Verfahrensgang
Hamburgisches OVG (Urteil vom 24.09.2004; Aktenzeichen 1 Bf 242/02) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 24. September 2004 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 269 115,93 € festgesetzt.
Gründe
Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO und des § 127 Nr. 1 BRRG, § 113 HmbBG gestützte Beschwerde ist unbegründet.
Mit der Divergenzrüge (§ 127 Nr. 1 BRRG, § 113 HmbBG) kann der Kläger die Zulassung der Revision nicht erreichen, weil die Entscheidung, von der abgewichen worden sein soll, sich grundsätzlich auf dieselbe Rechtsvorschrift beziehen muss. Eine bloße Gleichartigkeit der Rechtsfrage in verschiedenen Gesetzen bei im Wesentlichen gleichem Wortlaut der in Frage stehenden Bestimmungen genügt nicht (vgl. bereits Beschluss vom 10. April 1963 – BVerwG 8 B 16.62 – BVerwGE 16, 53). Das ist hier der Fall. Denn der in Bezug genommenen Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 2. August 2001 – 1 A 3262/99 – (Schütz, Beamtenrecht, ES/C 5 Nr. 39) liegt keine Rückforderung überzahlter Versorgungsbezüge nach § 52 Abs. 2 BeamtVG zugrunde. In dem dort entschiedenen Fall ging es vielmehr um die Rückforderung einer Geldleistung, die der Dienstherr dem Beamten zum Ausgleich dafür gewährte, dass dieser die vorzeitige Versetzung in den Ruhestand beantragt hat. Das Oberverwaltungsgericht bewertete diese Leistung rechtlich weder als Besoldung noch als Versorgung. Die Rückforderungsgrundlage des § 12 Abs. 2 BBesG prüfte es lediglich hilfsweise. Auf die Prüfung des inhaltsgleichen § 52 Abs. 2 BeamtVG verzichtete es.
Zwar kann deshalb die in Bezug genommene Entscheidung keine Grundlage einer Divergenzbeschwerde sein, doch kann die der Divergenzbeschwerde sinngemäß zugrunde liegende rechtliche Problemstellung grundsätzlich die Grundlage einer Grundsatzbeschwerde nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sein. Ob diese Möglichkeit im vorliegenden Fall schon deshalb entfällt, weil die angefochtene Entscheidung nicht auf § 12 Abs. 2 BBesG, sondern auf § 52 Abs. 2 BeamtVG gestützt ist, braucht nicht entschieden zu werden. Darauf kommt es nicht an, weil der Kläger ohnehin vorsorglich Grundsatzrügen erhoben hat, die dem Inhalt nach auf die Beantwortung der Fragen zielen, die auch der geltend gemachten Divergenzrüge zugrunde liegen.
Allerdings kann der Kläger auch mit diesen Rechtsfragen die Zulassung der Revision nicht erreichen.
Der Antwort auf die Rechtsfrage, ob
“ein Verschulden des Beamten das ganz oder teilweise Absehen von einer Rückforderung auch bei Bestehen eines qualifizierten Mitverschuldens der Behörde (ausschließt)”,
kommt keine rechtsgrundsätzliche Bedeutung zu. Denn sie hängt von der Konstellation des Einzelfalls ab und würde in einem Revisionsverfahren keine Rolle spielen. Das Berufungsgericht hat keinen Rechtssatz des Inhalts aufgestellt, dass das Mitverschulden des Versorgungsempfängers an der Überzahlung die Minderung der Rückforderung ausschließt. Das Berufungsgericht hat vielmehr die Billigkeitsentscheidung der Beklagten in dem nach Klageerhebung erlassenen Rückforderungsbescheid überprüft und ist – bezogen auf den zu entscheidenden Einzelfall – zu dem Ergebnis gekommen, dass die von der Behörde vorgenommene Bewertung des Verschuldens des Klägers und des Mitverschuldens der Beklagten rechtlich nicht zu beanstanden ist.
