Leitsatz (amtlich)
1. Die aus den Grundrechten – hier aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG – folgende Schutzverpflichtung des Gesetzgebers wird durch den objektivrechtlichen Schutzauftrag für die Sonn- und Feiertage aus Art. 139 WRV in Verbindung mit Art. 140 GG konkretisiert.
2. Die Adventssonntagsregelung in § 3 Abs. 1 des Berliner Ladenöffnungsgesetzes steht mit der Gewährleistung der Arbeitsruhe an Sonn- und Feiertagen nicht in Einklang.
Tenor
Die Regelung über die Öffnung von Verkaufsstellen an den Adventssonntagen in § 3 Absatz 1 Alternative 2 des Berliner Ladenöffnungsgesetzes (BerlLadÖffG) vom 14. November 2006 (Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin Seite 1045) in der Fassung des Ersten Gesetzes zur Änderung des Berliner Ladenöffnungsgesetzes vom 16. November 2007 (Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin Seite 580) ist mit Artikel 4 Absatz 1 und Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 140 des Grundgesetzes und Artikel 139 der Weimarer Reichsverfassung unvereinbar.
Die vorgenannte Bestimmung bleibt noch bis zum 31. Dezember 2009 anwendbar.
Im Übrigen werden die Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen.
Das Land Berlin hat den Beschwerdeführern deren notwendige Auslagen zur Hälfte zu erstatten.
Tatbestand
A.
Die Beschwerdeführer sind öffentlichrechtlich verfasste Religionsgemeinschaften im Sinne von Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 5 der Weimarer Reichsverfassung (WRV). Sie wenden sich mit ihren Verfassungsbeschwerden unmittelbar gegen die Regelung der Ladenöffnungsmöglichkeiten an Sonn- und Feiertagen im Land Berlin.
I.
1. Im Zuge der so genannten Föderalismusreform I im Jahr 2006 wurde das Recht des Ladenschlusses aus dem Katalog der Gegenstände der konkurrierenden Gesetzgebung für das Recht der Wirtschaft (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG) herausgenommen und die Gesetzgebungskompetenz insoweit auf die Länder übertragen. Das Abgeordnetenhaus von Berlin beschloss daraufhin am 14. November 2006 das Berliner Ladenöffnungsgesetz (BerlLadÖffG, GVBl 2006, S. 1045). Das Gesetz trat am 17. November 2006 in Kraft. Ein Jahr später, am 16. November 2007, erging das Erste Gesetz zur Änderung des Berliner Ladenöffnungsgesetzes (GVBl 2007, S. 580). Inzwischen haben alle Bundesländer bis auf den Freistaat Bayern den Ladenschluss durch Landesgesetz geregelt.
a) Zuvor waren die Ladenöffnungszeiten bundeseinheitlich in dem Gesetz über den Ladenschluss (Ladenschlussgesetz – LadSchlG) vom 28. November 1956 (BGBl I S. 875) geregelt, zuletzt in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juni 2003 (BGBl I S. 744), diese zuletzt geändert durch Art. 228 der Verordnung vom 31. Oktober 2006 (BGBl I S. 2407). Nach wiederholten Ausweitungen der Ladenöffnungszeiten unter der Geltung des Ladenschlussgesetzes des Bundes galt an Werktagen, einschließlich der Sonnabende, zuletzt eine Ladenschlusszeit von 20.00 bis 6.00 Uhr (§ 3 Nr. 2 LadSchlG). An Sonn- und Feiertagen untersagte das Gesetz grundsätzlich die Ladenöffnung (§ 3 Nr. 1 LadSchlG). Abweichend hiervon ließ § 14 Abs. 1 LadSchlG die Ladenöffnung an bis zu vier Sonn- und Feiertagen aus Anlass von Märkten, Messen oder ähnlichen Veranstaltungen durch Rechtsverordnung der Landesregierung oder der von ihr bestimmten Stellen zu. Die Ladenöffnung durfte fünf zusammenhängende Stunden nicht überschreiten, musste spätestens um 18.00 Uhr enden und sollte außerhalb der Zeit des Hauptgottesdienstes liegen (§ 14 Abs. 2 LadSchlG). Die Sonn- und Feiertage im Monat Dezember waren für jede – auch ausnahmsweise – Freigabe gesperrt (§ 14 Abs. 3 LadSchlG).
Daneben enthielt das Ladenschlussgesetz des Bundes Sonderregelungen für bestimmte Verkaufsstellen wie Läden in Bahnhöfen oder in ländlichen Gebieten sowie für bestimmte Warengruppen. Insbesondere ermächtigte § 10 LadSchlG die Landesregierungen durch Rechtsverordnung zu bestimmen, dass und unter welchen Voraussetzungen und Bedingungen in Kurorten und in einzeln aufzuführenden Ausflugs-, Erholungs- und Wallfahrtsorten mit besonders starkem Fremdenverkehr an jährlich höchstens 40 Sonn- und Feiertagen Verkaufsstellen geöffnet werden dürfen. Die Dauer der Ladenöffnung war auf acht Stunden begrenzt. Es durfte nur der Verkauf bestimmter, in § 10 Abs. 1 LadSchlG genannter Waren zugelassen werden. Überdies konnten die obersten Landesbehörden nach § 23 LadSchlG in Einzelfällen befristete Ausnahmen von den Vorschriften des Ladenschlussgesetzes bewilligen, wenn die Ausnahmen „im öffentlichen Interesse dringend nötig” waren.
b) Die nach der Änderung der Gesetzgebungskompetenz bisher erlassenen Ladenschluss- oder -öffnungsgesetze der anderen Bundesländer halten in den Grundzügen am Regelungskonzept des Ladenschlussgesetzes des Bundes fest. Im Grundsatz sehen alle Landesgesetze vor, dass an Sonn- und Feiertagen keine Ladenöffnung erfolgt. Für bestimmte Verkaufsstellen sowie für bestimmte Waren und bestimmte Orte, etwa an Bahnhöfen, gibt es zahlreiche, zum Teil über die Regelung des Ladenschlussgesetzes des Bundes hinausgehende Ausnahmen. Insbesondere ermöglichen die Regelungen für Kur- und Ausflugsorte in einigen Landesgesetzen eine weitergehende Ladenöffnung als § 10 LadSchlG. Beispielsweise sehen die so genannten Bäderregelungen in den Gesetzen von Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern keine Sortimentsbeschränkung vor. Darüber hinaus ermöglichen alle Landesgesetze eine begrenzte Zahl verkaufsoffener Sonn- und Feiertage, die gesetzlich nicht an bestimmte Verkaufsstellen, Waren oder Orte gebunden, häufig aber anlassbezogen sind. Insoweit weisen die meisten anderen Bundesländer vier Sonn- und Feiertage zur Freigabe aus, Baden-Württemberg lediglich drei, Brandenburg hingegen sechs. Zumeist ist eine Ladenöffnung an den Adventssonntagen ausgeschlossen oder zumindest nur an einem einzigen Adventssonntag im Jahr gestattet. Neben Berlin sehen nur die Gesetze über den Ladenschluss von Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt keinen besonderen Schutz der Adventssonntage vor. Die Landesgesetze enthalten – mit Ausnahme des sächsischen und des Berliner Ladenöffnungsgesetzes – Regelungen entsprechend der bundesrechtlichen allgemeinen Ausnahmevorschrift des § 23 LadSchlG.
2. a) Das Berliner Ladenöffnungsgesetz sieht – insoweit über die Regelungen in anderen Ländern hinausreichend – die Freigabe von jährlich bis zu zehn Sonn- und Feiertagen für die Ladenöffnung vor. Eine nach der Zahl der Tage nicht begrenzte, § 23 LadSchlG entsprechende allgemeine, aber einzelfallbezogene Ausnahmeregelung mit eng gefassten Voraussetzungen kennt das Berliner Ladenöffnungsgesetz nicht. Die Ladenöffnung an Werktagen ist vollständig freigegeben (24-Stunden-Öffnungsmöglichkeit).
Die Ladenöffnung an Sonn- und Feiertagen ist im Berliner Ladenöffnungsgesetz wie folgt geregelt: Kraft Gesetzes und ohne weitere Voraussetzungen dürfen Verkaufsstellen an allen vier Adventssonntagen in der Zeit von 13.00 bis 20.00 Uhr geöffnet werden (§ 3 Abs. 1 Alternative 2 BerlLadÖffG). Vier weitere Sonn- und Feiertage jährlich können „im öffentlichen Interesse” durch Allgemeinverfügung der Senatsverwaltung freigegeben werden; eine uhrzeitliche Begrenzung sieht diese Regelung nicht vor (§ 6 Abs. 1 BerlLadÖffG). Zusätzlich dürfen an zwei weiteren Sonn- oder Feiertagen Verkaufsstellen nach vorheriger Anzeige gegenüber dem zuständigen Bezirksamt aus Anlass „besonderer Ereignisse, insbesondere von Firmenjubiläen und Straßenfesten”, von 13.00 bis 20.00 Uhr offen gehalten werden (§ 6 Abs. 2 BerlLadÖffG). Von den Ladenöffnungsmöglichkeiten nach § 6 Abs. 1 und § 6 Abs. 2 BerlLadÖffG ausgenommen sind der 1. Januar, der 1. Mai, der Karfreitag, der Ostersonntag, der Pfingstsonntag, der Volkstrauertag, der Totensonntag und die Feiertage im Dezember (§ 6 Abs. 1 Satz 2, § 6 Abs. 2 Satz 3 BerlLadÖffG).
In den Jahren 2007 bis 2009 hat die Berliner Senatsverwaltung von der Möglichkeit des § 6 Abs. 1 BerlLadÖffG jeweils in vollem Umfang Gebrauch gemacht und durch Allgemeinverfügungen die Öffnung der Verkaufsstellen an vier Sonn- oder Feiertagen zugelassen. In allen bisher ergangenen Allgemeinverfügungen wurde die Ladenöffnung allerdings auf die Zeit von 13.00 bis 20.00 Uhr begrenzt.
Neben diesen für alle Verkaufsstellen, also den gesamten Einzelhandel geltenden Sonn- und Feiertagsregelungen bestehen weitere – auch bisher grundsätzlich schon übliche – Ausnahmetatbestände, die bereichsspezifisch vor allem nach Warengruppen und Anbietern sowie nach besonderen Orten differenzieren: Ausnahmen vom Ladenschluss an Sonn- und Feiertagen lässt das Gesetz unter anderem zu für die Versorgung von Veranstaltungsbesuchern (§ 4 Abs. 1 Nr. 2 BerlLadÖffG), für den Verkauf von Blumen, Zeitungen und Zeitschriften, Back- und Konditorwaren sowie Milch und Milcherzeugnissen (§ 4 Abs. 1 Nr. 3), für Kunst- und Gebrauchtwarenmärkte (§ 4 Abs. 1 Nr. 5) sowie für Apotheken, Tankstellen und Verkaufsstellen auf Personenbahnhöfen, Verkehrsflughäfen und in Reisebusterminals (§ 5 BerlLadÖffG). Eine dem bundesrechtlichen § 10 LadSchlG entsprechende Regelung für Kur-, Ausflugs- und Wallfahrtsorte sieht das Berliner Ladenöffnungsgesetz nicht vor. Stattdessen ist in § 4 Abs. 1 Nr. 1 BerlLadÖffG die Öffnung von Verkaufsstellen, die ausschließlich im Gesetz näher bestimmte Waren für den Bedarf von Touristen anbieten, an jedem Sonn- und Feiertag in der Zeit von 13.00 bis 20.00 Uhr und ohne räumliche Begrenzung auf bestimmte Bezirke oder Ausflugsziele freigegeben.
b) Die für den gesamten Einzelhandel unabhängig von Verkaufsort und Sortiment geltenden Regelungen der Ladenöffnungszeiten und der Ausnahmen vom Ladenschluss an Sonn- und Feiertagen lauten in der Fassung des Gesetzes vom 16. November 2007:
§ 3
Allgemeine Ladenöffnungszeiten
(1) Verkaufsstellen dürfen an Werktagen von 0.00 bis 24.00 Uhr und an Adventssonntagen von 13.00 bis 20.00 Uhr geöffnet sein.
(2) Verkaufsstellen müssen, soweit die §§ 4 bis 6 nichts Abweichendes bestimmen, geschlossen sein
- an Sonn- und Feiertagen und am 24. Dezember, wenn dieser Tag auf einen Adventssonntag fällt,
- am 24. Dezember, wenn dieser Tag auf einen Werktag fällt, ab 14.00 Uhr.
(3) Die Absätze 1 und 2 gelten auch für Kunst- und Gebrauchtwarenmärkte.
(4) Die bei Ladenschluss anwesenden Kundinnen und Kunden dürfen noch bedient werden.
§ 6
Weitere Ausnahmen
(1) Die für die Ladenöffnungszeiten zuständige Senatsverwaltung kann im öffentlichen Interesse ausnahmsweise die Öffnung von Verkaufsstellen an höchstens vier Sonn- oder Feiertagen durch Allgemeinverfügung zulassen. Der 1. Januar, der 1. Mai, der Karfreitag, der Ostersonntag, der Pfingstsonntag, der Volkstrauertag, der Totensonntag und die Feiertage im Dezember sind hiervon ausgenommen.
(2) Verkaufsstellen dürfen aus Anlass besonderer Ereignisse, insbesondere von Firmenjubiläen und Straßenfesten, an jährlich höchstens zwei weiteren Sonn- oder Feiertagen von 13.00 bis 20.00 Uhr öffnen. Die Verkaufsstelle hat dem zuständigen Bezirksamt die Öffnung sechs Tage vorher anzuzeigen. Absatz 1 Satz 2 gilt entsprechend.
Weitere Ausnahmen vom Ladenschluss an Sonn- und Feiertagen für besondere Warengruppen und Anbieter sowie für Verkaufsstellen an besonderen Orten sehen § 4 und § 5 BerlLadÖffG vor:
§ 4
Verkauf bestimmter Waren an Sonn- und Feiertagen
(1) An Sonn- und Feiertagen dürfen öffnen
- Verkaufsstellen, die für den Bedarf von Touristen ausschließlich Andenken, Straßenkarten, Stadtpläne, Reiseführer, Tabakwaren, Verbrauchsmaterial für Film- und Fotozwecke, Bedarfsartikel für den alsbaldigen Verbrauch sowie Lebens- und Genussmittel zum sofortigen Verzehr anbieten, von 13.00 bis 20.00 Uhr und am 24. Dezember, wenn dieser Tag auf einen Adventssonntag fällt, von 13.00 bis 17.00 Uhr,
- Verkaufsstellen zur Versorgung der Besucherinnen und Besucher auf dem Gelände oder im Gebäude einer Veranstaltung oder eines Museums mit themenbezogenen Waren oder mit Lebens- und Genussmitteln zum sofortigen Verzehr während der Veranstaltungs- und Öffnungsdauer,
- Verkaufsstellen, deren Angebot ausschließlich aus einer oder mehreren der Warengruppen Blumen und Pflanzen, Zeitungen und Zeitschriften, Back- und Konditorwaren, Milch und Milcherzeugnisse besteht, von 7.00 bis 16.00 Uhr, an Adventssonntagen von 7.00 bis 20.00 Uhr und am 24. Dezember, wenn dieser Tag auf einen Adventssonntag fällt, von 7.00 bis 14.00 Uhr,
- Verkaufsstellen mit überwiegendem Lebens- und Genussmittelangebot am 24. Dezember, wenn dieser Tag auf einen Adventssonntag fällt, von 7.00 bis 14.00 Uhr,
- Kunst- und Gebrauchtwarenmärkte von 7.00 bis 18.00 Uhr, an Adventssonntagen von 7.00 bis 20.00 Uhr.
(2) In Verkaufsstellen nach § 2 Abs. 1 Nr. 3
- darf leicht verderbliches Obst und Gemüse vom Erzeuger angeboten werden an Sonn- und Feiertagen, an Adventssonntagen von 7.00 bis 20.00 Uhr und am 24. Dezember, wenn dieser Tag auf einen Adventssonntag fällt, von 7.00 bis 14.00 Uhr,
- dürfen Weihnachtsbäume angeboten werden an Adventssonntagen von 7.00 bis 20.00 Uhr und am 24. Dezember, wenn dieser Tag auf einen Adventssonntag fällt, von 7.00 bis 14.00 Uhr.
(3) Am Ostermontag, Pfingstmontag und am zweiten Weihnachtsfeiertag dürfen als Waren nach Absatz 1 Nr. 3 nur Zeitungen und Zeitschriften und in Verkaufsstellen nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 leicht verderbliches Obst und Gemüse vom Erzeuger angeboten werden. Am Karfreitag, Volkstrauertag und Totensonntag dürfen Kunst- und Gebrauchtwarenmärkte nicht öffnen.
§ 5
Besondere Verkaufsstellen
An Sonn- und Feiertagen und am 24. Dezember dürfen geöffnet sein:
- Apotheken für die Abgabe von Arzneimitteln und das Anbieten von apothekenüblichen Waren,
- Tankstellen für das Anbieten von Ersatzteilen für Kraftfahrzeuge, soweit dies für die Erhaltung oder Wiederherstellung der Fahrbereitschaft notwendig ist, sowie für das Anbieten von Betriebsstoffen und von Reisebedarf,
- Verkaufsstellen auf Personenbahnhöfen, auf Verkehrsflughäfen und in Reisebusterminals für das Anbieten von Reisebedarf. Auf dem Flughafen Berlin-Tegel dürfen darüber hinaus Waren des täglichen Ge- und Verbrauchs, insbesondere Erzeugnisse für den allgemeinen Lebens- und Haushaltsbedarf, Textilien, Sportartikel, sowie Geschenkartikel angeboten werden.
§ 7 BerlLadÖffG trifft arbeitszeitrechtliche Regelungen zum Schutz der Arbeitnehmer. Danach dürfen Arbeitnehmer an Sonn- und Feiertagen in Verkaufsstellen nur mit Verkaufstätigkeit während der jeweils zugelassenen Öffnungszeiten sowie zur Erledigung von Vorbereitungs- und Abschlussarbeiten – wenn unerlässlich – während weiterer 30 Minuten beschäftigt werden; auf ihr Verlangen hin sind sie in jedem Kalendermonat mindestens an einem Sonnabend freizustellen. Beschäftigte mit mindestens einem Kind unter 12 Jahren im Haushalt oder einer zu versorgenden, anerkannt pflegebedürftigen Person sollen auf Verlangen an verkaufsoffenen Sonn- und Feiertagen freigestellt werden, soweit die Betreuung durch eine andere im Haushalt lebende Person nicht gewährleistet ist. Arbeitnehmer dürfen nur an zwei Adventssonntagen im Jahr beschäftigt werden.
§ 9 BerlLadÖffG bedroht Verstöße gegen näher bezeichnete Vorschriften des Berliner Ladenöffnungsgesetzes als Ordnungswidrigkeit mit Geldbuße. Der Ordnungswidrigkeitentatbestand, der auch die Bußgeldhöhe bestimmt, lautet auszugsweise:
§ 9
Ordnungswidrigkeiten
(1) Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig als Inhaberin oder Inhaber einer Verkaufsstelle
1. entgegen § 3 Abs. 1, 2 und 3 eine Verkaufsstelle öffnet oder Waren anbietet,
2. entgegen §§ 4 und 5 über die zulässigen Öffnungszeiten hinaus Waren oder Waren außerhalb der genannten Warengruppen anbietet,
3. entgegen § 6 über die zulässige Anzahl der Sonn- oder Feiertage oder über die zulässigen Öffnungszeiten hinaus Verkaufsstellen öffnet oder Waren anbietet oder die rechtzeitige Anzeige bei der zuständigen Behörde unterlässt,
4. bis 6. ….
