Entscheidungsstichwort (Thema)
Ermessen zur Rücknahme einer rechtswidrigen, aber unanfechtbaren Heranziehung zum Ersatz der Kosten der Sozialhilfe;. Kostenheranziehung, Rücknahme einer rechtswidrigen, aber unanfechtbaren – in der Sozialhilfe. Rücknahme einer rechtswidrigen, aber unanfechtbaren Heranziehung zum Ersatz der Kosten der Sozialhilfe. Sozialhilfe, Heranziehung zum Ersatz der Kosten der –. Unanfechtbarkeit einer rechtswidrigen Heranziehung zum Ersatz der Kosten der Sozialhilfe
Leitsatz (amtlich)
1. Die Rücknahme einer rechtswidrigen, aber bestandskräftigen Heranziehung zum Kostenersatz nach § 92 a BSHG kann weder in unmittelbarer noch in entsprechender Anwendung von § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X verlangt werden. Sie steht nach § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X im Ermessen des Sozialhilfeträgers. Dies gilt auch noch nach Ablauf der Vierjahresfrist des § 44 Abs. 4 SGB X und unabhängig davon, ob und wann die Heranziehung vollzogen worden ist.
2. § 44 Abs. 2 SGB X gilt nicht nur für Dauerverwaltungsakte.
Normenkette
BSHG § 92a Abs. 1 S. 1; SGB X § 44 Abs. 1-2
Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Entscheidung vom 29.04.1998; Aktenzeichen 4 L 7103/96) |
VG Osnabrück (Entscheidung vom 12.12.1996; Aktenzeichen 4 A 205/96) |
Tenor
Das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 29. April 1998 und der Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Osnabrück vom 12. Dezember 1996 werden aufgehoben. Unter Zurückweisung der Revision im übrigen wird das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts wie folgt geändert:
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 21. August 1996 verpflichtet, über eine Rücknahme des Bescheides der Stadt Bad Bentheim vom 24. Oktober 1990 nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Im übrigen wird die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Tatbestand
I.
1. Der Kläger kam 1989 als Aussiedler aus der damaligen UdSSR, wo er als Bergarbeiter tätig gewesen war, in die Bundesrepublik Deutschland. Nach anfänglichem Bezug von Sozialhilfe erhielt er ab dem 20. September 1989 für die Dauer der Teilnahme an einem Deutschkurs Unterhaltsgeld vom Arbeitsamt. Zum 24. Februar 1990 stellte das Arbeitsamt die Leistungen ein, weil der Kläger dem Deutschkurs infolge Alkoholmißbrauchs ferngeblieben war.
Am 28. März 1990 wurde der Kläger wegen eines Krampfanfalls und anschließenden Dämmerzustandes bei Alkoholismus ins Krankenhaus eingeliefert. Sein bis zum 12. April 1990 dauernder Krankenhausaufenthalt kostete 5 057,12 DM. Hierfür kam die für den Beklagten als Sozialhilfeträger handelnde Stadt B. auf, weil der Kläger seit dem Abbruch der Maßnahme des Arbeitsamtes nicht krankenversichert war.
Mit Leistungsbescheid vom 24. Oktober 1990 forderte die Stadt B. vom Kläger nach § 92 a BSHG Kostenersatz, da der Kläger durch grob fahrlässig sozialwidriges Verhalten (u.a. Unterlassen einer Anfrage bei der AOK nach dem Fortbestehen von Krankenversicherungsschutz nach Abbruch des Deutschkurses) ohne Krankenversicherungsschutz gewesen sei. Nachdem der Kläger sich unter dem 7. November 1990 zu monatlichen Zahlungen in Höhe von 200 DM bereiterklärt, aber keine Zahlungen geleistet hatte, trat er der Stadt B. im April 1993 eine Nachzahlung von Hinterbliebenenrente ab, woraufhin ihr der Rentenversicherungsträger im Juli 1993 5 057,12 DM auszahlte.
