Verfahrensgang
AG Berlin-Tiergarten (Beschluss vom 27.10.2011; Aktenzeichen 70a II 729/11) |
AG Berlin-Tiergarten (Beschluss vom 07.10.2011; Aktenzeichen 70a II 729/11) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde betrifft ein zivilgerichtliches Verfahren wegen der Ablehnung der Gewährung von Beratungshilfe nach dem Gesetz über Rechtsberatung und Vertretung für Bürger mit geringem Einkommen (Beratungshilfegesetz – BerHG) im Zusammenhang mit der Überprüfung des Sozialhilfeträgers, ob dem Beschwerdeführer ein Umzug wegen angeblich zu hoher Unterkunftskosten zuzumuten ist.
I.
1. Der Beschwerdeführer erhielt Kenntnis davon, dass sich der Sozialhilfeträger an den sozialpsychiatrischen Dienst des Gesundheitsamtes gewandt hatte, um überprüfen zu lassen, ob ihm, dem Beschwerdeführer, ein Umzug zuzumuten sei. Hintergrund waren die aus Sicht des Verwaltungsträgers zu hohen Unterkunftskosten.
Da sich die Praxis des Arztes, bei dem sich der Beschwerdeführer wegen seiner Drogensucht einer Substitutionstherapie unterzieht, in unmittelbarer Nähe zu seiner bisherigen Unterkunft befindet, befürchtete er, die Therapie nach einem Umzug nicht fortsetzen zu können. Deswegen setzte er sich mit einem Rechtsanwalt in Verbindung, der unter anderem ein Gespräch mit dem zuständigen Sachbearbeiter des Sozialhilfeträgers führte. In diesem Gespräch stand die tatsächliche Situation des Beschwerdeführers im Vordergrund. Daraufhin beantragte der Rechtsanwalt im Namen des Beschwerdeführers wegen dieser Tätigkeit beim Amtsgericht die Gewährung von Beratungshilfe.
2. Der Rechtspfleger des Amtsgerichts wies den Antrag mit Beschluss vom 31. Mai 2011 zurück. Rechte des Beschwerdeführers seien nicht betroffen gewesen, da der Verwaltungsträger noch keine Regelung getroffen habe. Auch sei eine rechtliche Problematik, die anwaltliche Hilfe erfordert hätte, nicht ersichtlich.
Nachdem der Rechtspfleger der Erinnerung nicht abgeholfen hatte, wies das Amtsgericht diese mit Beschluss vom 27. Oktober 2011 zurück. Der Beschwerdeführer sei auch keiner unmittelbaren Existenznot ausgesetzt gewesen. Eine Entscheidung des Verwaltungsträgers sei noch nicht ergangen. Es seien nur Ermittlungen hinsichtlich des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers begonnen worden. Ob dann eine Regelung getroffen werde, sei unklar.
3. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und 3 GG.
Er trägt im Wesentlichen vor, das Amtsgericht habe verkannt, dass er es allein nicht hätte bewältigen können, mit dem Sozialhilfeträger Kontakt aufzunehmen. Der Rechtsanwalt habe mit dem zuständigen Sachbearbeiter auch die Möglichkeit erörtert, mit dem Vermieter seiner Unterkunft einen Rechtsstreit zu führen, was dann verworfen worden sei. Letztlich habe der Rechtsanwalt den zuständigen Sachbearbeiter von der Notwendigkeit der weiteren Übernahme der Unterkunftskosten überzeugen können.
Entscheidungsgründe
II.
Die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde liegen nicht vor. Sie hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG) und ihre Annahme erscheint auch nicht zur Durchsetzung von Grundrechten des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Seine Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg, da sie jedenfalls unbegründet ist.
Das Amtsgericht hat seine zurückweisenden Entscheidungen auf eine verfassungsrechtlich tragfähige Begründung gestützt. Es hat bei der Auslegung und Anwendung des Beratungshilfegesetzes Bedeutung und Tragweite des Grundrechts des Beschwerdeführers auf weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten im Bereich des Rechtsschutzes aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und 3 GG nicht verkannt.