7. entgegen § 7 Abs. 5 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an mehr als zwei Adventssonntagen im Jahr beschäftigt,
8. …
(2) …
(3) Die Ordnungswidrigkeiten können mit einer Geldbuße bis zu 2 500 Euro, in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 4 und des Absatzes 2 mit einer Geldbuße bis zu 15 000 Euro geahndet werden.
Der höhere Bußgeldrahmen von 15.000 Euro betrifft den Betrieb von Kunst- und Gewerbemärkten an Sonn- und Feiertagen entgegen § 3 und § 4 BerlLadÖffG und Verstöße gegen die Arbeitszeitvorschrift des § 7 Abs. 1 BerlLadÖffG.
c) In der Begründung des Entwurfs zum Berliner Ladenöffnungsgesetz vom 14. November 2006 (Abgeordnetenhaus Drucks 16/0015) betonte der Senat von Berlin, dem Sonntag komme insbesondere in unserer auf Betriebsamkeit bedachten Gesellschaft eine große Bedeutung als Zeit zum physischen und mentalen Kräfteschöpfen zu. Als Ausgleich für die ständig wachsenden Anforderungen aus der Arbeitswelt, insbesondere auch an die Mobilität und Flexibilität der Beschäftigten, sei der Sonntag im Interesse der Familie und zur Förderung von Sozialbeziehungen in unserer heutigen Zeit unverzichtbar. Der Sonntag werde zur Erholung, für die Gestaltung des Familienlebens, zur Pflege gesellschaftlicher, sportlicher, kultureller und nicht zuletzt auch religiöser Aktivitäten benötigt. Vom Grundsatz der Sonn- und Feiertagsruhe könne deshalb nur ausnahmsweise unter Abwägung der Interessen des Einzelhandels und der Kunden mit den Schutzinteressen der Beschäftigten abgewichen werden. Das Gesetz sehe aus Gründen der Wettbewerbsgleichheit keine Sonderregelungen für allein inhabergeführte oder ausschließlich mit nicht-angestellten Familienangehörigen geführte Verkaufsstellen vor. Im Interesse einer weitgehenden Flexibilisierung der Verkaufszeiten, an der die Kunden interessiert seien, sei zügig von der neuen Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht worden. Damit werde auch dem Standort Berlin als Einkaufs- und Tourismusmetropole Rechnung getragen. Als besondere Neuerung wird hervorgehoben, dass das Gesetz keine Beschränkungen mehr für die werktäglichen Öffnungszeiten enthält. Die Gesetzesbegründung gibt zugleich zu erkennen, dass die früher begrenzten Öffnungszeiten das Verkaufspersonal vor überlangen Arbeitszeiten hätten schützen sollen. Dies werde nunmehr durch den Arbeitszeitschutz sichergestellt.
Die zeitlich begrenzte Freigabe der Ladenöffnung an den Adventssonntagen sei Ergebnis der Abwägung der Interessen des Einzelhandels und der Kunden mit den Schutzinteressen der Beschäftigten. Die Regelung des § 6 Abs. 1 BerlLadÖffG, nach der die Senatsverwaltung ermächtigt wird, durch Allgemeinverfügung bis zu vier verkaufsoffene Sonn- und Feiertage jährlich zuzulassen, löse die Regelungen der §§ 14 und 23 LadSchlG des Bundes ab. Die Ladenöffnung solle insoweit bei Veranstaltungen oder Ereignissen ermöglicht werden, die über die Stadt hinaus Bedeutung hätten und zahlreiche Touristen nach Berlin holten. Mit der verkaufsstellenspezifischen Ladenöffnungsmöglichkeit des § 6 Abs. 2 BerlLadÖffG an zwei weiteren Sonn- und Feiertagen solle der Kritik Rechnung getragen werden, dass die von der Senatsverwaltung ausgewählten Anlässe für die vier Sonn- und Feiertage, die früher durch Rechtsverordnung bestimmt wurden, nicht für alle Berliner Verkaufsstellen auch wirtschaftlichen Erfolg gebracht hätten.
Zur Erweiterung des an jedem Sonntag verkaufbaren Sortiments auf touristische Bedarfsartikel in § 4 Abs. 1 Nr. 1 BerlLadÖffG führte der Senat aus, dass diese Regelung die nach § 10 LadSchlG ergangene Verordnung über den Ladenschluss in Ausflugs- und Erholungsgebieten ersetzen solle, derzufolge in der Zeit vom ersten Sonntag im März bis zum dritten Sonntag im Oktober ein stark begrenztes Sortiment in der Zeit von 11.00 bis 19.00 Uhr in elf exakt abgegrenzten Gebieten angeboten werden durfte. Zur Vermeidung der damit verbundenen erheblichen örtlichen Abgrenzungsprobleme werde zukünftig der Verkauf eines abgegrenzten Sortiments in der ganzen Stadt, an allen Sonn- und Feiertagen im Jahr, in der Zeit von 13.00 bis 20.00 Uhr, am 24. Dezember jedoch nur bis 17.00 Uhr zugelassen. § 4 Abs. 1 Nr. 4 BerlLadÖffG regele für den Sonderfall, dass der 24. Dezember auf einen Sonntag fällt, eine Durchbrechung des sonn- und feiertäglichen Schließungsgebots für Verkaufsstellen, die überwiegend Lebens- und Genussmittel anbieten. Hiermit solle gewährleistet werden, dass die Bevölkerung sich mit frischen Lebensmitteln für die nachfolgenden Weihnachtsfeiertage eindecken kann. Die Regelung des § 4 Abs. 2 Nr. 1 BerlLadÖffG erlaube den Verkauf von leichtverderblichem, erntefrischem Obst und Gemüse in mobilen Verkaufsständen durch den Erzeuger oder durch die von ihm Beauftragten auch an Sonn- und Feiertagen zur Deckung des Bedarfs der Bevölkerung. Diese Regelung sei mit dem Land Brandenburg abgestimmt; denn wegen der räumlichen Nähe verkauften vorrangig Anbieter aus dieser Region Obst und Gemüse auf Berliner Straßen.
II.
Mit ihren Verfassungsbeschwerden rügen die Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG in Verbindung mit Art. 140 GG und Art. 139 WRV durch die Regelungen in § 3 Abs. 1 Alternative 2, § 4 Abs. 1 Nr. 4 und Abs. 2 Nr. 1, § 6 Abs. 1 und 2 und § 9 Abs. 2 BerlLadÖffG, soweit dieser für Fälle von Ordnungswidrigkeiten lediglich ein Bußgeld bis zu 2.500 Euro vorsehe, sowie durch die von der Kumulation der Regelungen ausgehende Wirkung. Die Beschwerdeführer begründen ihre Verfassungsbeschwerden im Wesentlichen übereinstimmend.
1. a) Die Beschwerdeführer halten sich für beschwerdebefugt.
Sie meinen, ihrer Berufung auf Art. 4 Abs. 1 und 2 GG stehe nicht entgegen, dass bei der Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Normen die Gewährleistung des Schutzes der Sonn- und Feiertagsruhe nach Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 139 WRV maßgebliche Relevanz entfalte. Zwar enthalte Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 139 WRV nach bisheriger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kein Grundrecht oder grundrechtsgleiches Recht, sondern eine institutionelle Garantie. Indes werde die durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG geschützte Möglichkeit freier Religionsausübung in ihren tatsächlichen Rahmenbedingungen durch Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 139 WRV entfaltet und ausgeformt. Es sei anerkannt, dass die Gewährleistungen der Weimarer Kirchenartikel funktional auf die Inanspruchnahme und Verwirklichung des Grundrechts der Religionsfreiheit angelegt seien. Art. 139 WRV enthalte mit der Zwecksetzung der „seelischen Erhebung” auch eine religionsfördernde Komponente. Der Sache nach konkretisiere Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 139 WRV den Gewährleistungsgehalt von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, insbesondere die aus dem Grundrecht folgende Schutzpflicht des Staates. Indem die Verfassung den Schutz der Sonntage nach Maßgabe von Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 139 WRV im Sinne einer institutionellen Garantie zur „seelischen Erhebung” gewährleiste, erwachse den Kirchen und Religionsgemeinschaften im Rahmen ihres Grundrechts auf Religionsfreiheit ein Anspruch, an diesem objektiv statuierten spezifischen Schutz ungestörter Religionsausübung effektiv teilzuhaben und nicht durch Landesrecht beeinträchtigt zu werden.
Die Beschwerdeführer sehen sich von den angegriffenen Regelungen auch unmittelbar betroffen. Dies folge aus deren Kumulation, durch die eine Aushöhlung des verfassungsrechtlichen Schutzes der Sonntage bewirkt werde. Bei den Eingriffen in den Sonntagsschutz durch die Bestimmungen der § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Nr. 4 und § 4 Abs. 2 Nr. 1 BerlLadÖffG bedürfe es keines weiteren Vollzugsaktes. In den Fällen des § 6 Abs. 1 und 2 BerlLadÖffG sei zwar jeweils eine gewisse Umsetzung erforderlich. Gleichwohl komme es bei § 6 Abs. 2 BerlLadÖffG faktisch bereits unmittelbar zu einer Grundrechtsverletzung durch das Gesetz, da sie angesichts der kurzen Anzeigefrist von sechs Tagen und der Verteilung der Anmeldungen auf sämtliche Berliner Bezirksämter in der Regel keine rechtzeitige Kenntnis von Ladenöffnungen nach § 6 Abs. 2 BerlLadÖffG erhalten würden und somit auch keine Rechtsmittel gegen die Untätigkeit der Bezirksverwaltung ergreifen könnten. Fortsetzungsfeststellungsklagen würden angesichts der unterschiedlichen Gegebenheiten bei den jeweils öffnenden Verkaufsstellen und der meist fehlenden Wiederholungsgefahr als unzulässig scheitern. Bei § 6 Abs. 1 BerlLadÖffG bedürfe es einer Allgemeinverfügung der Senatsverwaltung, die verwaltungsgerichtlich angegriffen werden könne. Sie als Beschwerdeführer seien aber bereits durch die Ermächtigung zum Erlass von Allgemeinverfügungen unmittelbar betroffen, weil diese Ermächtigung im Verbund mit den anderen angegriffenen Regelungen stehe. Durch die Kumulation mit den „selbstvollziehenden” Vorschriften komme es zur Verletzung ihres Grundrechts auf freie Religionsausübung.
Schließlich seien sie auch selbst betroffen. Sie seien zwar nicht Adressaten der Ladenöffnungsvorschriften. Ihre Grundrechtspositionen stünden aber in enger Beziehung zu diesen Regelungen. Diese enge Beziehung folge aus der Verknüpfung von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG mit Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 139 WRV. Ihre Gottesdienste und religiösen Veranstaltungen würden an einer beträchtlichen Anzahl von Sonntagen nachhaltig behindert. Die Sonntage würden durch die Öffnung von Verkaufsstellen ihres ruhigen, geschützten Charakters entkleidet. Die Verfassung bekenne sich aber ausdrücklich zum Sonntagsschutz nach christlicher Tradition. In ihr sei ausdrücklich angelegt, dass der Sonntag für die christlichen Kirchen und Religionsgemeinschaften der hervorgehobene Tag der Woche sei. Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 139 WRV schütze den gesamten Tag zur seelischen Erhebung und unterscheide nicht nach Hauptgottesdienstzeiten und dem übrigen Tag. Dies sei auch sachgerecht, weil sich die Religionsausübung und damit die seelische Erhebung auch außerhalb von Gottesdiensten in anderen Formen vollziehe.
b) Weiter führen die Beschwerdeführer aus, der Rechtsweg sei erschöpft und der Grundsatz der Subsidiarität gewahrt:
Die §§ 3 und 4 BerlLadÖffG könnten als Vorschriften eines formellen Gesetzes nicht in einem verwaltungsgerichtlichen Normenkontrollverfahren gemäß § 47 VwGO angegriffen werden. Bei der Regelung des § 6 Abs. 2 BerlLadÖffG handele es sich um eine Erlaubnis mit Anzeigevorbehalt. Ein Verwaltungsakt werde nur erlassen, wenn die Behörde aufgrund der Anzeige die Ausnahme verweigere. Rechtsschutz komme in Form einer Verpflichtungsklage in Betracht. Die Anzeigen seien aber an die verschiedenen Bezirksämter zu richten. Kenntnis hiervon könnten sie, die Beschwerdeführer, kaum erlangen. Deshalb sei es unzumutbar, sie auf den nicht praktikablen Rechtsweg zu verweisen.
Gegen die Allgemeinverfügungen nach § 6 Abs. 1 BerlLadÖffG stehe zwar ein Rechtsweg zur Verfügung. Insoweit sei aber § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG anwendbar und damit auch ohne Erschöpfung des Rechtswegs die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde zu bejahen. Die Klärung der Frage, welche Grenzen einem Ladenöffnungsgesetz durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG in Verbindung mit Art. 140 GG und mit Art. 139 WRV gesetzt seien, sei von allgemeiner Bedeutung. Die Frage nach der Begrenzung der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers zur Ladenöffnung am Sonntag habe das Bundesverfassungsgericht noch nicht beantwortet. Bisher sei nur festgestellt worden, dass ein Kernbereich an Sonn- und Feiertagsruhe unantastbar sei und ein hinreichendes Niveau des Sonn- und Feiertagsschutzes gewahrt bleiben müsse. Es sei noch nicht geklärt, wann Regelungen zur Ermöglichung der Ladenöffnung an Sonn- und Feiertagen verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht mehr genügten (Bezugnahme auf BVerfGE 111, 10 ≪50, 52, 54≫). Die aufgeworfene Frage werde auch in der Fachliteratur kontrovers diskutiert. Ihre Klärung habe darüber hinaus für die anderen Länder Bedeutung.
2. Die Verfassungsbeschwerden seien auch begründet.
a) Ihr Anliegen, den Sonntag nach Maßgabe ihres religiösen Selbstverständnisses zu begehen, werde vom Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG erfasst. Dieser Schutz betreffe nicht nur die Möglichkeit, Gottesdienste und sonstige religiöse Veranstaltungen ungehindert von staatlichen Geboten oder Verboten abzuhalten. Das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG sei vielmehr mit Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 139 WRV verknüpft. Die Verfassung gewährleiste den Schutz der Sonntage im Sinne einer institutionellen Garantie zur „seelischen Erhebung”, mithin – neben der sozialpolitischen Zwecksetzung der Arbeitsruhe – mit einer religionsfördernden Zwecksetzung. Demzufolge fließe der verfassungsrechtliche Schutz der Sonn- und Feiertage im Umfang seiner religionsfördernden Dimension in den Gewährleistungsgehalt des Grundrechts aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG ein. Über diese Verknüpfung seien auch die äußeren Rahmenbedingungen der Veranstaltung von Gottesdiensten und sonstigen religiösen Veranstaltungen geschützt. Den Kirchen und sonstigen Religionsgemeinschaften erwachse ein Anspruch, an diesem spezifischen Schutz ungestörter Religionsausübung effektiv teilzuhaben. Insofern enthalte das Grundrecht auf Religionsfreiheit partiell ein Teilhaberecht. Den Kirchen und sonstigen Religionsgemeinschaften werde die Möglichkeit gesichert, gerade auch die vom Werktag unterschiedenen Sonntage nach Maßgabe ihres Selbstverständnisses zu begehen und dabei ihre Gläubigen tatsächlich erreichen zu können. Der Schutz der Sonntage richte sich in erster Linie auf die ungestörte Abhaltung von Gottesdiensten und sonstigen religiösen Veranstaltungen. Daneben sei den Kirchen an einer Unterstützung ihrer diakonischen und familienfördernden Arbeit gelegen, welche nach ihrem Selbstverständnis gleichermaßen zu ihrem Auftrag gehörten. Der Sonntagsschutz erstrecke sich auf den ganzen Tag, weil er über den Gottesdienst hinaus auch andere Güter schütze, die auch die Kirchen verteidigten: Das gelte für die Familie, die Aktivitäten kirchlicher Vereine, kirchliche Feiern außerhalb der Hauptgottesdienstzeiten bis hin zur Möglichkeit der „ruhigen Einkehr”. Damit bestehe eine unmittelbare Interdependenz zwischen der Religionsfreiheit der Kirchen und dem Schutz des Sonntags.
b) Die angegriffenen Vorschriften verletzten jeweils für sich genommen sowie in ihrer Kumulation Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 139 WRV und damit zugleich Art. 4 Abs. 1 und 2 GG.
aa) § 3 Abs. 1 BerlLadÖffG verletze sie in ihren Grundrechten, weil danach eine Ladenöffnung an allen Adventssonntagen von 13.00 bis 20.00 Uhr zulässig sei. Die Sonntage in der Adventszeit nähmen einen hervorgehobenen Platz im Kirchenjahr ein und würden von den Kirchen traditionell auch entsprechend begangen. Das Berliner Ladenöffnungsgesetz beraube die Vorweihnachtszeit grundlegend ihres verfassungsrechtlichen Schutzes. Aufgrund des besonderen Gepräges der Adventssonntage würden durch die einschlägige Regelung die struktur- und typusbestimmenden Merkmale des verfassungsrechtlichen Sonntagsschutzes in ihrer religionsfördernden Komponente intensiv betroffen. Dies gelte umso mehr, als § 3 Abs. 1 BerlLadÖffG nicht vier punktuell über das Jahr verteilten Sonntagen ihren spezifischen Schutz nehme, sondern vier aufeinander folgenden Sonntagen. Damit werde der Schutz über einen Zeitraum von vier Wochen suspendiert. Die Verfassungswidrigkeit der Bestimmung folge überdies daraus, dass ihr allein wirtschaftliche Erwägungen zugrunde lägen, was in der Gesetzesvorlage deutlich zum Ausdruck komme. Eine Ausnahmeregelung vom Sonn- und Feiertagsschutz allein aus ökonomischen Gründen dürfe es aber nicht geben.
bb) Auch § 4 Abs. 1 Nr. 4 BerlLadÖffG verletze den verfassungsrechtlichen Schutz der Sonntage. Die Vorschrift solle der Gesetzesvorlage zufolge dazu dienen, der Bevölkerung an Weihnachten für die beiden Feiertage eine Bevorratung mit frischen Lebensmitteln zu ermöglichen, wenn der 24. Dezember auf einen Sonntag falle. Dem fehle jede sachliche Berechtigung. Der Einkauf nicht verderblicher Lebensmittel lasse sich auch vor dem 24. Dezember vornehmen. Angesichts der heutigen Kühlmöglichkeiten gelte dies ebenso für verderbliche Lebensmittel. Im Übrigen beziehe sich § 4 Abs. 1 Nr. 4 BerlLadÖffG pauschal auf „Verkaufsstellen mit überwiegendem Lebens- und Genussmittelangebot”. Eine solche Regelung sei im Sinne einer Bevorratung für die Weihnachtsfeiertage nicht erforderlich.
cc) Ebenfalls unverhältnismäßig sei § 4 Abs. 2 Nr. 1 BerlLadÖffG. Mit der Privilegierung der Verkaufsstellen von Erzeugern heimischen Obstes und Gemüses werde der Zweck der Wirtschaftsförderung verfolgt. Dieser Zweck genieße keinen verfassungsrechtlichen Rang. Zudem sei auch insoweit angesichts der heutigen Kühlmöglichkeiten nicht ersichtlich, weshalb der Handel mit „leicht verderblichem Obst und Gemüse” an Sonn- und Feiertagen erforderlich sein solle.