Im Juni 1995 erhob der Kläger vor dem Sozialgericht Osnabrück Klage (Az.: S 3 Kr 77/95) gegen die AOK auf Erstattung der Kosten seines Krankenhausaufenthaltes: Er habe im Dezember 1989 einen mündlichen Rentenantrag gestellt und sei aufgrund dessen krankenversichert gewesen. Über den Ausgang dieses Rechtsstreits ist nichts bekannt.
Durch am 29. April 1996 bei der Stadt B. eingegangenes Schreiben beantragte der Kläger sodann hinsichtlich des Bescheides vom 24. Oktober 1990 „Wiedereinsetzung des Verfahrens” mit der Begründung, er habe sich nicht grob fahrlässig verhalten, da er die Folgen des Abbruchs des Deutschkurses nicht habe überschauen können und über die Folgen des Abbruchs auch nicht belehrt worden sei; er sei aufgrund seiner Alkoholerkrankung nicht in der Lage gewesen, zu erkennen, welche Nachteile ihm aus dem Abbruch der Maßnahme entstehen könnten. Der Beklagte sah darin die Einlegung von Widerspruch gegen den Bescheid vom 24. Oktober 1990 und wies den Widerspruch durch Bescheid vom 21. August 1996 wegen Verfristung zurück, weil dem Kläger infolge Ablaufs auch der Frist des § 60 Abs. 3 VwGO keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden könne.
Das Verwaltungsgericht hat die vom Kläger u.a. mit der Begründung erhobene Klage, er habe den Bescheid vom 24. Oktober 1990 nicht erhalten, unter Bezugnahme auf die Gründe des Widerspruchsbescheides und unter Hinweis darauf abgewiesen, daß der Kläger gegenüber der Stadt B. am 7. November 1990 schriftlich erklärt habe, nicht in der Lage zu sein, „Kostenersatz lt. Bescheid v. 24.10.90 i.H.v. 5 057,12 DM in einer Summe zu zahlen”.
Das Oberverwaltungsgericht hat der Berufung des Klägers mit folgender Begründung stattgegeben: Der Beklagte sei entsprechend § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X verpflichtet, den Bescheid der Stadt B. vom 24. Oktober 1990 zurückzunehmen. Das Begehren in dem am 29. April 1996 bei der Stadt B. eingegangenen Schreiben des Klägers sei als auf ein „Wiederaufgreifen des Verfahrens” nach § 44 SGB X gerichtet aufzufassen; denn dem Schreiben sei zu entnehmen, daß der Kläger von der Unanfechtbarkeit des Bescheides vom 24. Oktober 1990 ausgegangen sei und keinen Wiedereinsetzungsgrund im Sinne des § 60 VwGO geltend gemacht, sondern gemeint habe, der Bescheid sei gleichwohl aufzuheben, weil er rechtswidrig sei. § 44 Abs. 1 SGB X sei (auch dann) analog anzuwenden, wenn die Rücknahme eines bestandskräftigen Bescheides begehrt werde, durch den der Sozialhilfeträger vom Hilfeempfänger Kostenersatz nach § 92 a BSHG verlangt habe, und zwar auch dann, wenn Kostenersatz bereits geleistet, der Bescheid also „vollzogen” sei. Die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X seien hier erfüllt, da die Stadt B. vom Kläger zu Unrecht Kostenersatz verlangt habe. Das Verhalten des Klägers sei zwar sozialwidrig, da er den Verlust des Krankenversicherungsschutzes dadurch herbeigeführt habe, daß er eine Maßnahme des Arbeitsamtes abgebrochen und sich nicht rechtzeitig arbeitslos gemeldet habe. Er habe aber nicht mindestens grob fahrlässig im Sinne von § 92 a Abs. 1 Satz 1 BSHG, § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 Halbsatz 2 SGB X gehandelt; denn aus im Berufungsverfahren eingeholten ärztlichen Stellungnahmen ergebe sich, daß