Die weitere als vermeintlich rechtsgrundsätzlich aufgeworfene Frage, ob
“die Höhe einer Rückforderung dazu führen (kann), dass im Rahmen der Billigkeitsentscheidung von der Rückforderung ganz oder teilweise abzusehen ist”,
kann ebenfalls nur im Einzelfall entschieden werden. Denn die Billigkeitsentscheidung hat die Aufgabe, eine allen Umständen des Einzelfalls gerecht werdende, für die Behörde zumutbare und für den Beamten tragbare Lösung zu ermöglichen, bei der auch Alter, Leistungsfähigkeit und sonstige Lebensverhältnisse des Herausgabepflichtigen eine maßgebende Rolle spielen. Die Billigkeitsentscheidung soll der besonderen Lage des Einzelfalls Rechnung tragen, wobei die Frage von besonderer Bedeutung ist, wessen Verantwortungsbereich die Überzahlung zuzuordnen ist und in welchem Maße ein Verschulden oder Mitverschulden hierfür ursächlich war. Im Rahmen des konkreten Rückforderungsbegehrens sind die Modalitäten der Rückabwicklung und ihre Auswirkungen auf die Lebensumstände des Bereicherungsschuldners zu berücksichtigen, wobei es entscheidend auf die Lage des Beamten im Zeitpunkt der Rückabwicklung ankommt (vgl. Urteil vom 8. Oktober 1998 – BVerwG 2 C 21.97 – Buchholz 239.1 § 55 BeamtVG Nr. 25 m.w.N.). Daraus ergibt sich ohne weiteres, dass auch die Höhe der Rückforderung bei Vorliegen besonderer, in der Person des Rückzahlungspflichtigen liegender Umstände Gegenstand der Billigkeitsentscheidung sein kann.
Nicht von grundsätzlicher Bedeutung ist ferner die Frage, ob
“eine Behörde berechtigt (ist), auch ohne Erlass eines entsprechenden Verwaltungsakts mit einer Forderung aufzurechnen.”
Die Fragestellung ist schon deshalb einer revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht zugänglich, weil sie in dieser Allgemeinheit rechtsgrundsätzlich nicht beantwortet werden kann. Denn die Antwort kann je nach der gegebenen Rechtsmaterie davon abhängen, ob sich bereits aus einer fachgesetzlichen Regelung Handlungsvorgaben für die Verwaltung ergeben oder nicht.
Versteht man die Rechtsfrage allerdings in dem Sinn, dass sie sich auf die Zulassung der Aufrechnung eines Rückzahlungsanspruchs der Behörde gegen einen Anspruch des Beamten auf Versorgung beschränkt, ergibt sich Folgendes:
Der Kläger sieht die Rechtsgrundsätzlichkeit seiner Frage darin, dass das Berufungsgericht die Erklärung der Aufrechnung der Beklagten mit den jeweils fälligen monatlichen Versorgungsbezügen bis zur Tilgung der Überzahlung für rechtlich zulässig gehalten hat, ohne sich mit dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 14. November 2000 – VII R 85/99 – (BFHE 193, 254) auseinander gesetzt zu haben, das nach Auffassung des Klägers von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abweicht (vgl. Urteil vom 27. Oktober 1982 – BVerwG 3 C 6.82 – BVerwGE 66, 218), weil es in der Aufrechnungserklärung einen Verwaltungsakt sieht. Die vermeintliche Rechtsgrundsätzlichkeit der Fragestellung leitet er also aus der behaupteten unterschiedlichen Bewertung der rechtlichen Qualität der Aufrechnung einer durch Leistungsbescheid bewilligten Forderung mit einem öffentlich-rechtlichen Rückzahlungsanspruch in der höchstrichterlichen Rechtsprechung ab. Diese Bewertungsunterschiede werden der genannten Rechtsprechung zu Unrecht unterstellt, so dass der Frage keine rechtsgrundsätzliche Bedeutung im Sinn des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zukommt.