dd) Mit Art. 4 Abs. 1 und 2 GG unvereinbar sei ferner die Regelung über die Freigabe der Ladenöffnung durch Allgemeinverfügung an vier Sonn- und Feiertagen wegen eines öffentlichen Interesses nach § 6 Abs. 1 BerlLadÖffG. Zwar lehne sich diese Ausnahmeregelung an die vormals bundeseinheitlichen Regelungen der §§ 14, 23 LadSchlG an; sie unterscheide sich davon jedoch in einem maßgeblichen Punkt. Nach dem Ladenschlussgesetz des Bundes habe die Ausnahme im Einzelfall im öffentlichen Interesse dringend nötig sein müssen; dies sei etwa im Blick auf die Versorgung der Bevölkerung mit lebensnotwendigen Waren bei Notfällen und Katastrophen in Betracht gekommen. Die Regelung des § 6 Abs. 1 BerlLadÖffG hingegen enthalte keine derartigen strengen Anforderungen mehr. Für die Zulassung der Ladenöffnung genüge bereits eine mehr oder minder bedeutende Veranstaltung oder ein Ereignis, welches in irgendeiner Weise das Interesse der Berliner Bevölkerung oder der Touristen wecke. Von den Tatbestandsmerkmalen „im öffentlichen Interesse” und „ausnahmsweise” gehe praktisch kaum Steuerungswirkung aus. Das erweise sich an den bisher ergangenen Allgemeinverfügungen, bei denen Anlass für die Zulassung von Ladenöffnungen an Sonntagen im Jahr 2007 die Grüne Woche, jeweils zeitlich zusammentreffend ein Theatertreffen und der Deutsche Röntgenkongress, die Internationale Funkausstellung und das Musikfest 2007 sowie das Art Forum Berlin und der Kunstherbst Berlin gewesen seien. Die Ermächtigung in § 6 Abs. 1 BerlLadÖffG normiere unangemessen geringe Ausnahmeanforderungen und verfolge ausschließlich wirtschaftliche Zwecke.
ee) Der Regelung über die Ladenöffnung aus Anlass besonderer Ereignisse gemäß § 6 Abs. 2 BerlLadÖffG lägen ebenso allein wirtschaftliche Interessen zugrunde. Sie sei unverhältnismäßig, weil sie angesichts der sehr großen Anzahl von Handelsgeschäften in Berlin, der sehr niedrigen Erfordernisse für eine Ladenöffnung – „Firmenjubiläen und Straßenfeste” – und der Tatsache, dass pro Geschäft zwei Öffnungen im Jahr ermöglicht würden, eine beträchtliche Streuwirkung entfalte. Das Grundprinzip der Schließung von Verkaufsstellen an Sonn- und Feiertagen würde damit in Berlin faktisch flächendeckend aufgegeben.
ff) Erst recht seien die angegriffenen Einzelbestimmungen in ihrer Kumulation verfassungswidrig. Ausnahmen vom verfassungsrechtlichen Sonn- und Feiertagsschutz seien jedenfalls dann verfassungswidrig, wenn ihre Kumulation dem Regel-Ausnahme-Verhältnis des Verbots und der Gestattung von Sonntagsarbeit zuwiderlaufe. Angesichts der quantitativen Dimension der möglichen Ladenöffnungen – zehn Sonn- und Feiertage pro Jahr, was fast einem Fünftel aller Sonntage gleichkomme – sei es nicht mehr beachtet. Es sei zudem davon auszugehen, dass es in Berlin keinen einzigen Sonntag mehr geben werde, an dem nicht eine größere Anzahl von Geschäften geöffnet habe. Die Gesamtwirkung der Ladenöffnungsmöglichkeiten werde nicht dadurch gemindert, dass die gesetzliche Regelungstechnik eine Verteilung auf verschiedene Paragraphen vorsehe.
gg) Die Eingriffe seien insgesamt verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Wegen der schrankenlosen Gewährleistung von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG komme nur eine Rechtfertigung kraft kollidierenden Verfassungsrechts in Betracht. Die wirtschaftsbezogenen Grundrechte der Art. 12 und 14 GG trügen die Eingriffe in den Sonn- und Feiertagsschutz nicht; denn die wirtschaftlichen Zwecksetzungen des Berliner Ladenöffnungsgesetzes hätten keinen Verfassungsrang. Auch könne das Versorgungsinteresse der Bevölkerung, dem angesichts des Sozialstaatsprinzips und staatlicher Schutzpflichten Verfassungsrang zugesprochen werden könne, nicht herangezogen werden, da die beanstandeten Vorschriften nicht der Grundversorgung dienten.
hh) Die Aushöhlung der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Sonn- und Feiertagsruhe werde dadurch weiter verstärkt, dass das Gesetz nicht einmal wirksame Sanktionen bei Verstößen gegen die noch vorhandenen, rudimentären Restriktionen vorsehe. Nach Maßgabe von § 9 Abs. 2 BerlLadÖffG könnten Zuwiderhandlungen allenfalls mit einer Geldbuße bis zu 2.500 Euro geahndet werden. Es könne keine Rede davon sein, dass von diesem geringen Betrag – insbesondere im Blick auf große Handelsketten und Kaufhäuser – eine abschreckende Wirkung und ein Anreiz zur Rechtstreue ausgingen.
ii) Der Beschwerdeführer zu 2) führt überdies aus, die Vorschrift des § 4 Abs. 1 Nr. 4 BerlLadÖffG könne so verstanden werden, dass Verkaufsstellen, die Lebens- und Genussmittel verkauften, an jedem Sonn- und Feiertag öffnen dürften; denn an die einleitenden Worte des ersten Absatzes „An Sonn- und Feiertagen dürfen öffnen” knüpfe im Satzbau auch Nr. 4 an, der für den 24. Dezember, falls er auf einen Sonntag falle, ausnahmsweise nur eine Öffnungszeit von 7.00 bis 14.00 Uhr vorsehe. In einer weiten, alle Sonn- und Feiertage einbeziehenden Auslegung sei die Vorschrift verfassungswidrig. Falls das Bundesverfassungsgericht eine engere Auslegung zugrunde lege – und für verfassungsmäßig halte –, müsse es dies in der Entscheidung ausdrücklich feststellen.
III.
Zu den Verfassungsbeschwerden haben schriftlich Stellung genommen das Abgeordnetenhaus von Berlin und der Senat von Berlin, die Regierung des Landes Brandenburg, die Thüringer Landesregierung, das Bundesverwaltungsgericht, die Deutsche Bischofskonferenz, die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), der Bund Freireligiöser Gemeinden Deutschlands, der Dachverband Freier Weltanschauungsgemeinschaften e.V., die Deutsche Unitarier Religionsgemeinschaft e.V., die Giordano-Bruno-Stiftung, der Humanistische Verband Deutschlands – Bundesverband –, die Bundesarbeitsgemeinschaft der Mittel- und Großbetriebe des Einzelhandels e.V. (BAG), die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), der Deutsche Industrie- und Handelskammertag sowie die Industrie- und Handelskammern zu Berlin und zu Köln und die Landesarbeitsgemeinschaft der Industrie- und Handelskammern des Landes Brandenburg, der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels (HDE), der Christliche Gewerkschaftsbund (CGB) sowie der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) zusammen mit der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. Der Senat hat zudem schriftliche Stellungnahmen der sachkundigen Auskunftspersonen Professor Dr. Peter Knauth (Technische Universität Karlsruhe) und Professor Dr. Friedhelm Nachreiner (Universität Oldenburg) eingeholt. Daneben hat er dem Bundestag, dem Bundesrat, der Bundesregierung, den anderen Landesregierungen und -parlamenten sowie weiteren sachkundigen Dritten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt, die sich jedoch nicht geäußert haben.
1. Das Abgeordnetenhaus von Berlin und der Senat von Berlin haben eine gemeinsame Stellungnahme abgegeben. Sie halten die Verfassungsbeschwerden für unzulässig, jedenfalls aber für unbegründet.
a) Die Beschwerdeführer seien bereits nicht beschwerdebefugt. Art. 139 WRV könne im Verfahren der Verfassungsbeschwerde nicht gerügt werden. Das Bundesverfassungsgericht habe bereits entschieden, dass aus Art. 140 GG keine subjektiven Berechtigungen folgten. Art. 139 WRV sei eine institutionelle Garantie, die den Gesetzgeber objektivrechtlich verpflichte, ein Mindestmaß an gesetzlichen Regelungen zum Schutz von Sonn- und Feiertagen bereitzustellen. Die These einer Subjektivierung des Art. 139 WRV wegen heutiger Gefährdungslagen für den Sonntag sei nicht haltbar. Auch über die Konstruktion eines besonderen Näheverhältnisses von Art. 139 WRV zu Art. 4 Abs. 1 und 2 GG könne sie nicht begründet werden. Der Wortlaut des Art. 139 WRV lasse erkennen, dass der verfassungsrechtliche Sonntagsschutz nicht ein speziell auf die Kirchen gerichtetes Anliegen sei, sondern säkular verstanden werden müsse. Eine andere Sichtweise sei unvereinbar mit der auf weltanschauliche Neutralität ausgerichteten Grundkonzeption des Art. 4 GG. Der thematische Zusammenhang von Art. 4 GG und Art. 139 WRV ändere an der fehlenden subjektiven Wirkung des Art. 139 WRV nichts. Das Nebeneinander von sozialpolitischen und religiösen Motiven lasse eine Zuordnung zu individuellen Trägern, welche die Einhaltung des Sonn- und Feiertagsschutzes geltend machen könnten, nicht zu. Alles andere würde auf die Zulassung einer Popularbeschwerde hinauslaufen. Art. 4 GG schütze zwar ein religiös motiviertes Verhalten auch und gerade an Sonntagen. Die Ausgestaltung der Rahmenbedingungen für den Sonntag im Allgemeinen, wie sie allein Art. 139 WRV im Auge habe, sei von der Religionsfreiheit aber nicht erfasst.
Die Beschwerdebefugnis fehle den Beschwerdeführern auch, wenn man Art. 4 GG als offener gegenüber den kirchlichen Sonntagsinteressen ansehe. Die Beschwerdeführer seien durch das Berliner Ladenöffnungsgesetz weder selbst noch unmittelbar betroffen. Überdies hätten sie schon die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung nicht aufgezeigt. Durch die angegriffenen Vorschriften würden die Rahmenbedingungen für die Religionsausübung der Beschwerdeführer schon deshalb nicht unter Verstoß gegen Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 139 WRV unzumutbar verschlechtert, weil die nunmehr an Sonn- und Feiertagen erlaubten Öffnungszeiten für Verkaufsstellen sich im Wesentlichen deckten mit denen, die aufgrund der Verordnung über Sonntagsruhe im Handelsgewerbe und in Apotheken vom 5. Februar 1919 zugelassen gewesen seien. Auf diese schon damals zulässigen Tatbestände nehme Art. 139 WRV durch die Formulierung „bleiben… geschützt” Bezug. Während der Weimarer Zeit und auch danach sei bis zum Inkrafttreten des Ladenschlussgesetzes im Jahre 1956 die Ladenöffnung an Adventssonntagen grundsätzlich erlaubt gewesen. Diese Sonntage hätten sogar als besonders wichtige Verkaufstage gegolten. Das angegriffene Berliner Ladenöffnungsgesetz bleibe hinter der Verordnung aus dem Jahr 1919 sogar noch zurück, weil es die Öffnung an Adventssonntagen nur zeitlich begrenzt erlaube.
Schließlich seien die Verfassungsbeschwerden auch wegen fehlender Erschöpfung des Rechtswegs unzulässig (§ 90 Abs. 2 BVerfGG), soweit sie sich gegen § 6 Abs. 1 und 2 BerlLadÖffG richteten. Denn diese Regelungen setzten jeweils einen Vollzugsakt der Verwaltung im Vorfeld der Ladenöffnung voraus, gegen den sich die Beschwerdeführer vor den Verwaltungsgerichten wenden könnten. Weshalb ihnen insoweit hinreichend effektiver Rechtsschutz versagt sei, legten die Beschwerdeführer nicht überzeugend dar.
b) Halte man die Verfassungsbeschwerden für zulässig, seien sie jedenfalls unbegründet. Die angegriffenen Regelungen seien – auch objektiv – verfassungsgemäß; sie würden der institutionellen Garantie des Art. 139 WRV gerecht. Insbesondere ließen sie den unantastbaren Kern der Sonn- und Feiertagsruhe unberührt. Art. 139 WRV verpflichte den Gesetzgeber, durch gesetzliche Regelungen zu gewährleisten, dass die Sonn- und Feiertage als Tage der Arbeitsruhe und seelischen Erhebung dienen können. Dabei verfüge er über einen Gestaltungsspielraum. In erster Linie sei die formale Existenz der Institution Sonn- und Feiertage geschützt. Dem trage § 3 Abs. 2 Nr. 1 BerlLadÖffG Rechnung, indem er anordne, dass in der Regel Verkaufsstellen an Sonn- und Feiertagen geschlossen sein müssten. Die Ausnahmeregelungen änderten hieran nichts, da die institutionelle Garantie nicht jede auflockernde Veränderung des Sonn- und Feiertagsschutzes verbiete. Die Bedürfnisse, insbesondere das Ruhebedürfnis, hätten sich gewandelt und konkurrierten heute mit anderen Bedürfnissen. Die religiöse Zweckbestimmung des Sonntags sei in den Hintergrund getreten. Einschränkungen der institutionellen Garantie könnten daher leichter begründet werden. Nicht nur das Unverzichtbare, das unbedingt Erforderliche, sondern auch andere plausible gesetzgeberische Intentionen wie das Bemühen, das Freizeitangebot oder die wirtschaftliche Situation zu verbessern, könnten eine Einschränkung des Sonntagsschutzes rechtfertigen. Dem genügten die angegriffenen Regelungen. Ebenso schütze Art. 139 WRV davor, dass die Institution bis auf eine „wertlose Hülse” ausgehöhlt werde. Davon könne vorliegend offensichtlich keine Rede sein.
Die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers sei im Übrigen nur durch einen unantastbaren Kernbestand der Sonn- und Feiertagsruhe beschränkt: Einerseits betreffe dies die Anzahl der geschützten Sonn- und Feiertage und den Sieben-Tage-Rhythmus, andererseits das Regel-Ausnahme-Verhältnis von Arbeitsruhe und Abwesenheit von werktäglicher Geschäftigkeit zu Sonntagsarbeit. Soweit die Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang rügten, es werde ihnen durch die Ladenöffnung an fast einem Fünftel aller Sonntage unzumutbar erschwert, Gottesdienste und sonstige religiöse Veranstaltungen abzuhalten, könne dem schon im Ansatz nicht gefolgt werden. Die Ladenöffnungsregelung stelle kein Gebot dar, die Verkaufsstellen aufzusuchen und Gottesdienste nicht zu besuchen, sondern trage lediglich einer geänderten sozialen Wirklichkeit Rechnung, namentlich geänderten Freizeitwünschen der Bürger, indem sie den Bürgern die Möglichkeit einräume, an Sonn- und Feiertagen Verkaufsstellen aufzusuchen. Diese Möglichkeit sei auf zehn Sonn- und Feiertage beschränkt und an sechs dieser Tage auch noch zeitlich begrenzt. Das gebotene Regel-Ausnahme-Verhältnis werde angesichts der geringen Zahl der Sonn- und Feiertage, an denen die Ladenöffnung erlaubt sei, und der zeitlichen Beschränkung der Öffnung nicht verletzt. Dadurch, dass lediglich an vier Sonntagen eine ganztägige Ladenöffnung zulässig sei, nähmen die Sonntage nicht werktäglichen Charakter an. Eine bloße Zunahme der werktäglichen Prägung begründete noch keinen Verstoß gegen den Kernbestand der Sonn- und Feiertagsruhe.
Der weltanschaulich-religiösen Komponente des Art. 139 WRV habe der Landesgesetzgeber ausreichend Rechnung getragen, indem er die Öffnung von Verkaufsstellen an Sonn- und Feiertagen grundsätzlich verboten und zudem die Öffnung an sechs von zehn verkaufsoffenen Sonn- und Feiertagen zeitlich begrenzt und gerade die Hauptgottesdienstzeiten von der Ladenöffnung ausgenommen habe.
Die Entscheidung des Berliner Landesgesetzgebers bewege sich im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit. Bei der Ausgestaltung des Schutzes der Sonn- und Feiertage müsse der Gesetzgeber unter Berücksichtigung des nach Art. 139 WRV gebotenen Regel-Ausnahme-Verhältnisses einen Ausgleich unter anderem mit dem durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Interesse der Verbraucher am Einkaufen und der durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Berufsausübungsfreiheit der Ladeninhaber treffen. Hierbei komme ihm ein weiter Spielraum zu. Anerkannt sei, dass grundsätzlich nicht nur aus gesellschaftlichen und technischen Gründen notwendige Arbeiten gestattet seien, sondern auch Arbeiten, welche dem Freizeitbedürfnis der Bevölkerung zugute kämen. Bei solchen „Arbeiten für den Sonntag” könne nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Abwägung eher für die Ladenöffnung ausfallen als bei „Arbeiten trotz des Sonntags”. Allerdings bestehe auch dann kein absolutes Verbot. Die angegriffenen Regelungen verstießen daher nur dann gegen Art. 139 WRV, wenn der Gesetzgeber verpflichtet wäre, sie zu unterlassen, weil der durch sie bewirkte Eingriff in die Sonn- und Feiertagsruhe nicht durch plausible Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt und unverhältnismäßig wäre. Davon sei nicht auszugehen. Die Handlungsfreiheit der Verbraucher und die Berufsausübungsfreiheit der Ladeninhaber legitimiere die Ausnahmeregelung sowohl einzeln als auch in ihrer Gesamtschau. Die Regelungen seien zum Schutz dieser Rechtsgüter geeignet, erforderlich und unter Berücksichtigung des durch Art. 139 WRV vorgegebenen Regel-Ausnahme-Verhältnisses auch angemessen. Dies gelte insbesondere, wenn man die geänderten Einkaufsgewohnheiten der Bevölkerung berücksichtige: Für breitere Teile der Bevölkerung habe das Einkaufen an Sonn- und Feiertagen, insbesondere auch an Adventssonntagen, seinen werktäglichen Charakter verloren und sei zu einer der Erholung dienenden Freizeitbeschäftigung geworden, so dass die Ladenöffnung dazu tendiere, zu einer „Arbeit für den Sonntag” zu werden. Selbst wenn man das anders sehe, komme den geänderten Einkaufsgewohnheiten zusammen mit dem vom Gesetzgeber verfolgten Ziel der Stimulierung der Wirtschaft jedenfalls solches Gewicht zu, dass es die Einschränkung des Sonn- und Feiertagsschutzes in dem beschränkten Umfang rechtfertige.
Dies treffe auch für die einzelnen Regelungen zu. Die Ladenöffnung an allen Adventssonntagen sei nicht zu beanstanden. Art. 139 WRV lasse sich nicht entnehmen, dass stets alternierend einem Sonntag, an dem zeitlich beschränkt eine Ladenöffnung zulässig ist, ein verkaufsfreier Sonntag folgen müsse. Dem von Art. 139 WRV verfolgten Ziel der Arbeitsruhe zugunsten der Arbeitnehmer im Einzelhandel habe der Gesetzgeber dadurch Rechnung getragen, dass gemäß § 7 Abs. 5 BerlLadÖffG Arbeitnehmer nur an zwei Adventssonntagen im Jahr beschäftigt werden dürfen. Zwar hätten die Adventssonntage im Kirchenjahr einen hervorragenden Platz. Dem stehe aber gegenüber, dass der Einzelhandel im Weihnachtsgeschäft einen beachtlichen Teil des Umsatzes erziele, und deshalb besonderes Interesse an der Ladenöffnung habe, mit dem das gesteigerte Interesse der Bevölkerung an Sonntagseinkäufen im Advent gegebenenfalls im familiären Rahmen korrespondiere. Zudem habe der Berliner Gesetzgeber die Hauptgottesdienstzeiten von der Ladenöffnung ausgespart. Die in § 4 Abs. 1 Nr. 4 BerlLadÖffG geregelte Ladenöffnung an Weihnachten, wenn der 24. Dezember auf einen Adventssonntag fällt, sei nicht zu beanstanden, weil lediglich der Verkauf bestimmter Waren gestattet sei und zudem die Öffnungszeiten entsprechend den Interessen der Beschwerdeführer auf die Zeit von 7.00 bis 14.00 Uhr beschränkt seien. Die Regelung des Verkaufs von leicht verderblichem Obst und Gemüse durch den Erzeuger (§ 4 Abs. 2 Nr. 1 BerlLadÖffG) spiele für die Adventssonntage keine nennenswerte Rolle.