der Kläger (jedenfalls auch) in den Monaten Januar bis April 1990 wegen fortgeschrittener, chronischer Alkoholabhängigkeit nicht in der Lage gewesen sei, die Folgen des Abbruchs des Deutschkurses und des Unterlassens sofortiger Arbeitslosmeldung für seinen Krankenversicherungsschutz zu erkennen. Krankheitsbedingt habe ihm damals auch die Fähigkeit gefehlt, die Schwere seiner Alkoholkrankheit und die Notwendigkeit einer Entziehungskur zu erkennen. § 44 Abs. 4 SGB X sei hier nicht einschlägig, da der Kläger nicht die Gewährung von Sozialleistungen für einen zurückliegenden Zeitraum begehre; selbst bei analoger Anwendung dieser Vorschrift könnte aber eine „Rückabwicklung” der Leistung von Kostenersatz nur dann nicht mehr verlangt werden, wenn der Vollzug des bestandskräftigen Bescheides, vom Beginn des Jahres an gerechnet, in dem die Rücknahme des Bescheides beantragt worden ist, länger als vier Jahre zurückliege. Dieser Zeitraum sei hier nicht überschritten, da der Bescheid vom 24. Oktober 1990 erst im Jahre 1993 durch die Leistung des Rentenversicherungsträgers „vollzogen” worden sei. Welche Zeit seit dem Erlaß des Bescheides oder seit dem Eintritt der Unanfechtbarkeit bis zu dem Antrag auf seine Rücknahme (am 29. April 1996) verstrichen sei, sei für § 44 Abs. 1 und 4 SGB X und damit auch für eine analoge Anwendung in Fällen dieser Art unerheblich. Der Kläger habe den Anspruch auf Rücknahme des Bescheides auch nicht verwirkt. Er habe sich offenbar nur deshalb verpflichtet, die Krankenhausbehandlungskosten zu ersetzen, weil er irrtümlich davon ausgegangen sei, die Stadt B. habe das Recht schon richtig angewandt und der Rentenversicherungsträger die „Krankenhauskosten” ebenfalls zu Recht aus der Rentennachzahlung erstattet. Die Stadt B. habe aus der ihr noch im Jahre 1995 bekanntgewordenen Klageerhebung vor dem Sozialgericht entnehmen können, daß der Kläger sich nicht etwa endgültig damit abgefunden habe, die Behandlungskosten aus seiner Rentennachzahlung ersetzen zu lassen.
Der Beklagte rügt mit der gegen dieses Urteil eingelegten Revision die Verletzung von § 44 SGB X. Er erstrebt die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Der Kläger hat sich zur Revision nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist teilweise begründet. Das angegriffene Urteil verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), ist jedoch im Ergebnis teilweise zutreffend (§ 144 Abs. 4 VwGO), so daß es nur teilweise abzuändern (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO) und die Revision im übrigen zurückzuweisen (§ 144 Abs. 2 VwGO) ist.
1. Das Oberverwaltungsgericht hat den Beklagten zu Unrecht verpflichtet, den Heranziehungsbescheid der Stadt B. vom 24. Oktober 1990 zurückzunehmen. Die Bestimmung des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X, auf die das Berufungsurteil gestützt ist, findet vorliegend keine Anwendung.
Eine unmittelbare Anwendung des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X scheitert daran, daß ein Bescheid nach § 92 a Abs. 1 Satz 1 BSHG weder ein eine Sozialleistung (§ 11 Satz 1 SGB I) ablehnender Bescheid noch ein Beitragserhebungsbescheid im Sinne jener Vorschrift ist (zur Unanwendbarkeit von § 44 SGB X auf Sozialhilfebescheide s. im übrigen BVerwGE 68, 285).
