisenrentenanspruchs nur das gleiche bürgerlich-rechtliche Verwandtschaftsverhältnis benutzt werden, das zu Lebzeiten des Versicherten den Unterhaltsanspruch seines ehelichen Kindes begründet hat. Gilt somit ein Kind nach den jeweiligen Vorschriften des Familienrechts als ehelich, so ist es auch ein "eheliches Kind" im Sinne des § 1258 Abs. 2 Satz 1 RVO a.F. Somit haben sich auch die Ermittlungen des Versicherungsträgers bei der Frage, ob ein "eheliches Kind" den Waisenrentenanspruch erhebt, gerade und allein darauf zu erstrecken, ob das Kind im bürgerlich-rechtlichen Sinne mit dem Versicherten verwandt ist. Es widerspräche sowohl der Systematik als auch dem Sinn des Gesetzes, wenn der Versicherungsträger sein Aufklärungsbemühen darauf erstrecken würde, ob das Kind "wirklich" mit dem Versicherten verwandt ist.
4.) Daß die Ehelichkeit eines Kindes im bürgerlichen Recht und im Sozialversicherungsrecht nicht verschieden beurteilt werden darf, verlangt auch die Billigkeit. Das Kind, das zwar nach bürgerlichem Recht als ehelich gilt, für das Sozialversicherungsrecht aber als nicht-ehelich behandelt würde, "säße zwischen den Stühlen": Es hätte weder einen Rentenanspruch nach seinem bürgerlich-rechtlichen Vater noch könnte es seinen Erzeuger in Anspruch nehmen. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar zu einem im Ergebnis ähnlichen Sachverhalt (§ 52 Abs. 2 BVG) geäußert - und dieses Argument als entscheidend für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit des § 52 Abs. 2 BVG angesehen -, dieses Dilemma könne dadurch beseitigt werden, daß das scheineheliche Kind - notfalls auf dem Wege des Abänderungsverfahrens - eine Feststellung des wahrscheinlichsten Todeszeitpunkts in der gerichtlichen Todeserklärung erreichen könne und nach dieser Klärung seines Status "wie jedes uneheliche Kind Unterhaltsansprüche gegen den natürlichen Vater, gegebenenfalls Ansprüche auf Waisenrente nach ihm" erlange (BVerfG. 9 S. 210). Leider wird dieser Weg häufig nicht zum Ziele führen. Zwar ist der schematische Todeszeitpunkt - 31.12.1945 - entsprechend zu ändern, wenn sich nach dem Ergebnis der Ermittlungen ein Zeitpunkt angeben läßt, der der wahrscheinlichste ist (Art. 2 § 3 Abs. 2 Satz 1 VerschÄndG). Oft wird sich jedoch ein solcher Zeitpunkt nicht angeben lassen. Wenn die Versicherungsträger in ihrer Praxis den Todeszeitpunkt nach dem Eingang der letzten Nachricht vom Vermißten oder der Mitteilung über das Vermißtsein bestimmen, so ist das nicht weniger willkürlich als die "schematische" Festlegung des Todeszeitpunkts (31.12.1945). Denn aus diesen Umständen läßt sich nur entnehmen, wann frühestens der Tod des Verschollenen eingetreten sein könnte. Kann aber ein Zeitpunkt, der der wahrscheinlichste ist, nicht angegeben werden, so bleibt es auch im Berichtigungsverfahren bei der schematischen Todeszeitpunktfeststellung (Art. 2 § 3 Abs. 2 Satz 2 VerschÄndG). Das bedeutet aber, daß das unter Zugrundelegung dieses Zeitpunkts im bürgerlich-rechtlichen Sinn eheliche Kind seinen Erzeuger nicht in Anspruch nehmen kann. - Selbst wenn es aber dem Kinde auf diesem Wege gelingt - durch Berichtigung des Todeszeitpunkts -, seinen Status zu verändern und unehelich zu werden, wird es häufig seinen "natürlichen Vater" nicht in Anspruch nehmen können, weil dieser nicht festgestellt werden kann. Ein typisches Beispiel bietet der vorliegende Rechtsstreit: Nach den Feststellungen der beklagten LVA, ist das Kind durch Vergewaltigung der Mutter von einem Angehörigen der russischen Besatzungsmacht erzeugt.
Im Ergebnis ist somit festzustellen, daß das Kind, dessen sonst allgemein gegebene Ehelichkeit für das Sozialversicherungsrecht nicht anerkannt und das auf den Weg verwiesen würde, sich durch Klärung seines Status Ansprüche gegen den natürlichen Vater zu erwerben, in vielen Fällen auf diesem Wege das Ziel nicht erreichen könnte. Andererseits würde ihm in manchen Fällen ein Anspruch nach dem verschollenen Scheinvater genommen, der ihm vom Standpunkt einer materiellen Gerechtigkeit her gesehen nicht abgesprochen werden dürfte.
5.) Nach alledem ist der Schluß gerechtfertigt, daß die gerichtliche Todeserklärung den Versicherungsträger für die Frage, ob und wann der "Tod des Versicherten" im Sinne des § 1258 Abs. 1 Satz 1 RVO a.F. eingetreten und ob danach die anspruchserhebende Waise "eheliches Kind" (§ 1258 Abs. 2 Nr. 1 RVO a.F.) ist, auch dann bindet, wenn die Todeszeitpunktfeststellung nicht auf Ermittlungen beruht. Für eine Feststellung des Todestages nach billigem Ermessen (§ 1260 Satz 1 RVO a.F.) ist in diesem Falle kein Raum (im Ergebnis übereinstimmend: Bayer. LSG. im Urteil vom 4.12.1956 [Breith. 1957 S. 432 = Amtsbl. des Min. f. Arb. u. soz. Fürsorge 1957 S. 380]; LSG. Nordrhein-Westfalen in den Urteilen vom 21.12.1955 - jetzt 3 RJ 117/56; 4 RJ 92/56; 4 RJ 150/56 -; Peters (DVZ 1951 S. 153) und Peters-Sautter-Wolff, Komm. 2 SGG [Stand: September 1959] Anm. 4 b zu § 51 [allerdings mit der Einschränkung, daß der Versicherungsträger berechtigt sein soll, einen von der allgemeinen Todeserklärung abweichenden, früher liegenden Zeitpunkt des Todes anzunehmen, "wenn dies im Interesse der Hinterbliebenen geboten und im im Rahmen der Sondervorschriften der Sozialversicherung rechtlich zulässig erscheint"]; die Frage offenlassend: Koch-Hartmann-v. Altrock-Fürst, AVG 2. Aufl. Anm. 7 zu § 28; anderer Ansicht: Bayer. LSG. im Urteil v. 15.3.1955 [Breith. 1955 S. 954, 956]; Bayer. LVAmt v. 23.6.1953 [Breith. 1953 S. 1251]; LSG. Berlin v. 18.5.1955 [Breith. 1958 S. 1143]; Brackmann, Handb. der Sozialversicherung [Stand: 15.2.1959] S. 190 h IX f.; Komm. des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger 6. Aufl. Anm. 7 zu § 1271 RVO [im Gegensatz zur 5. Aufl.: vgl. Anm. 1 und 2 zu § 1259 RVO a.F.]; Jantz-Zweng, Das neue Recht der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten, Anm. III zu § 1271 RVO).
Fundstellen