Die weiteren Regelungen der Ladenöffnung bedürften keiner Einzelbetrachtung. Die Ausnahmeregelungen seien überdies sachlich noch eingeschränkt durch die Voraussetzungen des „öffentlichen Interesses” beziehungsweise des „besonderen Ereignisses”. Zudem hätten sich entsprechende Vorläufer schon in § 14 und § 23 LadSchlG gefunden. Die Rechtslage des Berliner Ladenöffnungsgesetzes sei demgegenüber sogar enger, weil die Zahl der verkaufsoffenen Sonn- und Feiertage anders als in § 23 LadSchlG beschränkt sei.
2. Die Regierung des Landes Brandenburg hat sich lediglich zu § 4 Abs. 1 Nr. 4 und § 4 Abs. 2 Nr. 1 BerlLadÖffG geäußert, da nur diese Bestimmungen dem brandenburgischen Landesrecht ähnelten. Diese Vorschriften würden den verfassungsrechtlichen Maßgaben gerecht. Durch sie werde weder der Kernbereich des Sonn- und Feiertagsschutzes noch das verfassungsrechtlich verbürgte Regel-Ausnahme-Verhältnis hinsichtlich der Ladenöffnung an Sonn- und Feiertagen angetastet.
3. Die Thüringer Landesregierung hält die Verfassungsbeschwerden für zulässig und begründet. Die Beschwerdeführer würden durch die angegriffenen Gesetzesbestimmungen in ihrem Grundrecht auf Religionsausübungsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG verletzt. Die Ausgestaltung des Sonn- und Feiertagsschutzes genüge nicht mehr dem Gebot an den Gesetzgeber, einen absoluten Kernbereich der Sonn- und Feiertagsruhe zu schützen. Die Regelungen in § 6 Abs. 1 und 2 BerlLadÖffG verstießen zudem gegen das Grundrecht der Beschwerdeführer auf Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG, denn es sei vom Zufall abhängig, ob die Beschwerdeführer Kenntnis von der Anzeige des Verkaufsstelleninhabers gegenüber dem zuständigen Bezirksamt erhielten und gegebenenfalls das Nichteinschreiten der Behörde gerichtlich überprüfen lassen könnten.
4. Das Bundesverwaltungsgericht hat mitgeteilt, nach Inkrafttreten der so genannten Föderalismusreform I mit der Änderung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG sei der für das Wirtschaftsverwaltungsrecht zuständige 6. Revisionssenat nicht mit Verfahren aus dem Gebiet des Ladenschlussrechts befasst gewesen. Der früher für das genannte Rechtsgebiet zuständige 1. Revisionssenat habe sich in mehreren Entscheidungen mit Fragen des Bundesgesetzes über den Ladenschluss befasst. Einen gewissen Bezug zu den mit den vorliegenden Verfassungsbeschwerden aufgeworfenen Fragen wiesen mehrere, im Einzelnen aufgeführte Entscheidungen auf. Von einer weiteren Stellungnahme hat das Bundesverwaltungsgericht abgesehen.
5. Die Deutsche Bischofskonferenz hält die Verfassungsbeschwerden für zulässig und begründet. Sie verweist auf die Beschwerdeschriften und hebt ergänzend hervor, dass das angegriffene Gesetz den Schutz des Sonntags und der Feiertage in verfassungsrechtlich nicht mehr erträglicher Weise zurückdränge.
6. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) stimmt dem Inhalt der Beschwerdeschrift der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz in vollem Umfang zu und schließt sich auch den Überlegungen in der Beschwerdeschrift des Erzbistums Berlin an.
7. Der Bund Freireligiöser Gemeinden Deutschlands und der Dachverband Freier Weltanschauungsgemeinschaften e.V. haben gleich lautende Stellungnahmen abgegeben. Sie sind der Auffassung, die Verfassungsbeschwerden seien abzuweisen, da die Beschwerdeführer nicht in ihren Rechten verletzt seien. Eine kirchliche Deutungshoheit der Sonn- und Feiertage sei im weltanschaulich neutralen Staat abzulehnen.
8. Der Verein Deutsche Unitarier Religionsgemeinschaft e.V. hat geäußert, von staatlicher Seite sollten wiederkehrende Zeiten sichergestellt werden, die dem Einzelnen Ruhe und Besinnung, Zeiten des religiösen Erlebens oder auch Erlebnisse in Gemeinschaften erlaubten. Dies könne aber in verschiedenen Formen, nicht nur durch Sonntagsruhe oder Feiertagsschutz erfolgen, wobei dem gesellschaftlichen Wandel Rechnung getragen werden müsse. Traditionell kirchliche Feiertage zu schützen, sei angesichts der Verpflichtung des Staates zur weltanschaulichen Neutralität nicht die Aufgabe des Staates.
9. Nach Auffassung der Giordano-Bruno-Stiftung können die Verfassungsbeschwerden keinen Erfolg haben. Art. 139 WRV beinhalte nur einen objektivrechtlichen Sonntagsschutz mit weitem Spielraum des Gesetzgebers. Auch auf die Gewährleistung seines Kernbereichs bestehe kein subjektiver Rechtsanspruch. Deshalb seien die Verfassungsbeschwerden unzulässig. Zudem lasse sich selbst bei einer umfassenden objektivrechtlichen Prüfung des angegriffenen Gesetzes kein Verfassungsverstoß feststellen. Von jährlich 52 Sonntagen blieben mindestens 44 von gravierender „werktäglicher Geschäftigkeit” frei. An den vier Adventssonntagen dürften Verkaufsstellen nur von 13.00 bis 20.00 Uhr geöffnet sein. Der absolut geschützte Kernbereich der institutionellen Garantie des Art. 139 WRV sei daher nicht berührt.
10. Der Humanistische Verband Deutschlands – Bundesverband – trägt vor, die Verfassungsbeschwerden verkürzten den Schutz des Sonntags unzulässig auf eine christlich-religiöse Schutzvorschrift, was schon dem Wortlaut des Art. 139 WRV widerspreche. Der Sonntag sei kein speziell christlicher Feiertag. Art. 139 WRV enthalte lediglich eine objektivrechtliche Institutsgarantie ohne subjektive Berechtigung. Das angegriffene Gesetz nehme auch nicht die Möglichkeit zum Kirchgang. Im Übrigen müssten die soziologischen Determinanten im Lande Berlin berücksichtigt werden. Die christlichen Kirchen vereinten nicht die Mehrheit der Berliner unter sich. Die Regelungen des Berliner Ladenöffnungsgesetzes seien verfassungsgemäß, da das Recht auf Religionsausübung für jede gläubige Minderheit gewährleistet sei.
11. Nach Auffassung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Mittel- und Großbetriebe des Einzelhandels e.V. (BAG) fehlt es den Beschwerdeführern bereits an einem subjektiven Recht zur Geltendmachung ihrer Ansprüche. Dessen ungeachtet tasteten die angegriffenen Regeln des Berliner Ladenöffnungsgesetzes nicht den Kernbestand der Sonn- und Feiertagsruhe an. Vielmehr stellten sie einen interessengerechten Ausgleich zwischen den Erholungs- und Freizeitbedürfnissen der Bevölkerung und dem Grundsatz der Arbeitsruhe her, ohne dabei das Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen werktäglicher Beschäftigung und sonntäglicher Arbeitsunterbrechung zu berühren. Im Übrigen diene die Neugestaltung der Ladenschlusszeiten sowohl der Ausübung von Grundrechten der Ladeninhaber als auch der Angestellten und Dritter sowie der Berücksichtigung übergreifender und verfassungsrechtlich legitimierter gesellschaftlicher und ökonomischer Interessen der Allgemeinheit. Die Berücksichtigung dieser Rechte und Interessen lasse einen etwaigen Eingriff in Grundrechte der Beschwerdeführer in jedem Fall als gerechtfertigt erscheinen.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft weist zudem darauf hin, dass eine stichprobenartige Umfrage unter den mittelständischen Einzelhandelsunternehmen in Berlin ergeben habe, dass 14 % der befragten Geschäftsinhaber erklärt hätten, speziell im Hinblick auf die erweiterten Ladenöffnungszeiten neue Angestellte eingestellt zu haben. Sie betont, dass mit der Neuregelung der Ladenöffnungszeiten die von ihr für gleichheitswidrig erachtete Bevorzugung von Einzelhändlern an privilegierten Standorten wie Tankstellen, Raststätten, Flughäfen und Bahnhöfen sowie die Bevorzugung des Online-Handels deutlich abgemildert worden sei.
12. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) ist der Ansicht, die Ausgestaltung der Ladenöffnungszeiten stelle keinen Verstoß gegen die aus Art. 139 WRV in Verbindung mit Art. 140 GG folgende Pflicht des Staates zur Gewährleistung der Sonntagsruhe dar. Der Berliner Gesetzgeber bewege sich innerhalb seines Ausgestaltungsspielraums. Die Vorschriften seien weder einzeln noch in ihrer Zusammenschau verfassungswidrig.
13. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag enthält sich einer eigenen Stellungnahme, weil die von den einzelnen Industrie- und Handelskammern geäußerten wirtschaftsbezogenen Positionen im konkreten Fall so unterschiedlich seien, dass ein klarer Trend nicht erkennbar sei.
So sei die Industrie- und Handelskammer Berlin der Auffassung, die Ladenöffnung diene der Befriedigung von Freizeitbedürfnissen und stelle damit als „Arbeit für den Sonntag” eine privilegierte Ausnahme vom Gebot der Arbeitsruhe dar. Zu berücksichtigen sei auch die Sonderrolle Berlins als Hauptstadt und Touristenmetropole. Der Kernbestand des Sonn- und Feiertagsschutzes werde durch die maßvolle Freigabe des Einzelhandels nicht angetastet.
Die Landesarbeitsgemeinschaft der Industrie- und Handelskammern des Landes Brandenburg vertrete die Ansicht, ein weitgehendes Verbot der Arbeit an Sonn- und Feiertagen schade dem Standort Deutschland, seiner Wirtschaft und seinen Bürgern. Das Arbeitszeitgesetz biete hinreichende Schutzmöglichkeiten.
Die Industrie- und Handelskammer zu Köln verweise auf die wichtige Funktion der verkaufsoffenen Sonntage für den Einzelhandel sowie für die Vitalität der Innenstädte. Für den innerstädtischen Einzelhandel eines Oberzentrums seien verkaufsoffene Sonntage geradezu notwendig, um sich im nationalen und internationalen Standortwettbewerb zu behaupten.
14. Der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels (HDE) hält die Regelungen des Berliner Ladenöffnungsgesetzes für verfassungskonform. Die Verfassungsbeschwerden seien unzulässig, jedenfalls aber unbegründet. Es fehle den Beschwerdeführern schon an der Beschwerdebefugnis, denn sie seien nicht selbst und zumindest teilweise nicht unmittelbar von den angegriffenen Normen betroffen. Die mögliche Verletzung eines Grundrechts sei nicht dargetan. Teilweise unzulässig seien die Verfassungsbeschwerden darüber hinaus, weil die Beschwerdeführer zunächst den Rechtsweg zu den Fachgerichten beschreiten müssten. Unabhängig davon seien die Beschwerdeführer aber auch sachlich nicht in ihren Grundrechten verletzt.
15. Nach Auffassung des Christlichen Gewerkschaftsbunds (CGB) dient der Sonn- und Feiertagsschutz des Art. 139 WRV im Schwerpunkt dem religiös-gemeinschaftlichen Aspekt, der „seelischen Erhebung”, und weniger der körperlichen Erholung. Dies ergebe sich aus dem Kontext der Bestimmung. Unter Berücksichtigung dieses Umstands konkretisiere Art. 139 WRV die in Art. 4 GG manifestierte Religionsfreiheit. Untermauert werde dies durch die christlich geprägte Bedeutung des Sonntags in der abendländischen Kultur. Das angegriffene Gesetz hebele den Schutz der Sonn- und Feiertage aus und verletze dessen Kernbereich. Den Verfassungsbeschwerden sei stattzugeben.
16. Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) teilen die Rechtsauffassung der Beschwerdeführer und unterstützen die Verfassungsbeschwerden in einer gemeinsamen Stellungnahme. Im Interesse der Verwirklichung der verfassungsrechtlichen Vorgaben zum Sonn- und Feiertagsschutz sei es notwendig, den Kirchen die Möglichkeit zur effektiven Durchsetzung des Sonn- und Feiertagsschutzes zu eröffnen. Die angegriffenen Vorschriften seien schon deshalb verfassungswidrig, weil das Land keine Kompetenz zur Regelung der arbeitsschutzrechtlichen Aspekte des Ladenschlusses habe. Ferner stellten die angegriffenen Regelungen einen nicht gerechtfertigten Eingriff in den gemäß Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 139 WRV garantierten Schutz der Sonn- und Feiertagsruhe dar. Sie seien weder geeignet noch erforderlich, um die vom Gesetzgeber verfolgten Ziele zu erreichen. Im Übrigen seien sie wegen der gravierenden Folgen auch nicht angemessen. Hinzu komme, dass auch der Schutz der Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) und die körperliche Unversehrtheit der Arbeitnehmer (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) beeinträchtigt würden.
Im Übrigen heben die Gewerkschaft ver.di und der Deutsche Gewerkschaftsbund hervor, die Eignung der vom Landesgesetzgeber getroffenen Regelung, das verfolgte Ziel zu erreichen, nämlich zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen und die wirtschaftliche Entwicklung positiv zu beeinflussen, begegne erheblichen Zweifeln. Diese Ziele seien schon bei früheren Ausweitungen der Ladenöffnungszeiten genannt, aber verfehlt worden. So habe insbesondere die Verlängerung der Ladenöffnungszeiten an Samstagen bis 20.00 Uhr seit dem Jahr 2003 bis zum Jahr 2007 lediglich zu einer Umsatzsteigerung von 0,2 % geführt. Zugleich sei die Zahl der Beschäftigten um 3,2 % zurückgegangen. Besonders gravierend sei die Entwicklung bei den Vollzeitbeschäftigten. Deren Zahl sei seit 2003 um 10,5 % gesunken, während der Anteil geringfügig entlohnter Beschäftigter um 4,9 % und der Anteil von Teilzeitbeschäftigten um 5,9 % gestiegen sei. Diese Zahlen zeigten, dass eine Verlängerung der Ladenöffnungszeiten nicht die erhofften positiven Effekte nach sich ziehe. Die Veränderung der Öffnungszeiten habe keine Erhöhung des Konsums zur Folge, verursache aber höhere Betriebskosten. Regelmäßig würden diese durch Einsparungen bei den Personalkosten kompensiert, was zu einer Ausweitung geringfügig entlohnter Beschäftigung zulasten sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung führe. Im Ergebnis würden lediglich die Kundenströme verlagert, zugunsten der großen Einkaufszentren und der Innenstädte von Großstädten, zulasten kleinerer Einzelhandelsgeschäfte und der Geschäfte in Klein- und Mittelstädten sowie in städtischen Randlagen. Ziel des Berliner Ladenöffnungsgesetzes sei gerade, die Kundenströme aus den umliegenden Gebieten abzuziehen und die Kaufkraft nach Berlin zu verlagern. Diese Konkurrenzsituation könne dazu führen, dass benachbarte Regionen zulasten des Sonn- und Feiertagsschutzes um die liberaleren Öffnungszeiten wetteiferten.
Weiter weisen die Gewerkschaften darauf hin, dass die Arbeitszeiten der Beschäftigten weit über die Öffnungszeiten der Geschäfte hinausgingen, weil die Ladenöffnung umfangreiche Vor- und Nacharbeiten erfordere. Ferner betonen sie die Bedeutung der durch die kollektiv freien Tage bewirkten gleichen Taktung des sozialen Lebens. Erst diese Synchronisation der Freizeit schaffe die Möglichkeit, sich dem Leben in der Familie, in der Ehe, den Vereinen, den Gemeinden und damit Grundelementen des sozialen Zusammenlebens zuzuwenden. Die Veränderung der Öffnungszeiten führe zu einer entsprechenden Veränderung der Rhythmizität von Arbeit und Freizeit, verbunden mit einer Desynchronisation von biologischen und sozialen Rhythmen. Die Abweichung von den Normal- und Standardarbeitszeiten führe zu einer Erhöhung des Risikos von Beeinträchtigungen im physiologischen wie im psychosozialen Bereich, und zwar nicht nur für die Betroffenen selbst, sondern auch für deren Familienangehörige.
Zur Beschäftigtenstruktur im Einzelhandel führen die Gewerkschaften aus, dass zum 31. März 2007 im Einzelhandel insgesamt – allerdings deutschlandweit – von etwa 2 Millionen Beschäftigten mehr als zwei Drittel, nämlich 1,4 Millionen, weiblich gewesen seien. Von den im Handel insgesamt (Einzel- und Großhandel) zu diesem Stichtag beschäftigten Frauen sei etwa die Hälfte jünger als 40 Jahre und rund drei Viertel jünger als 50 Jahre. Die Anzahl von beschäftigten Frauen unter 50 Jahren liege im Einzelhandel bei etwa 75 % und sei besonders groß. Diese Gruppe sei aber gerade im Hinblick auf die mit der Sonn- und Feiertagsruhe verfolgten sozialen Zwecke besonders sensibel. Personen in dieser Altersgruppe hätten typischerweise häufig Kinder, die noch nicht volljährig und selbständig seien. Traditionell komme der größere Teil der Kinderbetreuung und der Versorgung des Haushaltes noch immer den Frauen zu. Sie seien daher in besonderer Weise betroffen.
Schließlich weisen die Gewerkschaften auch auf die Folgen der Sonn- und Feiertagsöffnung für andere Bereiche hin, etwa in der Zulieferindustrie und im Bereich der Infrastruktur. Besonders kritisch sehen die Gewerkschaften die Ladenöffnung an den Adventssonntagen. Die Beschäftigten im Einzelhandel bedürften gerade in der Vorweihnachtszeit wegen der besonderen Belastungen durch das Weihnachtsgeschäft noch dringlicher der Erholungsphase am Wochenende.
Die angegriffenen Regelungen seien nach allem weder geeignet noch erforderlich, die vom Landesgesetzgeber verfolgten Ziele zu erreichen. Sie seien unverhältnismäßig, weil die mit der Öffnung an Sonn- und Feiertagen verbundenen Folgen so gravierend seien, dass die verfolgten Ziele solche Ausnahmen nicht rechtfertigen könnten. Neben der Religionsfreiheit sei zugleich der Schutz der Familie im Sinne des Art. 6 Abs. 1 GG gefährdet und der Schutz der körperlichen Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG beeinträchtigt.
17. Die sachkundigen Auskunftspersonen Professor Dr. Knauth und Professor Dr. Nachreiner haben zu den Auswirkungen von Sonn- und Feiertagsarbeit auf die Beschäftigten und deren Angehörige aus arbeits- und sozialwissenschaftlicher Sicht Stellungnahmen abgegeben.
IV.
In der mündlichen Verhandlung haben sich geäußert: die Beschwerdeführer, das Abgeordnetenhaus und der Senat von Berlin, der Handelsverband Berlin-Brandenburg e.V., die Bundesarbeitsgemeinschaft der Mittel- und Großbetriebe des Einzelhandels e.V., der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels, die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, die Deutsche Bischofskonferenz und der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland sowie die sachkundigen Auskunftspersonen Professor Dr. Knauth und Professor Dr. Nachreiner.