Der Heranziehungsbescheid vom 24. Oktober 1990 läßt sich auch nicht im Wege der (erweiternden) Auslegung des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X als Bescheid ansehen, der „Sozialleistungen” bzw. „Beiträge” betrifft, weil es – bei einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise – um die Frage geht, ob der Ersatzpflichtige eine Sozialleistung (hier: Krankenhilfe) behalten darf. Einer solchen Analogie steht entgegen, daß die §§ 44 ff. SGB X ein geschlossenes System der Rücknahme und des Widerrufs von Verwaltungsakten und der Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen (BVerwGE 91, 13 ≪16≫; 99, 114 ≪119≫) bilden, das keine Lücke läßt und das auch nach seiner Zielsetzung für eine erweiternde Auslegung mit dem vom Berufungsgericht gewonnenen Ergebnis keinen Raum bietet. Mit §§ 44 ff. SGB X hat der Gesetzgeber eine umfassende und abschließende Abwägung zwischen den rechtsstaatlichen Prinzipien der Gesetzmäßigkeit des Verwaltungshandelns und der Rechtssicherheit (vgl. BVerwGE 99, 114 ≪119≫) in einer auf die Besonderheiten und Bedeutung des Sozialleistungsbereiches abgestimmten Weise getroffen. Aus Wortlaut und Systematik des Gesetzes geht hervor, daß es nicht Anliegen des Gesetzgebers ist, gegenüber jedwedem im Sozialleistungsbereich ergangenen rechtswidrigen, aber unanfechtbar gewordenen nicht begünstigenden Verwaltungsakt die durch Bestandskraft und Unanfechtbarkeit bewirkte Rechtssicherheit aufgrund eines Rechtsanspruchs des materiell Berechtigten auf Rücknahme des Verwaltungsakts hinter die materielle Gerechtigkeit zurücktreten zu lassen. § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X begründet unter den dort genannten weiteren Voraussetzungen einen Rücknahmeanspruch mit Wirkung für die Vergangenheit (nur), wenn und soweit „Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind”; nach § 44 Abs. 2 Satz 1 SGB X besteht „im übrigen” ein Rechtsanspruch auf Rücknahme eines „rechtswidrige(n) nichtbegünstigende(n) Verwaltungsakt(s)” (nur) mit Wirkung für die Zukunft. Eine Rücknahme für die Vergangenheit steht dagegen im Ermessen des Leistungsträgers („kann”). In der Formulierung „im übrigen” findet die Funktion des Absatzes 2 als Auffangregelung Ausdruck und ist zugleich der Hinweis darauf enthalten, daß der sachliche Geltungsbereich des Absatzes 1 enger ist als derjenige des Absatzes 2. Damit ist, wenn das Rücknahmeermessen des Leistungsträgers nicht auf Null reduziert ist, ein Anspruch auf rückwirkende Aufhebung eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsakts nach dem Willen des Gesetzes auf Verwaltungsakte des in Absatz 1 Satz 1 genannten Inhalts beschränkt und kann deswegen nicht auf jedweden im Zusammenhang mit Sozialleistungen ergangenen (rechtswidrigen nicht begünstigenden) Verwaltungsakt erstreckt werden.
