Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Aktenzeichen 4 LB 1984/01) |
Tenor
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 16. August 2001, berichtigt durch Beschluss vom 24. September 2001, wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die vorgetragenen Gründe rechtfertigen die Zulassung der Revision nicht.
Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt der Rechtssache nicht zu. Die Frage, „ob in den Fällen, in denen positiv festgestellt wird, dass zum Hilfezeitpunkt eine Hilfebedürftigkeit nicht vorgelegen hat, eine erweiterte Hilfe nach § 29 BSHG in Fällen des § 121 BSHG in Betracht kommt”, ist nicht klärungsbedürftig. Denn durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass § 121 Satz 1 BSHG eine hypothetische Betrachtung anordnet (BVerwG, Urteil vom 14. Juni 2001 – BVerwG 5 C 21.00 – Buchholz 436.0 § 97 BSHG Nr. 12 S. 2 = DVBl 2001, 1698, 1699): Bei der Anwendung der Norm ist zu unterstellen, der Hilfebedarf wäre nicht dem Nothelfer, sondern dem örtlich und sachlich zuständigen Sozialhilfeträger rechtzeitig bekannt geworden und sodann – bezogen auf diesen Zeitpunkt – zu prüfen, ob der Sozialhilfeträger bei rechtzeitiger Kenntnis Hilfe nach diesem Gesetz gewährt haben würde (vgl. BVerwGE 91, 245 ≪248≫ = Buchholz 436.0 § 121 BSHG Nr. 5; BVerwGE 98, 132 ≪133≫ = Buchholz 436.0 § 98 BSHG Nr. 1 S. 2). In diese Prüfung und bezogen auf diesen Zeitpunkt ist auch die Möglichkeit der erweiterten Hilfe nach § 29 Satz 1 BSHG einzubeziehen (vgl. BVerwGE 45, 131 ≪134≫ = Buchholz 436.0 § 121 BSHG Nr. 2). Dass ein Fall existentiell notwendiger sofortiger Krankenhaushilfe bei ungeklärten Einkommens- und Vermögensverhältnissen der in Not geratenen Person einen „begründeten Fall” i.S. des § 29 Satz 1 BSHG darstellen kann (vgl. BVerwGE 45, 131 ≪134≫ = Buchholz 436.0 § 121 BSHG Nr. 2), kann in Anbetracht des Sinns der Vorschrift, in Notfällen Hilfe in besonderen Lebenslagen auch vor Klärung der finanziellen Hilfebedürftigkeit der hilfebedürftigen Person sicherzustellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 1979 – BVerwG 5 C 39.78 – Buchholz 436.0 § 29 BSHG Nr. 6 = FEVS 28, 13, 16), nicht zweifelhaft sein. Das Bundesverwaltungsgericht hat demzufolge betont, dass die Anwendung des § 29 Satz 1 BSHG nicht bereits deshalb ausgeschlossen ist, dass die Frage der Sozialhilfebedürftigkeit im Zeitpunkt der Hilfeleistung noch völlig offen ist (vgl. BVerwGE 52, 16 ≪19≫ = Buchholz 436.0 § 29 BSHG Nr. 4 und BVerwG, Beschluss vom 4. Januar 1996 – BVerwG 5 B 138.95 – Buchholz 436.0 § 29 BSHG Nr. 12). Für den Erstattungsanspruch des Nothelfers nach § 121 BSHG ist es deshalb in den Fällen des § 29 Satz 1 BSHG unerheblich, ob sich später nach entsprechenden Ermittlungen des Sozialhilfeträgers herausstellt, „dass zum Hilfezeitpunkt eine Hilfebedürftigkeit nicht vorgelegen hat”. Ob das Berufungsgericht die Voraussetzungen für eine erweiterte Hilfe nach § 29 Satz 1 BSHG im vorliegenden Fall zu Recht angenommen hat, ist eine Frage der tatrichterlichen Würdigung der Umstände im Einzelfall und nicht von grundsätzlicher Bedeutung.