Die Vertreter des Abgeordnetenhauses und des Senats von Berlin haben die Ansicht vertreten, dass das Berliner Ladenöffnungsgesetz den Sonntagsschutz gegenüber der Rechtslage nach dem Ladenschlussgesetz des Bundes nicht verschlechtert, sondern sogar verstärkt habe. Denn die Bezirksämter hätten nach früherer Rechtslage gestützt auf § 23 LadSchlG zahlreiche Ausnahmen vom Verbot der Ladenöffnung an Sonn- und Feiertagen zugelassen. Die neue gesetzliche Regelung sehe eine solche allgemeine Ausnahmeregelung hingegen nicht vor. Im neuen Gesetz habe man die Zahl der für eine Freigabe offenen Sonn- und Feiertage auf eine absolute Höchstzahl begrenzt und zudem die Schwierigkeiten und Unwägbarkeiten, welche die Anwendung des § 23 LadSchlG mit sich gebracht habe, beseitigt.
Entscheidungsgründe
B.
Die zulässigen Verfassungsbeschwerden haben in der Sache teilweise Erfolg.
I.
Die Verfassungsbeschwerden sind zulässig. Die beschwerdeführenden, öffentlichrechtlich verfassten Religionsgemeinschaften sind beschwerdefähig und beschwerdebefugt (1.). Das Gebot der Rechtswegerschöpfung steht der Zulässigkeit nicht entgegen (2.).
1. Die Beschwerdeführer sind als juristische Personen ungeachtet ihrer öffentlichrechtlichen Organisationsform hinsichtlich des Grundrechts der Religionsfreiheit beschwerdefähig (vgl. BVerfGE 42, 312 ≪321 f.≫; 53, 366 ≪387 f.≫) und auch beschwerdebefugt. Sie machen geltend, durch die angegriffenen Normen in einem verfassungsbeschwerdefähigen Recht (vgl. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG), nämlich in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG in Verbindung mit Art. 140 GG und Art. 139 WRV selbst, unmittelbar und gegenwärtig verletzt zu sein. Dies erscheint als möglich (vgl. BVerfGE 94, 49 ≪84≫; siehe auch BVerfGE 28, 17 ≪19≫; 52, 303 ≪327≫; 65, 227 ≪232 f.≫; 89, 155 ≪171≫).
a) Ein Betroffensein in einem eigenen Grundrecht wäre von vornherein ausgeschlossen, wenn auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits entwickelte Grundsätze zur Reichweite des Grundrechts der Beschwerdeführer aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG angewandt werden könnten und auf deren Grundlage eine Verletzung dieses Grundrechts in Verbindung mit Art. 140 GG und Art. 139 WRV ohne weiteres zu verneinen wäre (vgl. BVerfGE 110, 274 ≪287 ff.≫ zu Art. 12 Abs. 1 GG). Die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung ist hingegen dann gegeben, wenn die Verfassungsbeschwerde eine bislang vom Bundesverfassungsgericht noch nicht entschiedene, offene verfassungsrechtliche Frage aufwirft (vgl. BVerfGE 94, 49 ≪84≫; Magen, in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, 2. Aufl., § 92 Rn. 50), die die Annahme eines verfassungsbeschwerdefähigen Rechts jedenfalls nicht von vornherein ausschließt. Das ist hier hinsichtlich der Frage eines etwaigen Überwirkens der objektivrechtlichen Schutzgarantie des Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 139 WRV auf das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG im Sinne einer Konkretisierung und Stärkung des Grundrechtsschutzes der Fall.
Die Beschwerdeführer werfen die Frage auf, ob und inwieweit sich Religionsgemeinschaften im Wege einer Verfassungsbeschwerde auf die verfassungsrechtliche Sonn- und Feiertagsgarantie des Art. 139 WRV berufen können. Es handelt sich hierbei um einen in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts noch nicht geklärten Problemkreis, da bislang nur die Wirkung des Art. 139 WRV gegenüber Grundrechtsträgern beurteilt wurde, die sich in ihrer Berufsausübungsfreiheit eingeschränkt sahen und denen an Ausnahmen vom Sonn- und Feiertagsschutz gelegen war (vgl. BVerfGE 111, 10). Daneben wurde in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts lediglich ausgesprochen, dass Art. 140 GG selbst keine Grundrechtsqualität beizumessen ist (vgl. BVerfGE 19, 129 ≪135≫; siehe dazu auch BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 18. September 1995 – 1 BvR 1456/95 –, NJW 1995, S. 3378 f.). Offen geblieben ist bisher aber, ob und inwieweit gerade Art. 139 WRV im Zusammenwirken mit Art. 4 Abs. 1 und 2 GG oder anderen Grundrechten Religionsgemeinschaften oder anderen Betroffenen eine Durchsetzung des Sonn- und Feiertagsschutzes ermöglicht. Unbeantwortet ist weiter, ob und inwieweit der Schutzgehalt eines Grundrechts – hier des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG – durch den Sonntagsschutz des Art. 139 WRV (i.V.m. Art. 140 GG) konkretisiert und verstärkt werden kann und dabei die Gewährleistungen der Arbeitsruhe und der Möglichkeit zu seelischer Erhebung in die Bestimmung des Schutzgehalts der Grundrechtsnorm einzubeziehen sind. Bejahendenfalls stellt sich die bislang ebenso ungeklärte Frage, ob es gerade wegen der Bedeutung des Sonntagsschutzes für die Ladenöffnung konkrete, auch grundrechtsverbürgte Grenzen für diese gibt und wo sie verlaufen.
Das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG steht auch den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu (vgl. nur BVerfGE 24, 236). Schon nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind die Gewährleistungen der Weimarer Kirchenartikel funktional auf die Inanspruchnahme und Verwirklichung des Grundrechts der Religionsfreiheit angelegt (vgl. BVerfGE 102, 370 ≪387≫).
Danach erscheint eine Verletzung der Beschwerdeführer in einem durch die Gewährleistung des Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 139 WRV konkretisierten Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG durch die gesetzliche Erweiterung der Ladenöffnungsmöglichkeiten an Sonn- und Feiertagen als möglich.
b) Die Beschwerdeführer haben überdies auch hinreichend dargelegt, selbst betroffen zu sein, obgleich sie nicht unmittelbar Adressaten der landesgesetzlichen Regelungen über die Verkaufsstellenöffnung sind. Aus ihrem Vortrag ergibt sich die Möglichkeit eines rechtlich erheblichen Nachteils auch für sie. Geöffnete Läden und eine Inanspruchnahme des Sonn- oder Feiertages seitens der Beschwerdeführer zum Zwecke der seelischen Erhebung schließen sich zwar nicht gänzlich aus. So können auch während der Ladenöffnungszeiten Gottesdienste oder andere religiöse Veranstaltungen abgehalten oder diese gegebenenfalls auf Tageszeiten verlegt werden, zu denen die Geschäfte noch nicht oder nicht mehr geöffnet haben. Eine Selbstbetroffenheit der Beschwerdeführer kommt aber unter dem Gesichtspunkt in Betracht, dass sich durch die in Rede stehenden Ladenöffnungszeiten generell der Charakter der Sonn- und Feiertage als Tage der Arbeitsruhe, aber auch der Besinnung verändert, weil diese Tage auch in ihrer Ganzheit als Tage der Ruhe und der seelischen Erhebung religiöse Bedeutung für die Beschwerdeführer haben („… am siebten Tage sollst Du ruhen, …”; vgl. in der Bibel Ex 23, 12; dazu weiter Dtn 5, 12-14 und in den Zehn Geboten Ex 20, 8-11). Das gilt jedenfalls auf der Grundlage der Annahme einer Konkretisierung des Schutzgehalts des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG durch Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 139 WRV, auf die sich die Beschwerdeführer berufen.
c) Die Beschwerdeführer sind durch die in Rede stehenden Normen zudem gegenwärtig betroffen, weil das Berliner Ladenöffnungsgesetz in Kraft ist. Die unmittelbare Betroffenheit der Beschwerdeführer folgt daraus, dass die angegriffenen Vorschriften über die Möglichkeit der Verkaufsstellenöffnung an den Adventssonntagen (§ 3 Abs. 1 Alternative 2 BerlLadÖffG) keines weiteren Vollzugsaktes bedürfen, also so genannte selbstvollziehende Gesetzesnormen sind (vgl. BVerfGE 109, 279 ≪306 f.≫ m.w.N.). Das gilt auch für die Bestimmungen in § 4 Abs. 1 Nr. 4 und Abs. 2 Nr. 1 BerlLadÖffG. Soweit die Regelungen des § 6 Abs. 1 und 2 BerlLadÖffG jeweils noch einer Umsetzung bedürfen, also einer Allgemeinverfügung oder einer vorherigen Anzeige mit folgender Duldung seitens der Verwaltung, steht dies der Annahme unmittelbaren Betroffenseins nicht entgegen. Von den Anzeigen der Verkaufsstellen werden die Beschwerdeführer zumeist nicht rechtzeitig Kenntnis erlangen. Angesichts der Kumulation der im Gesetz an verschiedenen Stellen angelegten Ladenöffnungsmöglichkeiten an Sonn- und Feiertagen ist eine unmittelbare Betroffenheit auch durch § 6 Abs. 1 BerlLadÖffG kraft Sachzusammenhangs gegeben.
2. Das Gebot der Rechtswegerschöpfung (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG) und der Grundsatz der Subsidiarität stehen der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerden nicht entgegen.
a) Gegen die „selbstvollziehenden” Bestimmungen der § 3 Abs. 1 Alternative 2, § 4 Abs. 1 Nr. 4 und Abs. 2 Nr. 1 BerlLadÖffG, welche die Öffnungen an den vier Adventssonntagen sowie für den Verkauf von leicht verderblichem Obst und Gemüse und für einen auf den Sonntag fallenden Heiligabend betreffen, ist für die Beschwerdeführer kein wirkungsvoller Rechtsschutz außerhalb des Verfassungsbeschwerdeverfahrens gegeben.
b) Hinsichtlich der Regelung der mit einer Anzeigepflicht verbundenen Befugnis der Verkaufsstellen zur Öffnung aus besonderem Anlass (§ 6 Abs. 2 BerlLadÖffG) besteht ebenso wenig ein wirkungsvoller fachgerichtlicher Rechtsschutz. Die erforderlichen Anzeigen, die sechs Tage vor der beabsichtigten Ladenöffnung zu erfolgen haben, müssen den Beschwerdeführern nicht zur Kenntnis gebracht werden.
c) Wegen der Möglichkeit, vier Sonn- und Feiertage durch Allgemeinverfügung aufgrund des § 6 Abs. 1 BerlLadÖffG für die Verkaufsstellenöffnung freizugeben, ist den Beschwerdeführern eine Verweisung auf den fachgerichtlichen Rechtsweg nicht zumutbar. Sie erstreben eine verfassungsgerichtliche Überprüfung des Normenkomplexes der § 3 Abs. 1 Alternative 2, § 4 Abs. 1 Nr. 4 und Abs. 2 Nr. 1, § 6 Abs. 1 und 2 BerlLadÖffG insgesamt; die anderen Vorschriften können aber nicht ohne den damit im Sachzusammenhang stehenden § 6 Abs. 1 BerlLadÖffG erschöpfend beurteilt werden.
II.
Die Verfassungsbeschwerden sind teilweise begründet. Das Schutzkonzept, das den Regelungen zur Ladenöffnung an Sonn- und Feiertagen im Land Berlin zugrunde liegt, wird der Schutzverpflichtung des Landesgesetzgebers aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG in seiner Konkretisierung durch Art. 139 WRV (i.V.m. Art. 140 GG) nicht hinreichend gerecht.
Das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG wird in seiner Bedeutung als Schutzverpflichtung des Gesetzgebers (1.) durch den objektivrechtlichen Schutzauftrag für den Sonn- und Feiertagsschutz aus Art. 139 WRV (i.V.m. Art. 140 GG) konkretisiert, der neben seiner weltlich-sozialen Bedeutung in einer religiös-christlichen Tradition wurzelt (2.). Danach ist ein Mindestniveau des Schutzes der Sonntage und der gesetzlich anerkannten – hier der kirchlichen – Feiertage durch den Gesetzgeber zu gewährleisten (3.). Dem genügt das Berliner Sonn- und Feiertagsschutzkonzept nicht in jeder Hinsicht. Die dort vorgesehene Möglichkeit der Ladenöffnung an allen vier Adventssonntagen ist mit den Mindestanforderungen an einen auch grundrechtsverbürgten Schutz nicht mehr in Einklang zu bringen. Die Regelung über die Öffnung aufgrund Allgemeinverfügung an vier weiteren Sonn- und Feiertagen trägt nur bei einschränkender Auslegung den Erfordernissen des vom Gesetzgeber zu gewährleistenden Mindestschutzes Rechnung (4.). Im Übrigen halten die angegriffenen Bestimmungen im Rahmen des vom Landesgesetzgeber verfolgten Schutzkonzepts verfassungsrechtlicher Prüfung stand (5.).
1. Das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG ist hier in seiner Bedeutung als Schutzverpflichtung des Staates betroffen.
Das Berliner Ladenöffnungsgesetz greift weder gezielt in die Religionsfreiheit der Beschwerdeführer ein, noch liegt in den verschiedenen Bestimmungen und Optionen zur Ladenöffnung an Sonn- und Feiertagen das „funktionale Äquivalent” eines Eingriffs. Es richtet sich mit den hier angegriffenen Vorschriften an die Verkaufsstelleninhaber und eröffnet diesen Möglichkeiten zur Ladenöffnung an Sonn- und Feiertagen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erschöpft sich der Grundrechtsschutz nicht in seinem klassischen Gehalt als subjektives Abwehrrecht gegenüber staatlichen Eingriffen. Aus Grundrechten ist vielmehr auch eine Schutzpflicht des Staates für das geschützte Rechtsgut abzuleiten, deren Vernachlässigung von dem Betroffenen mit der Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden kann (vgl. BVerfGE 92, 26 ≪46≫; ähnlich BVerfGE 56, 54 ≪80 f.≫; 77, 170 ≪215≫; 79, 174 ≪202≫). Auch die Religionsfreiheit beschränkt sich nicht auf die Funktion eines Abwehrrechts, sondern gebietet auch im positiven Sinn, Raum für die aktive Betätigung der Glaubensüberzeugung und die Verwirklichung der autonomen Persönlichkeit auf weltanschaulich-religiösem Gebiet zu sichern (vgl. BVerfGE 41, 29 ≪49≫). Diese Schutzpflicht trifft den Staat auch gegenüber den als Körperschaften des öffentlichen Rechts verfassten Religionsgemeinschaften.
Der Staat muss dieser Schutzpflicht durch hinreichende Vorkehrungen genügen. Aus einer grundrechtlichen Schutzpflicht folgt in der Regel indessen keine bestimmte Handlungsvorgabe. Die zuständigen staatlichen Organe, insbesondere der Gesetzgeber, haben vielmehr zunächst in eigener Verantwortung zu entscheiden, wie sie ihre Schutzpflichten erfüllen. Es ist grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, ein Schutzkonzept aufzustellen und normativ umzusetzen. Dabei kommt ihm ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu. Das Bundesverfassungsgericht kann die Verletzung einer solchen Schutzpflicht nur feststellen, wenn Schutzvorkehrungen entweder überhaupt nicht getroffen sind, wenn die getroffenen Regelungen und Maßnahmen offensichtlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind, das gebotene Schutzziel zu erreichen, oder wenn sie erheblich hinter dem Schutzziel zurückbleiben (vgl. BVerfGE 92, 26 ≪46≫; ähnlich BVerfGE 56, 54 ≪80 f.≫; 77, 170 ≪215≫; 79, 174 ≪202≫).
2. Allein aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG lässt sich keine staatliche Verpflichtung herleiten, die religiös-christlichen Feiertage und den Sonntag unter den Schutz einer näher auszugestaltenden generellen Arbeitsruhe zu stellen und das Verständnis bestimmter Religionsgemeinschaften von nach deren Lehre besonderen Tagen zugrunde zu legen. Das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG erfährt jedoch eine Konkretisierung durch die Sonn- und Feiertagsgarantie nach Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 139 WRV: Die Sonn- und Feiertagsgarantie wirkt ihrerseits als in der Verfassung getroffene Wertung auf die Auslegung und Bestimmung des Schutzgehalts von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG ein und ist deshalb auch bei der Konkretisierung der grundrechtlichen Schutzpflicht des Gesetzgebers zu beachten. Art. 139 WRV enthält einen Schutzauftrag an den Gesetzgeber (vgl. BVerfGE 87, 363 ≪393≫), der im Sinne der Gewährleistung eines Mindestschutzniveaus dem Grundrechtsschutz aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG insoweit Gehalt gibt.
a) Art. 4 GG garantiert in Absatz 1 die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses, in Absatz 2 das Recht der ungestörten Religionsausübung. Beide Absätze des Art. 4 GG enthalten ein umfassend zu verstehendes einheitliches Grundrecht (vgl. BVerfGE 24, 236 ≪245 f.≫; 32, 98 ≪106≫; 44, 37 ≪49≫; 83, 341 ≪354≫; 108, 282 ≪297≫), das auch die Religionsfreiheit der Korporationen umfasst (vgl. BVerfGE 19, 129 ≪132≫; 24, 236 ≪245≫; 83, 341 ≪354 f.≫).
Bei der näheren Bestimmung des Schutzgehalts des Grundrechts aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG ist auch an die Schutzgarantie des Art. 139 WRV für den Sonn- und Feiertagsschutz anzuknüpfen. Die durch Art. 140 GG aufgenommenen Vorschriften der Weimarer Reichsverfassung und somit auch Art. 139 WRV sind von gleicher Normqualität wie die sonstigen Bestimmungen des Grundgesetzes (vgl. BVerfGE 111, 10 ≪50≫ m.w.N.). Bei der Sonn- und Feiertagsgarantie handelt es sich zwar nicht um ein Grundrecht oder grundrechtsgleiches Recht (vgl. BVerfGE 19, 129 ≪135≫; 19, 206 ≪218≫). Die Gewährleistungen der so genannten Weimarer Kirchenartikel sind aber funktional auch auf die Inanspruchnahme und Verwirklichung des Grundrechts der Religionsfreiheit angelegt (vgl. BVerfGE 42, 312 ≪322≫; 102, 370 ≪387≫). Die inkorporierten Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung, die mit dem Grundgesetz ein organisches Ganzes bilden (vgl. BVerfGE 66, 1 ≪22≫; 70, 138 ≪167≫), regeln das Grundverhältnis zwischen Staat und Kirche (vgl. BVerfGE 42, 312 ≪322≫). Es ist anerkannt, dass zumindest Teilaspekte dieses Grundverhältnisses auch von Art. 4 GG erfasst werden (vgl. BVerfGE 42, 312 ≪322≫). Im Kontext des Grundgesetzes sind die Kirchenartikel auch ein Mittel zur Entfaltung der Religionsfreiheit der korporierten Religionsgemeinschaften (vgl. BVerfGE 102, 370 ≪387≫ zu Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV; siehe auch BVerfGE 99, 100 ≪119 ff.≫ zu Art. 138 Abs. 2 WRV).
b) Die funktionale Ausrichtung der so genannten Weimarer Kirchenartikel auf die Inanspruchnahme des Grundrechts aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gilt auch für die Gewährleistung der Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung in Art. 139 WRV, obgleich in dieser Norm selbst der religiös-christliche Bezug nicht ausdrücklich erwähnt wird. Art. 139 WRV hat nach seiner Entstehungsgeschichte, seiner systemischen Verankerung in den Kirchenartikeln und seinen Regelungszwecken neben seiner weltlich-sozialen auch eine religiös-christliche Bedeutung. Er sichert mit seinem Schutz eine wesentliche Grundlage für die Rekreationsmöglichkeiten des Menschen und zugleich für ein soziales Zusammenleben und ist damit auch Garant für die Wahrnehmung von Grundrechten, die der Persönlichkeitsentfaltung dienen. Er erweist sich so als verfassungsverankertes Grundelement sozialen Zusammenlebens und staatlicher Ordnung und ist als Konnexgarantie zu verschiedenen Grundrechten zu begreifen. Die Gewährleistung von Tagen der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung ist darauf ausgerichtet, den Grundrechtschutz – auch im Sinne eines Grundrechtsvoraussetzungsschutzes – zu stärken und konkretisiert insofern die aus den jeweils einschlägigen Grundrechten folgenden staatlichen Schutzpflichten (vgl. Häberle, Der Sonntag als Verfassungsprinzip, 2. Aufl. 2006, S. 63 f., 70).