Eine entsprechende Anwendung von § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X auf eine (rechtswidrige) Geltendmachung der Kostenersatzpflicht aus § 92 a BSHG ginge auch über den Normzweck des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X hinaus. Die Vorschrift verstärkt die Effektivität der materiellrechtlichen Gewährleistung von Sozialleistungsansprüchen, indem sie sicherstellt, daß nach materiellem Recht geschuldete Sozialleistungen auch (noch) erbracht werden, obwohl das Verwaltungsverfahren bereits zu Lasten des Leistungsberechtigten bestandskräftig abgeschlossen ist. Zwar verbietet es weder der Charakter dieser Vorschrift als Sonder- und Ausnahmeregelung, sie sinnentsprechend anzuwenden (vgl. auch BVerwGE 61, 169 ≪172≫; 87, 103 ≪112≫), noch ist dies nach ihrer gesetzlichen Zielsetzung schlechthin ausgeschlossen. So hat der Senat § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X außerhalb des Rechts der Sozialhilfe auf einen unanfechtbaren Bescheid entsprechend angewandt, der die Aufhebung eines Bewilligungsbescheides und die Erstattung der auf seiner Grundlage erbrachten Sozialleistungen zum Gegenstand hatte (BVerwGE 87, 103 ≪107≫). Die Analogiebasis hat der Senat darin gesehen, daß die Rücknahme einer unanfechtbaren, aber rechtswidrigen Aufhebung einer Leistungsbewilligung, bezogen auf die Sozialleistung, zusammen mit der im unmittelbaren Anwendungsbereich des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X liegenden Rückgängigmachung eines leistungsverweigernden Bescheides „zwei Seiten ein und derselben Medaille” sind (BVerwG, a.a.O.): Im letzteren Fall geht es um den Bezug der Leistung, im ersten Fall um die Abwendung ihrer Rückforderung; beidesmal betrifft die – sei es unmittelbare, sei es entsprechende – Anwendung von § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X den Leistungsbezug, also das rechtliche Schicksal der Sozialleistung selbst. Auch das Bundessozialgericht wendet § 44 Abs. 1 SGB X auf Bescheide über die Rückforderung von Sozialleistungen entsprechend an (s. z.B. Urteil vom 12. Dezember 1996 – 11 RAr 31/96 – SozR 3-1300 § 44 SGB X Nr. 19). § 92 a BSHG regelt dagegen Rechtsbeziehungen außerhalb des Sozialleistungsverhältnisses. Die Vorschrift begründet eine quasi-deliktische Haftung nach Art einer Schadensersatzpflicht wegen verschuldensqualifizierter Herbeiführung von Sozialhilfebedürftigkeit; in diese Haftung sind auch andere Personen als der Leistungsempfänger (nämlich dessen unterhaltsverpflichtete Angehörige) einbezogen. Sie hat ihren Grund mithin weder unmittelbar in der Leistungsbeziehung zwischen dem Träger und dem Empfänger der Sozialhilfe noch ist letzterer immer und notwendig von der Haftung nach § 92 a BSHG betroffen.
Eine Analogie, beschränkt auf eine Kostenheranziehung des Hilfeempfängers, ist auch nicht deshalb gerechtfertigt, weil die Kostenersatzpflicht als Surrogat einer Rückerstattungsverpflichtung aufgefaßt werden könnte. Eine solche scheidet jedoch in den Fällen des § 92 a BSHG regelmäßig aus; denn sie setzt die Rechtswidrigkeit des Sozialhilfebezugs und die Aufhebung der Sozialhilfebewilligung voraus (vgl. § 50 Abs. 1 SGB X), woran es in den Fällen des § 92 a Abs. 1 BSHG in der Regel fehlt (s. BVerwGE 64, 318 ≪320≫; 67, 163 ≪166≫; vgl. demgegenüber § 92 a Abs. 4 BSHG sowie dazu BVerwGE 105, 374 ≪375 f.≫). Zwar mag bei einer wirtschaftlichen Betrachtung die Aufhebung eines rechtswidrigen Heranziehungsbescheides nach § 92 a Abs. 1 BSHG der Korrektur einer Rückforderung der Sozialleistung entsprechen; doch kann allein dies eine Analogie zu § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X nicht rechtfertigen. Der Umstand, daß eine Kostenersatzpflicht nach § 92 a Abs. 1 BSHG nur bei rechtmäßiger Hilfegewährung besteht, zeigt, daß diese Regelung den Normzweck des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X unberührt läßt, die materiellrechtlichen Gewährleistungen des Sozialleistungsrechts zu verstärken. Der Gesetzeszweck begrenzt aber die Befugnis der Gerichte, den Anwendungsbereich des Gesetzes durch Analogie zu erweitern.
Nach alledem läßt sich entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts das Klagebegehren nicht auf § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X stützen.
