Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches OVG (Urteil vom 18.02.2004; Aktenzeichen 2 LB 65/03) |
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 18. Februar 2004 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts ist unbegründet. Die als alleiniger Zulassungsgrund geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) kommt der Rechtssache nicht zu.
Die Beschwerde hält eine revisionsgerichtliche “Klärung bezüglich der Rechtsverhältnisse im sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis hinsichtlich der Bedeutung von Vereinbarungen zwischen den Trägern der Eingliederungshilfe und den Einrichtungsträgern für den Anspruchsberechtigten” für erforderlich und hat hierzu die Frage aufgeworfen, ob “eine Verfahrensvereinbarung als Anlage zu einem gemäß § 93c Abs. 2 BSHG zwischen dem Träger der Eingliederungshilfe und verschiedenen Vereinigungen von Trägern stationärer Einrichtungen geschlossenen Landesrahmenvertrag, die die Notwendigkeit der Zustimmung des Trägers der Eingliederungshilfe für die Zahlung von Platzfreihaltegeld bei einer freiwilligen Abwesenheit über eine bestimmte Anzahl von Tagen hinaus vorsieht, bindend (ist) in Bezug auf den Anspruch des behinderten Menschen gemäß § 39 Abs. 1 Satz 1, § 40 BSHG auf Zahlung von Platzfreihaltegeld für eine über die festgelegte Anzahl von Tagen hinausgehende freiwillige Abwesenheit, wenn der behinderte Mensch stationär in einer Einrichtung betreut wird, die einer Vereinigung angehört, die Vertragspartei des Landesrahmenvertrages ist”. Der Beschwerdeerwiderung der Klägerin ist darin beizupflichten, dass hiermit ein revisionsgerichtlicher Klärungsbedarf nicht dargetan ist, weil die aufgeworfene Frage sich ohne weiteres anhand des Gesetzes bzw. im Hinblick auf den ihm vom Bundesverwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung (vgl. z.B. BVerwGE 92, 336 ≪337≫, 94, 211 ≪213≫, 97, 53 ≪57 f.≫, 101, 194 ≪197≫) entnommenen sozialhilferechtlichen Bedarfsdeckungsgrundsatz beantworten lässt, so dass es insoweit nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf.
Der Bedarfsdeckungsgrundsatz gilt auch dort, wo der Träger der Sozialhilfe sich zur Erfüllung seiner Hilfeverpflichtung Dritter bedient bzw. Hilfe durch Übernahme der Kosten leistet, die dem Hilfebedürftigen infolge Inanspruchnahme der Dienste eines Dritten, z.B. einer Einrichtung im Rahmen stationärer Hilfe, entstehen. Auch dies ist im Gesetz zum Ausdruck gelangt, wenn § 93a Abs. 1 Satz 3 BSHG bestimmt, dass “die Leistungen (der Einrichtung) … ausreichend … sein (müssen)”, und vom erkennenden Senat dahingehend präzisiert worden, dass “auf der Grundlage der zwischen den Trägern der Sozialhilfe und den Einrichtungsträgern … zustande gekommenen Vereinbarungen die von den Hilfesuchenden benötigten Sozialhilfeleistungen so erbracht werden können, dass den Anforderungen von § 1 Abs. 2, § 3 Abs. 1 und § 4 Abs. 2 BSHG genügt ist” (BVerwGE 108, 47 ≪53≫). Daraus folgt, dass die zwischen Sozialhilfeträgern und Dritten getroffenen Vereinbarungen über die Erbringung von Leistungen zur Deckung sozialhilferechtlich anzuerkennenden Hilfebedarfs den Hilfeanspruch des Leistungsberechtigten nicht berühren. Dies gilt daher auch für einen Rahmenvertrag, den der Träger der Sozialhilfe mit Vereinigungen von Trägern stationärer Einrichtungen abgeschlossen hat. Hieraus ergibt sich ohne weiteres, dass die Frage, ob und in welchem Umfang ein behinderter Mensch, der Eingliederungshilfe in der Einrichtung eines freien Trägers erhält, Anspruch auf Zahlung von “Platzfreihaltegeld” hat, nicht von den vom Sozialhilfeträger mit den Einrichtungsträgern vereinbarten Voraussetzungen, sondern – allein – von den materiellen Voraussetzungen der Gewährung von Eingliederungshilfe nach §§ 39 ff. BSHG abhängt.