Schon die Entstehungsgeschichte der Vorschrift lässt die Verknüpfung der tradierten religiösen und sozialen Aspekte des Sonn- und Feiertagsschutzes zutage treten. Bei der Einbringung in der Weimarer Nationalversammlung hob der Berichterstatter, der Abgeordnete Mausbach (Zentrumspartei), hervor, die Bestimmung schütze die „öffentliche Sitte” und die christliche Tradition und Religionsausübung. Die großen geschichtlichen Bestandteile der Kultusausübung enthielten aber auch wertvolle Freiheitsrechte für die Einzelnen; und gerade diese Seite der Sonntagsruhe, die „Schonung der Freiheit” und der „sozialen Gleichwertigkeit aller Klassen”, sei darin angesprochen (vgl. Heilfron, Die Deutsche Nationalversammlung im Jahre 1919, 6. Band, 1920, S. 4007). Der Religionsbezug des Art. 139 WRV wird bestätigt durch seine Stellung im Grundrechtsteil der Weimarer Reichsverfassung unter der Abschnittsüberschrift „Religion und Religionsgesellschaften”. Die Inkorporation der Weimarer Kirchenartikel in das Grundgesetz war letztlich ein Kompromiss, bei dessen Findung der überkommene Gewährleistungsgehalt des Art. 139 WRV nicht mehr zur Debatte stand. Damit setzte sich im Ergebnis die motivische Allianz zwischen religions- und arbeitsverfassungspolitischen Bestrebungen fort, die schon das Zustandekommen des Art. 139 WRV bestimmt hatte (vgl. Korioth, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 139 WRV Rn. 9 f.).
Art. 139 WRV ist damit ein religiöser, in der christlichen Tradition wurzelnder Gehalt eigen, der mit einer dezidiert sozialen, weltlich-neutral ausgerichteten Zwecksetzung einhergeht.
c) Soweit Art. 139 WRV an den Sonntag und an die staatlich anerkannten religiösen Feiertage in ihrer überkommenen christlichen Bedeutung als arbeitsfreie Ruhetage anknüpft, deckt er sich im lebenspraktischen Ergebnis in seinen Wirkungen weitgehend mit der sozialen Bedeutung der Sonn- und Feiertagsgarantie. Er hat insoweit seine Wurzeln im jüdischen Sabbat (Samstag). Das jüdische Verständnis des Sabbats als heiliger Ruhetag wurde später auf den Sonntag übertragen (vgl. Bergholz, in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. XXXI, 2000, Artikel Sonntag, S. 451 ff.).
In der neuzeitlichen Interpretation durch die großen öffentlichrechtlich verfassten christlichen Religionsgemeinschaften kommt dem Sonntag und den religiös-christlichen Feiertagen auch die Aufgabe zu, Schutz vor einer weitgehenden Ökonomisierung des Menschen zu bieten. So heißt es etwa im Katechismus der Katholischen Kirche (Rn. 2172), der Sonntag unterbreche den Arbeitsalltag und gewähre eine Ruhepause; er sei ein Tag des Protestes gegen die „Fron der Arbeit” und die „Vergötzung des Geldes”. Das Leben der Menschen erhalte durch die Arbeit und die Ruhe seinen Rhythmus (Rn. 2184). Im Evangelischen Erwachsenenkatechismus (6. Aufl. 2000) wird hervorgehoben, der Mensch und die Gesellschaft brauchten den Sonntag, um zu erfahren, dass Produktion und Rentabilität nicht den Sinn des Lebens ausmachten. Nach diesem Verständnis ist der „Rhythmus von Arbeit und Ruhe” ein „zentraler Rhythmus der christlich-jüdischen Kultur” (S. 424 f., S. 457).
d) Mit der Gewährleistung rhythmisch wiederkehrender Tage der Arbeitsruhe konkretisiert Art. 139 WRV überdies das Sozialstaatsprinzip. Unter diesem Gesichtspunkt hat er weitergehende grundrechtliche Bezüge. Die Sonn- und Feiertagsgarantie fördert und schützt nicht nur die Ausübung der Religionsfreiheit. Die Arbeitsruhe dient darüber hinaus der physischen und psychischen Regeneration und damit der körperlichen Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG). Die Statuierung gemeinsamer Ruhetage dient dem Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG). Auch die Vereinigungsfreiheit lässt sich so effektiver wahrnehmen (Art. 9 Abs. 1 GG). Der Sonn- und Feiertagsgarantie kann schließlich ein besonderer Bezug zur Menschenwürde beigemessen werden, weil sie dem ökonomischen Nutzendenken eine Grenze zieht und dem Menschen um seiner selbst willen dient.
Die soziale Bedeutung des Sonn- und Feiertagsschutzes und mithin der generellen Arbeitsruhe im weltlichen Bereich resultiert wesentlich aus der – namentlich durch den Wochenrhythmus bedingten – synchronen Taktung des sozialen Lebens. Während die Arbeitszeit- und Arbeitsschutzregelungen jeweils für den Einzelnen Schutzwirkung entfalten, ist der zeitliche Gleichklang einer für alle Bereiche regelmäßigen Arbeitsruhe ein grundlegendes Element für die Wahrnehmung der verschiedenen Formen sozialen Lebens. Das betrifft vor allem die Familien, insbesondere jene, in denen es mehrere Berufstätige gibt, aber auch gesellschaftliche Verbände, namentlich die Vereine in den unterschiedlichen Sparten. Daneben ist im Auge zu behalten, dass die Arbeitsruhe an Sonn- und Feiertagen auch für die Rahmenbedingungen des Wirkens der politischen Parteien, der Gewerkschaften und sonstiger Vereinigungen bedeutsam ist und sich weiter, freilich im Verbund mit einem gesamten „freien Wochenende”, auch auf die Möglichkeiten zur Abhaltung von Versammlungen auswirkt. Ihr kommt mithin auch erhebliche Bedeutung für die Gestaltung der Teilhabe im Alltag einer gelebten Demokratie zu. Sinnfällig kommt das dadurch zum Ausdruck, dass nach der einfachrechtlichen Ausgestaltung der Tag der Wahlen ein Sonntag oder gesetzlicher Feiertag sein muss (vgl. § 16 Satz 2 Bundeswahlgesetz).
Darüber hinaus eröffnet die generelle Arbeitsruhe an Sonn- und Feiertagen dem Einzelnen die Möglichkeit der physischen und psychischen Regeneration. Aus arbeitswissenschaftlicher Sicht wird dem wesentliche Bedeutung für das individuelle Wohlbefinden und die gesundheitliche Stabilität beigemessen, wie die sachkundigen Auskunftspersonen Professor Dr. Peter Knauth und Professor Dr. Friedhelm Nachreiner in der mündlichen Verhandlung fundiert ausgeführt haben.
e) Neben dieser anhand des Regelungszwecks bestimmten Bedeutung für den Schutz der Grundrechte wird der Charakter des Art. 139 WRV als Konnexgarantie dadurch unterstrichen, dass verfassungsrechtliche Institutsgarantien ohnehin in ihrem jeweils spezifischen Gehalt auf Grundrechtsstärkung ausgerichtet sind. Da die Verfassung insgesamt als ein teleologisches Sinngebilde erscheint (vgl. BVerfGE 19, 206 ≪220≫) und der Sonn- und Feiertagsschutz in Art. 139 WRV zudem als verfassungsrechtliche Wertung zu begreifen ist, ist dieser Schutzauftrag an den Gesetzgeber bei der Konkretisierung seiner grundrechtsverankerten Schutzpflichten heranzuziehen.
f) Die Pflicht des Staates zu weltanschaulich-religiöser Neutralität steht einer Konkretisierung des Schutzgehalts des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG durch Art. 139 WRV nicht entgegen. Denn die Verfassung selbst unterstellt den Sonntag und die Feiertage, soweit sie staatlich anerkannt sind, einem besonderen staatlichen Schutzauftrag und nimmt damit eine Wertung vor, die auch in der christlich-abendländischen Tradition wurzelt und kalendarisch an diese anknüpft. Wenn dies den christlichen Religionsgemeinschaften einen grundrechtsverankerten Mindestschutz der Sonntage und ihrer staatlich anerkannten Feiertage vermittelt, so ist dies in der Wertentscheidung des Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 139 WRV angelegt. Im Übrigen können sich auf diesen Schutz auch andere Grundrechtsträger im Rahmen ihrer Grundrechtsverbürgungen berufen.
g) Der objektivrechliche Schutzauftrag, der in der Sonn- und Feiertagsgarantie begründet ist (Art. 139 WRV), ist mithin auf die Stärkung des Schutzes derjenigen Grundrechte angelegt, die in besonderem Maße auf Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung angewiesen sind. Dies trifft sich mit der Schutzpflicht, die auch aus den Grundrechten selbst dem Staat und seinen Organen erwächst. Der Schutzauftrag des Art. 139 WRV (i.V.m. Art. 140 GG) löst damit nicht nur die Schutzfunktion der Grundrechtsverbürgung des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG in Bezug auf den Sonn- und Feiertagsschutz aus; darüber hinaus konkretisiert er auch inhaltlich die materiellen Vorgaben für die Ausgestaltung des grundrechtlich gebotenen Mindestschutzniveaus für die Sonn- und Feiertage durch den Gesetzgeber.
3. Der Gesetzgeber verletzt die sich aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG ergebende Schutzpflicht, wenn er die aus Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 139 WRV folgenden Mindestanforderungen an den Sonn- und Feiertagsschutz unterschreitet.
a) Charakter und Umfang der Schutzgarantie des Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 139 WRV haben durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schon bisher eine Konkretisierung erfahren:
Art. 139 WRV enthält einen Schutzauftrag an den Gesetzgeber (vgl. BVerfGE 87, 363 ≪393≫), der für die Arbeit an Sonn- und Feiertagen unter anderem ein Regel-Ausnahme-Verhältnis statuiert (vgl. BVerfGE 87, 363 ≪393≫; 111, 10 ≪53≫). Grundsätzlich hat die typische „werktägliche Geschäftigkeit” an Sonn- und Feiertagen zu ruhen. Der verfassungsrechtlich garantierte Sonn- und Feiertagsschutz ist nur begrenzt einschränkbar. Ausnahmen von der Sonn- und Feiertagsruhe sind zur Wahrung höher- oder gleichwertiger Rechtsgüter möglich; in jedem Falle muss der ausgestaltende Gesetzgeber aber ein hinreichendes Niveau des Sonn- und Feiertagsschutzes wahren (vgl. BVerfGE 111, 10 ≪50≫).
Im Einzelnen gilt insoweit: Der Schutz der Sonn- und Feiertage wird in Art. 139 WRV als gesetzlicher Schutz beschrieben. Dies bedeutet, dass die Institution des Sonn- und Feiertags unmittelbar durch die Verfassung garantiert ist, die Art und das Ausmaß des Schutzes aber einer gesetzlichen Ausgestaltung bedürfen. Der Gesetzgeber darf in seinen Regelungen auch andere Belange als den Schutz der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung zur Geltung bringen. Ihm ist deshalb ein Ausgleich zwischen Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 139 WRV einerseits und Art. 12 Abs. 1, aber auch Art. 2 Abs. 1 GG anderseits aufgegeben (vgl. BVerfGE 111, 10 ≪50≫).
Der Schutz des Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 139 WRV ist nicht auf einen religiösen oder weltanschaulichen Sinngehalt der Sonn- und Feiertage beschränkt. Umfasst ist zwar die Möglichkeit der Religionsausübung an Sonn- und Feiertagen. Die Regelung zielt in der säkularisierten Gesellschafts- und Staatsordnung aber auch auf die Verfolgung profaner Ziele wie die der persönlichen Ruhe, Besinnung, Erholung und Zerstreuung. An den Sonn- und Feiertagen soll grundsätzlich die Geschäftstätigkeit in Form der Erwerbsarbeit, insbesondere der Verrichtung abhängiger Arbeit, ruhen, damit der Einzelne diese Tage allein oder in Gemeinschaft mit anderen ungehindert von werktäglichen Verpflichtungen und Beanspruchungen nutzen kann. Geschützt ist damit der allgemein wahrnehmbare Charakter des Tages, dass es sich grundsätzlich um einen für alle verbindlichen Tag der Arbeitsruhe handelt. Die gemeinsame Gestaltung der Zeit der Arbeitsruhe und seelischen Erhebung, die in der sozialen Wirklichkeit seit jeher insbesondere auch im Freundeskreis, einem aktiven Vereinsleben und in der Familie stattfindet, ist insoweit nur dann planbar und möglich, wenn ein zeitlicher Gleichklang und Rhythmus, also eine Synchronität, sichergestellt ist. Auch insoweit kommt gerade dem Sonntag im Sieben-Tage-Rhythmus und auch dem jedenfalls regelhaft landesweiten Feiertagsgleichklang besondere Bedeutung zu. Diese gründet darin, dass die Bürger sich an Sonn- und Feiertagen von der beruflichen Tätigkeit erholen und das tun können, was sie individuell für die Verwirklichung ihrer persönlichen Ziele und als Ausgleich für den Alltag als wichtig ansehen. Die von Art. 139 WRV ebenfalls erfasste Möglichkeit seelischer Erhebung soll allen Menschen unbeschadet einer religiösen Bindung zuteil werden (vgl. BVerfGE 111, 10 ≪51≫).
b) Der Gesetzgeber kann bei dem Ausgleich gegenläufiger Schutzgüter im Rahmen seines Gestaltungsspielraums auf eine geänderte soziale Wirklichkeit, insbesondere auf Änderungen im Freizeitverhalten, Rücksicht nehmen. Allerdings führt der Schutz der Verwirklichung von Freizeitwünschen der Bürger insoweit zu einem Konflikt, als diese auf die Bereitstellung von Leistungen angewiesen sind, die den Arbeitseinsatz der Anbieter solcher Leistungen erfordern.
Einfachrechtlich werden schon seit jeher an Sonn- und Feiertagen Arbeiten gestattet, die aus gesellschaftlichen oder technischen Gründen notwendig sind. Diese Arbeiten „trotz des Sonn- und Feiertags” sind in Grenzen durchaus zulässig. So ist anerkannt, dass etwa zum Schutz von Grundrechten und sonst gewichtigen Rechtsgütern der Bürger oder der Gemeinschaft in Rettungsdiensten, bei Feuerwehr, Polizei, in der gesamten medizinischen Versorgung, für die Aufrechterhaltung der Infrastruktur – neben der Energieversorgung auch die Sicherung der Mobilität (Autostraßen, Bahnen, Busse, Luftverkehr) – an Sonn- und Feiertagen gearbeitet werden darf. In diesen Bereich fallen auch die vielfältigen Notdienste der unterschiedlichen Branchen und die Ausnahmen im industriellen Bereich aus produktionstechnischen Gründen. Für die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Vergleich und damit aus beschäftigungspolitischen Erwägungen ist schließlich im Bereich der Industrie eine Ausnahme vom Sonntagsschutz seit langem akzeptiert, zumal diese der öffentlichen Wahrnehmung weitgehend entzogen ist und ihr damit kein prägender Charakter für den äußeren Ruherahmen der Sonntage zukommt (vgl. nur die Ausnahmeregelungen in § 10 Abs. 1 Nr. 14 bis 16 und Abs. 2 sowie insbesondere in § 13 Abs. 1, 4 und 5 Arbeitszeitgesetz – ArbZG). Dem entspricht, dass etwa der öffentlich wahrnehmbare Schwerlastverkehr aufgrund verkehrsrechtlicher Bestimmung als Ausdruck des Sonntagsschutzes grundsätzlich ruht, es aber auch hier Ausnahmen gibt (vgl. § 30 Abs. 3 Straßenverkehrs-Ordnung). Neben diesen Feldern der „Arbeit trotz des Sonntags” ist auch die „Arbeit für den Sonntag” anerkannt, die etwa in der Hotel- und Gastronomiebranche und im Bereich der Sicherstellung der Mobilität des Einzelnen dazu dient, den Bürgern eine individuelle Gestaltung ihres Tages der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung zu ermöglichen. Stets aber muss ein hinreichendes Niveau des Sonn- und Feiertagsschutzes gewahrt bleiben (vgl. BVerfGE 111, 10 ≪51 f.≫). Das gilt auch im Blick auf die Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG; vgl. BVerfGE 111, 10 ≪50, 52≫).
c) Auf dieser Grundlage ergibt sich, dass gesetzliche Schutzkonzepte für die Gewährleistung der Sonn- und Feiertagsruhe erkennbar diese Tage als solche der Arbeitsruhe zur Regel erheben müssen. Hinsichtlich der hier in Rede stehenden Ladenöffnung bedeutet dies, dass die Ausnahme eines dem Sonntagsschutz gerecht werdenden Sachgrundes bedarf. Ein bloß wirtschaftliches Umsatzinteresse der Verkaufsstelleninhaber und ein alltägliches Erwerbsinteresse („Shopping-Interesse”) potenzieller Käufer genügen grundsätzlich nicht, um Ausnahmen von dem verfassungsunmittelbar verankerten Schutz der Arbeitsruhe und der Möglichkeit zu seelischer Erhebung an Sonn- und Feiertagen zu rechtfertigen. Darüber hinaus müssen Ausnahmen als solche für die Öffentlichkeit erkennbar bleiben und dürfen nicht auf eine weitgehende Gleichstellung der sonn- und feiertäglichen Verhältnisse mit den Werktagen und ihrer Betriebsamkeit hinauslaufen.
Dem Regel-Ausnahme-Gebot kommt generell umso mehr Bedeutung zu, je geringer das Gewicht derjenigen Gründe ist, zu denen der Sonn- und Feiertagsschutz ins Verhältnis gesetzt wird und je weitergreifend die Freigabe der Verkaufsstellenöffnung in Bezug auf das betroffene Gebiet sowie die einbezogenen Handelssparten und Warengruppen ausgestaltet ist. Deshalb müssen bei einer flächendeckenden und den gesamten Einzelhandel erfassenden Freigabe der Ladenöffnung rechtfertigende Gründe von besonderem Gewicht vorliegen, wenn mehrere Sonn- und Feiertage in Folge über jeweils viele Stunden hin freigegeben werden sollen.
4. Die angegriffenen Regelungen des Berliner Ladenöffnungsgesetzes über die Verkaufsstellenöffnung an Sonn- und Feiertagen und die vom Landesgesetzgeber gewählte Schutzkonzeption werden diesen grundrechtlichen Schutzpflichtanforderungen aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG in Verbindung mit Art. 140 GG und Art. 139 WRV nicht in jeder Hinsicht gerecht. Die vom Landesgesetzgeber gewählte Schutzkonzeption ist zwar formell verfassungsgemäß und enthält gewichtige schützende Elemente. Sie erweist sich indessen – auch eingedenk der Weite des Gestaltungsspielraums des Landesgesetzgebers – hinsichtlich des gebotenen Mindestschutzniveaus in einem wesentlichen Teil als nicht hinreichend wirksam und bleibt insoweit hinter dem vorgegebenen Schutzziel erheblich zurück.
a) Der Berliner Landesgesetzgeber ist Adressat der grundrechtlichen Schutzpflicht; denn ihm kommt die Gesetzgebungsbefugnis für die hier in Rede stehenden Regelungen zu.