2. Das Berufungsurteil erweist sich aber aus einem anderen Grunde teilweise als im Ergebnis richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Zwar nicht im Sinne einer Verpflichtung des Beklagten zur Rücknahme des Heranziehungsbescheides vom 24. Oktober 1990, aber im Sinne einer Verpflichtung zur Neubescheidung des Klägers ist dessen Rücknahmebegehren berechtigt. Die Voraussetzungen des § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X, wonach ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt für die Vergangenheit zurückgenommen werden kann, sind erfüllt. Der Bescheid vom 24. Oktober 1990 fällt in den sachlichen Anwendungsbereich dieser Vorschrift.
§ 44 Abs. 2 SGB X stellt – anders als Absatz 1 Satz 1 – an den Regelungsinhalt des Verwaltungsakts keine weitergehenden Anforderungen, als daß es sich um einen nicht begünstigenden Verwaltungsakt handeln muß. Insbesondere betrifft die Vorschrift – entgegen der Annahme des Oberverwaltungsgerichts – nicht nur Verwaltungsakte mit Dauerwirkung. Die in § 44 Abs. 2 SGB X getroffene Unterscheidung der Wirkungen einer Rücknahme ex nunc und ex tunc ist zwar – woran das Oberverwaltungsgericht anknüpft – nur bei Dauerverwaltungsakten möglich. Eine Regelung, die – wie § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X – eine Rücknahme „für die Vergangenheit” vorsieht, ist damit aber nicht auf Dauerverwaltungsakte beschränkt; denn ex-tunc-Wirkung kann auch der Rücknahme eines Nicht-Dauerverwaltungsakts zukommen. Soweit der Hinweis des Senats in BVerwGE 87, 103 (107), wonach § 44 Abs. 2 SGB X „die Möglichkeit einer Rücknahme mit Wirkung auch für die Zukunft voraussetzt”, dahin verstanden werden kann, daß die Bestimmung nicht auf Verwaltungsakte angewendet werden könne, die ausschließlich abgeschlossene Sachverhalte oder einmalige Leistungen in der Vergangenheit betreffen, wird an diesem Verständnis nicht festgehalten. § 44 Abs. 2 SGB X gilt für alle rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsakte im Anwendungsbereich des Sozialgesetzbuchs, ohne daß es auf ihren Regelungsinhalt im übrigen ankommt (vgl. auch BSGE 82, 50 ≪52≫). Das Bundessozialgericht zieht diese Vorschrift demgemäß ebenfalls für die Rücknahme von Bescheiden heran, die einen in der Vergangenheit liegenden, abgeschlossenen Sachverhalt regeln (s. BSG, a.a.O.: Kürzung vertragsärztlicher Honorare; BSGE 62, 143 ≪146≫: Beitragsnachentrichtung).
Der Heranziehung von § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X steht auch nicht entgegen, daß der Bescheid vom 24. Oktober 1990 inzwischen (durch Erfüllung des Kostenersatzverlangens aus Rentennachzahlungen aufgrund abgetretener Rentenansprüche) vollzogen worden ist. Seine Rücknehmbarkeit – bei Vorliegen der sonstigen Tatbestandsvoraussetzungen jener Vorschrift – wird dadurch nicht berührt. Diese sonstigen Voraussetzungen sind hier erfüllt. Insbesondere ist die Kostenheranziehung des Klägers rechtswidrig gewesen; die Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts zur Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 24. Oktober 1990 sind von der Revision nicht angegriffen worden.