Die Revision ist auch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen. Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist nur im Falle einer Abweichung im abstrakten Rechtssatz gegeben (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Juni 1995 – BVerwG 8 B 44.95 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 2; stRspr); sie würde hier deshalb voraussetzen, dass das Oberverwaltungsgericht sich in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz zu dem von der Beschwerde in Bezug genommenen Rechtssatz in Widerspruch gesetzt hat (vgl. BVerwG, a.a.O.; stRspr). An der Darlegung derartiger einander widersprechender abstrakter Rechtssätze lässt es die Beschwerde jedoch fehlen. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung maßgeblich darauf gestützt, dass in Fällen dringend notwendiger Krankenhausbehandlung eine andere sachgerechte Entscheidung des Sozialhilfeträgers als die, bei Ungewissheit, ob überhaupt einsetzbares Einkommen und Vermögen vorhanden sei, (zunächst) Hilfe zu gewähren, kaum denkbar sei, und in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, Umstände, die im Zeitpunkt des Hilfebedarfs gegen eine Hilfegewährung nach § 29 Satz 1 BSHG hätten sprechen können, seien nicht ersichtlich. Dem setzt letztlich die Beschwerde nur ihre eigene Würdigung entgegen, „eine derartige besondere Situation, bei der bei ordnungsgemäßer Ermessensausübung keine andere Entscheidung des Sozialhilfeträgers als die der Gewährung erweiterter Hilfe aus § 29 BSHG erkennbar ist”, habe im hier zu entscheidenden Fall nicht vorgelegen. Mit Angriffen gegen die berufungsgerichtliche Tatsachenwürdigung und Rechtsanwendung im Einzelfall kann jedoch eine Abweichungsrüge nicht begründet werden (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 12. Dezember 1991 – BVerwG 5 B 68.91 – Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 302 sowie vom 10. Juli 1995 – BVerwG 9 B 18.95 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 264 S. 14; stRspr).
Entscheidungserhebliche Verfahrensfehler, die eine Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO rechtfertigen könnten, sind ebenfalls nicht ersichtlich. Soweit die Beschwerde behauptet, „hätte das OVG den Akteninhalt vollständig verwertet und richtig gewürdigt…, wäre es zu einer abweichenden Entscheidung gekommen”, genügt sie nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO, da sie bereits jedes Eingehen darauf, welcher konkrete Inhalt der Akten nicht verwertet worden ist, vermissen lässt. „Ob die Hilfeempfängerin eine erweiterte Hilfe gewünscht hätte”, hatte das Berufungsgericht nicht zu prüfen, sondern ob der Träger der Sozialhilfe in dem Eilfall, hätte er sich seiner von Anfang an annehmen können, die erweiterte Hilfe nicht gegen den Willen des Patienten geleistet hätte (vgl. BVerwGE 45, 131 ≪134≫ = Buchholz 436.0 § 121 BSHG Nr. 2). Anhaltspunkte hierfür aus den Akten hat die Beschwerde nicht vorgetragen. Das Berufungsgericht hat dagegen diesen Gesichtspunkt mit seinen tatsächlichen Feststellungen, Umstände, die gegen eine Hilfegewährung nach § 29 Satz 1 BSHG hätten sprechen können, seien nicht ersichtlich, abgedeckt. Soweit schließlich die Beschwerde rügt, das Berufungsgericht „hätte ferner erkennen müssen, dass die Voraussetzungen des § 29 BSHG auch aus weiteren Gründen nicht erfüllt sind”, und dabei darauf hinweist, die Anwendung des § 29 BSHG setze eine vor oder zu Beginn der Leistungserbringung ergangene Entscheidung voraus, rügt sie Fehler der materiellen Rechtsanwendung. Damit lässt sich ein Verfahrensfehler nicht begründen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit auf § 188 Satz 2 VwGO.
Unterschriften
Dr. Säcker, Prof. Dr. Pietzner, Dr. Rothkegel
Fundstellen
Haufe-Index 706597 |
FEVS 2002, 497 |