Mit der ausdrücklichen Herausnahme des Rechts des Ladenschlusses aus dem Katalog der Gegenstände der konkurrierenden Gesetzgebung in Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG im Zuge der Föderalismusreform I ist die Gesetzgebungskompetenz auf die Länder übergegangen (Art. 70 Abs. 1 GG). Kompetenzrechtlichen Zweifeln sind die angegriffenen Vorschriften nicht deshalb ausgesetzt, weil sich die konkurrierende Gesetzgebung des Bundes nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG auf das Gebiet des Arbeitsrechts einschließlich des Arbeitsschutzes erstreckt und der Bund ein Arbeitszeitgesetz erlassen hat, in § 7 BerlLadÖffG aber gleichwohl arbeitsschutzrechtliche Aspekte des Ladenschlusses geregelt sind. Der Berliner Landesgesetzgeber ist offenbar davon ausgegangen, dass die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für das Arbeitszeitrecht im Zusammenhang mit dem Ladenschluss beim Bund verblieben ist, dieser jedoch hiervon insoweit keinen Gebrauch gemacht hat (vgl. Abgeordnetenhaus Drucks 16/0015, S. 14, zu § 7 BerlLadÖffG). Die Frage der Gesetzgebungskompetenz hinsichtlich des arbeitszeitrechtlichen Regelungselements kann hier offen bleiben, weil die individuell-arbeitnehmerschützende Bestimmung des § 7 BerlLadÖffG nicht Angriffsgegenstand der Verfassungsbeschwerden ist. Selbst wenn dem Landesgesetzgeber insoweit die Gesetzgebungskompetenz fehlen würde, blieben die übrigen hier angegriffenen Bestimmungen des Gesetzes davon unberührt. Denn dann würde die – insoweit strengere – bundesrechtliche Arbeitszeitschutzregelung greifen (vgl. § 13 ArbZG) oder von der Fortgeltung der arbeitnehmerschützenden Bestimmung des § 17 LadSchlG auszugehen sein (vgl. dazu Kühling, ArbuR 2006, S. 384; Kühn, ArbuR 2006, S. 418, siehe auch Kingreen/Pieroth, NVwZ 2006, S. 1221 ≪1224≫; Horstmann, NZA 2006, S. 1246 ≪1249 f.≫).
b) Die Schutzkonzeption und die angegriffenen Regelungen des Berliner Ladenöffnungsgesetzes werden dem Grundrecht der Beschwerdeführer aus Art. 4 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit Art. 140 GG und Art. 139 WRV hinsichtlich des zu gewährleistenden Mindestschutzes nicht uneingeschränkt gerecht. Der Gesetzgeber hat zwar positive Schutzvorkehrungen getroffen, die bei der gebotenen Gesamtbetrachtung seines Konzepts mit in den Blick zu nehmen sind. Die Durchbrechungen dieses Schutzkonzepts verfehlen indessen in einem wesentlichen Teil das erforderliche Mindestniveau an Schutz.
aa) Nach dem Berliner Landesrecht genießen die Sonntage und die allgemeinen Feiertage als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung staatlichen Schutz (§ 1 Abs. 3 des Gesetzes über die Sonn- und Feiertage Berlin). An diesen Tagen sind öffentlich bemerkbare Arbeiten verboten, soweit sie nicht nach Bundes- oder Landesrecht allgemein oder im Einzelfall zugelassen sind (vgl. § 2 Feiertagsschutz-Verordnung Berlin mit weiteren Ausnahmetatbeständen). Das Berliner Ladenöffnungsgesetz sieht dementsprechend im Grundsatz vor, dass Verkaufsstellen an Sonn- und Feiertagen geschlossen sein müssen (§ 3 Abs. 2 Nr. 1 BerlLadÖffG). Damit wird der Konflikt zwischen den grundrechtlichen Positionen der Ladeninhaber (Berufsfreiheit) und Einkaufswilligen (allgemeine Handlungsfreiheit) einerseits und den Beschäftigten, den Ruhesuchenden sowie den Beschwerdeführern (Art. 2, 4 Abs. 1 und 2, Art. 6 Abs. 1 und 2 GG) andererseits im Ausgangspunkt und in der systematischen Anlage zugunsten eines grundsätzlichen Schutzes der Beschwerdeführer und anderer arbeitsruhesuchender Grundrechtsträger entschieden. Im Ansatz entspricht das – für sich betrachtet – dem Schutzauftrag des Art. 139 WRV. Auch in der Gesetzesbegründung zum Berliner Ladenöffnungsgesetz wird die Bedeutung des Sonn- und Feiertagsschutzes zur Gewährleistung der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung allgemein hervorgehoben (vgl. Abgeordnetenhaus Drucks 16/0015, S. 7 f.). Schließlich hat der Landesgesetzgeber auf eine generelle, einzelfallbezogene Ausnahmeklausel ohne Begrenzung der Zahl der ihr unterfallenden Sonn- und Feiertage verzichtet, wie sie das Bundesrecht kannte (§ 23 LadSchlG).
bb) Das Schutzkonzept des Landesgesetzgebers wird indessen durch die Ausnahmeregelungen zur Ladenöffnung an Sonn- und Feiertagen erheblich eingeschränkt. In einem wesentlichen Teil wird dadurch dem Erfordernis des Regel-Ausnahme-Verhältnisses nicht hinreichend Rechnung getragen und es bestehen insoweit keine genügenden Gründe. Im Ergebnis ist das erforderliche Mindestschutzniveau deshalb nicht gewährleistet.
(1) Bei der Einordnung und Bewertung der Durchbrechungen der Arbeitsruhe an Sonn- und Feiertagen kommt der Ladenöffnung großes Gewicht zu. Das Erreichen des Ziels des Sonntagsschutzes – des religiös wie des weltlich motivierten – setzt das Ruhen der typischen werktäglichen Geschäftigkeit voraus. Gerade die Ladenöffnung prägt aber wegen ihrer öffentlichen Wirkung den Charakter des Tages in besonderer Weise. Von ihr geht eine für jedermann wahrnehmbare Geschäftigkeits- und Betriebsamkeitswirkung aus, die typischerweise den Werktagen zugeordnet wird. Diese Wirkung wird nicht nur durch die in den Verkaufsstellen tätigen Arbeitnehmer und sonstigen Beschäftigten ausgelöst, sondern auch durch die Kunden. Sie erfasst überdies den Straßenverkehr und den öffentlichen Personennahverkehr in seiner Dichte und hat Rückwirkungen auf dessen Beschäftigte wie auch den verkehrsverursachten Lärm. Auf diese Weise bestimmt die Ladenöffnung maßgeblich das öffentliche Bild des Tages. Damit werden notwendig auch diejenigen betroffen, die weder arbeiten müssen noch einkaufen wollen, sondern Ruhe und seelische Erhebung suchen, namentlich auch die Gläubigen christlicher Religionen und die Religionsgemeinschaften selbst, nach deren Verständnis der Tag ein solcher der Ruhe und der Besinnung ist.
(2) Die Zahl der durch die Ladenöffnung an Sonn- und Feiertagen potentiell Betroffenen auf Beschäftigten- und Kundenseite sowie in so genannten Folgesparten, zum Beispiel dem innerörtlichen Verkehr, ist vergleichsweise hoch. So liegt die Zahl allein der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ausweislich der vorliegenden statistischen Erhebungen deutschlandweit im Einzelhandel um mehr als das Doppelte, in Berlin um nahezu das Doppelte über der Zahl der Beschäftigten in der Gastronomiebranche. Der Anteil der weiblichen Beschäftigten ist besonders hoch (vgl. dazu Amt für Statistik Berlin-Brandenburg, Statistischer Bericht A VI 15 – vj 4/07, Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, Juni 2008). Hinzu kommen die Selbständigen, die mithelfenden Familienangehörigen und vor allem die so genannten geringfügig Beschäftigten. Hinsichtlich der zuletzt genannten Gruppe deutet eine Studie, die von Gewerkschaftsseite publiziert worden ist, auf einen Trend hin, demzufolge die Ausweitung der Ladenöffnungszeiten den Anteil der nicht-sozialversicherungspflichtig Beschäftigten deutlich erhöht hat. Nach dieser Studie beträgt der Anteil der Frauen an der Mitarbeiterschaft der Verkaufsstellen etwa 72 % (so schon der Hinweis in BVerfGE 111, 10 ≪40≫; vgl. WABE-Institut Berlin, Hrsg. ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft, Einzelhandel – Branchendaten 2007/2008, 27. März 2008). Diese Beschäftigtenzahlen sind allerdings Gesamtzahlen. Potentiell sind zwar alle Beschäftigten von der Durchbrechung des Sonn- und Feiertagsschutzes betroffen. Real wird an freigegebenen Sonn- und Feiertagen aber stets nur ein gewisser Anteil der Beschäftigten arbeiten.
Allein schon diese beachtliche Zahl von Betroffenen belegt eine erhebliche Beeinträchtigung der grundsätzlichen Arbeitsruhe an Sonn- und Feiertagen mit breiter Öffentlichkeitswirkung, zumal wenn – wie hier – generelle, landesweite Öffnungsmöglichkeiten für alle Verkaufsstellen in Rede stehen.
(3) Durch die maximale Ausweitung der werktäglichen Öffnungszeiten auf 24 Stunden, die, wenn von ihnen Gebrauch gemacht wird, mit entsprechendem Personaleinsatz verbunden ist, gewinnt die Arbeitsruhe an Sonn- und Feiertagen noch mehr an Bedeutung und Gewicht. Mit der vollständigen Freigabe der Ladenöffnungszeiten an Werktagen einschließlich des Samstags („shop-around-the-clock”) kommt es notwendigerweise vermehrt zum Einsatz der Beschäftigten im Schicht- und Nachtbetrieb. Deshalb ist für sie trotz der arbeitszeitrechtlichen Vorschriften für den individuellen Arbeitsschutz gerade der Sonntag als einzig verbleibender Tag der Arbeitsruhe im rhythmischen Gleichklang ein solcher der Rekreation und der Möglichkeit des familiären und sozialen Zusammenseins von herausragender Bedeutung. Das gilt zumal angesichts der Beschäftigtenstruktur im Einzelhandel, in dem Frauen, die sich im Rahmen einer familiären Einbindung zu einem großen Teil nach wie vor einer Doppelbelastung in ihren Familien ausgesetzt sehen, besonders stark vertreten sind (in diesem Sinne auch schon BVerfGE 111, 10 ≪40≫).
Die Professoren Knauth und Nachreiner haben in der mündlichen Verhandlung hervorgehoben, dass die Ausweitung von Nacht- und Schichtarbeit bei gleichzeitiger Einbeziehung des Tages der allgemeinen Arbeitsruhe vermehrt zu psychosozialen Beeinträchtigungen führt. Eine Verringerung oder gar Aufgabe sozialer Beziehungen, eine reduzierte Anteilnahme am sozialen Leben und eine Veränderung der Einstellung zu sozialer, aber auch zu politischer Teilhabe, sind nicht nur bei lebensnaher Betrachtung naheliegend; sie sind auch in der Arbeitswissenschaft anerkannt. Die Desynchronisationseffekte führen zwangsläufig zu einer Verringerung der sozialen Interaktionsdichte und -qualität, die sich auch auf den Familienverband und zu betreuende Kinder auswirkt. Aus religiös-christlicher Sicht, die sich im Ergebnis von den in der weltlich-sozialen Perspektive hervorgehobenen Auswirkungen nicht wesentlich unterscheidet, wird insoweit den Sonn- und Feiertagen der Charakter als Tag der Gemeinschaft, aber auch der Besinnung durch ausgreifende Ladenöffnungsmöglichkeiten, die auch Folgesparten miterfassen, weitgehend genommen.
(4) Schließlich fällt ins Gewicht, dass der Landesgesetzgeber gerade der Berufsausübungsfreiheit der Verkaufstelleninhaber wie auch der allgemeinen Handlungsfreiheit potenzieller Kunden in weitem Umfang Rechnung getragen hat. Er hat die werktäglichen Öffnungszeiten vollständig freigegeben (24-Stunden-Öffnung) und warengruppenspezifische sowie orts- und anlassbezogene Ausnahmeregelungen getroffen, die an Sonn- und Feiertagen dem Erwerbs- und Einkaufsinteresse sowie dem Versorgungs- und Bedarfsdeckungsinteresse in hohem Maße entsprechen (vgl. § 4 Nr. 1, Nr. 2, Nr. 3, Nr. 5, § 4 Abs. 2 und 3, § 5 Nr. 2, Nr. 3 BerlLadÖffG). Dem Bedarfsdeckungs- und Versorgungsargument kommt deswegen an Sonn- und Feiertagen nur noch geringe Bedeutung zu. Auch im Hinblick auf die beschäftigungspolitischen Effekte hat sich bislang kein Hinweis auf die Gefahr eines beachtlichen Einbruchs im Einzelhandel ergeben. Die vorliegenden Erkenntnisse, etwa in der Studie des WABE-Instituts (herausgegeben von ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft, Einzelhandel – Branchendaten 2007/2008, Berlin, 27. März 2008), deuten auch unter Berücksichtigung der vom Handelsverband Berlin-Brandenburg vorgelegten Übersichten darauf hin, dass es mit der Sonntagsladenöffnung lediglich zu einer anderen Verteilung der Kundenströme und einer Optimierung und Streckung des Einsatzes der Arbeitnehmer kommt. Erkennbar verbleibt danach ein unternehmerisches Erwerbsinteresse, das sich mit dem alltäglichen Shopping-Interesse von Besuchern und Einwohnern im Land Berlin paart. Diese sind aber keine geeigneten Gründe, die es rechtfertigen könnten, das Niveau des Sonn- und Feiertagsschutzes in erheblichem Umfang abzusenken.
(5) Die Beeinträchtigung der Sonn- und Feiertagsruhe wird nicht durch den von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Mittel- und Großbetriebe des Einzelhandels erhobenen Einwand relativiert, mit der Neuregelung der Ladenöffnungszeiten sei die für gleichheitswidrig zu erachtende Bevorzugung von Einzelhändlern an privilegierten Standorten (Tankstellen, Raststätten, Flughäfen, Bahnhöfen; vgl. § 5 BerlLadÖffG) und die Bevorzugung des Online-Handels („E-Commerce”) deutlich abgemildert worden. Diese Argumentation, die letztlich auf die Forderung des Ausgleichs von Wettbewerbsnachteilen hinausläuft, die durch unterschiedliche tatsächliche und rechtliche Rahmenbedingungen entstehen, kann nicht durchdringen. Verfassungsrechtlich ist anerkannt, dass es grundsätzlich keinen Anspruch auf Teilhabe an Vergünstigungen gibt. Niemand kann allein daraus, dass einer Gruppe aus besonderem Anlass Vergünstigungen zugestanden werden, für sich ein verfassungsrechtliches Gebot herleiten, dieselben Vorteile in Anspruch nehmen zu dürfen (vgl. BVerfGE 49, 192 ≪208≫; 67, 231 ≪238≫), sofern für ihn kein vergleichbarer besonderer Anlass besteht. Wegen des Ausnahmecharakters der Regelungen für die Verkaufsstellenöffnung an bestimmten Orten, die letztlich dem Bereich der „Arbeit für den Sonntag” zuzuordnen sind, kann deren Ausweitung auf bis dahin nicht erfasste Sachverhalte nicht durch Berufung auf den allgemeinen Gleichheitssatz erzwungen werden (vgl. BVerfGE 67, 231 ≪238≫). Hinsichtlich des Online-Handels („E-Commerce”) scheidet die Annahme einer sachwidrigen Ungleichbehandlung schon deshalb aus, weil sich dessen Rahmenbedingungen grundlegend anders darstellen.
(6) Soweit in der Gesetzesbegründung (vgl. Abgeordnetenhaus Drucks 16/0015, S. 7) hervorgehoben wird, dem Schutz des Verkaufspersonals werde durch das Arbeitszeitrecht Rechnung getragen, ändert dies ebenfalls nichts an der beeinträchtigenden Wirkung der Verkaufsstellenöffnung an Sonn- und Feiertagen. Von diesen arbeitnehmerschützenden Bestimmungen geht nur eine individuelle Schutzwirkung aus (vgl. § 7 BerlLadÖffG). Auf die öffentlich wahrnehmbare, den Tag maßgeblich prägende Geschäftigkeitswirkung der Ladenöffnung sind sie ohne Einfluss.
c) Auf dieser Grundlage führt die Bestimmung über die voraussetzungslose siebenstündige Öffnung an allen vier Adventssonntagen wegen der vollständigen Herausnahme eines zusammenhängenden Monatszeitraums aus dem Schutz der Sonntage ohne hinreichend gewichtige Gründe zu einem Unterschreiten des Maßes an gebotenem Mindestschutz. Die flächendeckende Möglichkeit der Öffnung aufgrund einer Allgemeinverfügung an vier weiteren Sonn- oder Feiertagen bei öffentlichem Interesse ohne zeitliche Begrenzung ist bei einschränkender Interpretation mit der Verfassung vereinbar. Die weiteren mit den Verfassungsbeschwerden angegriffenen Bestimmungen beeinträchtigen den verfassungsrechtlich gebotenen Mindestschutz nicht in erheblichem Maße; sie sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
aa) Die Adventssonntagsregelung (§ 3 Abs. 1 Alternative 2 BerlLadÖffG) als generelle und materiell voraussetzungslose Freigabe der Öffnung von Verkaufsstellen an allen Adventssonntagen von 13.00 bis 20.00 Uhr im Land Berlin steht angesichts der Bedeutung der Verkaufsstellenöffnung für die Gewährleistung der Arbeitsruhe an Sonn- und Feiertagen mit dem Grundrecht der Beschwerdeführer aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG in Verbindung mit Art. 140 GG und Art. 139 WRV nicht mehr in Einklang.
(1) Die Besonderheit dieser Regelung besteht darin, dass schon kraft Gesetzes ohne irgendeine weitere Voraussetzung vier Sonntage in Folge für die Dauer von jeweils sieben Stunden zur Ladenöffnung freigegeben werden. Diese Vorschrift hält der Anforderung, dass die Sonntagsruhe die Regel ist, nicht stand, weil sie einen in sich geschlossenen Zeitblock von etwa einem Zwölftel des Jahres vollständig vom Grundsatz der Arbeitsruhe ausnimmt. Daran ändert der allgemein gehaltene Hinweis in der Gesetzesbegründung auf die Metropolfunktion Berlins nichts. Auch darin spiegeln sich lediglich bloße Umsatz- und Erwerbsinteressen wider. Der Sache nach läuft die Regelung mithin darauf hinaus, den Sonn- und Feiertagsschutz für die Dauer eines Monates für die Verkaufsstellen, die den äußeren Charakter des Tages auch angesichts der Zahl der unmittelbar wie mittelbar Betroffenen und der Öffentlichkeitswirkung maßgeblich prägen, aufzuheben, ohne dass für eine derart intensive Beeinträchtigung eine hinreichend gewichtige Begründung gegeben würde oder sonst erkennbar wäre, die dem verfassungsrechtlichen Rang des Sonntagsschutzes gerecht werden könnte.
Wenn der Berliner Landesgesetzgeber mit Blick auf die Besonderheiten der Vorweihnachtszeit für eine Ladenöffnung an den Adventssonntagen Sachgründe anführen könnte, so könnte dies die Ladenöffnung nur an einzelnen Sonntagen rechtfertigen.