Zu Unrecht beruft sich die Revision gegenüber dem Klagebegehren auf § 44 Abs. 4 SGB X. Diese Vorschrift ist hier schon deswegen nicht unmittelbar einschlägig, weil es dem Kläger nicht um einen nachträglichen Bezug von „Sozialleistungen” geht (sondern um Rückgewähr der von ihm – zu Unrecht – geforderten Erstattung der Kosten einer von ihm bezogenen Sozialleistung); Voraussetzung für die Anwendung von § 44 Abs. 4 SGB X ist aber stets, daß infolge der unrichtigen Rechtsanwendung Sozialleistungen nicht erbracht wurden und es darum um rückwirkend zu erbringende Sozialleistungen geht (vgl. BSG, Urteil vom 12. Dezember 1996, a.a.O., m.w.N.). Dieser Regelung kann auch nicht als analogiefähiger Rechtsgedanke entnommen werden, daß im Geltungsbereich des Sozialgesetzbuchs jedwede Rückabwicklung von Leistungen zur Wiederherstellung der materiellen Rechtslage immer nur zeitlich beschränkt – für einen nicht länger als vier Jahre zurückliegenden Zeitraum – zulässig sein soll. Zwar entnimmt das Bundessozialgericht § 44 Abs. 4 SGB X einen „allgemeine(n) Rechtsgedanke(n) … (mit dem) Inhalt, Leistungen nicht über vier Jahre hinaus rückwirkend zu gewähren” (BSGE 60, 245 ≪247≫; s. ebenso z.B. Schnapp, in: Krause/von Mutius/Schnapp/Siewert, GK-SGB X 1, 1991, § 44, Rn. 31; Wiesner, in: Schroeder/Printzen u.a., SGB X, 3. Auflage 1996, § 44 Rn. 20). Diesen „Grundgedanke(n), nach dem eine nachträgliche Leistungserbringung durchweg auf diesen Endpunkt begrenzt werden soll” (BSG, a.a.O., S. 246), begründet das Bundessozialgericht jedoch außer mit dem „Interesse des Leistungsträgers an einer Überschaubarkeit seiner Leistungsverpflichtungen” mit der „Aktualität der Sozialleistungen, die im wesentlichen dem laufenden Unterhalt des Berechtigten dienen sollen” (BSG, a.a.O., S. 247). Abgesehen davon, daß nach dieser Zielsetzung ohnehin zweifelhaft ist, ob § 44 Abs. 4 SGB X überhaupt auf einmalige Leistungen Anwendung findet (bejahend z.B. Hauck/Haines, SGB X, 1, 2, Stand: November 1998, § 44, Rn. 36, sowie Wiesner, a.a.O., Rn. 19; verneinend Rüfner, in: Kasseler Kommentar, SGB X/1, Stand: November 1995, § 44, Rn. 61), hat eine Erstattung von Kostenersatz, den ein Empfänger von Sozialhilfe auf der Grundlage von § 92 a BSHG geleistet hat, nicht den „Unterhaltscharakter laufender Sozialleistungen” (Wiesner, a.a.O., Rn. 19).
Der Beklagte hat bisher kein Ermessen auf der Grundlage von § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X ausgeübt. Einer Ermessensentscheidung zugunsten des Klägers steht auch nicht die vom Beklagten behauptete, von der Vorinstanz aber hinsichtlich ihrer tatsächlichen Voraussetzungen verneinte Verwirkung entgegen. Revisionsrechtlich beachtliche Rügen gegen die den Tatbestand der Verwirkung verneinenden Feststellungen der Berufungsinstanz hat der Beklagte nicht erhoben.
Nach alledem hat das angegriffene Urteil gemäß § 144 Abs. 4 VwGO insoweit Bestand, als sein Verpflichtungsausspruch auch die Verpflichtung des Beklagten umfaßt, über eine Rücknahme des Bescheides der Stadt B. vom 24. Oktober 1990 nach pflichtgemäßem Ermessen zu befinden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 188 Satz 2 VwGO.
Unterschriften
Dr. Säcker, Dr. Pietzner, Schmidt, Dr. Rothkegel, Dr. Franke
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 05.10.1999 durch Müller Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 558303 |
BVerwGE, 346 |
FamRZ 2000, 286 |
NVwZ-RR 2000, 136 |
DÖV 2000, 208 |
FEVS 2000, 215 |
NDV-RD 2000, 7 |
SGb 2000, 129 |
ZfSH/SGB 2000, 102 |
DVBl. 2000, 637 |
JAR 2000, 89 |
info-also 2000, 160 |
info-also 2000, 94 |