Aus dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) und dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) folgt das Gebot einer weitgehenden Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten im Bereich des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 9, 124 ≪130 f.≫; 10, 264 ≪270 f.≫; 22, 83 ≪86≫; 51, 295 ≪302≫; 56, 139 ≪143≫; 63, 380 ≪394 f.≫; zu Art. 20 Abs. 3 GG: BVerfGE 81, 347 ≪356≫). Aus diesem Grundsatz der Rechtsschutzgleichheit ergibt sich eine Pflicht zur Angleichung der Stellung Unbemittelter an die der Bemittelten auch für den außergerichtlichen Rechtsschutz (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 14. Oktober 2008 – 1 BvR 2310/06 –, NJW 2009, S. 209 ff.). Weder der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG noch das Sozialstaatsprinzip in Art. 20 Abs. 1 GG oder das Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 3 GG sind in ihrer Geltung auf gerichtliche Verfahren beschränkt. Die für das gerichtliche Verfahren grundlegende Rechtsschutzgleichheit ist im außergerichtlichen Bereich als Rechtswahrnehmungsgleichheit zu gewährleisten. Dem dient das Beratungshilferecht.
Die Auslegung und Anwendung des Beratungshilfegesetzes obliegt in erster Linie den zuständigen Fachgerichten. Der Entscheidungsspielraum, der ihnen bei der Auslegung der Bestimmungen des Beratungshilfegesetzes zukommt, ist nur dann in verfassungsrechtlich angreifbarer Weise überschritten, wenn ein Auslegungsmaßstab verwendet wird, der die Rechtswahrnehmung für unbemittelte Rechtsuchende im Vergleich zu bemittelten Rechtsuchenden unverhältnismäßig einschränkt (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 11. Mai 2009 – 1 BvR 1517/08 –, juris, Rn. 25). Dabei sind Unbemittelte nur solchen Bemittelten gleichzustellen, die bei ihrer Entscheidung für die Inanspruchnahme von Rechtsrat auch die hierdurch entstehenden Kosten berücksichtigen und vernünftig abwägen (vgl. BVerfGE 122, 39 ≪49≫; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 11. Mai 2009 – 1 BvR 1517/08 –, juris, Rn. 22). Kostenbewusste Rechtsuchende werden dabei nicht nur prüfen, inwieweit sie fremde Hilfe zur effektiven Ausübung ihrer Rechte brauchen oder selbst dazu in der Lage sind (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 6. September 2010 – 1 BvR 440/10 –, juris, Rn. 12). Sie werden auch Überlegungen dazu anstellen, zu welchem Zeitpunkt Hilfe zur effektiven Ausübung ihrer Rechte erforderlich ist.
Vorliegend hat sich der Grundsicherungsträger, der von der Unangemessenheit der Kosten der Unterkunft des Beschwerdeführers ausging, mit dem sozialpsychiatrischen Dienst des Gesundheitsamtes in Verbindung gesetzt, um zu klären, ob dem Beschwerdeführer aus gesundheitlichen Gründen die Senkung der Unterkunftskosten mittels eines Umzuges subjektiv zumutbar ist (vgl. § 35 Abs. 2 Satz 2 SGB XII n.F.). Kostenbewusste Rechtsuchende hätten abgewartet, welche Erkenntnisse diese Ermittlungen erbracht hätten und ob und in welcher Form der Verwaltungsträger diese genutzt hätte. Sie hätten erst dann vernünftigerweise um anwaltliche Hilfe nachgesucht, wenn die Aufhebung eines Rechts oder die Feststellung, dass ein Recht nicht oder nicht in der begehrten Höhe besteht, tatsächlich greifbar bevorsteht. Erst dann droht eine rechtliche Betroffenheit, die hier noch völlig im Ungewissen lag. Daher war kein Grund gegeben, sich anwaltlicher Hilfe zu bedienen. Die Befürchtung, in ungewisser Zukunft einen Rechtsverlust zu erleiden, begründet regelmäßig keinen Anspruch auf Beratungshilfe.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Kirchhof, Schluckebier, Baer
Fundstellen