(2) Entgegen der in der Stellungnahme des Abgeordnetenhauses und des Senats von Berlin vertretenen Auffassung kann der vorstehenden Bewertung der gesetzlichen Freigabe der Adventssonntage nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, dass schon während der Zeit der Weimarer Republik und in der Bundesrepublik bis zum Jahr 1956 gerade die Adventssonntage besonders wichtige Verkaufstage des Handels gewesen seien. Diese Stellungnahme stützt sich darauf, dass nach der Änderung des § 105b Abs. 2 Gewerbeordnung durch Art. 1 der Verordnung über die Sonntagsruhe im Handelsgewerbe und in Apotheken vom 5. Februar 1919 (RGBl S. 176) die Öffnung der Verkaufsstellen durch die zuständigen Behörden noch zugelassen gewesen sei und dies auch in der Weimarer Republik gegolten habe. Danach habe die Polizeibehörde für sechs Sonn- und Festtage, die höhere Verwaltungsbehörde für weitere vier Sonn- und Festtage im Jahre, an denen „besondere Verhältnisse einen erweiterten Geschäftsverkehr erforderlich machen, für alle oder für einzelne Geschäftszweige” eine Beschäftigung bis zu acht Stunden zulassen dürfen. Am 2., 3. und 4. Adventssonntag seien damals auf der Grundlage dieser Regelung besonders hohe Umsätze erzielt worden. An die seinerzeitige Rechtslage knüpfe Art. 139 WRV an, indem er mit der Formulierung „bleiben … geschützt” den Vergangenheitsbezug zum Ausdruck bringe.
Dieser Einwand verkennt, dass die vergangenheitsbezogene Wendung in Art. 139 WRV die Sonn- und Feiertage lediglich in allgemeiner Hinsicht dem fortdauernden Schutz des Gesetzgebers anheimgibt, über dessen konkrete Ausgestaltung indessen zunächst nichts aussagt. Bei der vergleichenden Beurteilung ist in Betracht zu ziehen, dass Ausnahmen von der Sonntagsruhe im Handel nach der genannten früheren Regelung an die Erfüllung einer begrenzenden Tatbestandsvoraussetzung gebunden waren und eine verwaltungsbehördliche Entscheidung darüber voraussetzten. Sie besagte nicht, dass eine Ladenöffnung an allen Adventssonntagen von vornherein und überall zulässig sein sollte. Hinzu kommt, dass damals die Ladenöffnungszeiten an den Werktagen abends kürzer waren und auch die Samstags-Öffnungszeiten nicht bis in den späten Abend reichten. Die geringere Mobilität der Bevölkerung erschwerte zudem in ländlichen Gebieten Einkäufe während der Werktage. Auch wegen der damals deutlich ausgedehnteren werktäglichen Arbeitszeiten in anderen Branchen hatte die Möglichkeit zum Tätigen von Weihnachtseinkäufen an den Adventssonntagen unter dem Versorgungs- und Bedarfsaspekt größere Bedeutung. Dieser Gesichtspunkt hat aufgrund der veränderten Verhältnisse, vor allem mit der Ausdehnung der werktäglichen Öffnungszeiten auf 24 Stunden, sein Gewicht eingebüßt.
bb) Die Regelung, wonach die Senatsverwaltung im öffentlichen Interesse ausnahmsweise die Öffnung von Verkaufsstellen an höchstens vier (weiteren) Sonn- oder Feiertagen durch Allgemeinverfügung zulassen kann (§ 6 Abs. 1 Satz 1 BerlLadÖffG), ist mit dem Grundrecht der Beschwerdeführer aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG in Verbindung mit Art. 140 GG und Art. 139 WRV jedenfalls bei einschränkender Auslegung vereinbar.
(1) Hinsichtlich der Zahl von vier Tagen lässt sich gegen die Regelung im Blick auf die Gesamtzahl von regelhaft 52 Sonntagen im Jahr und von insgesamt neun je nicht zwingend auf einen Sonntag fallenden weiteren Feiertagen nichts erinnern, zumal bestimmte Feiertage von dieser Öffnungsmöglichkeit ausgenommen sind (§ 6 Abs. 1 Satz 2 BerlLadÖffG). Da die Freigabe durch Allgemeinverfügung erfolgt, bedarf es einer Verwaltungsentscheidung, die die Möglichkeit eröffnet, die jeweils betroffenen Interessen und Rechtsgüter konkret in eine Abwägung einzubeziehen.
(2) Bedenken begegnet indessen die weite, allgemein gehaltene Voraussetzung für die Ausnahmeregelung: Erforderlich ist lediglich, dass die ausnahmsweise Öffnung „im öffentlichen Interesse” liegt. Dabei handelt es sich um einen ausfüllungsbedürftigen unbestimmten Rechtsbegriff, der es bei einem allein am Wortlaut orientierten Verständnis ermöglicht, jedes noch so geringe öffentliche Interesse genügen zu lassen. Hier ist eine der Wertung des Art. 139 WRV genügende Auslegung geboten. Danach ist ein öffentliches Interesse solchen Gewichts zu verlangen, das die Ausnahmen von der Arbeitsruhe rechtfertigt. Dazu genügen das alleinige Umsatz- und Erwerbsinteresse auf Seiten der Verkaufsstelleninhaber und das alltägliche „Shopping-Interesse” auf der Kundenseite nicht.
Der Begriff des „öffentlichen Interesses” soll der Gesetzesbegründung zufolge für „besondere Ereignisse im Interesse der Berliner und Touristen” zusätzliche Öffnungszeiten zulassen. Dabei soll es um „große Veranstaltungen” gehen, die wegen ihrer Bedeutung für die ganze Stadt eine Geschäftsöffnung erforderlich machen. Damit sind Veranstaltungen und Ereignisse gemeint, die auch „über die Stadt hinaus Bedeutung haben und zahlreiche Touristen nach Berlin holen” (Abgeordnetenhaus Drucks 16/0015, S. 13). Auf diese Weise wird dem Umstand Rechnung getragen, dass sich in einem Land von der Struktur Berlins die Versorgung von Touristen und Besuchern von großen Messen und anderen Großveranstaltungen schwer auf bestimmte Bezirke begrenzen lässt. Für die von der Begründung in Bezug genommene Zielsetzung und Kategorie von Ereignissen werden nur Veranstaltungen, die einzeln oder in ihrem Zusammenwirken Bedeutung für Berlin als Ganzes haben, die Ausnahme tragen können.
(3) Bei verfassungskonformer Auslegung ist nicht zu beanstanden, dass die Ausnahme von der Arbeitsruhe an Sonn- und Feiertagen in § 6 Abs. 1 BerlLadÖffG an den betroffenen Tagen keine ausdrückliche uhrzeitliche Eingrenzung enthält. Während die anderen Ausnahmeregelungen zur Ladenöffnung an den Adventssonntagen sowie aus Anlass besonderer Ereignisse eine Begrenzung auf den Zeitraum von 13.00 bis 20.00 Uhr vorsehen (§ 3 Abs. 1 Alternative 2, § 6 Abs. 2 BerlLadÖffG), fehlt hier eine solche. Der Wortlaut lässt also den Schluss zu, dass an den in Rede stehenden vier weiteren Sonn- oder Feiertagen – wie nach der Berliner Regelung für Werktage – eine 24-Stunden-Öffnung statthaft sei. Gerade weil bei den anderen Ausnahmeregelungen – von denen für besondere Verkaufsstellen und bestimmte Waren abgesehen – ausdrücklich uhrzeitliche Begrenzungen genannt sind, hier indessen nicht, liegt diese Auslegung nicht fern. Von ihr gehen auch das Abgeordnetenhaus und der Senat von Berlin in ihrer Stellungnahme aus. Ein solches Verständnis liefe allerdings darauf hinaus, dass die werktägliche Geschäftigkeit an diesen Tagen wegen der prägenden öffentlichen Betriebsamkeitswirkung der Verkaufsstellenöffnung in vollem Umfang auf die Sonn- und Feiertage übertragen würde. Diese Tage würden sich insoweit – jedenfalls nach der maßgeblichen Rechtslage – nicht mehr deutlich vom Werktag unterscheiden. Der Ausnahmecharakter der Regelung käme in der praktischen Anwendung und in der öffentlichen Wahrnehmung nicht mehr hinreichend zum Ausdruck.
Auch insoweit ist allerdings die Möglichkeit einer einengenden, grundrechts- und sonntagsschutzgeleiteten Auslegung der Ausnahmebestimmung eröffnet. Diese orientiert sich an dem System der übrigen Ausnahmen, das der Landesgesetzgeber in § 3 Abs. 1 Alternative 2, § 6 Abs. 2 BerlLadÖffG errichtet hat und das uhrzeitliche Begrenzungen vorsieht. Will der Landesgesetzgeber dennoch eine flächendeckende, allgemeine 24-Stunden-Öffnung an Sonn- und Feiertagen ermöglichen, könnte er dem verfassungsrechtlich zu gewährleistenden Schutz nur dadurch Rechnung tragen, dass er dafür eine besonders hohe Voraussetzung vorsähe, etwa ein herausragend gewichtiges öffentliches Interesse. Da dies nicht geschehen ist, ist es für die vorliegende Fassung die schonendere Möglichkeit, anstatt der Verwerfung auch dieses Ausnahmetatbestandes eine dem Ausnahmeregime in wesentlichen Teilen eigene uhrzeitliche Begrenzung von 13.00 bis 20.00 Uhr zu verlangen, die Vorschrift in dieser Interpretation jedoch unbeanstandet zu lassen. Anhaltspunkte dafür, dass dieser einschränkenden Auslegung ein gegenläufiger Wille des Landesgesetzgebers entgegenstünde, bestehen nicht. Ein solches einengendes Verständnis des Ausnahmetatbestandes entspricht im Übrigen der bisherigen Anwendungspraxis im Land Berlin, die auch in der mündlichen Verhandlung unwidersprochen bestätigt worden ist.
5. Die weiteren angegriffenen Bestimmungen, die das Schutzkonzept des Landesgesetzgebers mit Ausnahmen versehen, begegnen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Das gilt auch für das Zusammenwirken der nach Maßgabe dieser Gründe nicht zu beanstandenden Regelungen.
a) Die Regelung, dass Verkaufsstellen aus Anlass besonderer Ereignisse, insbesondere von Firmenjubiläen und Straßenfesten, an jährlich höchstens zwei weiteren Sonn- oder Feiertagen von 13.00 bis 20.00 Uhr öffnen dürfen (§ 6 Abs. 2 Satz 1 BerlLadÖffG), ist verfassungsrechtlich weder für sich gesehen noch im schutzkonzeptionellen Kontext zu beanstanden.
Die Verkaufsstelle hat dem zuständigen Bezirksamt die Öffnung sechs Tage vorher anzuzeigen (§ 6 Abs. 2 Satz 2 BerlLadÖffG). Der Schutz besonderer Feiertage nach § 6 Abs. 1 Satz 2 BerlLadÖffG gilt hier entsprechend (vgl. § 6 Abs. 2 Satz 3 BerlLadÖffG). Diese Ladenöffnungsmöglichkeit ist wegen ihrer engen örtlichen Begrenzung ohnehin von geringer prägender Wirkung für den öffentlichen Charakter des Tages. Es kann hingenommen werden, dass die im Gesetz geforderten Voraussetzungen lediglich von eingeschränktem Gewicht sind, weil sie jeweils auf konkrete Verkaufsstellen und ein Jubiläum oder auf Feste im Straßenzugsbereich abheben. Auch besteht wegen des sechstägigen Vorlaufs der Anzeige eine ausreichende Möglichkeit zur Kontrolle und gegebenenfalls zum Einschreiten der Verwaltung. Dass damit gerade in einem überwiegend städtisch strukturierten Land ein so genannter Flickenteppich entstehen kann, auf dem aufs Jahr gesehen irgendwelche Verkaufsstellen mit uneingeschränktem Warenangebot immer geöffnet haben, erscheint bei dieser Lösung unvermeidlich, aber hinnehmbar. Daher lässt sich nicht sagen, diese Ausnahme unterschreite ein als hinreichend zu erachtendes Mindestschutzniveau.
b) Die Beschwerdeführer beanstanden überdies einige weitere Einzelheiten des Gesetzes, denen jedoch unter dem Gesichtspunkt der Wirksamkeit des gesetzgeberischen Schutzkonzepts kaum oder allenfalls äußerst geringe Bedeutung beizumessen ist und gegen die von Verfassungs wegen nichts zu erinnern ist.
aa) Unter dem Gesichtspunkt der Wahrung der Religionsfreiheit ist nichts dagegen einzuwenden, dass Verkaufsstellen mit überwiegendem Lebens- und Genussmittelangebot am 24. Dezember von 7.00 bis 14.00 Uhr öffnen dürfen, wenn dieser Tag auf einen Adventssonntag fällt (§ 4 Abs. 1 Nr. 4 BerlLadÖffG), und dass in mobilen Verkaufsstellen leicht verderbliches Obst und Gemüse vom Erzeuger auch an Sonn- und Feiertagen, an Adventssonntagen von 7.00 bis 20.00 Uhr und am 24. Dezember, wenn dieser Tag auf einen Adventssonntag fällt, von 7.00 bis 14.00 Uhr angeboten werden darf (§ 4 Abs. 2 Nr. 1 BerlLadÖffG). Diese Ausnahmeregelungen lassen aus sich heraus ohne weiteres Gründe erkennen, die im Blick auf die Mindestschutzgewährleistung tragfähig sind. Sie sind im Kontext der Ladenöffnungsregelungen von lediglich randständiger Bedeutung. Der Gesetzgeber hält sich damit im Rahmen des ihm zukommenden weiten Gestaltungsspielraumes. Zwar ist es zutreffend, wie die Beschwerdeführer geltend machen, dass es unter den bevorratungspraktischen Bedingungen der heutigen Zeit ohne Schwierigkeiten möglich ist, die benötigten Lebens- und Genussmittel für die Weihnachtsfeiertage auch am 23. Dezember zu erwerben, wenn der 24. Dezember auf einen Sonntag fällt. Ebenso lässt sich vertreten, dass heimisches leicht verderbliches Obst und Gemüse vom Erzeuger angesichts der heutigen Möglichkeiten zur Kühlung und Lagerung nicht privilegierungsbedürftig sei. Die Argumentation der Beschwerdeführer geht aber daran vorbei, dass dem Gesetzgeber im Rahmen der Ausgestaltung seines Schutzkonzepts ein weiter Spielraum zukommt, namentlich bei der Statuierung von spezifischen Ausnahmen. Gemessen daran lässt sich nicht feststellen, dass die in Rede stehenden Regelungen, die bestimmte Warengruppen betreffen, das Schutzniveau des Sonn- und Feiertagsschutzes gravierend beeinträchtigen würden.
bb) Soweit der Beschwerdeführer zu 2) die Fassung des § 4 Abs. 1 Nr. 4 BerlLadÖffG für missverständlich hält, ist klarzustellen, dass diese Vorschrift eine Öffnung von Verkaufsstellen, die Lebens- und Genussmittel verkaufen, unzweifelhaft nicht an jedem Sonn- und Feiertag erlaubt. Die dahingehenden Bedenken sind in Ansehung des Wortlauts und des Zusammenhangs der in Absatz 1 enthaltenen Regelungen nicht nachvollziehbar. Die Bestimmung beinhaltet eine Ausnahme, die erkennbar nur dann greift, wenn der 24. Dezember (Heiligabend) auf einen Adventssonntag fällt.
cc) Schließlich ist nicht ersichtlich, dass der im Gesetz vorgesehene Schutz nicht wirksam durchgesetzt werden könnte. Verstöße gegen die Ladenschlusszeiten und die Ausnahmebestimmungen stellen Ordnungswidrigkeiten dar und können in den hier erheblichen Fallgestaltungen nach Maßgabe von § 9 Abs. 2 BerlLadÖffG mit einer Geldbuße bis zu 2.500 Euro geahndet werden. Dies allein mag insbesondere für große Handelsketten und Kaufhäuser wirtschaftlich keine abschreckende Wirkung entfalten. Es ist jedoch in Rechnung zu stellen, dass Verstöße gegen die Ladenöffnungsvorschriften ordnungsrechtlich unterbunden werden und unter Umständen auch weitere Konsequenzen haben können. Mithin lässt sich nicht feststellen, dass das Schutzkonzept insoweit völlig unzulänglich oder ungeeignet wäre, zumal auch die Höhe des angedrohten Bußgeldes nach der Ladenschlussgesetzgebung des Bundes nicht höher lag (§ 24 Abs. 2 LadSchlG a.F.).
c) Die gesetzlich angelegten Ladenöffnungsmöglichkeiten an Sonn- und Feiertagen führen auch in ihrem Zusammenwirken eingedenk der verfassungswidrigen Öffnungsmöglichkeit an allen vier Adventssonntagen nicht zu einem Verstoß gegen die staatliche Schutzpflicht für die Religionsfreiheit der Beschwerdeführer, der das gesamte Schutzkonzept mit all seinen angegriffenen Ausnahmetatbeständen für den Sonn- und Feiertagsschutz ergreifen würde und als verfassungswidrig erscheinen ließe.
Im Übrigen hat der Berliner Landesgesetzgeber erkennbar gesehen, dass er bei dem von ihm verfolgten Konzept einer flächendeckenden Freigabe der Ladenöffnung an Sonn- und Feiertagen unter geringen Voraussetzungen und ohne warengruppenspezifische Beschränkungen nur eine niedrige jährliche Höchstzahl derart freigabefähiger Sonn- und Feiertage ansetzen durfte, um dem Regel-Ausnahme-Gebot und der verfassungsrechtlich geforderten Sicherung eines Mindestniveaus des Sonn- und Feiertagsschutzes zu genügen. Diese Höchstzahl hat er auf der Grundlage der von ihm gewählten Schutzkonzeption, also insbesondere ohne allgemeine einzelfallbezogene Ausnahmebestimmung – etwa § 23 Abs. 1 LadSchlG entsprechend –, in nicht zu beanstandender Weise mit acht Sonn- oder Feiertagen angesetzt (siehe § 3 Abs. 1 Alternative 2, § 6 Abs. 1 BerlLadÖffG).
III.
Die Regelung zur Öffnung der Verkaufsstellen an allen vier Adventssonntagen (§ 3 Abs. 1 Alternative 2 BerlLadÖffG) ist damit für verfassungswidrig zu erklären (§ 95 Abs. 3 BVerfGG). Sie bleibt indes unter Berücksichtigung der Berufsausübungsfreiheit der Verkaufsstelleninhaber, ihres in die Regelung gesetzten Vertrauens und der von ihnen für die Vorweihnachtszeit des Jahres 2009 getroffenen Dispositionen in diesem Jahr noch anwendbar. Ob und wie der Berliner Landesgesetzgeber seine Schutzkonzeption anpasst, obliegt seiner Gestaltungsmacht nach Maßgabe der Grundsätze dieser Entscheidung.
Den Beschwerdeführern sind ihre notwendigen Auslagen je zur Hälfte zu erstatten; dies ist angemessen, weil ihre Verfassungsbeschwerden einen wesentlichen Teilerfolg haben, der sich auch bei der Konkretisierung des Prüfungsmaßstabes niederschlägt (§ 34a Abs. 2 BVerfGG).
Die Entscheidung ist zu B. I. 1. (Beschwerdebefugnis) und zu B. II. 2. (Konkretisierung des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG durch Art. 140 GG i.V.m. Art. 139 WRV) mit 5: 3 Stimmen, hinsichtlich der Anforderungen des Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 139 WRV einstimmig ergangen.
Unterschriften
Papier, Hohmann-Dennhardt, Bryde, Gaier, Eichberger, Schluckebier, Kirchhof, Masing
Fundstellen
Haufe-Index 2263662 |
BVerfGE 2010, 39 |