Im Urteil vom 14. November 2000 – VII R 85/99 – (a.a.O.) hat der Bundesfinanzhof unter Bezugnahme auf die Entscheidung vom 31. August 1995 – VII R 58/94 – (BFHE 178, 306) die Auffassung vertreten, die Aufrechnung mit einem Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis, für den die besonderen Vorschriften über das Erhebungsverfahren nach § 218 Abs. 1 und § 226 AO 1977 gelten, setze voraus, dass der Anspruch durch Steuerbescheid (oder sonstigen Verwaltungsakt) festgesetzt und die Vollziehung dieses Verwaltungsakts nicht ausgesetzt sei. Dies folge im Wesentlichen daraus, dass es sich bei der Aufrechnung um eine Form der Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis im Sinn von § 218 Abs. 1 AO 1977 handle. Eine Aufrechnung sei ohne Gebrauchmachen von dem materiellen Regelungsinhalt des Bescheids nicht möglich, weil erst der materielle Regelungsinhalt die entsprechend § 387 BGB notwendigen Voraussetzungen für eine Aufrechnung – u.a. die Fälligkeit der Forderung – schaffe. Jede Verwirklichung des materiellen Regelungsinhalts eines Verwaltungsakts, d.h. jegliches Gebrauchmachen von ihm, sei jedoch als Vollziehung im Sinn des § 69 FGO anzusehen, so dass auch eine Verwirklichung des Anspruchs durch Aufrechnung ausgeschlossen (unzulässig) sei, wenn der Verwaltungsakt in der Vollziehung ausgesetzt sei.
Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 27. Oktober 1982 – BVerwG 3 C 6.82 – (a.a.O.) unter Berufung auf die Urteile vom 13. Oktober 1971 – BVerwG 6 C 137.67 – (Buchholz 232 § 87 BBG Nr. 48) und vom 9. Oktober 1959 – BVerwG 7 C 53.58 – (DVBl 1960, 36) die Auffassung vertreten, die Aufrechnung mit einer Gegenforderung stelle keine Vollziehung eines die betreffende Forderung konkretisierenden Leistungsbescheids dar. Eine Handlung wie die Aufrechnungserklärung, die der Erfüllung der eigenen Verbindlichkeit diene und dabei gleichzeitig die Befriedigung der eigenen Forderung bewirke, sei keine Maßnahme, durch die der Verwaltungsakt vollzogen werde, durch den die zur Aufrechnung gestellte Forderung konkretisiert und fällig gemacht werde. Die Vollziehung eines Verwaltungsakts durch die Behörde sei eine selbständige und grundsätzlich hoheitliche Maßnahme zur Durchsetzung einer getroffenen Anordnung im Wege des Zugriffs – auch in der Form der Gestaltungswirkung – auf Rechtsgüter des Adressaten dieses Verwaltungsakts. Die Aufrechnung sei hingegen ein im Ausgangspunkt von der Privatrechtsordnung gewährleistetes Mittel der Rechtsverteidigung gegenüber einem vom Gegner erhobenen Anspruch und diene zugleich der Befriedigung des eigenen Anspruchs. Vollziehung einerseits und Aufrechnung andererseits seien zwei Rechtsinstitute mit verschiedener Zielrichtung und Wirkung. Die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs im Sinn des § 80 Abs. 1 VwGO hindere als dem öffentlichen Recht zugehörig nicht die nicht dem hoheitlichen Bereich zuzurechnende Erklärung der Aufrechnung. Daraus folge, dass es für die Zulässigkeit und Wirkung einer Aufrechnung bedeutungslos sei, dass gegen eine durch Bescheid festgesetzte Rückforderung, die Gegenstand der Aufrechnung sei, Widerspruch und Anfechtungsklage eingelegt seien.