Ob und in welchem Umfang der Beklagte der Klägerin auf der Grundlage von §§ 39 ff. BSHG “Platzfreihaltegeld” zahlen bzw. seine Zustimmung dazu erteilen muss, dass die Einrichtung der Klägerin ein solches Entgelt in Rechnung stellt, richtet sich demgemäß danach, ob es sich hierbei um Kosten handelt, die zur Erfüllung der durch § 39 Abs. 3 BSHG umrissenen Aufgabe der Eingliederungshilfe notwendig sind. Das “Platzfreihaltegeld” wird – ausgehend von den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz als vereinbarte Vergütung in Höhe eines reduzierten Pflegesatzes – vom Nutzer der Einrichtung für die Einräumung der Nutzungsmöglichkeit von Räumen und Dienstleistungen geschuldet, damit der Fortbestand des Nutzungsverhältnisses auch über die Dauer einer vorübergehenden, freiwilligen Abwesenheit des Nutzers hinaus sichergestellt wird. Es ist somit – je nach der Ausgestaltung des Vertragsverhältnisses zwischen dem Einrichtungsträger und dem Hilfeempfänger – ein notwendiger Bestandteil des dem Einrichtungsträger vom Nutzer der Einrichtung geschuldeten Entgelts und deshalb als Vorhalteleistung der Eingliederungshilfe (vgl. BVerwGE 108, 221 ≪232≫) im Rahmen des sozialhilferechtlich Notwendigen vom Träger der Sozialhilfe zu übernehmen. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts, die nicht mit beachtlichen Revisionsrügen angegriffen sind, ist der hier geschlossene Heimvertrag in der Weise auszulegen, dass die Klägerin für die Dauer des Vertrages die vereinbarte Vergütung auch für Abwesenheitszeiten schuldete; die entsprechende Vertragsklausel sei “so zu verstehen, dass die Klägerin unbeschadet der Zustimmung des Kostenträgers auch bei (längerer) Abwesenheit zur Zahlung des vereinbarten Entgelts, eines reduzierten Pflegesatzes, verpflichtet ist”. Nach diesen Feststellungen ist die abgeschlossene Rahmenvereinbarung mithin auch nicht dahin auszulegen, dass sie es in Fällen nicht vom Sozialhilfeträger genehmigter zusätzlicher Abwesenheit dem Einrichtungsträger untersagte, einen vertraglich begründeten Anspruch gegen den Hilfeempfänger geltend zu machen, oder einen entsprechenden Anspruch von vornherein ausschlösse. Dann aber hängt der Hilfeanspruch, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat (S. 20 Berufungsurteil), vom Vorliegen der objektiven Voraussetzungen für einen Bedarf nach Eingliederungshilfe ab und beurteilt sich nach der Besonderheit des Einzelfalles, vor allem nach der Person des Hilfeempfängers, der Art seines Bedarfs und den örtlichen Verhältnissen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 BSHG). Außerdem ist im vorliegenden Zusammenhang § 7 BSHG von Bedeutung, wonach bei Gewährung der Sozialhilfe die besonderen Verhältnisse in der Familie des Hilfesuchenden berücksichtigt werden sollen und die Sozialhilfe den Zusammenhalt der Familie festigen soll; dies kann es – u.U. sogar im Interesse der Effektivität der Eingliederungshilfe – geboten erscheinen lassen, einem Kind getrennt lebender Eltern, das stationäre Eingliederungshilfe erhält, unter Beachtung des Eingliederungsziels einen längeren Aufenthalt bei seinen Eltern zu ermöglichen, als er bei einem Kind – ebenfalls unter Wahrung der Belange der Eingliederungshilfe – angemessen wäre, dessen Eltern nicht getrennt leben. Die zeitlichen Vorgaben z.B. des § 125 SGB IX hinsichtlich des Zusatzurlaubs für schwerbehinderte in einem Arbeits- bzw. Beschäftigungsverhältnis stehende Menschen sind hierfür als Maßstab ebenso wenig geeignet wie jedwede andere schematische Festlegung.
Mithin ist nach diesen Maßstäben zu beurteilen und vom Träger der Eingliederungshilfe im Rahmen der Kostenübernahme nach §§ 39 ff. BSHG zu entscheiden, ob bei der Klägerin auch hinsichtlich der umstrittenen Abwesenheitstage unabhängig von der Zustimmung des Kostenträgers die objektiven Voraussetzungen für die Gewährung von Eingliederungshilfe vorgelegen haben. Die einzelfallbezogene Beurteilung des Berufungsgerichts, dies sei deswegen der Fall, weil die Besuche der Klägerin bei den Eltern mit dem Hilfezweck vereinbar seien und die Förderung dieser Besuche eine Ausprägung der familiengerechten Hilfe im Sinne von § 7 BSHG darstelle, auch entstünden hier keine im Sinne des § 3 Abs. 2 Satz 3 BSHG unverhältnismäßigen Mehrkosten, entzieht sich dabei der fallübergreifenden revisionsgerichtlichen Klärung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 188 Satz 2 BSHG.
Unterschriften
Dr. Säcker, Dr. Rothkegel, Prof. Dr. Berlit
Fundstellen