Die Rechtsauffassung des Bundesfinanzhofs vom 31. August 1995 – VII R 58/94 – (a.a.O.) steht nicht im Widerspruch zur Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts im Urteil vom 27. Oktober 1982 – BVerwG 3 C 6.82 – (a.a.O.). Dies stellt der Bundesfinanzhof bereits zu Recht selbst fest. Er hebt hervor, dass der seiner Entscheidung zugrunde liegende Fall keine Aufrechnung mit einer lediglich durch Leistungsbescheid konkretisierten und geltend gemachten (Gegen-)Forderung betreffe, wie sie etwa bei rechtsgrundloser Zahlung der Behörde und daraus folgender Kondiktionsforderung bestünde und ungeachtet des vorgängigen Erlasses eines diesbezüglichen Verwaltungsakts geltend gemacht werden könnte. Vielmehr gehe es um eine Forderung der Behörde, deren Geltendmachung den Erlass eines Verwaltungsakts zwingend voraussetze.
Das ist vorliegend nicht der Fall. Denn die Rückforderung überzahlter Versorgungsbezüge setzt den Erlass eines Rückforderungsbescheids gerade nicht voraus. Dies ergibt sich bereits unmittelbar aus § 51 Abs. 2 Satz 1 BeamtVG. Nach dieser Vorschrift kann der Dienstherr gegenüber Ansprüchen auf Versorgungsbezüge ein Aufrechnungs- oder Zurückbehaltungsrecht geltend machen; eines vorausgehenden Rückforderungsbescheids bedarf es nicht (vgl. bereits Urteil vom 13. Juni 1985 – BVerwG 2 C 43.83 – DVBl 1986, 146).
Unbegründet ist schließlich die Rüge des Klägers, das Berufungsurteil beruhe auf einer Verletzung des § 88 VwGO, weil das Oberverwaltungsgericht den Rückforderungsbescheid der Beklagten vom 18. Februar 2004 in seine Entscheidung habe einfließen lassen.
Ein wesentlicher Verfahrensmangel nach § 88 VwGO in Verbindung mit § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO liegt vor, wenn das Gericht mehr oder anderes zu- oder aberkennt als begehrt. Die Einbeziehung des Rückforderungsbescheids vom 18. Februar 2004 in die anhängige Klage auf die Feststellung, dass kein Rückforderungsanspruch der Beklagten gegen den Kläger besteht, stellt keinen Verstoß gegen die Regelung in § 88 VwGO dar. Denn das Gericht hat das Klagebegehren des Klägers weder überschritten noch dem Kläger etwas anderes aberkannt, als dieser begehrt hat. Das Gericht hat vielmehr bei der rechtlichen Prüfung des Feststellungsbegehrens den erst nach Rechtshängigkeit der Feststellungsklage ergangenen Rückforderungsbescheid, insbesondere hinsichtlich der dort angestellten Ermessensentscheidung nach § 52 Abs. 2 Satz 3 BeamtVG, in seine rechtliche Erörterung einbezogen. Ein Verfahrensverstoß nach § 88 VwGO liegt darin schon deshalb nicht, weil die Zulassung der vorbeugenden Feststellungsklage und die Einbeziehung des nach Klageerhebung ergangenen Rückforderungsbescheids dem Kläger einen prozessualen Vorteil verschafft hat. Dadurch bleibt es ihm erspart, gegen den Rücknahmebescheid unter Inkaufnahme der Erledigung des bereits im Berufungsverfahren anhängigen Prozesses ein neues Klageverfahren anzustrengen. Denn eine rechtskräftige Entscheidung über den Feststellungsantrag bindet die Verfahrensbeteiligten hinsichtlich der rechtskraftfähigen Urteilsbestandteile.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Der Streitwert ergibt sich aus § 52 Abs. 1, § 71 Abs. 1 Satz 2, § 72 Nr. 1 Halbsatz 2 GKG.
Unterschriften
Albers, Prof. Dawin, Dr. Kugele
Fundstellen